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Die Braut, die sich was traut

Meine Damen und Herren, von den Machern von “Sack Reis in China” — die Nicht-Meldung des Jahrhunderts:

Braut schreibt SMS vor dem Traualtar. Los Angeles - Eine Braut aus Kalifornien (USA) war gerade am Arm des Vaters auf dem Weg zum Traualtar. Da zog sie plötzlich ihr Handy hervor, blieb stehen und tippte in aller Ruhe eine SMS ein. Die ganze Hochzeitsgesellschaft sah fassungslos zu. Wem und was sie schrieb, ist nicht bekannt. Die Trauung fand dennoch statt.

Es ist die Sorte bunte Meldung, die sich ein Redakteur zur Not ausgedacht haben könnte, um den noch freien Platz in der Spalte zu füllen — aber dafür ist sie eigentlich zu banal. Und tatsächlich hat sich die Geschichte so zugetragen. Also: so ähnlich.

Es gibt ein Video von dieser Begebenheit, das die “Huffington Post” am Wochenende verlinkt hatte. James Costa, ein Filmemacher aus New York, der das Video gedreht hatte, hat es inzwischen auf “privat” gestellt, doch es wurde bereits neu hochgeladen:

Okay, die Braut ist also nicht stehen geblieben, sondern stand schon, und es sieht auch eher so aus, als würde sie eine Nachricht lesen und keine schreiben.

abc zitiert den Kameramann mit den Worten:

Der Priester war damit beschäftigt, seine Eröffnungsworte vorzulesen und ihr Rücken war allen Anwesenden zugewandt. Ich war der Einzige, der sie sehen konnte.

(Übersetzung von uns.)

Und noch etwas hatte er laut abc bei YouTube geschrieben:

Das ist Teil eines Hochzeitsvideos, das ich im August 2008 am Mission Beach Women’s Club in San Diego, Kalifornien gedreht habe.

(Übersetzung von uns.)

Und das Video ist nicht nur mehr als drei Jahre alt, es stand auch schon seit Oktober 2009 online, wie die “International Business Times” berichtet.

Wir fassen zusammen: Vor mehr als drei Jahren hat eine Braut vor dem Traualtar stehend ihr Handy aus ihrem Dekolletee geholt, was damals kaum jemand mitbekommen hat.

Diese Geschichte geht jetzt um die Welt.

Lobbys, Minilöhne, Fördermittel

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “taz geht mit schlechtem Beispiel voran”
(blogs.taz.de/hausblog)
Vier taz-Redakteure schreiben auf, wo sie nach eigener Meinung “zu unbedarft oder unkritisch mit lobbygesteuerten Informationen” umgegangen sind.

2. “Wes Brot ich ess …”
(fastvoice.net, Wolfgang Messer)
Wolfgang Messer geht auf die taz-Aktion ein. Er glaubt, es wäre, “quer über den gesamten Journalismus”, erheblich weniger zeitaufwendig, “nur über die Fälle zu berichten, bei denen absolut keine Korruption im Spiel war, weil sie nämlich die verschwindend kleine Minderheit darstellen.”

3. “8 Gründe, warum die Macher von ‘Schwiegertochter gesucht’ in die Hölle kommen”
(faz-community.faz.net/blogs, Peer Schader)

4. “Die Lücke, die der Teufel ließ”
(katrinschuster.de)
“Spiegel Online” listet Branchen auf, die Minilöhne zahlen. Katrin Schuster vermisst eine.

5. “Im Sumpf der Subventionen”
(arte.tv, Video, 51:37 Minuten)
Wo kommen die Fördermittel der Europäischen Union an? Ein Film von Pierre-Emmanuel Luneau-Daurignac mit Skipisten auf Bornholm, “Butter” in Frankreich, Autobahnen in Süditalien und Günter Verheugen. Siehe dazu auch “Europe’s Hidden Billions” (thebureauinvestigates.com) und die Suchmaschine ft.com/eufunds.

6. “Post an Wagner: TV-Serie Borgia”
(paramantus.net)
Die “TV-Serie Borgia” antwortet auf einen Brief von Franz Josef Wagner: “Und was haben Sie, lieber Herr Wagner, überhaupt gegen die Sünden der Päpste? Verstört Sie vermutlich die Parallele zu aktuellen Skandalen, die Sie als Papst-Fan nicht wahrhaben wollen?”

Metall-Musik und Blech-Berichte

Heute ist Allerheiligen, ein sogenannter “Stiller Feiertag”, an dem in manchen Bundesländern keine Musikveranstaltungen stattfinden dürfen.

In Berlin ist heute ein ganz normaler Werktag, aber man kann es natürlich trotzdem unpassend finden, wenn eine als satanistisch geltende Black-Metal-Band “ausgerechnet” an Allerheiligen ein Konzert in der Hauptstadt spielt. Das ist dann allerdings eher eine Geschmacksfrage.

Der “Berliner Kurier” jedenfalls empörte sich gestern:

Die Ekel-Rocker glauben an Satan, sie pöbeln gegen Christen, halten sich für Übermenschen. Der Gitarrist der norwegischen Black-Metal-Band Gorgoroth ist wegen unerlaubten Waffenbesitzes vorbestraft, zwei Ex-Mitglieder zündeten Kirchen an. Diese Teufels-Jünger und andere Satanisten-Bands dürfen jetzt trotzdem im Kult-Club SO 36 in Kreuzberg auftreten. Ausgerechnet zu Allerheiligen!

Die Kreuzigung nackter Frauen gehört zur Bühnen-Show. Echte Schafsköpfe und eine Metzelei mit 80 Litern Schafsblut sorgten 2004 für einen Skandal um ein Konzert in Krakau. Die Norweger Gorgoroth liefern seit 1992 immer wieder Aufreger: “Black Metal ist die Musik Satans”, sagte Gitarrist Infernus. 2006 wurde er wegen Vergewaltigung angeklagt. Wer soll da verstehen, dass solche Leute jetzt vor Berliner Teenagern spielen dürfen?

Ja, wo kommen wir hin, wenn Menschen, die wegen Vergewaltigung angeklagt waren und von diesem Tatvorwurf freigesprochen wurden, vor Berliner Teenagern spielen dürfen?

Aber der “Kurier” wusste noch mehr:

“Diese Band gehört zur norwegischen Neonazi-Szene”, warnt Psychologe Peter Kratz (58) vom Berliner Institut für Faschismus-Forschung (BIFFF). Er mobilisiert mit einer öffentlichen Erklärung (“Erneut Nazi-Musik-Fest im Szene-Club SO 36”) gegen das Konzert am Dienstag. Auch die Vorgruppen Vader und Valkyrja sieht Kratz in diesem Dunstkreis. Etwa weil Fans im Internet Runen-Zeichen benutzen, die Nazi-Symbolen ähneln.

Das “Berliner Institut für Faschismus-Forschung” ist ein eingetragener Verein, dessen Vorsitzender Peter Kratz in der Vergangenheit immer wieder durch Faschismus-Vorwürfe an unterschiedlichste Adressaten aufgefallen ist. Wobei “aufgefallen” vielleicht die falsche Formulierung ist: Bis auf ein paar Berliner Lokalzeitungen haben Kratz und sein “Institut” nie so recht die erhoffte Öffentlichkeit erreichen können. Forschungergebnisse im wissenschaftlichen Sinne kann das “BIFFF” nicht vorweisen, stattdessen arbeitet es sich in namentlich nicht gekennzeichneten Beiträgen vor allem am Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit ab.

Die “Berliner Morgenpost” bemerkte 1999 in einem anderen Fall:

Ohne zu dem Streit um die Ausstellung Stellung zu nehmen, erklärten anerkannte Berliner Faschismusforscher, daß ihnen weder das BIFFF noch Peter Kratz bekannt seien

Bereits im Jahr 2009 hatte das “BIFFF” gegen ein Metal-Konzert im SO 36 gewettert, was die damals teilnehmende Band Moonsorrow dazu veranlasste, sich “gegen Faschismus und jegliche Beschränkung der freien Meinungsäußerung” auszusprechen.

Jetzt schlägt Kratz die norwegische Band Gorgoroth und ihre Vorgruppen der “Nazi-Musik-Szene” zu. Seine beeindruckende Beweisführung: Bei MySpace und YouTube hätten Fans der Bands Profilbilder, in denen Symbole vorkommen, die von Neonazis verwendet würden.

Entsprechend bemühte sich sogar der “Berliner Kurier” um eine Relativierung der Anschuldigungen:

Diese knallharten Vorwürfe mögen überspitzt klingen, zumal Gorgoroth-Gitarrist Infernus im Interview klarstellte: “Ich bin persönlich gegen Rassismus in Theorie und Praxis.” So gibt es auch viele links stehende Metal-Fans, die das bierselige Teufels-Treiben eher als provokante Ballermann-Party begreifen. Und die gegrunzten Texte versteht ja ohnehin keiner.

Heute nun berichtet Bild.de über das anstehende Konzert und baut dafür auf den “Kurier”-Artikel und den Wikipedia-Eintrag von Gorgoroth auf. Die Distanzierung vom Rassismus hat Bild.de allerdings unter den Tisch fallen lassen.

Um der Berichterstattung von “Berliner Kurier” und Bild.de entgegenzutreten, hat das SO 36 heute eine Stellungnahme verschickt. Darin heißt es unter anderem:

1. Wir veranstalten keine Nazibands und werden es in Zukunft auch nicht tun.
2. Wir nehmen grundsätzlich alle Fragen und Hinweise bezüglich faschistischer Aktivitäten ernst, egal aus welcher Ecke sie kommen.
3. Selbstverständlich haben wir wie immer im Vorfeld umfassend recherchiert und uns sowohl bei Kennern der Musikszene (insbesondere der Metalszene) als auch bei Experten für rechtsorientierte Strömungen rückversichert.
4. Wir führen seit Jahren in Kooperation mit der Antifa strenge Einlasskontrollen an der Tür durch, dabei wird insbesondere auf Nazigesichter und Nazisymbole geachtet. Diese Personen kommen definitiv nicht rein.
5. Das SO36 bleibt weiterhin ein Forum für alle Musikrichtungen, wir verwehren uns dagegen, ganze Musikrichtungen auszugrenzen und in die rechte Ecke zu schieben. Nazis allerdings bleiben draußen. Wir wollen jungen Metalfans einen Raum bieten fern ab von faschistoiden, rassistischen, sexistischen und homophoben Strömen, um eventuell gefährdeten jungen Menschen eine Alternative auf zu zeigen.
6. Unsere Recherchen gehen weiter, sollten sich dennoch stichhaltige Beweise finden, die die Vorwürfe bestätigen, behalten wir uns vor das Konzert abzusagen.

An die Adresse von “Instituts-Chef” Peter Kratz heißt es:

Herr Kratz behauptet, die Band Gorgoroth verbietet die Veröffentlichung ihrer Texte im Internet, jedoch reicht die einfache Eingabe “Gorgoroth Lyrics” bei einer Suchmaschine im Internet, um die Texte der Band zu lesen.

Der Stellungnahme beigelegt ist ein Leserbrief, den Jakob Kranz, Redakteur der Zeitschrift “Metal Hammer” sowie Moderator und Redakteur der Musiksendung “Soundgarden/Stahlwerk” bei Radio Fritz, an den “Berliner Kurier” geschickt hat. Darin schreibt er:

Ich beschäftige mich seit mehr als 25 Jahren mit der Heavy Metal-Szene, und bin der bescheidenen Meinung, mir hierüber ein Urteil erlauben zu dürfen. 

Mit großer Empörung habe ich Ihren Artikel vom 30.10. über “Das Festival der Ekelrocker” gelesen. Mich erstaunt vor allem, dass Sie die Zitate von Herrn Kratz unkommentiert veröffentlichen. (…)

Gorgoroth waren nie Teil der norwegischen Neonazi-Szene, diese Behauptung ist falsch. Ebenso ist es falsch, dass die Vorgruppen Vader und Valkyrija aus diesem Dunstkreis stammen. Die konstruierten Zusammenhänge von Herrn Kratz sind schichtweg (sic!) Unsinn.

Mit Dank an Philipp O., Widerspenst und Christian N.

Schade, Maskerade

Scheinbar inspiriert durch Halloween fand es “Bild”-Reporterin Angela Wittig angebracht, in der Leipziger Regionalausgabe über dieses Phänomen zu berichten:

Maskenball im Amtsgericht

Dazu zeigt “Bild” fünf verschiedene Angeklagte, die sich wahlweise hinter einer Kindermatratze, der sächsischen Verfassung oder anderen Gegenständen verbergen, und garniert diese Aufnahmen mit Bemerkungen wie:

MODELL MIEZEKATZE
Tarnung: Fellkapuze und Kätzchen-Notizbuch
Dahinter: Bäcker Oliver Q. (42)
Er nahm 19 Geiseln bei “H&M” (…). Galt aber zum Tatzeitpunkt als schuldunfähig, bekam vom Landgericht fünf Monate auf Bewährung.

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Die Zeitung, die regelmäßig vom Presserat gerügt wird, weil sie ebenso regelmäßig darauf pfeift, die Identität von Angeklagten zu schützen, zeigt reihenweise Angeklagte, die versuchen, eben nicht in Zeitungen wie “Bild” zu erscheinen, und verspottet sie auch noch.

Interessanterweise scheint Frau Wittig zwei verschiedene Versionen ihres Artikels verfasst zu haben. So behauptet sie online:

(…) Darf man als Angeklagter kostümiert zum Prozess erscheinen?

Eigentlich nicht, denn man muss vor den ehrwürdigen Richtern aufstehen, wenn sie den Saal betreten, um ihnen Respekt zu zollen.

Das ist so nicht richtig. Laut § 178 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) “kann” gegen “Beschuldigte (…), die sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig machen” zwar “ein Ordnungsgeld bis zu eintausend Euro oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festgesetzt und sofort vollstreckt werden”, dies liegt aber im Ermessen des Richters.

In der gedruckten “Bild” heißt es daher auch korrekterweise:

Ausdrücklich verboten ist die Maskerade übrigens nicht. Laut Prozessordnung müssen die Angeklagten zwar aufstehen, wenn der Richter den Saal betritt. Solange aber die Fotografen und Kameraleute im Prozess sind, toleriert das Gericht die Maskerade. Erst danach müssen die Verkleidungen abgelegt werden.

Übrigens müsste ausgerechnet Angela Wittig am besten wissen, warum es sogar ratsam ist, sich nicht von “Bild” fotografieren zu lassen. Sie selbst war es nämlich, die vor gut zweieinhalb Jahren einen unschuldigen Mann zum Kinderschänder erklärte (BILDblog berichtete). Erst acht Monate später, nachdem BILDblog eine Beschwerde beim Presserat eingereicht hatte, war “Bild” bereit, diesen Fehler einzuräumen (BILDblog berichtete).

Mit Dank an Philipp E.

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Kein Glück im Wortspiel

Bei “Bild” waren sie so stolz auf ihr Wortspiel, dass sie es gleich zwei Mal bringen mussten:

Jack Black spielt Black Jack. Der US-Schauspieler Jack Black (42, "School Of Rock") nimmt hier an einem Charity-Glücksspiel teil — und schenkt uns damit dieses Wortspiel: "Jack Black spielt Black Jack."

Wir wollen die Euphorie nur ungern bremsen, aber das “Charity-Glücksspiel”, an dem Jack Black da teilgenommen hat, war ein PokerTurnier.

Mit Dank an Carapinha und H.K.

Die Toten Hosen, Henryk Broder, Oliver Welke

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Steuergelder für Die Toten Hosen? – Eine Richtigstellung”
(dietotenhosen.de)
Die Toten Hosen schreiben an “Welt” und “Berliner Morgenpost”: “Man kann sich sicherlich darüber streiten, ob die Toten Hosen deutsches Kulturgut sind, aber Tatsache ist, dass diese Tournee nur stattfinden konnte, weil wir selber ca. 100.000.-€ aus eigener Tasche an Reisekosten, Transport und Crew-Löhnen beisteuerten. Wir sind zudem ohne Gage aufgetreten.” Der Journalist schreibt zurück: “Wie Sie vielleicht wissen, bedienen sich die Nachrichten-Websites von Tageszeitungen in der Regel aus den gedruckten Artikeln, versehen sie mit neuen Fotos, etwas anderen (in der Regel zugespitzteren) Überschriften und vor allem mit einem knappen Vorspann (‘Teaser’).”

2. “Wir basteln uns ein Weltbild (mit Dank an Henryk M. Broder)”
(scienceblogs.de/zoonpolitikon, Ali Arbia)
Ali Arbia kritisiert einen “Welt”-Text von Henryk M. Broder. “Der ganze Artikel ist eine Ansammlung von Verzerrungen, selektiven Informationen, gezielten Auslassungen, Tatsachenverdrehungen und Phantastereien.”

3. “Das Töten ist des Volkes Lust”
(mediensalat.info, Ralf Marder)
“Des Volkes Lust am Töten der Mörder mag ja bei dem einen oder anderen Bürger Zuspruch finden. Aber es sind unsinnige Diskussionen, die nach jedem abscheulichen Mord in den Medien und Internetforen geführt werden.”

4. “Tränen lügen doch”
(haz.de, Imre Grimm)
Die “Bild”-Empörung über “Bauer sucht Frau”. Imre Grimm macht darauf aufmerksam, dass eine ganze Reihe von Produktionsfirmen davon lebt, “sich absurde Liebesquerelen auszudenken, arglose Kandidaten zu finden und sie mit sanftem Druck und 150 Euro Tagesgage durch schlecht gelüftete Dreizimmerwohnungen zu schubsen, angeleitet von sogenannten ‘Realisatoren’ hinter der Kamera”.

5. “Merkel ist der ultimative Test für Interviewer”
(journalist.de, Hans Hoff)
Ein Interview mit Oliver Welke von der “Heute-show”: “Ich habe mich ja darüber amüsiert, dass Jauch alle Gäste inklusive Thomas Gottschalk auslädt, weil Angela Merkel anruft und sagt, sie hätte Lust vorbeizukommen. Wir müssten ihr natürlich auch die komplette halbe Stunde geben.”

6. “Best statistics question ever”
(flowingdata.com, englisch)

Slumdog Billionaire — Jetzt erst recht

Unter Journalisten scheint ein irrsinniger Wettbewerb ausgebrochen zu sein, wer das “teuerste Haus der Welt” in Mumbai am höchsten taxiert.

Vor fast einem Jahr lag der Preis für das Privathaus des indischen Milliardärs Mukesh Ambani bei rund einer Milliarde Dollar (damals rund 760 Millionen Euro), was schon ein sehr unrealistischer Preis war (BILDblog berichtete).

Vergangene Woche erhöhte heute.at auf eine Milliarde Euro, was nicht eben realistischer war (BILDblog berichtete auch da).

In nur wenigen Tagen muss es eine wahre Kostenexplosion gegeben haben.

Blick.ch ist heute jedenfalls bei umgerechnet 1,6 Milliarden Euro angekommen:

Ein indischer Milliardär baut sich einen Mega-Palast. Einen modernen Wolkenkratzer, 27 Stockwerke hoch. Für umgerechnet mehr als zwei Milliarden Franken!

Doch diese Zahl ist lächerlich im Vergleich zu dem, was taz.de schon gestern geboten hat:

Teuerstes Wohnhaus der Welt: 
Eine Luxus-Ruine in Mumbai. Mukesh Ambani will nicht mehr. Nachdem er zwei Milliarden Euro für sein neues Haus ausgegeben hat, zieht er nun doch nicht ein. Schuld soll sein Aberglaube sein.

Wenn die Entwicklung anhält, wird der Preis des Hauses noch vor Weihnachten das Staatsdefizit der USA übersteigen.

Mit Dank an Autoresponder, Dennis und Patrick P.

Bild.de  etc.

Not und Sicherheit

Heute lernen wir mal was über Luftfahrt, vielleicht kann man das ja bei Günther Jauch noch mal gebrauchen (wahlweise im RTL-Quiz oder im ARD-Polittalk).

Zunächst einmal erklärt uns die Wikipedia, was eine “Sicherheitslandung” ist:

Eine Sicherheitslandung liegt vor, wenn der Pilot sich für eine Landung entscheidet, um eine drohende Notlage zu vermeiden, die zum Zeitpunkt dieser Entscheidung aber noch nicht gegeben ist. Der Pilot hat also genügend Zeit, um zu einem geeigneten Flugplatz zu fliegen oder ein geeignetes Gelände für eine Außenlandung zu suchen.

Und jetzt die “Notlandung”:

Von einer Notlandung spricht man dann, wenn während eines Flugs eine Notlage auftritt, die eine sofortige Landung nötig macht.

Es gibt auch noch ein paar weitere Unterschiede, wie z.B. die Anzahl der noch funktionstüchtigen Triebwerke und die Regelung für einen sofortigen Wiederstart (bei der Sicherheitslandung erlaubt, bei der Notlandung nur nach Behördengenehmigung), so dass klar sein sollte: Es macht einen Unterschied, ob einer, der sich mit der Materie auskennt, von einer “Notlandung” oder von einer “Sicherheitslandung” spricht.

Folgendes schreibt Bild.de über einen Zwischenfall nach einem Vogelschlag beim Start:

Condor-Sprecher Johannes Winter sagte BILD.de: “Das linke Triebwerk ist durch Vogelschlag ausgefallen. Es handelte sich dennoch um eine Sicherheitslandung und nicht um eine Notlandung.”

Und folgendes schreibt Bild.de über den Artikel:

Notlandung auf Hamburger Flughafen: Urlauber-Jet kollidiert mit Vogelschwarm

Damit ist Bild.de allerdings nicht allein: Auch die Webseiten des “Kölner Stadtanzeigers” und der “Augsburger Allgemeinen” und die Nachrichtenagentur Reuters berichten von einer “Notlandung”.

Mit Dank an Martin L., Martin G. und Simon.

Nachtrag, 14.08 Uhr: Bild.de hat in der Dachzeile aus der “Notlandung” ein “Drama” gemacht.

Rügen, Theater, Tom Kummer

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wie viel Prozent der Rügen des Presserats waren für Bild?”
(netzjournalismus.de, Fiete Stegers)
Fiete Stegers wertet Rügen durch den Deutschen Presserat seit 1997 aus (Datengrundlage auf docs.google.com).

2. “Nepper, Schlepper, Bauernfänger: Die künstliche Empörung über die BSF-Knebelverträge”
(couchfunk.de, Christoph)
“Bei ‘Bauer sucht Frau’ stinkt’s zum Himmel!” lautete die “Bild”-Titelgeschichte vom vergangenen Samstag. “Wirklich anrüchig und platt ist der ‘Bild’-Bericht aber, weil gerade die Regenbogenpresse doch überhaupt erst dafür gesorgt hat, dass Casting-Opfer zu sprichwörtlich gewordenen Witzfiguren, Hassobjekten oder asozialen Monstern werden konnten. Wenn die ‘Bild’ also Empörung heucheln will, dann doch bitte in Form einer Aufklärungskampagne, die ihren Lesern einen Monat lang das Fremdschäm-Fernsehen austreibt und Begriffe wie Anstand und Menschenwürde zumindest mal wieder in Erinnerung ruft. Denn wenn etwas die Casting- und Verächtlichkeitsmachungswelle stoppen kann, dann höchstens massiv sinkende Einschaltquoten.”

3. “Pervers gutes oder einfach nur perverses Theater?”
(technoarm.de, Martin Böttcher)
Gleich zwei “Bild”-Mitarbeiter zeichnen eine Kritik des Theaterstücks “John Gabriel Borkman” von Henrik Ibsen. “Die Richtung ihrer Kritik und die krassen inhaltlichen Fehler, die in ihrem Text auftauchen, lassen eigentlich nur drei Schlüsse zu: Sie waren nicht da. Oder sie haben von Theater keine Ahnung. Oder sie waren nicht da und haben von Theater keine Ahnung.”

4. “Brigitte MOM”
(dasnuf.de)
Das Nuf liest “Brigitte Mom”: “Tatsächlich habe ich hier nichts gelesen, was mich irgendwie tief bewegt oder mich an irgendeiner Stelle zusätzlich informiert hat. Aber das muss gar nicht sein. Manchmal genügt es eine Zeitschrift zu haben, die man immer mal wieder in die Hand nimmt und kurz dem Alltag entflieht.”

5. “Bad Boy Kummer”
(arte.tv, Video, 90 Minuten)
Noch einige Tage auf “arte” zu sehen: Miklós Gimes porträtiert Interviewfälscher Tom Kummer und seine Weggefährten. Ulf Poschardt, Christian Kämmerling und Roger Köppel wollten beim Film nicht mitmachen. Mit dabei sind dafür Andreas Lebert, Alexander Osang, Markus Peichl oder André Müller.

6. “Surprise, Surprise.”
(floriansteglich.com)
Florian Steglich notiert sich Erkenntnisse nach der Lektüre des Artikels “Mein armes Amerika” im “Zeit Magazin”.

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Was soll die Scheiße?

Dann passiert etwas, was BILD exklusiv weiß:

Das ist ein Satz, der klingt, als sei er ironisch gemeint und stamme zum Beispiel von dieser Seite. Er steht aber in “Bild”.

Gestern haben Zollbeamte, Polizisten und Steuerfahnder am Frankfurter Flughafen eine großangelegte Fahrzeugkontrolle durchgeführt, die der Zollamtsrat als “rundum gelungen” bezeichnet.

Dann passiert etwas, was BILD exklusiv weiß: Am späten Vormittag nähert sich eine dunkle, schwere Audi-Limousine der Kontrolle. Zuerst wartet der Fahrer brav in der Reihe. Doch plötzlich beschleunigt der Wagen, rast los. Der Fahrer brüllt aus dem Fenster: “Was soll die Scheiße hier?”

Jetzt erkennen mehrere Zeugen den Mann: Es ist Heiner Geißler.

“Bild” verbreitete dieses exklusive Wissen großflächig in den Frankfurter und Stuttgarter Regionalausgaben:

Am Frankfurter Flughafen: Heiner Geißler flüchtet vor Polizei-Kontrolle

Deutschlandweit wurde Geißler zum “Verlierer des Tages” erklärt:

CDU-Urgestein Heiner Geißler (81) hat bei einer Polizeikontrolle offenbar die Nerven verloren! Am Frankfurter Flughafen musste Geißler mit seinem Auto vor einer Straßensperre warten. Plötzlich, so Augenzeugen, gab er Gas, rief "Was soll die Scheiße hier?" und brauste davon. Nun liegt der Vorfall beim Polizeipräsidium. BILD meint: Alter schützt vor Torheit nicht!

(Gewinner des Tages ist übrigens der vor einem Jahr verstorbene Oktopus Paul, weil über den jetzt ein E-Book erscheint.)

Heiner Geißler widersprach dieser Darstellung heute in einer Stellungnahme heftig. “Der Bericht ist unrichtig und beruht auf falschen Informationen”, schreibt er und erklärt, dass er sein Auto in der Flughafen-Parkgarage habe abstellen wollen, um den ICE nach Kiel zu nehmen.

hr-online.de zitiert Geißler:

Am Ende der Abbiegespur habe ein Zollbeamter gestanden, der die Autos weiterleitete. Geißler sagte, er habe aus dem Fenster gerufen: “Was soll das, ich verpasse meinen Zug.” Der Beamte habe ihn gegrüßt und ihn passieren lassen. “Die Behauptung, ich sei geflüchtet, ist absolut falsch, da ich gar nicht angehalten wurde”, so der frühere Bundesfamilienminister und CDU-Generalsekretär.

Auch bei der Marke seines Autos hat sich die “Bild” laut Geißler getäuscht. “Ich fahre einen 5er BMW und die örtlichen Verhältnisse lassen ein Tempo über 20 km/h gar nicht zu.” Der schwere Audi und die quietschenden Reifen seien “reine Erfindung”.

In der Onlineversion des “Bild”-Artikels wurde Geißlers Stellungnahme unauffällig am Schluss eingebaut — mit der Anmoderation “Heiner Geißler bestreitet die Vorwürfe.”

Ein Sprecher des Polizeipräsidiums Frankfurt bestätigte uns gegenüber, dass die Schilderungen von Geißler zutreffend seien. Die “Folgen”, die Geißlers “Flucht” laut “Bild” haben könnte, schloss der Mann aus: Es bleibe “praktisch gar nichts hängen, auch keine Ordnungswidrigkeit”. Die Berichterstattung sei “viel Wind um fast nichts”.

Damit kann man dann auch die Fragen von “Mitteldeutscher Zeitung” und “Westfälischem Anzeiger” klar mit “Nein” beantworten:

Flüchtete Heiner Geißler vor Polizeikontrolle?

Ist Geißler vor Polizeikontrolle geflüchtet?

Mit Dank an Florian S.

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