Kopf oder Zahl, Schwarz oder Weiß, Ja oder Nein — manchmal ist die Welt ganz einfach, die Chancen stehen fifty-fifty.
Zum Beispiel beim Versuch zu erraten, welche der zwei Optionen (“Ja” oder “Nein”) bei der Volksabstimmung in Baden-Württemberg heute zum Ende des umstrittenen Bahnhofsprojekts Stuttgart 21 führen könnte.
Haarscharf daneben. Tatsächlich (und das ist zugegebenermaßen ziemlich verwirrend) geht es um die Frage, ob das Land bei der Finanzierung von Stuttgart 21 aussteigt. Wer (wie Kretschmann) gegen Stuttgart 21 ist, müsste also mit “Ja” stimmen — und genau dafür hatte Kretschmann auch geworben.
Noch während wir diesen Eintrag vorbereitet haben, hat “Spiegel Online” den Fehler bemerkt und sich für die unverfängliche Variante entschieden:
Winfried Kretschmann bei der Stimmabgabe: Der grüne Ministerpräsident warb für eine Abstimmung gegen das Projekt Stuttgart 21.
Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat die Bundesregierung offenbar die Endlagerung ehemaliger karibischer Machthaber in Deutschland erlaubt:
Der Fehler ging auf das Konto der Deutschen Presse-Agentur dpa, inzwischen haben aber fast alle Online-Medien, die ihn zunächst übernommen hatten, “Castro” durch “Castor” ersetzt. Bis auf “Zeit Online”.
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2. “Boulevard der Schäbigkeiten” (spiegel.de, Frank Patalong)
Aussagen von Max Mosley und J. K. Rowling vor der Untersuchungskommission zum Abhörskandal der Boulevardzeitung “News of the World”. Und von Sienna Miller: “Sie erzählt, wie ihre intimsten Beziehungen belastet und in Frage gestellt wurden, als über Jahre Informationen in der Presse auftauchten, ‘von denen definitiv nur drei Personen wussten’. Es klingt, als könne sie es bis heute nicht fassen. Man spürt, dass sie über mehr als nur erschüttertes Vertrauen spricht, sie redet von intimen Beziehungen, die durch Verdächtigungen am Rande des Zusammenbruchs standen.”
3. “Medien sitzen Bigpoints ‘Umsatzrakete’ auf” (meedia.de, Henning Ohlsen)
Henning Ohlsen fragt beim Mediensprecher von Bigpoint nach, ob mit einer virtuellen Drohne tatsächlich “in 4 Tagen 2 Mio. Euro” umgesetzt wurde, wie zum Beispiel Krone.at schreibt: “Es gab zehn Drohnen, die durchschnittlich rund 100 Euro kosteten. Hubertz’ Rechnung im Gamesbrief-Bericht sei lediglich ein Planspiel gewesen, das falsch wiedergegeben worden sei.”
5. “Die neuen Gebrüder Grimm” (taz.de, Felix Dachsel)
Große Männerwochen bei der “Zeit”: “Erst bescheinigt Helmut Schmidt, der Herausgeber, Peer Steinbrück, dem SPD-Fast-Kanzler-Kandidaten, das volle Zeug zum Kanzler (Titelzeile: ‘Die Partie ist eröffnet’), jetzt nimmt der Chefredakteur des Hamburger Blatts dem Exminister die Beichte ab (Titelzeile: ‘Es war kein Betrug’).” Zur “Zeit” und Guttenberg siehe auch das Interview mit FAZ-Redakteur Jürgen Kaube (dradio.de, Frank Meyer)
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1. “‘Schwer verliebt’: Rhein-Zeitung engagiert sich” (ndr.de, Video, 6:44 Minuten)
Zapp spricht mit Sarah, Kandidatin der Sat.1-Sendung “Schwer verliebt” und Vera Müller, Redakteurin der “Rhein Zeitung”. In einer Stellungnahme bestreitet der Sender, dass Kandidaten “zu Handlungen und Aussagen gedrängt worden” seien: “Ein Drehbuch lag bei ‘Schwer verliebt’ nicht vor.”
3. “‘Dönermorde’ wird Unwort des Jahres” (meedia.de, Christine Lübbers) Patrick Gensing spricht im Interview mit Christine Lübbers darüber, wie Rechtsextreme in den Medien vorkommen: “Ich glaube, man würde es sich in keinem anderen wichtigen Gebiet erlauben, dass man über zehn Jahre nicht über Bildsprache nachdenkt. Natürlich gibt es noch Nazis, die Glatze tragen. Die sind aber mehr das Fußvolk, das nicht so ganz ernst genommen wird. Im organisierten Rechtsextremismus ist das Bild ein anderes.”
4. “Causa Kachelmann: Oberlandesgericht Köln gibt Bild.de recht” (horizont.net)
Das Oberlandesgericht Köln entscheidet im Rechtsstreit zwischen Jörg Kachelmann und Bild.de in zweiter Instanz zugunsten von Bild.de: “Aus Sicht der Richter war die Berichterstattung von Bild.de im Fall Kachelmann nicht zu beanstanden.”
5. “Wer hat das Skript geschrieben?” (faz.net, Hans Hütt) “Börse im Ersten” sei “keine Informationssendung, schon gar nicht für Aktienbesitzer in Deutschland”, schreibt Hans Hütt. “Wer das behauptet, hat die Komposition der Sendung nicht verstanden. Sie zelebriert eine Andacht. Jeder Lidschlag des Moderators, jedes Senken seines Haupts folgen einem liturgischen Skript.”
Leiden auch Sie unter den “knackig kalten” Temperaturen und kommen Sie kaum noch mit der Beseitigung des “vielen Schnees” nach? Nein? Dann leben Sie offenbar in einem anderen Deutschland als dem, für das Bild.de und mopo.de vor viereinhalb Wochen einen “Horror-Winter” bzw. “Arktis-Winter” angekündigt haben:
Unter Berufung auf den Wetterdienst donnerwetter.de behauptete Bild.de am 22. Oktober:
Er wird kommen. Mit Minusgraden und viel Schnee. Drei Monate lang. Und Ende November geht es schon los!
Bibber-Alarm: In vier Wochen beginnt der Horror-Winter!
(…) Der November startet wahrscheinlich noch sehr mild, so dass der Absturz der Temperaturen Mitte/Ende November recht heftig ausfällt. Wir erwarten dann sogar schon die ersten Schneefälle bis ins Flachland, sagen die Donnerwetter-Experten in ihrer Winter-Prognose.
Und mopo.de orakelte ähnlich dramatisch:
Minusgrade. Schnee. Glatteis. Und das für Monate! Der nahende Winter – wird er so schlimm wie im vergangenen Jahr? Droht uns gar ein echter Horror-Winter? Michael Klein von „Donnerwetter.de“ ist sich zumindest ziemlich sicher, dass es richtig kalt wird – und kündigt für November bereits das erste Schnee-Chaos an.
Bereits am 24. Oktober kommentierte Jörg Kachelmann die Vorhersagen von Bild.de und mopo.de in einem Video auf YouTube folgendermaßen:
Niemand weiß heute, wie der Winter wird. Was Sie da lesen ist alles Schwachsinn. Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen. Kann sein, dass ein kalter Winter kommt, muss aber nicht. (…) Das Wetter weiß es im Moment selbst noch nicht. Leider sind wir in der Meteorologie noch nicht so weit, das so weit im Voraus vorhersagen zu können. Es gibt (…) kein anderes Land, in dem dieser Stuss abgedruckt wird.
Ähnlich formulierte es der Leiter des Institutes für Wetter- und Klimakommunikation auf wetterspiegel.de, als vor einem Jahr ähnliche Prognosen über den Winter 2010/11 aufgestellt wurden:
Frank Böttcher, Leiter des Institutes für Wetter- und Klimakommunikation und stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft in Norddeutschland, stellt klar: “Wir können heute seriös Wetterprognosen für ein paar Tage machen. Wie das Wetter in ein paar Wochen wird, wissen wir nicht.” (…) Mit dieser Art von Vorhersagen steigen nach Ansicht von Frank Böttcher diese unseriösen Propheten in die “Fußstapfen von Nostradamus” und verlassen den Boden wissenschaftlich gesicherter Prognosen. “Diese Kollegen bringen die Meteorologie in Verruf. Sie nutzen die Unkenntnis der Öffentlichkeit für große Schlagzeilen.”, so Böttcher.
Immerhin zeigt sich Bild.de flexibel. Nachdem dort noch vor einem Monat für Ende November Schneechaos angekündigt wurde, heißt es jetzt:
Die Berliner Band Die Ärzte hält nicht viel von der “Bild”-Zeitung. Sie hält auch nicht viel von der Leipziger Band Die Prinzen.
Aus diesem Dreieck ist jetzt eine Geschichte in der Leipziger Regionalausgabe von “Bild” entstanden:
Die Ärzte sind Deutschlands berühmteste Spaß-Punk-Kombo – doch bei den Prinzen hört für sie der Spaß auf!
Unglaublich, aber wahr: “Den die ärzte ihr offizieller Fanclub” (die Band schreibt sich bescheidenerweise selbst klein) muss das “offiziell” ab sofort streichen, heißt jetzt “Die Ärzte Fanclub” (5560 Mitglieder). Auslöser: Ein Interview mit Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel im Fanclub-Magazin “Prawda”!
Bei Bild.de ist die Überschrift sogar noch ein bisschen eskalativer:
Tatsächlich scheint das Interview in der Fanclub-Zeitschrift ein Katalysator für die Umbenennung gewesen zu sein:
Ärzte-Manager Axel Schulz auf der Fanclub-Homepage (www.daefc.de): “Nach außen wird durch den Zusatz ‘offiziell’ unkorrekterweise vermittelt, der Fanclub würde die Meinung der Band wiedergeben. (…) Höhepunkt war sicherlich das Interview mit Sebastian Krumbiegel.”
So weit das Zitat in “Bild”.
Aus dem, was Schulz noch so schrieb, lässt sich gut erkennen, wie unpassend die “Bild”-Schlagzeile mit der “Zensur” ist:
Wir können und wollen euch die Inhalte der PRAWDA und des Newsletters nicht vorgeben, geschweige denn alle Texte vor Abdruck prüfen. Der mündige Fan ist uns wichtig! Deshalb hat sich das Management, auch im Namen der Band, entschlossen, sich von dem Titel “offiziell” im Fanclub zu verabschieden. Wir sind der Ansicht, dass wir alle davon profitieren werden. Ihr gelangt so zu mehr Unabhängigkeit und werdet als eigenständiges Sprachrohr der Fans wahrgenommen. Auch der Vorwurf der Kritiklosigkeit durch eine vermeintlich zu große Nähe zum Management lässt sich so entkräften.
Und ganz so herzlos, wie “Bild” es darstellt, scheinen Band und Management auch nicht zu sein:
Zudem werden wir die Kosten der Namensumstellung übernehmen, und die versprochenen Ticketvergünstigungen wie bisher beibehalten, so dass aus der Namensänderung den Fans keine Nachteile entstehen.
Auch der Fanclub selbst ist mit der neuen Situation nicht unglücklich, befreit es den Club doch aus einem Dilemma:
Wir können uns eine Fanclubarbeit, bei der jede Kleinigkeit (insbesondere, wenn sie nicht direkt die Band betrifft) dem Management vorgelegt und abgesegnet werden muss, nicht vorstellen, und wir sind auch nicht der Meinung, dass das in eurem Interesse wäre. Das Management teilt in dieser Hinsicht unsere Meinung.
Von der Seite der Mitglieder wiederum hören wir immer wieder die Aussage, dass der Fanclub zu unkritisch berichtet und als reines Promoorgan des Managements fungiert.
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1. “Der Werther-Effekt schadet, der Papageno-Effekt nützt” (zeit.de, Parvin Sadigh)
Medienpsychologe Benedikt Till wünscht sich mehr Beachtung für die 2008 aus der Forschung abgeleiteten Medienrichtlinien zur Berichterstattung über Suizid (PDF-Datei auf suizidforschung.at). Verpflichtend sollen diese aber auf keinen Fall sein: “Die Pressefreiheit sollte nicht beschnitten werden.”
2. “Der Gute Mann von Axel Springer” (stefan-niggemeier.de)
Die Begeisterung von deutschen Medien über die Ankündigung von Mathias Döpfner, Vorgänge in den 1970er-Jahren bei “Bild” “minutiös zu ergründen und aufzuklären”. “Natürlich ist es begrüßenswert, wenn Springer jetzt tatsächlich die Vorgänge rund um Wallraffs Enthüllungen aufarbeiten will. Aber wäre es vom Vorstandsvorsitzenden wirklich zuviel verlangt, sich zumindest auf den Stand von 1979 zu bringen, bevor er öffentlich den Aufklärer gibt?”
4. “Blog aus Bremen: Fremdschämen” (derstandard.at, Peter Illetschko)
“Ein PR-Mann erzählt auf der ‘Wissenswerte’, dem Bremer Forum für Wissenschaftsjournalismus, über seine Erfahrungen mit einem Journalisten. Man habe ein Interview via Mail vereinbart. Nach wenigen Tagen kam ein wütender Anruf des Zeitungsmanns. Wo denn das Interview bliebe, wollte dieser wissen. ‘Aber sie haben ja noch keine Fragen geschickt!’ war die logische Antwort. Worauf der Journalist fragte: ‘Schreiben sie die Fragen denn nicht selber?'”
5. “Wissen, wie man richtig zitiert” (superblaa.blogspot.com, Mad Crawler)
Der “Blick am Abend” zitiert aus “Welt Online” – und schreibt darauf gleich mehrere Sätze 1:1 ab.
Der 13. Spieltag der Fußball-Bundesliga stand offensichtlich unter keinem guten Stern. Neben der medialen Überforderung in einem anderen Fall (BILDblog berichtete) gab es auch noch diese Schlagzeile, die so oder so ähnlichdurchvieleMedienging (hier: “Welt Online”):
Das Mitleid in den Leserkommentaren hält sich dabei in Grenzen. Auf “Welt Online” heißt es etwa:
Hooligan vs Hooligan, also nichts tragisches. Wer sich freiwillig und mutwillig in Gefahr begibt, muss halt mit den Konsequenzen rechnen. Gilt schließlich auch für jeden Straftäter.
Oder:
Hätte ruhig mehr als nur der Arm sein können, auf sowas kann man gut verzichten.
Wenigstens wird er wohl künftig Ruhe geben…zumindest eine Sorge weniger
Dass es sich bei dem verletzten Nürnberg-Fan überhaupt um einen Hooligan handeln soll, geht auf Berichte des bayrischen Landesdienstes von dpa und des Sportinformationsdienstes sid vom Sonntag zurück, deren Überschriften “Nürnberger Hooligan verliert Arm bei Schlägerei” bzw. “Schlägerei in Köln: Hooligan verliert Arm” lauteten. Im dpa-Bericht heißt es unter anderem:
Ein Nürnberger Fußball-Hooligan hat bei einer Schlägerei mit Mainzer Fans im Kölner Hauptbahnhof einen Arm verloren. (…) Das Opfer war der Polizei selbst als sogenannter “Gewalttäter Sport” bekannt und zur Personenkontrolle ausgeschrieben.
So eindeutig, wie dpa und sid sie darstellen, scheint die Sachlage jedoch nicht zu sein. Am Montag meldet sich die Nürnberger Ultraabspaltung “Banda di Amici” zu Wort und wehrt sich gegen die Bezeichnung des Verletzten als Hooligan:
Unser Gruppenmitglied (…) war weder einer der körperliche Gewalt gesucht hat, noch war er in irgendeiner Weise vorbestraft. Sein viel zitierter “Gewalttäter Sport” Eintrag stammt von den Vorfällen beim Derby Heimspiel im Februar 2010, wo er einen Freispruch erster Klasse erhielt.
Auch der Nürnberger Sport-Vorstand Martin Bader sagt in einem Interview auf fcn.de, dass der verletzte Clubfan seinen Informationen zufolge kein Hooligan ist. Und im Onlineauftritt des “Kölner Stadtanzeigers” heißt es:
Der Kölner Oberstaatsanwalt Alf Willwacher konnte Medienberichte nicht bestätigen, nach denen es sich bei dem Opfer um einen polizeibekannten Hooligan handeln soll.
In der “Allgemeinen Zeitung” und auf nordbayern.de, dem gemeinsamen Onlineauftritt der “Nürnberger Nachrichten” und der “Nürnberger Zeitung”, werden sogar ernsthafte Zweifel an der ursprünglichen Darstellung laut. So wird inzwischen auch ein Unfall nicht mehr ausgeschlossen:
Zeugen, die keiner Fangruppe angehören, gaben mittlerweile Hinweise darauf, dass es sich auch um einen Unfall gehandelt haben könnte. “Sie haben ausgesagt, dass der 19-Jährige über die Bahngleise gelaufen war und dabei vor den Zug gefallen sei”, sagte der ermittelnde Kölner Oberstaatsanwalt Alf Willwacher der Nürnberger Zeitung. Die Ermittlungen laufen nun in beide Richtungen.
Kein Wunder also, dass sich jetzt auch noch die “Rot-Schwarze Hilfe”, eine Art Hilfsorganisation für FCN-Fans, die mit Justiz oder Presse in Konflikt geraten sind, eingeschaltet hat. Sie schreibt:
Tatsache ist, dass der Geschädigte (Mitglied der RSH) noch nie strafrechtlich verurteilt wurde. Die Nürnberger Polizei hat ausdrücklich bestätigt, dass die Pressemeldung der Deutschen Presseagentur von gestern falsch ist.
Über den für den Fall zuständigen RSH-Anwalt wurde daher die Deutsche Presseagentur aufgefordert, die Meldung zu widerrufen und eine strafbewehrte Unterlassungserklärung noch am heutigen Tage abzugeben.
Die Deutsche Presseagentur bestätigte uns gegenüber den Eingang einer Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungserklärung, wies die Vorwürfe jedoch zurück und flüchtete sich in Details:
1. Ja, wir sind durch einen Anwalt zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert worden.
2. Nein, wir haben keine solche Erklärung abgegeben und werden das nach derzeitigem Erkenntnisstand auch nicht tun.
3. Unsere Berichterstattung war nicht falsch, sondern jederzeit durch gute Quellen bei Polizeibehörden gedeckt.
(…)
Was die Verwendung des Begriffs “Hooligan” angeht (…): Wir schreiben in unserer Berichterstattung im Konjunktiv und unter Verweis auf die uns vorliegenden Polizeiquellen, der Betroffene sei “der Polizei als sogenannter ‘Gewalttäter Sport’ bekannt”. Wir behaupten nicht selbst, dass er ein solcher “Gewalttäter Sport” ist. Dass sein Mandant in der entsprechenden Datei als “Gewalttäter Sport” geführt wird, hat übrigens auch sein Anwalt uns gegenüber nicht bestritten – er erklärt lediglich, eine solche Eintragung in die Datei sei nicht gleichzusetzen mit der Behauptung, der Betroffene sei auch tatsächlich ein “Gewalttäter”. Aber, wie gesagt, dies hat die dpa ja auch nie behauptet.
Die dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH hat an ihrer Berichterstattung nichts zu widerrufen oder zu berichtigen.
Man muss wohl schon Jurist (oder dpa-Mitarbeiter) sein, um in den Sätzen “Ein Nürnberger Fußball-Hooligan hat bei einer Schlägerei (…) einen Arm verloren” und “Das Opfer war der Polizei selbst als sogenannter ‘Gewalttäter Sport’ bekannt und zur Personenkontrolle ausgeschrieben” die feine Nuancierung zu erkennen, dass es sich nur um einen “Hooligan” oder “Gewalttäter Sport” handeln könnte.
Unterdessen hat dapd schon längst eine neue Nachricht gemeldet. Die Überschrift lautet: “Verunglückter Fan kein Hooligan”
Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.
Nachtrag, 27. Oktober: In einer Meldung vom Freitag geht jetzt auch dpa deutlich differenzierter mit dem Fall um. Unter anderem heißt es dort:
Der 19-Jährige wird nach Angaben des bayerischen Innenministeriums in der Datei “Gewalttäter Sport” geführt. Auf diese Liste kann man nach Polizei-Angaben auch kommen, ohne jemals selbst gewalttätig geworden zu sein. Es kann dafür ausreichen, dass jemand zu einer Gruppe gerechnet wird, aus der heraus Straftaten begangen werden. Das bayerische Innenministerium will keine Angaben dazu machen, weshalb der 19-Jährige in die Gewalttäter-Datei aufgenommen wurde.
Der junge Mann hat mittlerweile über seinen Anwalt Jahn-Rüdiger Albert bestreiten lassen, dass er Gewalttäter sei. “Mein Mandant ist keinHooligan und gehört auch keiner Hooligan-Gruppierung an”, versicherte Albert. Der 19-Jährige sei auch zu keinem Zeitpunkt verurteilt worden, weder wegen einer Gewalttat im Zusammenhang mit einem Fußballspiel noch wegen sonstiger Delikte.
Die Rot-Schwarze Hilfe nennt diese Zeilen einen “riesigen Erfolg” und sieht darin ein Einknicken der dpa.
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2. “Ein kurzer Leitfaden zu faulem EU-Journalismus” (opalkatze.wordpress.com)
Opalkatze übersetzt einen Beitrag mit 20 Tipps für faule Journalisten, die über die EU schreiben: “1. Sie sind nicht sicher, wie die EU funktioniert oder welche Institutionen es gibt? → Schreiben Sie einfach ‘Brüssel’.”
3. “gehaltvolle berichterstattung” (devianzen.de)
Devianzen widmet sich minutiös dem “Bericht aus Berlin” am 20. November (Video, 18:31 Minuten): “knapp 37% der sendzeit des ‘berichts aus berlin’ (inklusive an- und abspann!) verwendet man auf die frage zur neueinsetzung der vorratsdatenspeicherung.”
4. “Wir haben keine Fragen gestellt!” (migazin.de, Marjan Parvand)
Nicht nur der Polizei und dem Verfassungsschutz würde Selbstkritik im Fall der Morde an Kleinunternehmern gut stehen, sondern auch den Journalisten, meint Marjan Parvand: “Jahrelang haben wir uns mit dem zufrieden gegeben, was uns Polizei und Behörden als mögliche Tatmotive genannt haben. Jahrelang haben wir die Begrifflichkeiten der Behörden – ‘Dönermorde’ oder ‘Soko Bospurus’ – nicht nur hingenommen sondern uns derselben menschenverachtenden Sprache bedient. Wir haben uns gemein gemacht, und eines der höchsten Güter unseres Berufs aufgegeben: die Unabhängigkeit.”