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Wenn Diekmann wüsste…

Der Radiosender WDR5 hat gestern ein Gespräch des WDR-Moderators Jürgen Wiebicke mit Kai Diekmann, dem Chefredakteur der “Bild”-Zeitung, zum Thema “Verantwortung” ausgestrahlt (das man hier – unter einer ganz passablen Zusammenfassung – komplett nachhören kann).

Nach gut 30 Minuten des fast einstündigen Gesprächs schließlich wird der Moderator konkret:

Es verunglückt ein Bus in der Schweiz. Es sterben Kinder. Und “Bild” druckt Fotos von toten Kindern.
(Link von uns.)

Diekmann antwortet darauf nach einigem Hin und Her:

Es geht darum, einer Tragödie, einer abstrakten Tragödie, ein individuelles Gesicht zu geben, um sie so erfahrbar zu machen und Empathie zu wecken. Ich war gerade eine Woche in Isreal und habe dort mit Kollegen zusammen ein Seminar in Yad Vashem gemacht, der Zentralen Holocaust-Gedenkstätte, die ein ganz neues Konzept zur Erinnerung an die Shoa erarbeitet haben. Wenn wir immer von sechs Millionen getöteten Juden sprechen, dann klingt das sehr abstrakt, dann ist das ‘ne Zahl, damit verbinde ich überhaupt nichts. Aber wenn Sie nur das Schicksal eines einzigen Kindes erklären, erzählen, mit Foto, und ihre Lebensgeschichte – wird auf einmal die Zahl, sechs Millionen, in ihrer ganzen furchtbaren Dimenson erfahrbar.

Und man mag nun lange darüber nachdenken, wie selbstgerecht unverfroren geistreich Diekmanns So-wie-die-Zentrale-Holocaust-Gedenkstätte-Fotos-von-Holocausopfern-zeigt,-druckt-auch-die-“Bild”-Zeitung-Fotos-von-Opfern-eines-Autounfalls-Analogie sein mag, aber…

… als sich der Moderator dann doch nicht mit Diekmanns Reiseerinnerungen zufriedengeben will und den “Bild”-Chef darauf hinweist, dass er und sein Blatt “von Hinterbliebenen in unzähligen Fällen geradezu dafür verflucht werden, dass Sie solche Bilder veröffentlichen”, da antwortet Diekmann:

Ich weiß nicht, dass wir in unzähligen Fällen dafür verflucht werden, dass wir solche Bilder veröffentlichen – sondern wir versuchen das natürlich immer in Übereinstimmung mit denjenigen zu tun. (…) Wenn sie es nicht wollen, dann tun wir das natürlich auch nicht. Und wenn ich wüsste, jemand will das nicht, dann würde ich es auch nicht tun. Das ist doch keine Frage.

Einen “Eid darauf ablegen” möchte Diekmann angesichts “einer Redaktion mit 850 Mitarbeitern” dann zwar lieber doch nicht. Allerdings:

Wenn ich aber wüsste, dass irgendjemand unter keinen Umständen die Veröffentlichung eines solchen Fotos wünscht, dann würde ich selbstverständlich diese Veröffentlichung auch nicht vornehmen.

Das klingt deutlich.

Es sei denn, wir zitieren mal aus ein paar Entscheidungen des Presserats:

BILD (Stuttgart) erhielt eine öffentliche Rüge für einen Bericht über ein Lawinenunglück. Darin hatte die Zeitung die Fotos dreier Todesopfer abgedruckt. Zusätzlich hatte sie das Foto eines Überlebenden ohne dessen Einwilligung gedruckt und dabei das Gesicht nur unzureichend mit einem Balken unkenntlich gemacht. (…)

Eine öffentliche Rüge erhielt BILD. Die Zeitung hatte ein Foto des zehnjährigen Jungen veröffentlicht, der im April bei einem Terroranschlag in Ägypten getötet worden war. Dies geschah ohne Einwilligung der Eltern, so dass das Persönlichkeitsrecht des Jungen verletzt wurde. (…)

Ebenfalls wegen einer Bildveröffentlichung gerügt wurde BILD (Hannover). Die Zeitung hatte zu einem Artikel über die Pisa-Studie ein aus dem Jahr 2002 stammendes Foto einer Grundschulklasse veröffentlicht. Das Bild war damals zu einem anderen Zweck aufgenommen und jetzt ohne Rücksprache mit der Schule als Symbolfoto erneut publiziert worden. (…)

Öffentlich gerügt wurde die BILD-Zeitung aufgrund der Berichterstattung zum Absturz eines Flugzeuges im Himalaya, bei dem auch zwölf deutsche Touristen starben. Die Zeitung hatte auf der ersten Seite großformatig ein Foto der Unglücksstelle abgebildet, auf dem verkohlte Leichen zu sehen waren. Im Innenteil wurden zudem Fotos einiger Passagiere veröffentlicht. Dadurch wurde ein Teil der Opfer identifizierbar. Durch den assoziativen Zusammenhang zwischen den Abgelichteten im Innenteil und den anonymen Leichen auf der Vorderseite wurden die Gefühle der trauernden Angehörigen verletzt. (…)

BILD (Bremen) erhielt eine nicht-öffentliche Rüge wegen eines Verstoßes gegen die Ziffern 8, 2 und 1 des Pressekodex. Die Zeitung hatte berichtet, dass zwei Mädchen im Alter von eins und vier Jahren auf Veranlassung ihrer Mutter zur Beschneidung nach Afrika gebracht werden sollten, was aber durch den Vater und einen Polizeieinsatz habe verhindert werden können. Ausschlaggebend für die Rüge war ein beigestelltes Foto, das beide Kinder ungeblendet zeigte. Hierfür gab es nicht die Einwilligung beider Eltern. (…)

Eine nicht-öffentliche Rüge sprach der Ausschuss gegen BILD aus. Die Boulevardzeitung hatte in der Regionalausgabe Berlin/Brandenburg das Foto eines jungen Mädchens veröffentlicht, das vor zwei Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Das Foto erschien zu einem Beitrag über den damaligen Freund des Mädchens, der Anfang dieses Jahres ebenfalls bei einem tragischen Unglück zu Tode kam. Der Ausschuss erkannte in der Veröffentlichung des Bildes, das ohne Einverständnis der Hinterbliebenen erfolgte, einen schweren Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte (…).

(Die Auflistung ist alles andere als vollständig – zumal sie nur Entscheidungen des Presserats berücksichtigt.)

Mit Dank an Johannes K. für den Hinweis!

Thilo Sarrazin, Rundfunkräte, NZZ

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Der Teufel in Deutschland”
(nzz.ch, Rainer Stadler)
Deutsche Journalisten beurteilen das Buch “Europa braucht den Euro nicht” von Thilo Sarrazin noch vor der Lektüre: “Solche kurzatmigen, moralinsauren Verurteilungen eines Buchs, das erst in dieser Woche erscheint, müssen das Publikum geradezu animieren, durch einen entsprechenden Kauf sich selber eine Meinung zu bilden. Die Prophezeiung der Kritiker erfüllt sich. Hilflos strampeln sie mit im System der Vermarktung, das sie verdammen. Sie hätten schweigen und erst das umstrittene Werk lesen können.” Siehe dazu auch “Sarrazin-Inszenierung, Teil zwei” (nzz.ch, Ulrich Schmid).

2. “Kuschelige Kontrolleure – Die Gremien der ARD verweigern ihre Aufsichtspflicht”
(nachdenkseiten.de, Max Morlok)
Ihren Kontrollauftrag nehmen die wenigsten Mitglieder des Rundfunkrats wahr, glaubt Max Morlok: “Geblendet von der Bedeutung ‘ihres’ Senders und geschmeichelt von der Aufmerksamkeit, die ihnen aus der Hierarchie dieser Anstalten entgegengebracht wird, winken sie in der Regel alle Vorschläge durch, die ihnen von der Leitung der Häuser auf den Tisch gelegt werden.”

3. “‘Jeder und alles ist skandalisierbar'”
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Ist jeder und alles skandalisierbar? Ja, sagt Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen: “Einziges Kriterium: Man braucht ein Publikum, das mitgeht und das Empörungsangebot eines wütenden Einzelnen annimmt – und dann selbst munter pöbelt, spottet, hasst.”

4. “‘Wir waren etwas zu optimistisch'”
(persoenlich.com, Edith Hollenstein)
Zur Aufschaltung der neuen Beta-Version von nzz.ch ein Interview mit Peter Hogenkamp: “Wir wollen eine einzige Marke. Wir publizieren auf jedem Kanal den gleichen hochwertigen Inhalt. Dass auf NZZ Online andere Inhalte zu finden sind als in der Zeitung, wird es künftig nicht mehr geben. Weil nun die hochwertigen Inhalte aus der gedruckten Zeitung auch Online zu finden sind, wird der Brand ‘NZZ Online’ in den nächsten Tagen verschwinden.”

5. “Der Aufstand der Journalisten und Komiker gegen das Libel Law”
(heise.de/tp, Markus Kompa)
Markus Kompa schreibt über anstehende Veränderungen in den britischen Gesetzen zur Ehrverletzung.

6. “Markets in Everything: Torturer”
(marginalrevolution.com, englisch)
Eine Stellenanzeige im “Guardian” sucht einen “Torturer”: “No, I don’t think the ad is real. Alas, I am sure the job is real.”

Heute, Studenten, Waffen

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Zwischen Gravitas und Hopsasa”
(tagesspiegel.de, Bernd Gäbler)
Bernd Gäbler vergleicht die ZDF-Newssendung “Heute” mit anderen Fernsehnachrichten: “Das Studio soll hochmodern anmuten, aber die Moderatoren bewegen sich darin wie gelenkt. Sie tun so, als redeten sie mit dem Korrespondenten in Berlin oder Brüssel, dabei werfen sie ihm nur eine Eingangsfrage hin, damit er dann mit seinem Solo loslegen kann.”

2. “Mediale Machtkämpfe”
(dradio.de, Adalbert Siniawski)
Deutsche und polnische Medien vor der Fußball-Europameisterschaft 2012: “Sowohl die ‘Bild’ und auch die ‘Fakt’ gehören zum deutschen Springer-Verlag. Kritiker mutmaßen: Die Zeitungen spielen sich grenzüberschreitend die Bälle zu, um ihre Auflagen zu steigern.”

3. “Man kann Medien nicht trauen. Social Media aber vielleicht schon”
(crowdmedia.de, sven)
Sven erinnert an das Bundesliga-Relegationsspiel vom letzten Dienstag, “die Schande von Düsseldorf”: “Wenn sozialen Medien gerne die Gefahr der Filter Bubbles unterstellt wird, dann kann ich konstatieren, dass klassische Medien dieser Gefahr mindestens genauso unterliegen. Wenn ich nur aus ARD Brennpunkt, Mopo oder Kicker Informationen ziehe, dann könnte ich mich fragen, ob Düsseldorf Raub der Flammen und des Mobs geworden ist.”

4. “Swedish tabloid editor guilty of weapons crimes”
(thelocal.se, englisch)
Schwedische Journalisten müssen wegen Verstoß gegen das Waffengesetz Bußgelder in der Höhe von mehreren tausend Euro bezahlen. Sie kauften eine Pistole, um aufzuzeigen, wie leicht man an eine illegale Waffe herankommt. “According to the ruling, the court reasoned that possession of the weapon amount to taking a conscious risk with the aim of creating news.”

5. “Ihr wollt nicht hören, sondern fühlen”
(zeit.de, Christiane Florin)
Dozentin Christiane Florin schreibt an ihre Studenten, denen sie Politikwissenschaft nahe zu bringen versucht: “Warum studiert ihr eigentlich dieses Fach, wenn ihr euch gar nicht für Politik interessiert? Wenn euer Politikbegriff nicht über das hinausreicht, was Spiegel Online zur Politik erklärt?”

6. “Extremer Computer-Nerd träumt sogar digital”
(kojote-magazin.de)

Schneewittchen und Rosenrotkäppchen

Stylebook.de ist ein Projekt von BILD.de.

So stand es zum Start der “modebewusste[n] Schwester von Deutschlands erfolgreichster Nachrichtenseite” auf Bild.de.

Und wie zum Beweis heißt es dort nun anlässlich der Weltpremiere des Schneewittchen-Films “Snow White and the Huntsman”:
Screenshot: stylebook.de

Mit Dank an Christine R.

Stern, Handschrift, RAF

6 vor 9

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1. “Der stern & Sarrazin oder: Biedermann und die Brandstifter”
(carta.info, Wolfgang Michal)
Wolfgang Michael zur aktuellen Ausgabe des “Stern” mit Thilo Sarrazin auf der Titelseite: “‘Hypen durch Bashen’ muss man die zutiefst heuchlerische Methode des stern wohl nennen.”

2. “Opfer von Irans Diktatur und von westlichen Medien”
(tagesschau.de, Golineh Atai)
Golineh Atai erinnert an die von Medien mit Neda Agha-Soltan verwechselte Neda Soltani: “Bis heute kursiert die falsche Neda in Nachrichtenarchiven. Bis heute wartet sie auf eine Entschuldigung der vielen Journalisten, die mit ihrem Leben spielten.”

3. “Handschrift”
(alrightokee.de, Friedemann Karig)
Friedemann Karig analysiert den Text “Sich die Welt erschreiben” von Miriam Meckel, in dem Vorzüge der Handschrift ausgebreitet werden. “Warnung: Dieser Text wurde am Computer, nicht per Hand geschrieben. Er ist also höchstwahrscheinlich nicht gut.”

4. “hmm?”
(wirres.net, Felix Schwenzel)
Redaktioneller Inhalt, Partnerschaften und Anzeigen im “Tagesspiegel” und in der “c’t”.

5. “Fakten, Fühlen, Fernsehen: Zeig mir, wer Du bist”
(dwdl.de, Jochen Voß)
Jochen Voß denkt über Authentizität nach: “Das Beispiel Seehofer zeigt einmal mehr, wie groß die Sehnsucht des Publikums derzeit nach Unmittelbarkeit ist. Glattgebügelte Fassaden ohne glaubwürdige Persönlichkeit wird nur noch selten verziehen.”

6. “RAF-Anschlag auf Springer”
(einestages.spiegel.de, Katja Iken)
Am 19. Mai 1972 zündete die RAF mehrere Sprengsätze im Hamburger Axel-Springer-Verlagshaus. “Die Bilanz der Bomben von Hamburg: 36 Verletzte, zwei davon schwer, der Sachschaden betrug 336.000 D-Mark. Getroffen hatten die Bomben nicht etwa die Chefetage, Führungskräfte wie Pötter oder aber ‘Bild’-Redakteure. Sondern vor allem jene, die zu vertreten die RAF immer vorgegeben hatte: einfache Arbeiter – Setzer und Korrektoren.”

Bedingungslos

Machen wir’s kurz:

8.52 Uhr: Viele Journalisten und Fotografen warten darauf, dass die angeklagten Geschwister in den Gerichtssaal geführt werden. Vor dem Beginn der Verhandlung darf für einige Minuten fotografiert werden. Einzige Bedingung, die Gesichter der Angeklagten müssen vor Veröffentlichung in den Medien unkenntlich gemacht werden.

So berichtete eine Reporterin der “Lippischen Landes-Zeitung” am Mittwoch von der Gerichtsverhandlung im Fall Arzu Ö.

Und so (also ohne die gelben Kleckse, die sind von uns) berichtet die “Bild”-Zeitung heute über den Prozess:

P.S.: Außer “Bild” (und Bild.de natürlich) ist uns kein anderes Medium untergekommen*, das sich nicht an die Bedingung des Gerichts gehalten hätte.

Mit Dank an Martin V.!

*) Nachtrag, 16.18 Uhr (mit Dank an Tim): Während das ZDF am Mittwoch in der “drehscheibe deutschland” die Angeklagten noch unkenntlich gemacht hatte, verzichtete der Sender darauf in späteren Sendungen ebenfalls.

Horrornacht, Zappen, Schweizer Fernsehen

6 vor 9

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1. “Warum wir abgelehnt haben”
(netzwerkrecherche.de, Nicolas Richter)
Netzwerk Recherche bildet die “Debatte um den Henri-Nannen-Preis” ab. Nicolas Richter hat den Preis abgelehnt: “Ich möchte nicht mit einem Blatt geehrt werden, das im Privatleben von Prominenten oder Halbprominenten wildert, das die Schwächen oder Fehltritte von Schauspielern und anderen Sternchen ausnutzt, um an sogenannte Exklusiv-Interviews zu gelangen.”

2. “Eine hochgeschriebene Horrornacht”
(tagesschau.de, Patrick Gensing)
Fußball: Beim Relegationspiel Fortuna Düsseldorf gegen Hertha Berlin strömen Zuschauer vor Spielende auf den Rasen, was von vielen Medien als “eine Schande für den Fußball, eine Katastrophe, die Horrornacht von Düsseldorf” eingeschätzt wird. “Mitnichten ist es, wie heute immer wieder behauptet wird, das erste Mal, dass feiernde (!) Fans kurz vor Spielende den Platz stürmten. Das ist bereits mehrfach passiert, in Köln, St. Pauli und Duisburg beispielsweise. In keinem dieser Fälle, allesamt aus den 1990er Jahren, war danach von einer Schande die Rede, angenehm unaufgeregt reagierten die Kommentatoren damals.” Siehe dazu auch “Mega-Skandal, wo eigentlich?” (nordbayern.de), “gedanken zum relegations-abend in düsseldorf” (popkulturjunkie.de) und “Peinliche Sauerei: Fortuna Düsseldorf erleidet vorzeitigen Fanerguss” (der-postillon.com).

3. “Offener Brief auf den Kommentar von Herrn Franzke vom Kicker 16.5.”
(eintracht.de, concordia-eagle)
Der Kommentar “Es helfen nur noch strengste Sanktionen” (kicker.de) in der Detailkritik.

4. “Ein Drink an der Bar mit Annina Frey”
(punktmagazin.ch, Christian Nill)
Das Schweizer Fernsehen untersagt die Veröffentlichung eines langen Gesprächs mit Annina Frey, seit 2007 Moderatorin der Sendung “Glanz & Gloria”: “Über die Gründe müssen wir den Mantel des Schweigens legen.”

5. “Knopf hoch!”
(sz-magazin.sueddeutsche.de, Andreas Bernard)
Andreas Bernard betont bei der “aussterbenden Kulturtechnik” des Zappens “das Aktive und Schöpferische” daran, schreibt gar von einer “Kunst des Zappens”: “Nach einem zerfahrenen Tag zurück in die Wohnung kommen, nach dem Einchecken im gesichtslosen Geschäftshotel einer unbekannten Stadt: Wie oft schon hat mir das Fernsehen die Gewissheit zurückgegeben, in der Welt zu sein.”

6. “Die schöne Seite der Kostenlosmentalität”
(perlentaucher.de, Thierry Chervel)
Thierry Chervel zum Appell “Wir sind die Urheber!”: “Es ist, als hätte sich die ganze tradierte Kulturwelt Deutschlands nach längerer Überlegung nun doch entschlossen, gegen den Medienwandel einzutreten.” Siehe dazu auch “Sie unterschreiben Erklärungen und offene Briefe, denn sie wissen nicht, dass sie bloggen könnten” (neunetz.com, Marcel Weiss) und “Eure Psychologisierung kotzt mich an” (katrinschuster.de).

Eine von uns, von uns und von uns

Die kostenlose Wochenzeitung “HS-Woche” aus Erkelenz ist stolz, denn:

Gut. Das ist schon nicht mehr so spektakulär, wenn man den dazugehörigen Text liest:

Wenn am heutigen Abend um 20.15 Uhr das Halbfinale der Staffel von “Let’s Dance” auf RTL über die Bühne geht, dann kann es auch wieder sein, dass einer der Stars auf einen Titel der Erkelenzer Sängerin Katja Dreyer tanzt.

Dreyer tritt also nicht auf, sondern singt lediglich ein Lied ein, zu dem die Stars dann tanzen. Egal, was zählt, ist dass sie aus Erkelenz kommt:

Katja Dreyer wohnt in Erkelenz-Mazerath und ist Frontfrau der Band “for example”

Oder etwa doch nicht? In der Lokalausgabe der “HS-Woche” von Jülich lautet die Schlagzeile nämlich so:

Katja aus Jülich

Und in der aus Düren so:

Katja aus Düren

Weder in der Jülicher noch in der Dürener Ausgabe wird erwähnt, dass Katja Dreyer in Erkelenz wohnt. Dafür ist in der “Jülicher Woche” von einer “charismatischen Frontfrau der Band “for example” (mit Musikern aus Jülich und Düren)” die Rede und in der “DN-Woche” von einer “charismatischen Frontfrau der Band “for example” (mit Musikern aus Düren und Jülich)”.

Vielleicht treten Katja aus Erkelenz, Katja aus Jülich und Katja aus Düren ja irgendwann einmal als Trio auf. Name der Formation: “Die charismatischen Frontfrauen”

Mit Dank an Jürgen S.

Experten, Tatort, Hugo Müller-Vogg

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Vertrauen Sie mir – ich weiß, wovon ich spreche!”
(dradio.de, Julius Stucke)
Deutschlandradio Kultur widmet sich 30 Minuten dem Phänomen des Experten (Textversion). Volker Perthes: “Experten, die sagen, dass ohnehin in dieser Region oder diesem oder jenem Politikfeld alles den Bach runter geht und ganz katastrophal wird – die haben großen Wert für die Medien, oder so scheint es jedenfalls: derjenige, der sagt, es ist zwar alles recht kompliziert aber man kann möglicherweise Wege finden kommen allenfalls in den Qualitätsmedien zu Wort. Wer alarmistisch ist kriegt die besseren Sendeplätze.”

2. “Shahin Najafis falsche Freunde”
(blog.zeit.de/joerglau)
Jörg Lau kritisiert ein “taz”-Interview, das Daniel Bax mit dem iranischen Musiker Shahin Najafi führte. “Ich finde, es ist in Ordnung zu fragen, ob der Künstler die Reaktion des Regimes nicht hätte erwarten müssen. Schließlich leben wir post Rushdie und post Westergaard. Ein Mal hätte allerdings gereicht, und auf den Ton kommt es an. Indem Bax vier Mal von Provokation spricht, entsteht der Eindruck, hier identifiziere sich ein Interviewer doch recht weitgehend mit der Perspektive des iranischen Zwangssystems und seiner Anmaßung, im Namen des Islams und der Muslime zu sprechen und zu urteilen.”

3. “Man lobt den Kollegen nicht unbedingt”
(medienkritik-schweiz.ch, Nena Weibel und Melanie Staub)
Ein Interview mit Philipp Cueni, dem Chefredakteur des Medienmagazins “Edito + Klartext”: “Die Medienkritik, die öffentliche Reflexion über die eigene Arbeit, die Selbstkritik müsste eigentlich Bestandteil der normalen alltäglichen Medienarbeit sein. Als Redaktion so zu tun als wäre man immer souverän, sicher und der Beste, kommt beim Leser nicht gut an.”

4. “A Very Special Socialpedagogical Tatort Episode”
(andrewhammel.typepad.com, englisch)
Andrew Hammel analysiert die “Tatort”-Folge “Der Wald steht schwarz und schweiget”: “We learned, as an audience, that (1) social deprivation is a serious problem in Germany; (2) (apologies to Auden) those to whom violence is done do violence in return; (3) first impressions of dangerous-looking juvenile delinquents can be misleading; (4) even the most hardened-seeming thug is capable of acts of kindness or remorse; and (5) that nobody is permanently beyond redemption, and a humane state devotes considerable resources even to seemingly-hopeless cases.”

5. “Blogger Asserts Copyright, Newspaper Editor Gets Irate”
(youtube.com, Video, 6:35 Minuten, englisch)
Duane Lester von Allamericanblogger.com sieht seinen Blogbeitrag im “The Oregon Times Observer” ohne vorherige Nachfrage abgedruckt. Er geht in der Redaktion vorbei, um die Frage um das Copyright zu klären. Siehe dazu auch “How to Assert Copyright Over Your Work When It’s Been Plagiarized” (allamericanblogger.com, Duane Lester, englisch).

6. “Welkes Spiel mit der Politikverachtung”
(cicero.de, Hugo Müller-Vogg)
Obwohl “Bild”-Kolumnist Hugo Müller-Vogg nie mehr als eine vollständige Ausgabe der “heute show” gesehen hat, wagt er sich an eine Gesamtbeurteilung der ZDF-Satiresendung. Er stellt sich pauschal vor den Politiker als solchen und glaubt zu wissen, dass die Macher, “anders als die meisten Kabarettisten – kein Anliegen” hätten.

Neulich an der Hakenkreuzung

Werfen wir einen Blick in die Seele des deutschen Journalisten:

Und, nein, es ist ganz anders als Sie denken! Das Hakenkreuz da ist Teil eines dpa-Fotos, aufgenommen vor dem griechischen Parlament in Athen. Der “Kölner Stadtanzeiger” hatte es in seinem Online-Auftritt zu Bebilderung einer Nachricht verwendet, wonach ein 78-jähriger Holländer offenbar in Griechenland von zwei Griechen aus mutmaßlich deutschenfeindlichen Motiven brutal verprügelt wurde. Komplett sahen Foto und Bildunterzeile (BU) auf ksta.de so aus:

Bildunterzeile: Deutschenfeindliche Parolen zeigen diese Demonstranten in Athen.

Was dpa am 1.5.2012
zu dem Foto schrieb:

“Protesters hold placards reading ‘No Nazis in the Parliament – Golden Dawn = Swastika’, outside the Greek Parliament during a rally marking May Day in central Athens, Greece, 01 May 2012. A rally marking May Day was called by the Greek unions and parties of the Left to protest against the ongoing austerity measures, ahead of the national elections scheduled 06 May 2012.”

“Deutschenfeindliche Parolen”? Nun ja: Die griechische Parole auf dem Foto bedeutet übersetzt: “Keine Nazis ins Parlament – Goldene Morgenröte = Hakenkreuz”. Und Demonstranten protestierten damit am 1. Mai gegen den Einzug der rechtsextremen griechischen Morgenröte-Partei ins griechische Parlament (siehe Kasten).

Und selbst wenn ksta.de den peinlichen Fehler inzwischen offenbar bemerkt und das Foto gegen ein Bild der Akropolis (BU jetzt: “Die Akropolis in Athen”) ausgewechselt hat: Dass einem Journalisten hierzulande zu einem offensichtlich in kritischer Absicht öffentlich gezeigten Hakenkreuz als allererstes Deutschenfeindlichkeit einfällt, lässt irgendwie ganz schön tief blicken (s.o.).

Mit Dank an C.K.!

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