Bild.de schiebt Özdemir radikales Werbeverbot für Milch unter

Cem Özdemir und sein Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft wollen an Kinder gerichtete “Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt in allen relevanten Medien” verbieten. So soll es im Fernsehen und Radio zwischen 6 und 23 Uhr keine entsprechenden Werbespots mehr geben, auch bestimmte Printmedien wären betroffen, ebenso Soziale Netzwerke und das dort stattfindende Influencer-Marketing, genauso Sponsoring, das sich an Kinder richtet, und so weiter. Es ist ein recht umfassendes Vorhaben zum Schutz von Unter-14-Jährigen, so das Ministerium. Einen Überblick darüber, welche Auswirkungen eine Umsetzung des Gesetzesentwurfs hätte, bietet Jost Maurin in der “taz” – allein schon wegen der vielen konkreten Beispiele sehr lesenswert.

Am vergangenen Freitag wollte auch die “Bild”-Redaktion ihren Leserinnen und Lesern erläutern, welche Folgen Özdemirs Plan hätte:

Screenshot Bild.de - Sogar Milch ist dabei! Özdemirs Werbe-Verbotsliste

In einer früheren Version lautete die Überschrift:

Screenshot Bild.de - Bild hat die ganze Liste - Özedmir will sogar Werbung für Milch verbieten

Zwischenzeitlich hatte es die aktuell in der Dachzeile genannte Milch also – neben einen fehlerhaften Ministernamen – sogar in die Bild.de-Überschrift geschafft. Und es klingt ja auch erstmal ziemlich irre: Ein wichtiger Calciumlieferant wie Milch soll auf einmal so gefährlich für Kinder sein, dass diese vor Milchwerbung geschützt werden müssen. Warum denn das?

Die Antwort ist recht simpel: Es stimmt schlicht nicht, was die “Bild”-Redaktion titelt.

Bereits am 27. Februar hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft eine Pressemitteilung zu Cem Özdemirs Gesetzesvorhaben veröffentlicht, in der unter anderem steht:

Milch (hinsichtlich des Fettgehalts) und Säfte (ohne zusätzlichen Zucker oder Süßungsmittel) sollen von der Regelung ausgenommen sein.

Am selben Tag hat “taz”-Redakteur Jost Maurin einen Artikel zum Thema veröffentlicht, in dem er schreibt:

Betroffen sind nur die Lebensmittel, die das Ministerium als zu fettig, zuckerig und salzig einstuft. Dabei will es sich nach eigenen Angaben an den Nährwertprofilen der Weltgesundheitsorganisation WHO orientieren. Sie gibt für 17 Kategorien Obergrenzen für diese Inhaltsstoffe vor. […] Bei Milch und Säften dagegen wolle man von den WHO-Grenzen abweichen, sagte [die zuständige Abteilungsleiterin des Ministeriums Eva] Bell der taz.

Vier Tage später titelt Bild.de: “Özedmir will sogar Werbung für Milch verbieten”. Im Text von “Bild”-Autor Elias Sedlmayr klingt es allerdings schon etwas anders:

Diese radikalen Werbeverbote plant Özdemir

► Milch und Milchgetränke, Getränke aus Soja, Nüssen oder Saaten, die Zuckerzusatz oder Süßstoff enthalten, dürfen nicht mehr beworben werden. Absurd: Normale Vollmilch hat einen Milchzucker-Gehalt von 4,7 Prozent.

Es scheint also gar nicht um Milch zu gehen, wie die “Bild”-Redaktion es in ihrer Überschrift wirken lässt, sondern um Milch mit zusätzlichem Zucker. Nur ist das dann keine Milch mehr (außer man würde auch Milch mit Orangensaft oder Milch mit Sojasauce oder Milch mit Rattengift als Milch einstufen). Im deutschen Milch- und Margarinegesetz ist ziemlich klar geregelt, was Milch ist:

Milch: das durch ein- oder mehrmaliges Melken gewonnene Erzeugnis der normalen Eutersekretion von zur Milcherzeugung gehaltenen Tierarten

Ein von “Bild” bei Twitter geposteter Ausschnitt des eigentlich nicht-öffentlichen Referentenentwurfs des Ministeriums bestätigt noch mal, dass es sich ausschließlich um ein mögliches Werbeverbot für Milch mit zusätzlichem Zucker oder Süßungsmittel handelt. Der in der Milch vorhandene Milchzucker spielt dabei keine Rolle.

Die “Bild”-Redaktion scheint das eigentlich auch verstanden zu haben. Einen Tag später, in der Samstagsausgabe der gedruckten “Bild”, erschien ebenfalls ein Artikel zu “Özdemirs absurder Werbeverbotsliste”. Weder in der Überschrift noch in der Dachzeile ist von “Milch” die Rede (in der Dachzeile lediglich von “Milchprodukten”). Im Artikel, ebenfalls von Elias Sedlmayr verfasst, steht nur zutreffend:

Auch Milch mit Zuckerzusatz ist vom Verbot betroffen.

Online bleibt die “Bild”-Redaktion hingegen bei ihrer falschen Milch-Behauptung.

Ob nun an Kinder oder an Jugendliche gerichtet, an Erwachsene oder an alle – welchen Stellenwert Lebensmittelwerbung als Einnahmequelle für “Bild” und den Axel-Springer-Verlag hat, erkennt man, wenn man sich das Blatt regelmäßig anschaut und nach Anzeigen durchsucht. In der zurückliegenden Woche, also seit vergangenem Mittwoch, sind in der “Bild”-Bundesausgabe insgesamt 52 Anzeigen erschienen. 22 davon stammten von Supermärkten oder Lebensmitteldiscountern – also über 42 Prozent (der Anteil erhöht sich noch einmal deutlich auf über 61 Prozent, wenn man die 16 Eigenanzeigen für “Bild”, “Bild am Sonntag” oder andere Springer-Veröffentlichungen rausrechnet). Nun kann es sich dabei ja um sehr unterschiedliche Anzeigengrößen und damit um sehr unterschiedliche Anzeigenpreise handeln. Also: Alle acht halbseitigen Anzeigen, die in dieser Zeit veröffentlicht wurden, kamen von Supermärkten oder Discountern. Sie schalteten auch fünf der insgesamt sieben ganzseitigen Anzeigen. Und auch die einzige doppelseitige Anzeige, die in diesem Zeitraum erschienen ist, hat ein Lebensmitteldiscounter geschaltet (nur zwei große Elektromärkte können da vielleicht noch mithalten: Sie haben in derselben Zeit zwar keine Anzeigen gebucht, dafür aber an drei Tagen mehrseitige Prospekte beilegen lassen).

Nicht wirklich überraschend, dass die “Bild”-Redaktion sich mit Verve und einer falschen Behauptung einem geplanten Werbeverbot entgegenstellt.

Bildblog unterstuetzen

Equal Pay Day, Woker Cancel-Toast?, Kritik an Klimaprotesten

1. Gleiche Bezahlung für Journalistinnen
(djv.de, Hendrik Zörner)
Anlässlich des heutigen Equal Pay Day fordert der Deutsche Journalisten-Verband (und auch die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union) die gleiche Bezahlung für Männer und Frauen im Journalismus: “Es gibt keinerlei Rechtfertigung dafür, dass Journalistinnen für die gleiche Leistung weniger verdienen als Journalisten”, so der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall. Die Honorare der Selbstständigen im Journalismus seien im Vergleich zu den Redakteursgehältern sowieso schon sehr niedrig. “Und dann noch ein Frauen-Malus? Das darf doch nicht wahr sein.”

2. Depesche aus dem Krieg
(journalist.de, Carsten Stormer)
“Fast ein Jahr lang habe ich den Ukraine-Krieg aus der Ferne verfolgt. Dann stand ich vor den qualmenden Trümmern eines Wohnblocks. Unter Schutt begraben lagen 47 Menschen, die nur wenige Stunden zuvor bei einem Raketenangriff getötet wurden. Das war der Moment, der mir endgültig klarmachte, dass ich am richtigen Ort war.” Der Kriegsreporter Carsten Stormer berichtet von seinem Einsatz als Berichterstatter in der Ukraine.

3. Taliban, Reichsbürger, Nazis – Die Kritik an Klimaaktivist*innen hat sich radikalisiert
(54books.de, Simon Sahner)
Simon Sahner kritisiert den Umgang von Politik und Medien mit Klimaaktivistinnen und -aktivisten und deren Protestaktionen: “Die Radikalisierung im Kampf um die Abwendung der Klimakatastrophe war lange befürchtet worden. Jetzt ist sie da. Im Streit um die aktuelle Aktion der sogenannten ‘Letzten Generation’ ist sie unübersehbar. Radikalisiert haben sich allerdings weniger die Aktivist*innen, sondern vielmehr ihre Kritiker*innen – jedenfalls auf einer verbalen Ebene.”

Bildblog unterstuetzen

4. App-Angst
(zeit.de, Meike Laaff & Jakob von Lindern)
Behörden in den USA, Kanada und der EU verbieten die Nutzung von TikTok auf ihren Diensthandys. Die Europäer sprechen diplomatisch von Datenschutz- und Cybersicherheitsbedenken. Die US-Amerikaner sind da schon deutlicher: Dort ist konkret von Spionage und Meinungsmanipulation aus China die Rede. Nun gebe es in den USA ernsthafte Bestrebungen, die App landesweit für alle zu verbieten.

5. “Schlechtes Klima”: RBB bestätigt Vorwürfe gegen Anja Caspary
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Die Journalistin Anja Caspary war acht Jahre lang Musikchefin beim RBB-Sender radioeins. Jetzt wechsele sie zur Aktuellen Kultur des RBB. Klingt wie eine normale Personalie, doch dem Wechsel gingen dem “Tagesspiegel” zufolge “erhebliche Tonstörungen” voraus. So soll im Sender ein 106-seitiges Dossier mit Vorwürfen gegen Caspary kursieren, in dem es vor allem um Machtmissbrauch und unangemessenes Verhalten gegenüber Untergebenen und freien Mitarbeitern gehe.

6. So alt, dass es müffelt: Der Untergang des Abendessens
(uebermedien.de, Moritz Hürtgen)
Bei “Übermedien” erklärt Moritz Hürtgen, was es mit dem von “Bild am Sonntag” skandalisierten Woke-Wahnsinn und der angeblichen Cancel Culture gegen den Toast Hawaii auf sich hat: “Am Beispiel dieser Story zeigt sich, wie man mit minimalen Ressourcen viel Wind machen kann – indem man einen Social-Media-Post einer recht kleinen Gruppierung, die damit zum Nachdenken anregen will, möglichst gedankenfrei zum maximalen Verbots-Toast aufbackt.”

Buschmann muss “Libra” stoppen, “Impulse”, Nuhr ein Erzählmuster

1. Buschmann lässt umstrittenen Justiz-Infodienst einstellen
(tagesspiegel.de, Jost Müller-Neuhof)
Bundesjustizminister Marco Buschmann muss den erst im vergangenen Jahr gestarteten Online-Informationsdienst für juristische und rechtspolitische Nachrichten “Libra Rechtsbriefing” stoppen. Grund dafür sei ein vom Ministerium selbst in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten, nach dem “Libra” als Verstoß “gegen den Verfassungsgrundsatz der Staatsfreiheit der Presse” bewertet wird. Diesem Grundsatz zufolge darf der Staat keinen Journalismus betreiben.

2. Auf Augenhöhe mit dem Mittelstand
(journalist.de, Nikolaus Förster)
Eine spannende Geschichte hat Nikolaus Förster, Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins “Impulse”, zu seiner Übernahme des Magazins vor zehn Jahren zu erzählen: “Es war der Moment der Wahrheit: Am 9. Januar 2013, abends um 22.08 Uhr, unterschrieb ich nach monatelangen Verhandlungen den Management-Buy-out-Vertrag und übernahm Impulse. 14 Jahre lang hatte ich für Gruner+Jahr gearbeitet, zunächst im Entwicklungsteam der Financial Times Deutschland, als Reporter, Kommentarchef, Ressortleiter, ab 2009 schließlich an der Spitze des Unternehmermagazins Impulse. An diesem kalten Januarabend Anfang 2013 aber, als hunderte Kolleginnen und Kollegen bereits ihre Kündigung erhalten hatten, weil Gruner+Jahr sich dazu entschieden hatte, ihre Wirtschaftsmediengruppe zu zerschlagen, wechselte ich die Rollen: vom angestellten Chefredakteur zum unabhängigen Unternehmer.” In seinem Text beschreibt Förster, wie es gelang, “Impulse” wieder profitabel zu machen, und was er im Lauf der Zeit gelernt hat.

3. Dieter Nuhr und die Angst vorm gesellschaftlichen Wandel
(dwdl.de, Peer Schader)
Bei “DWDL” beschäftigt sich Kolumnist Peer Schader ausführlich und anhand von vielen Zitaten mit den Erzählmustern des Kabarettisten Dieter Nuhr. Sein Fazit: “Nein, Dieter Nuhr ist genauso wenig Nazi wie ein ‘Opfer der Grünen Sekte’, auch wenn er auf Twitter abwechselnd so bezeichnet wird. Er will bloß eine Welt zurück, in der ihm die klimaverklebten veganen Fahrradfahrer:innen mit den Gendersternchen nicht ständig durch ihre schiere Präsenz diktieren, wie sein wochenaktuelles Stand-up-Programm auszusehen hat, wo deswegen dann kein Raum mehr für geistreiche Witze über die wirklich wichtigen Themen unserer Zeit bleibt.”

Bildblog unterstuetzen

4. Schaut, wie süß wir sind: Selenskyj, Madonna und die Fotos des Monats
(uebermedien.de, Hendrik Wieduwilt)
Hendrik Wieduwilt analysiert bei “Übermedien” regelmäßig Nachrichtenbilder: Wie wirken sie? Und warum? Was ist inszeniert? Und von wem? Diesmal mit dabei: Kriegsbilder aus dem Hubschrauber, Begegnungen mit Wolodymyr Selenskyj, Ursula von der Leyen in Blau-Gelb und diverse Fototricks.

5. “Sparen ist bei uns Alltagsgeschäft”
(medienpolitik.net, Helmut Hartung)
Helmut Hartung hat sich mit Yvette Gerner, Intendantin von Radio Bremen, über die Zukunft des Senders unterhalten und nachgefragt, ob sich durch einen Zusammenschluss mit einer oder mehreren anderen ARD-Anstalten Geld sparen ließe. Gerner verneint: “Bei Radio Bremen gibt es nicht mehr viel zu sparen. Ginge es wirklich um Einsparungen, wäre bei einem Zusammenschluss keine echte Fusionsrendite drin, da wir besonders kostengünstig produzieren.”

6. Aufhören, wenn’s am schlimmsten ist
(taz.de, Carolina Schwarz)
“taz”-Redakteurin Carolina Schwarz war lange Fan von “Deutschland sucht den Superstar”, doch die Liebe ist erloschen. Ohne Dieter Bohlen funktioniere “DSDS” zwar nicht – mit ihm aber auch nicht mehr. Schwarz’ Rat an die Senderverantwortlichen: “Das einzig Richtige wäre, DSDS abzusetzen und sich einzugestehen, dass man aufhören sollte, wenn es am schlimmsten ist.”

KW 09/23: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Wochenendausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Böse Fälschung: Was steht in den “Hitler-Tagebüchern”?
(youtube.com, Strg F, John Goetz & Felix Meschede & Nadja Hübner & Malte Herwig & Antonius Kempmann & Anton Maegerle & Julian Feldmann, Video: 27:22 Minuten)
Als der “Stern” vor 40 Jahren auf gefälschte Hitler-Tagebücher hereinfiel, sprachen viele vom Medienskandal des Jahrhunderts. Jahrzehnte später kommt ein weiterer Skandal hinzu: Wie der NDR recherchierte, wird Adolf Hitler in den Tagebüchern positiv dargestellt, ein Mensch, der vom systematischen Mord an Millionen Jüdinnen und Juden angeblich nichts wusste. Offenbar kein Zufall: Der damalige Fälscher Konrad Kujau soll Verbindungen in die radikale Neonazi-Szene gehabt haben, der frühere “Stern”-Reporter Gerd Heidemann, der die Tagebücher kaufte, einen auffälligen Nazi-Tick.

2. Wie verändern diese krassen Gesichtsfilter unser Bild von uns selbst?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 25:13 Minuten)
Bei TikTok gibt es seit Kurzem zwei neue, erschreckend echt wirkende Gesichtsfilter: den “Bold-Glamour”- und den “Teenage-Look”-Filter. Holger Klein spricht mit Samira El Ouassil über die Wirkung dieser Filter und die Frage, wie man damit einigermaßen gesund umgehen kann.

3. Welche Folgen hat der Kahlschlag bei Gruner und Jahr?
(br.de, Linus Lüring, Audio: 22:04 Minuten)
Was lässt sich aus dem Kahlschlag beim einst mächtigen und größten europäischen Zeitschriftenverlag Gruner & Jahr lernen? Und welche Folgen könnte die Entwicklung haben? Darüber spricht Linus Lüring mit dem Medienwissenschaftler Stephan Weichert und dem ehemaligen “Geo”-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede.

Bildblog unterstuetzen

4. Siller fragt: Ralf Hohlfeld
(sillerfragt.podigee.io, Stefan Siller, Audio: 37:58 Minuten)
Der Kommunikationswissenschaftler Ralf Hohlfeld hat mit seinen Studierenden Telegram- und Facebook-Posts ausgewertet. Das Ergebnis sei schockierend: In den Beiträgen werde kalter Hass geschürt, zum Sturz von Institutionen und Regierungen und zum Mord aufgerufen. Hohlfeld sieht einen Anteil von etwa zehn Prozent in der deutschen Bevölkerung, die er als “Antidemokraten” bezeichnet.

5. Wird ChatGPT bald Filme schreiben, drehen und analysieren?
(youtube.com, Filmanalyse, Wolfgang M. Schmitt, Video: 25:48 Minuten)
In der “Filmanalyse” beschäftigt sich Filmkritiker Wolfgang M. Schmitt mit dem Einfluss von Künstlicher Intelligenz (KI) auf die TV- und Kinowelt: Wird ChatGPT bald Filme schreiben, drehen und analysieren? Wie immer lohnenswert, geistreich und unterhaltsam – sowohl für KI- als auch für Film-Interessierte.

6. Sarah Bosetti antwortet Heidi Klum und GNTM
(ndr.de, Extra 3, Sarah Bosetti, Video: 5:14 Minuten)
Wie vor zwei Wochen in den “6 vor 9” berichtet, startete die aktuelle Staffel der Castingshow “Germany’s Next Topmodel” mit einem immerhin zehnminütigen Statement an die Zuschauerinnen und Zuschauer, in dem Chefjurorin Heidi Klum die vielfältige Kritik an der Sendung zurückwies. ProSieben hat das Klum-Statement offenbar inzwischen aus dem Netz genommen, aber Sarah Bosetti hat aufgepasst – und eine Antwort parat.

10.000 Euro für Null Information, Ohne “Sinn und Form”, Lokales

1. 10.000 Euro Kosten für Null Information
(fragdenstaat.de, Aiko Kempen)
500 Euro soll die Transparenzinitiative “FragDenStaat” dem Land Baden-Württemberg für eine Behördenanfrage zahlen, die nicht mal beantwortet, sondern abgelehnt wurde: “Rund 140 Arbeitsstunden will Baden-Württembergs Innenministerium benötigt haben, um zu dem Schluss zu kommen, dass es einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) ablehnt – die Rechnung dafür sollen wir jetzt zahlen. Wir gehen juristisch dagegen vor.”
Korrekturhinweis: In einer vorherigen Version war hier von 10.000 Euro die Rede. Dabei handelt es sich um den kalkulatorischen Gesamtaufwand der Behörde, der jedoch auf 500 Euro gedeckelt sei.

2. Medienhäuser dominieren auf YouTube
(netzpolitik.org, Sebastian Meineck & jocca*)
netzpolitik.org hat untersucht, von welchen Quellen bei Youtube die Top-Suchergebnisse zu politischen Themen stammen. Bei den mit Abstand meisten Videos seien es die öffentlich-rechtlichen Sender und traditionelle Nachrichtenverlage, nur ein Bruchteil stamme von unabhängigen Youtubern. Einer dieser unabhängigen Inhalteproduzenten fühlt sich nun benachteiligt: “Hier werden Menschen diskriminiert, nur weil sie kein Medienhaus im Hintergrund haben.”

3. “Das Kleine im Großen”
(journalist.de, Jan Freitag)
Ulrike Heidenreich und René Hofmann leiten die Redaktion München, Region, Bayern der “Süddeutschen Zeitung” und sind damit nicht nur für das Große, sondern auch für das Lokale und Regionale zuständig. Im Interview mit dem “journalist” erzählen sie, dass das Lokale inzwischen das größte Ressort der “SZ” ist und keineswegs querfinanziert werden muss. Außerdem geht es in dem Gespräch um Strukturen und Inhalte der Berichterstattung: “Wir müssen nicht mehr auf jeder Gemeinderatssitzung präsent sein und die Sperrung jeder Sackgasse redaktionell begleiten.”

Bildblog unterstuetzen

4. Wissing hui, Lambrecht pfui – Werden Politikerinnen strenger beurteilt?
(ardaudiothek.de, Deutschlandfunk, Brigitte Baetz, Audio: 33:54 Minuten)
Eine Deutschlandfunk-Hörerin findet, dass die Politikerinnen der Ampel-Koalition in der medialen Berichterstattung viel härter angegangen werden als ihre männlichen Kollegen. Woran das liegen könnte, darüber diskutiert sie mit Nico Fried vom “Stern”, der Publizistin Bascha Mika und der Moderatorin Brigitte Baetz.

5. Zwischen Desinformationskampagne und Verschwörungsideologie
(belltower.news, Andrej Steinberg & Manja Vitter)
Wie am vergangenen Dienstag in den “6 vor 9” zu lesen war, hat die Amadeu Antonio Stiftung eine Broschüre über “demokratiefeindliche Narrative in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine” herausgegeben. Darin analysieren die Autorinnen und Autoren verschiedene Narrative wie die angebliche Bedrohung russischer Minderheiten oder die Behauptung, die Ukraine werde von Faschisten regiert. Der hier verlinkte Auszug aus der Publikation beschäftigt sich mit den “Fünf Methoden der Propaganda”. Die vollständige Broschüre kann als PDF heruntergeladen werden.

6. Ein Verlust für alle
(taz.de, Dirk Knipphals)
Das Landgericht Berlin hat der Akademie der Künste untersagt, die Kulturzeitschrift “Sinn und Form” weiter herauszugeben. Das helfe niemandem, findet Dirk Knipphals: “Nun ist das Gebot der Staatsferne tatsächlich unverzichtbar, weil nur so das Wächteramt der Presse und ihre Unabhängigkeit gewährleistet werden können. Nur sind solche Zeitschriften wie Sinn und Form nicht in dem Sinne Presse, wie es die FAZ oder die Zeit, die SZ, Welt oder auch die taz sind.”

Bild.de zeigt Hinrichtung eines Menschen

Wenn auf der Bild.de-Startseite ein Artikel mit der Überschrift “Mann erschießt Obdachlosen auf dem Bordstein” zu finden ist und in der dazugehörigen Dachzeile steht: “SCHOCKIERENDES VIDEO AUS USA”, dann ist zu befürchten, dass die “Bild”-Redaktion eben dieses Video auch zeigt. Und genau so ist es: Bei Bild.de ist seit gestern zu sehen, wie ein Mensch regelrecht hingerichtet wird (auf jegliche Verlinkungen verzichten wir in diesem Fall bewusst).

Screenshot Bild.de - Schockierendes Video aus den USA - Mann erschießt Obdachlosen auf dem Bordstein
(Die Unkenntlichmachung stammt von uns. Mehr dazu weiter unten im Beitrag.)

Am Montag soll in St. Louis ein Mann einen anderen am helllichten Tag auf der Straße erschossen haben. Ein Passant hat einen Teil der Tat mit seiner Handykamera aus kürzerer Distanz, leicht versteckt gefilmt. Dieses Video hat die “Bild”-Redaktion in ihren Artikel eingebettet. Zu Beginn blendet sie einen Warnhinweis ein:

Screenshot Bild.de - Achtung gewaltsame Szenen

Anschließend ist eine Straßenszene zu sehen, in der ein Mann auf dem Bordstein sitzt. Ein anderer steht neben ihm und hantiert mit einer Waffe. Nichts ist verpixelt, nicht das Opfer, nicht der Täter. Nach kurzer Zeit streckt der stehende Mann den Arm aus und richtet die Waffe auf den Kopf des sitzenden Mannes. In diesem Moment friert bei Bild.de das Video ein (dieses Standbild ist auch die Aufnahme, die bei Bild.de auf der Startseite zu sehen ist, und die wir weiter oben unkenntlich gemacht haben). Die Tonspur des Videos läuft hingegen weiter, ein Schuss ist zu hören und die Aussage der filmenden Person: “Oh my God, he just fucking killed him.”

Was nicht in dem Video zu sehen ist, aber aus einem Polizeiprotokoll hervorgeht: Dem Opfer wurde vom Täter zuvor bereits in den Rücken geschossen. Der Mann sitzt völlig wehrlos auf dem Bordstein, während der Täter seine Waffe nachlädt. Es ist eine regelrechte Hinrichtung, die die “Bild”-Redaktion da zeigt. Und sie zeigt sie nicht nur einmal – in dem 1:21 Minuten langen Clip zeigt sie die Szene insgesamt dreimal. Es scheint dabei einzig um Sensationsgier zu gehen.

In einem recht ähnlichen Fall sprach der Deutsche Presserat im September 2020 eine Rüge gegen die “Bild”-Redaktion aus:

Als unangemessene Darstellung von Brutalität und Leid nach Ziffer 11 des Pressekodex beurteilte der Presserat das Video einer Tötungsszene. Unter dem Titel “Mann in New York aus Auto erschossen” zeigte BILD.DE, wie ein Mann beim Überqueren einer Straße erschossen wird und zu Boden fällt. Die Redaktion hatte das Fahndungsvideo vom Twitter-Account der New Yorker Polizei übernommen. Nach Ansicht des Presserats bediente das Video – in dem die Tötung wiederholt gezeigt wurde – reine Sensationsinteressen. Der ursprüngliche Fahndungszweck des Videos hatte in der deutschen Öffentlichkeit keine Bedeutung. Für die Presse gilt bei der Veröffentlichung von Ermittler-Material der Pressekodex, betonte der Beschwerdeausschuss.

Die “Bild”-Redaktion weiß von dieser Kritik, sie hat die Rüge damals unter dem entsprechenden Bild.de-Artikel wie vorgeschrieben veröffentlicht.

Ein Unterscheid zwischen dem aktuellen Video aus St. Louis und dem aus New York, für das Bild.de die Rüge bekommen hat: Während in dem New Yorker Fall das Video nach einem Schnitt auch die Szene nach dem Schuss und damit den Übelebenskampf des Opfers zeigt, friert das Video aus St. Louis bei Bild.de, wie gesagt, direkt vor der Schussabgabe ein. Allerdings sollte man das nicht als Rücksichtnahme auf Opfer und Leser-/Zuschauerschaft und als letztes Fünkchen Anstand der “Bild”-Mitarbeiter deuten. Im Originalvideo, das uns vorliegt, schwenkt die filmende Person genau in diesem Moment weg. Die Redaktion konnte also gar nichts weiter zeigen.

Zukunft der ARD, Des Youtubers Ungereimtheiten, “Postillon” besorgt

1. Zu Teuer, zu Groß, zu Einseitig? Die Zukunft der ARD
(youtube.com, Zapp Medienmagazin, Kathrin Drehkopf & Tilo Jung, Video: 1:32:35 Stunden)
Das Medienmagazin “Zapp”hat eine Diskussionsrunde zur Zukunft der ARD initiiert: Wie müssen sich Strukturen, Programme und Inhalte der ARD verändern, um das Publikum auch in Zukunft mit Fernsehen und Radio zu erreichen? Und wie sieht die neue Digitalstrategie der ARD aus? Mit Kathrin Drehkopf und Tilo Jung diskutieren der neue ARD-Vorsitzende und SWR-Intendant Kai Gniffke, die Medienmanagerin Julia Jäkel, Medienstaatssekretärin Heike Raab und die Journalistin Yasmine M’Barek.

2. Was bringt der geplante Zukunftsrat?
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 6:58 Minuten)
Wer nutzt in zehn Jahren noch das klassische Live-Fernsehen? Sollten öffentlich-rechtliche Sender stattdessen mehr Geld in Formate für Plattformen wie TikTok investieren? Und wie sieht eine Mediathek aus, die mit großen Streaming-Anbietern mithalten kann? Fragen über Fragen, die nun ein “Zukunftsrat” beantworten soll. Was könnte so ein Gremium zur öffentlich-rechtlichen Zukunft bewegen?

3. Wie sich Pornoseiten klein machen
(netzpolitik.org, Chris Köver & Sebastian Meineck)
Online-Plattformen verkaufen sich gegenüber Investoren gerne als populär und mächtig. Gegenüber dem Gesetzgeber würden sie sich hingegen klein machen, um nicht in den Fokus von Regulierungen zu geraten. Auffällig schweigsam seien die großen Porno-Plattformen, denen eine ganze Reihe von zusätzlichen Auflagen drohe.

Bildblog unterstuetzen

4. Zwischen “rasenden Reporter:innen” und “Action-Journaille” – journalistische Berufsbilder in digitalen Spielen
(fachjournalist.de, Rudolf Inderst)
Beim “Fachjournalist” beschäftigt sich Rudolf Inderst, Professor für Game Design, mit der Darstellung von Journalisten und Journalistinnen sowie deren Beruf in Videospielen. Dabei beleuchtet er verschiedene Aspekte wie die Rolle von Medienschaffenden als Charaktere im Spiel, die Inszenierung von Journalismus als Teil der Spielmechanik oder auch die Vermischung realer und digitaler Welten.

5. Der YouTuber und die erschwindelten Spenden
(t-online.de, Lars Wienand)
Rund um den rechten Youtuber Niklas Lotz könnte es so manche Ungereimtheit geben. Wie Lars Wienand bei t-online.de berichtet, lasse sich der Polit-Influencer einiges einfallen, um Spenden zu generieren. Wienand ist der Frage nachgegangen, ob Lotz möglicherweise Strafanzeigen und Ermittlungsverfahren gegen sich erfindet, um seine Followerschaft um finanzielle Unterstützung bitten zu können. Fortsetzung: “Spenden-YouTuber tobt nach t-online-Recherchen” (t-online.de, Lars Wienand).

6. Stellenabbau bei “Bild”: Verkommt Deutschlands renommierteste Zeitung jetzt zum unseriösen Bumsblatt?
(der-postillon.com)
Der “Postillon” macht sich Sorgen um Renommee und Ruf der “Bild”-Zeitung als angesehenes Qualitätsblatt: “Nachdem die Verlagsgruppe Axel Springer SE gestern einen massiven Stellenabbau bei ‘Bild’ angekündigt hat, mehren sich Befürchtungen, die Zeitung könnte mittelfristig zum unseriösen Bumsblatt heruntergewirtschaftet werden.”

Stellenabbau bei “Bild” und “Welt”, Werbung für “Zuckerbomben”, TikTok

1. Springer-Verlag kündigt Stellenabbau an
(spiegel.de)
Der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner habe sich am gestrigen Dienstag in einem Brief an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewandt und “deutliche Reduzierungen von Arbeitsplätzen” angekündigt. Von dem Stellenabbau seien auch die Redaktionen von “Bild” und “Welt” betroffen. Zudem habe Döpfner die wachsende Bedeutung von Künstlicher Intelligenz thematisiert, die “Journalismus und Mediengeschäft revolutionieren” werde. Die Gewerkschaft Verdi kritisiert den geplanten Stellenabbau. Gleichzeitig wurde bekannt, dass Springer ab Mitte des Jahres die Zustellung von “Bild am Sonntag” und “Welt am Sonntag” einstellen wird.

2. “Für die Finanzierung der Presse sind Werbeeinnahmen unverzichtbar”
(medienpolitik.net, Helmut Hartung)
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat ein Verbot für an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel angekündigt, um Kinder besser vor “Zuckerbomben” zu schützen. Was viele Eltern freuen dürfte, stößt bei der Werbewirtschaft auf Unmut. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, der Medienverband der freien Presse und der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft lehnen die Pläne ab.

3. Es ging nie um Journalismus
(taz.de, Steffen Grimberg)
Medienmogul Rupert Murdoch musste vor Gericht einräumen, dass es im Rahmen der US-Wahlberichterstattung seines TV-Senders Fox News zu Falschaussagen und unbewiesenen Unterstellungen gekommen ist. Das könnte Fox News und Murdoch teuer zu stehen kommen, wie Steffen Grimberg erklärt: “Konkret geht es bei dem Verfahren in Delaware um eine Klage des Wahlmaschinenherstellers Dominion. Weil Trump und Konsorten Dominion unterstellten, sie hätten Stimmen für Trump einfach Biden zugeschlagen, laufen aktuell diverse Klagen. Dominion fordert 1,6 Milliarden Dollar von Fox beziehungsweise Murdoch wegen Verleumdung.”

Bildblog unterstuetzen

4. Organisationen fordern starke Plattformaufsicht
(reporter-ohne-grenzen.de)
Gemeinsam mit zwölf weiteren Organisationen fordert Reporter ohne Grenzen die Bundesregierung auf, im Zuge der Umsetzung des europäischen Digital Services Act eine starke Plattformaufsicht einzurichten. Ein gestern veröffentlichter offener Brief (PDF) beschreibt, was geschehen muss, um Rechte im digitalen Raum besser zu schützen und die Sorgfaltspflichten von Plattformen stärker zu kontrollieren.

5. Null Covid, viel Repression
(sueddeutsche.de, Philipp Riessenberger)
Der Verband der Auslandskorrespondenten in Peking beklagt die erschwerten Arbeitsbedingungen in China. Das Spektrum der Schikanen reicht von einer restriktiven Visavergabe, staatlichen Kontrollen, Behinderungen durch die Polizei und lokale Behörden bis hin zur Einschüchterung und Verfolgung von Gesprächspartnern.

6. TikTok muss von allen Dienstgeräten der US-Behörden verschwinden
(zeit.de)
Die chinesische App TikTok muss nach einer Anordnung der US-Regierung innerhalb von 30 Tagen von allen Geräten der US-Bundesbehörden gelöscht werden. Kanada hat einem Zeitungsbericht zufolge TikTok bereits seit diesem Dienstag von den Diensthandys der Regierung verbannt, “um die Sicherheit von Regierungsinformationen zu gewährleisten”. Auch die EU-Kommission habe ihren Beschäftigten die Nutzung von TikTok auf Diensthandys und Laptops untersagt. Grund seien Bedenken hinsichtlich der Cybersicherheit (gemeint ist wohl die Angst vor Ausspähung durch China).

Bezahlung für Scholz-Interview, Schlesingers Ruhegeld, “Dilbert”

1. Dem Kanzler lieb und teuer
(taz.de, Sebastian Erb)
Auf der letztjährigen Digitalkonferenz re:publica wurde Bundeskanzler Olaf Scholz von der ProSieben-Moderatorin Linda Zervakis in einem 20-minütigen Interview befragt. Wie sich später herausstellte, hatte das Kanzleramt bei der Auswahl der Moderatorin offenbar kräftig mitgemischt und auch eine als “Kostenpauschale” deklarierte Summe von mehr als 1.000 Euro an Zervakis überwiesen. Doch darüber wollte Linda Zervakis nicht sprechen und ging sogar einen Schritt weiter, schreibt Sebastian Erb in der “taz”: “Schon am Tag der Online-Veröffentlichung der Recherche kam Post von ihrem Anwalt. Er wollte der taz untersagen, auch nur den Verdacht zu äußern, dass Zervakis für die Moderation auf der Republica eine Bezahlung erhalten haben könnte, die als Teil einer großzügigen Kostenpauschale getarnt wurde.”

2. Patricia Schlesinger will monatlich 18.300 Euro
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Die frühere RBB-Intendantin Patricia Schlesinger klagt auf Zahlung eines Ruhegelds von monatlich über 18.000 Euro. Joachim Huber sieht in dem von vielen als Skandal empfundenen Vorgang eine Chance zur Veränderung: “Das Ruhegeld wurde eingeführt, also kann es auch wieder abgeschafft werden. Fällt es weg, muss der Armutsbericht nicht neu geschrieben werden.”

3. Twitter entlässt offenbar mindestens weitere 200 Mitarbeiter
(spiegel.de)
Ob Twitter seit der Übernahme von Elon Musk einen langsamen Abstieg oder einen schnellen Absturz erlebt, ist unklar. Der umstrittene Milliardär sorgt jedenfalls fast wöchentlich für Negativschlagzeilen. Nun sollen laut “New York Times” nach diversen Entlassungen weitere 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Online-Netzwerks ihre Kündigung erhalten haben. Das wären fast zehn Prozent der zuletzt noch übrigen 2.300 Mitarbeiter.

Bildblog unterstuetzen

4. Demokratiefeindliche Narrative in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine
(belltower.news)
Die Amadeu Antonio Stiftung hat eine Broschüre über “demokratiefeindliche Narrative in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine” herausgegeben (PDF). Die Autoren analysieren darin verschiedene Narrative wie etwa die angebliche Bedrohung russischer Minderheiten oder die Behauptung, die Ukraine werde von Faschisten regiert. Ziel der Broschüre sei es, den Leserinnen und Lesern ein besseres Verständnis für die Informationskriegsführung Russlands zu vermitteln und Wege aufzuzeigen, wie man sich dagegen zur Wehr setzen kann.

5. Reform dringend benötigt
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) fordert den Gesetzgeber auf, das Transparenzregister zügig zu reformieren. Seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem November 2022 sei “die Einsichtnahme in das Transparenzregister nicht mehr möglich.” Das müsse sich schnellstens ändern, so der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall: “Medienschaffende brauchen bei Recherchen über Wirtschaftskriminalität und Geldwäsche die Informationen, die die Unternehmen an das Transparenzregister melden müssen.”

6. US-Zeitungen streichen “Dilbert”
(sueddeutsche.de, Philipp Riessenberger)
Hunderte Zeitungen in den USA wollen die beliebten “Dilbert”-Comics des Zeichners Scott Adams künftig nicht mehr veröffentlichen. Der Grund: Adams habe am vergangenen Mittwoch in einem Livestream Schwarze als “Hass-Gruppe” bezeichnet, von der sich Weiße möglichst fernhalten sollten.

Kranke Debatte

Was braucht die “Bild”-Redaktion alles, um eine angeblich große, bedeutende “Debatte” zu konstruieren und Millionen von Menschen Sorgen um ihr Geld und ihre Gesundheit zu bereiten?

Sie braucht 1) einen Professor, der gern mit steilen Thesen zu allerlei sozialpolitischen Themen von Medien zitiert wird, und, ja, das wär’s dann eigentlich auch schon.

Am vergangenen Mittwoch schrieb Jan W. Schäfer, Politik-Ressortleiter bei “Bild” und Mitglied der Chefredaktion, über einen “brisanten Vorstoß”:

Ausriss Bild-Zeitung - Experte wagt brisanten Vorstoß - Patienten sollen beim Arzt bis zu 2000 Euro selbst zahlen

Es geht um die die gesetzliche Krankenversicherung. “Kassen-Patienten (und Arbeitgeber) überweisen vom Gehalt heute so viel wie nie an Krankenkassen. Im Schnitt 16,2 Prozent”, schreibt Schäfer:

Bis 2035 könnte der Beitrag sogar auf 22 Prozent hochschnellen, warnt Gesundheitsexperte Prof. Bernd Raffelhüschen (65, Uni Freiburg): “Wir können uns das System nicht mehr leisten.”

Raffelhüschen hat daher einen brisanten Reformplan entwickelt: Kassen-Patienten sollen künftig einen Teil der Arzt- und Klinikkosten aus eigener Tasche bezahlen. Das Ziel: die Kosten-Explosion dämpfen.

Konkret sollen gesetzlich Versicherte gestaffelt zunächst bis zu 50 Prozent ihrer Arztkosten (maximal 500 Euro), dann bis zu 20 Prozent der Kosten (maximal 500 Euro) selbst zahlen. Insgesamt maximal 1500 bis 2000 Euro im Jahr. Geringverdiener soll der Staat mit Zuschüssen unterstützen.

Zum “brisanten Plan gegen die Kosten-Explosion” zählen noch weitere Ideen Raffelhüschens: Raucher an möglichen Folgekosten extra beteiligen, höhere Selbstbeteiligung für Übergewichtige, die Behandlungskosten für einen Beinbruch beim Skifahren soll der Skifahrer komplett selbst tragen, 30 bis 40 Prozent der Kliniken sollen dicht gemacht werden.

Da hat also ein Professor eine mehr oder weniger grobe Bierdeckel-Rechnung aufgemacht. Neben Bernd Raffelhüschen kommt in dem Artikel niemand zu Wort. Aber einen Tag später, “Bild”-Titelseite:

Ausriss Bild-Titelseite - Debatte um höhere Selbstkosten für Kassenpatienten - Kann ich mir Kranksein bald nicht mehr leisten?

Raffelhüschen habe mit seinen Reform-Vorschlägen “in ein Wespennest gestochen!” Und es ist laut “Bild” auch nicht nur eine “Debatte”, sondern eine:

Ausriss Bild-Zeitung - Riesen-Debatte nach Experten-Forderung zur Selbstbeteiligung

Diese von “Bild” aufgestöberte “Riesen-Debatte” sieht so aus: Bernd Raffelhüschen sagt etwas, alle anderen sagen: “Nein”, Ende der Debatte. Ausnahmslos alle Personen, die neben Raffelhüschen in dem “Bild”-Artikel zitiert werden, halten dessen Vorschlag für gar keine gute Idee: CDU-Politiker Dennis Radtke nicht (“Es ist Konsens, dass jedem die bestmögliche medizinische Versorgung ermöglicht wird”), Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nicht (“Für die große Mehrheit der Bevölkerung nicht” bezahlbar), Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der Krankenkasse DAK-Gesundheit, nicht (“Die Vorschläge sind unsolidarisch und völlig inakzeptabel”), CSU-Politikerin Emmi Zeulner nicht (“Ein solches Bestrafungssystem verschärft die soziale Ungleichheit”) und auch CDU-Politiker Peter Liese nicht (“Skifahren z. B. ist in der Regel gesünder als auf dem Sofa sitzen und Chips essen”). Nach diesem Schema lässt sich zu wirklich jedem Thema eine “Debatte” inszenieren: Man muss nur eine Person finden, die beispielsweise meint, Delfine sollten aufgrund ihres IQ berechtigt sein, bei der Bundestagswahl zu kandidieren, alle anderen sagen: “Auf gar keinen Fall!”, “Wespennest” und “Riesen-Debatte” drüberschreiben – fertig ist die nächste Seite 1.

Gewinner dieser Journalismus- und Debattensimulation sind Bernd Raffelhüschen, der Publicity bekam, und die “Bild”-Redaktion, die zwei Tage lang Zeilen und eine Titelseite füllen konnte. Verlierer sind all jene, die “Bild” glauben und sich auf dieser Grundlage um ihre gesundheitliche und finanzielle Zukunft sorgen.

Bildblog unterstuetzen

Blättern:  1 ... 52 53 54 ... 1141