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“Regierung-verschenkt”-Schlagzeile ist “Bild” nicht zu billig

Die Stromproduzenten in Deutschland haben 2022 laut “Bild” 62,05 Terawattstunden Strom ins Ausland exportiert, also etwas mehr als 62 Milliarden Kilowattstunden. Sie sollen dafür rund 12,5 Milliarden Euro bekommen haben. Das entspricht einem durchschnittlichen Preis pro Kilowattstunde von etwa 20 Cent.

Es muss allerdings auch immer mal wieder Strom nach Deutschland importiert werden. Laut “Bild” waren das im vergangenen Jahr 35,77 Terawattstunden. Der importierte Strom kostete im Schnitt pro Kilowattstunde circa 27 Cent.

Wer den exportierten Strom weder produziert noch gehandelt hat: die Regierung.
Was der exportierten Strom nicht wurde: verschenkt.

Und jetzt kann die “Bild”-Redaktion aus all diesen Informationen mal eine Schlagzeile für die Bild.de-Startseite basteln:

Screenshot Bild.de - Regierung verschenkt Energie ins Ausland - und wir zahlen drauf! Der große Strom-Skandal - Dazu zu sehen ein Foto von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck

Das stimmt so einfach nicht.

Auch mit dem Halbsatz “und wir zahlen drauf!” empört sich die “Bild”-Redaktion in ihrer Überschrift maximal missverständlich. Was sie zu meinen scheint, ist die Differenz zwischen den Preisen für importierten und exportierten Strom. Darauf kommt man aber auch nur, wenn man mit einem “Bild-plus”-Abo hinter die Bezahlschranke gucken kann. Für alle anderen dürfte es so klingen, als hätten “wir” dem “Ausland” nicht nur Energie “geschenkt”, sondern als hätten “wir” dafür auch noch irgendetwas zusätzlich zahlen müssen.

Ebenfalls nur mit “Bild-plus”-Abo erfährt man den Hauptgrund für den massiven Stromexport aus Deutschland in andere Länder:

Wir verkaufen Strom vor allem, weil wir es müssen! Denn: Es gibt nicht genügend Speicher und Leitungen für den Strom-Transport vom windreichen Norden in den Süden – und so wird er ins Ausland verscherbelt. (…)

Wenn erneuerbare Energieträger an wind- und sonnenreichen Tagen voll ausgelastet sind, ist Strom sehr billig. Wegen fehlender Infrastruktur kann der Strom an solchen tagen trotzdem nicht ausreichend in den Süden fließen.

Die Ursache liegt also nicht in einem altruistisch gesinnten Robert Habeck, der die Nachbarn kostenlos mit Energie versorgen will, sondern in mangelnden Speicherkapazitäten und fehlenden Nord-Süd-Leitungen innerhalb Deutschlands.

Inzwischen hat die “Bild”-Redaktion die Überschrift leicht angepasst. Aus “verschenkt” wurde “verscherbelt” …

Screenshot Bild.de - Regierung verscherbelt Energie ins Ausland - und wir zahlen drauf! Der große Strom-Skandal

… den Rest hat sie so gelassen.

Gesehen bei @MKreutzfeldt

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Böse Bild-Generatoren?, Borna-Berichte, Kampf um Rundfunkbeitrag

1. Sind Bild-Generatoren böse?
(netzpolitik.org, Sebastian Meineck)
Wenige Tastatureingaben genügen, und KI-Systeme wie Stable Diffusion, DALL·E 2 oder Midjourney erschaffen Illustrationen, fotorealistische Werke und beeindruckende Kunstwerke. Trainiert wurden sie mit Abermillionen Bildern von Kreativen, die nun um ihre Jobs bangen. Sebastian Meineck hat sich bei Fachleuten umgehört, wie sie dieses Thema aus moralisch-ethischer, wirtschaftlicher und juristischer Sicht beurteilen.
An dieser Stelle noch zwei weitere spannende Lesetipps: Bei “Zeit Online” schreibt Heike Buchter über die Entwicklung von OpenAi von einer gemeinnützigen Organisation zum wertvollen Start-up, das milliardenschwere Investments einsammelt. Und bei den “Riffreportern” geht es um die Frage, ob ein Chatbot wie LaMDA oder ChatGPT Bewusstsein erlangen kann. Daran glaubt jedenfalls der Informatiker und KI-Tester Blake Lemoine, der wegen seiner diesbezüglichen Äußerungen seinen Job bei Google verloren habe.

2. Wichtige Infos für Medienschaffende in Lützerath
(djv-nrw.de)
Der DJV-Landesverband Nordrhein-Westfalen hat wichtige Informationen für alle Journalistinnen und Journalisten, die heute und/oder in den nächsten Tagen in Lützerath unterwegs sind: “RWE möchte von Journalist:innen bei Betreten von bestimmten Bereichen eine Erklärung zum Haftungsausschluss. Laut Info der Polizei ist dies bislang nicht durchgesetzt worden. Der DJV-NRW hat diese Erklärung angefordert um sie juristisch zu prüfen. Sollte man Euch vor Ort bitten, eine solche Erklärung zu unterschreiben, sprecht Euch gerne vorab mit uns ab.”
Weiterer Lesetipp: In der “taz” berichtet David Muschenich über einen Fall von Polizeigewalt gegen Medienschaffende: “Bei Urteilen spielt die Pressefreiheit oft keine Rolle. Auch im Fall einer Journalistin nicht, die von einem Beamten ins Gesicht geschlagen wurde.”

3. SPD-Chef Klingbeil entschuldigt sich für falsche Aussagen zur Silvesterrandale in Borna
(rnd.de)
In der Silvesternacht kam es im sächsischen Borna zu Ausschreitungen. In diesem Zusammenhang verbreiteten sich in verschiedenen Medien falsche Aussagen, die wiederum an anderen Stellen übernommen wurden, darunter der SPD-Chef Lars Klingbeil. t-online.de berichtigte mittlerweile (“Berichterstattung war in Teilen ungenau”), Klingbeil nahm Bezug auf Aussagen der “Zeit”-Journalistin Anne Hähnig und stellte die Sache auf Twitter klar.

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4. Soll der Rundfunkbeitrag steigen?
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
ARD, ZDF und Deutschlandradio pochen auf eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags, doch bei den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten gebe es eine breite Ablehnungsfront gegen diese Begehrlichkeiten. Joachim Huber kommentiert: “Die Anstalten riskieren eine Menge. Sie spielen mit der Akzeptanz in der Bevölkerung, sie fordern die Rundfunkpolitik zu einer härteren Gangart heraus. Und das, wo seit dem vergangenen Jahr bei ARD, Deutschlandradio und ZDF Demut und neue Bescheidenheit angesagt wäre.”
Weiterer Lesetipp: Für medienpolitik.net hat Helmut Hartung mit dem Chef der hessischen Staatskanzlei und dem Chef der Staatskanzlei Niedersachsens über deren Erwartungen an die öffentlich-rechtlichen Anstalten gesprochen.

5. Warum der CSU-Chef den Sitz aufgibt
(taz.de, Steffen Grimberg)
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat seinen Sitz im ZDF-Verwaltungsrat aufgegeben. Das könnte daran liegen, dass sich Söder auf die kommende Landtagswahl konzentrieren will. Es könnte aber auch ganz andere Gründe haben, glaubt Steffen Grimberg: In der Funktion als ZDF-Verwaltungsrat könne Söder schlecht für das medienpolitische Lieblingsprojekt der CSU trommeln, die Zusammenlegung von ARD und ZDF.

6. Warum ist der größte Skandal um Harry ein Skandal der Medien?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 41:17 Minuten)
Holger Klein und Stefan Niggemeier sprechen im “Übermedien”-Podcast über das Buch von Prinz Harry, das schon vor der Veröffentlichung für Schlagzeilen sorgte. Schwierig sei, wie Harry von vielen Medien dargestellt und verteufelt werde, so Niggemeier auch in einem Kommentar auf Twitter: “Ja, Harry legt sich in dem Buch auch mit seiner Familie an. Aber mehr als alles andere rechnet er mit den Medien ab. Sein Zorn ist für mich nachvollziehbar und berechtigt. Ich bin erstaunt, wie wenig das auch in der deutschen Rezeption im Mittelpunkt steht.”

Gut im Bild beim ORF, Schikane gegen Nachrichtenseite, Zeit für Reformen

1. Die Landeshauptfrau sollte stets gut im Bild erscheinen
(faz.net, Stephan Löwenstein)
Es deutet viel darauf hin, dass eine österreichische Landespolitikerin beim öffentlich-rechtlichen ORF auf Anweisung hin in besonders gutem Licht erscheinen sollte. Der Redaktionsrat habe die Suspendierung des zuständigen Generaldirektors gefordert: “Sollte es sich als wahr erweisen, dass Redakteurinnen und Redakteure angewiesen wurden, Beiträge so zu gestalten, dass bestimmte Politikerinnen und Politiker vorkommen, auch wenn dazu keinerlei journalistische Notwendigkeit besteht, ist das ein klarer Verstoß gegen die gesetzliche Pflicht zur Unabhängigkeit.”

2. Arbeitsplätze erhalten
(djv.de, Hendrik Zörner)
Angesichts der Vorgänge beim von RTL übernommenen Traditionsverlag Gruner + Jahr hatte sich Anna Ernst bei der “Süddeutschen” gewundert: “Der Verlag ist erfolgreich, trotzdem kommen jetzt Gruner + Jahr-Titel wie ‘Brigitte’ und ‘Geo’ unter den Hammer. In Hamburg ist man fassungslos. Was ist los beim Mutterkonzern Bertelsmann?” (nur mit Abo lesbar) Nun appelliert der Deutsche Journalisten-Verband an die Magazin-Eigentümer, den Betriebsrat an den Plänen zu beteiligen: “Die Vertreter der Beschäftigten müssen eingeweiht und eingebunden werden. Im Fokus muss der Erhalt der Arbeitsplätze stehen. Es geht auch um menschliche Schicksale.”

3. Zu wenig interkulturelle Kompetenz
(taz.de, Rameza Monir)
Für die Journalistin Rameza Monir hinterlässt die Fußball-WM in Katar einen faden Beigeschmack. Das Sportevent hätte eine Chance für den Westen sein können, sich der arabisch-muslimischen Kultur ernsthaft zu nähern. Stattdessen sei die Berichterstattung arrogant und von orientalistischen, antiarabischen und antimuslimischen Rassismen durchzogen gewesen: “Kritisiert wurde vom hohen Ross herab, mit wenig Offenheit und Respekt für andere Kulturen. An der medialen Resonanz ist unschwer zu erkennen, dass es eindeutig an interkultureller Kompetenz fehlt. Als Bilanz des Turniers steht eins fest: Deutschland muss dazulernen.”

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4. Schikane gegen kritische Nachrichtenseite
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) zeigt sich besorgt über die wirtschaftlichen Attacken auf das in Berlin ansässige vietnamesisch-deutsche Medium thoibao.de auf Facebook und kritisiert die mangelnde Kommunikation des Facebook-Mutterkonzerns Meta. “Wieso kann ein Unternehmen auf Facebook einfach behaupten, Urheber der Videos einer regierungskritischen Seite zu sein und das Geld dafür bekommen? Handelt es sich um politisch motivierten Betrug? Facebook muss den Fall gründlich prüfen und mögliche Sicherheitslücken schließen”, so RoG-Geschäftsführer Christian Mihr.

5. Zeit für eine radikale Reform?
(deutschlandfunk.de, Sina Fröhndrich, Audio: 43:55 Minuten)
Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk werden schon lange ein verschwenderischer Umgang mit Geld, Verfilzung und Parteilichkeit vorgeworfen. Die diversen Skandale dieses Jahres haben die Kritik nicht leiser werden lassen. Wie das System reformiert werden könnte, diskutieren Deutschlandfunk-Intendant Stefan Raue, Tabea Rößner (Grüne) sowie die Journalistin Claudia Tieschky (“SZ”) und der Journalist Björn Staschen (NDR).

6. 66 gute Nachrichten, die 2022 untergegangen sind
(krautreporter.de, Mariya Merkusheva u.a.)
So kurz vor Weihnachten wollen wir uns von Euch mit ein paar positiven Meldungen in die Feiertage verabschieden. Ein “Krautreporter”-Team hat 66 gute Nachrichten zusammengetragen, die hoffnungsvoll klingen und das Jahr positiv ausklingen lassen.

Drogentest bei “Bild”, Missbraucht Bayern das Urheberrecht?, Lobbyfest

1. Staatliche Geodaten: Bayern missbraucht Urheberrecht um Pressefreiheit einzuschränken
(freiheitsrechte.org, Felix Reda)
Gemeinsam mit dem Journalisten Michael Kreil erhebt die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) eine sogenannte negative Feststellungsklage gegen den Freistaat Bayern. Das Land missbrauche das Urheberrecht, um die Pressefreiheit einzuschränken, so der Vorwurf. Das bayerische Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung hatte zuvor Kreil angezeigt, weil dieser einen angeblich urheberrechtlich geschützten Datensatz geografischer Daten im Internet veröffentlicht habe. Die GFF strebe nun eine Grundsatzentscheidung an, die Klarheit darüber verschaffen soll, dass der Staat keine Exklusivrechte an Datensätzen geltend machen kann.

2. Drogentest für Führungskräfte bei Axel-Springer
(sueddeutsche.de)
Wie am 5. Dezember in den “6 vor 9” berichtet, bekommt der aktuelle “Bild”-Chefredakteur Johannes Boie einen neuen Mann beigeordnet, den bisherigen “Focus”-Chefredakteur Robert Schneider. Dieser werde “an Johannes Boie berichten, der unverändert in seiner derzeitigen Position als Chefredakteur und Vorsitzender der ‘Bild’-Chefredaktionen bleibt”, so der Springer-Verlag. Wie nun durch eine Veröffentlichung vom “Spiegel” bekannt wird (nur mit Abo lesbar), muss Schneider einen Drogentest machen, um neuer “Bild”-Chef werden zu können. Dies sei bei Führungspersonen neue Praxis im Springer-Konzern.

3. Einheitliche Regeln für mehr Kontrolle bei ARD und ZDF
(verdi.de)
Die Rundfunkkommission der Bundesländer hat einheitliche Regeln zur Stärkung von Transparenz und Kontrolle beschlossen. Die geplanten Neuregelungen sollen für alle Anstalten der ARD, das ZDF und das Deutschlandradio gelten. Die Regelungsentwürfe würden ab dem 19. Dezember auf der Website der Kommission bereitgestellt und voraussichtlich ein verpflichtendes Compliance-Management-System beinhalten.

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4. Der letzte papierne Schuss…
(facebook.com, Franz Sommerfeld)
Wie in den “6 vor 9” Ende November zu lesen war, erscheint der “Tagesspiegel” jetzt im kleineren Tabloid-Format. Franz Sommerfeld, selbst lange Jahre Chefredakteur von Presseerzeugnissen wie der “Mitteldeutschen Zeitung” und des “Kölner Stadt-Anzeigers”, hat einen kritischen Blick auf den neuen “Tagesspiegel” geworfen. Sein Fazit: “Manches wird sich durch Feinarbeit und wachsende Routine verbessern lassen. Doch die Fixierung aufs Papier hemmt die digitale Entwicklung. Schade.”

5. Digital-Gipfel reines Lobbyfest
(reporter-ohne-grenzen.de)
Das aus fünf Nichtregierungsorganisationen bestehende digitalpolitische Bündnis F5 (Reporter ohne Grenzen, AlgorithmWatch, GFF, Open-Knowledge Foundation und Wikimedia) kritisiert den Digital-Gipfel der Bundesregierung, der vergangene Woche stattfand. Trotz anders lautender vorheriger Versprechungen sei die Zivilgesellschaft nicht ausreichend eingebunden gewesen: “Die Regierung behandelt die digitalpolitische Zivilgesellschaft wie es die GroKo tat: Gerne mal reden – aber strukturelle Einbindung, gleichberechtigte Teilnahme, Mitgestaltung? Fehlanzeige.”

6. Karl-Theodor zu Guttenberg ist wieder da, aber wo – und vor allem: wozu?
(uebermedien.de, Nils Minkmar)
Nach einer längeren medialen Auszeit zieht es den ehemaligen Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zurück in die Öffentlichkeit. Bei RTL hat er gestern – gemeinsam mit Thomas Gottschalk – den RTL-Jahresrückblick moderiert. Und bei RTL+ sowie am heutigen Montag um 20:15 Uhr bei ntv gibt es die Sendung “KT Guttenberg auf den Spuren der Macht – der Fall Putin” zu sehen. Nils Minkmar hat sich den Film angesehen und fragt sich am Ende, was das alles soll.

Unruhe bei “Bild”?, “Systemkritik für Paranoiker”, Überdosis Trash-TV

1. “Bild” kämpft mit “Bild”: “In Auflösung”?
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Bei “Bild” bekommt der aktuelle Chefredakteur Johannes Boie einen neuen Mann beigeordnet, den bisherigen “Focus”-Chefredakteur Robert Schneider. Dieser werde “an Johannes Boie berichten, der unverändert in seiner derzeitigen Position als Chefredakteur und Vorsitzender der ‘Bild’-Chefredaktionen bleibt”, so der Springer-Verlag. Schneider hat einschlägige Boulevard-Erfahrungen, weiß Joachim Huber im “Tagesspiegel” zu berichten: “Der gebürtige Leipziger Schneider fing einst bei der ‘Bild’ an, wurde dort Ressortleiter, ehe er als stellvertretender Chefredakteur für die ‘B.Z’ und die ‘Bild am Sonntag’ arbeitete.” Huber ordnet die Personalie mitsamt ihrer möglichen Auswirkungen ein und überlegt, wie es bei “Bild” weitergehen könnte.

2. Systemkritik für Paranoiker – Verschwörungstheorien operieren mit dem Werkzeug der Aufklärung und stillen die Sehnsucht nach Vereindeutigung in einer komplexen Welt
(nzz.ch, Robert Misik)
“Wahn wird hier zu Aufklärung und Aufklärung zu Wahn.” Der österreichische Journalist und politische Schriftsteller Robert Misik hat einen lesenswerten Essay zu Verschwörungserzählungen verfasst und als Gastkommentar in der “NZZ” veröffentlicht: “Verschwörungstheorien sind auch Formen, mit einer komplexen, unübersichtlichen Welt umzugehen. Was immer geschieht, es lässt sich zumindest erklären. Es gibt Täter, Hintermänner, die die Fäden ziehen. Wer in der realen Welt ‘nicht weiss, wie ihm geschieht’, der weiss in der Phantasiewelt der Konspirationstheorie genau, was geschieht – und wo das Böse sitzt, gegen das vorgegangen werden müsste. Verständlich, dass das attraktiv sein kann.”
Weiterer Lesehinweis, weil es das Medium betrifft: Anzeige gegen NZZ: Redaktion leistet Gratis-Überstunden: “Der Berufsverband Impressum zeigte die NZZ wegen ungenauer Arbeitszeiterfassung an. Nun hat das Arbeitsinspektorat interveniert.” (infosperber.ch, Pascal Sigg)

3. Dürfen Linke Twitter nutzen?
(taz.de, Ulf Schleth)
Bei der “taz” fragt sich Autor und Online-Entwickler Ulf Schleth, ob Linke angesichts der Übernahme durch Elon Musk weiterhin Twitter benutzen sollten. Seiner Meinung nach sollte “die Verantwortung verinnerlicht werden, Inhalte nicht ausschließlich dort zu teilen, wo das Zielpublikum ausgebeutet wird. Sie müssen reichweitenunabhängig auch dort geteilt werden, wo es sich emanzipatorisch vernetzen kann. Das ist zurzeit das Fediverse.”

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4. Damit verbringen junge Menschen ihre Zeit am Smartphone
(spiegel.de)
Laut einer Umfrage eines Marktforschungsinstituts nutzen 80 Prozent der 14- bis 37-Jährigen ihr Smartphone mehr als drei Stunden pro Tag. Ungefähr ein Drittel sei sogar mehr als sechs Stunden täglich am Handy. Die meistbenutzte App bei den 14- bis 25-Jährigen ist TikTok.
Weiterer Lesehinweis: FBI-Chef sieht in TikTok Gefahr für nationale Sicherheit (zeit.de).

5. Überdosis Trash TV: Wird das TV-Publikum Reality-müde?
(dwdl.de, Peer Schader)
Das zunehmende Angebot an Reality-Formaten habe fatale Konsequenzen für die Akzeptanz des Genres im linearen Programm, so “DWDL”-Kolumnist Peer Schader. Er gelangt zu einer ernüchternden Erkenntnis: “Die vergangenen Monate haben ein für alle Mal den Beweis erbracht, dass der Versuch, das Genre ins Positive zu drehen und entsprechende Gegenentwürfe auszuprobieren, als gescheitert bezeichnet werden muss.”

6. Sternstunde des Sportjournalismus: Warum Esther Sedlaczek einen guten WM-Job macht
(rnd.de, Imre Grimm)
Imre Grimm lobt die Arbeit der ARD-Moderatorin Esther Sedlaczek, die unter anderem DFB-Manager Oliver Bierhoff mit für ihn unangenehmen Fragen konfrontierte: “Kein Schmusetext. Kein Schonwaschgang. Die Nation hat Fragen an diesem Abend, und Esther Sedlaczek nimmt sich die Freiheit, sie zu stellen – stellvertretend für ein Publikum, das nach Jahren der Erfolglosigkeit mehrheitlich die Nase voll hat von wachsweichen DFB-Floskeln, vom ausweichenden Polit-Klimbim der Verantwortlichen und den ewigen Ausflüchten.”

“Bild” schrumpft sein TV-Angebot, KI-Pornos, “Mieses Medien-Spiel”

1. 80 Stellen betroffen: Bild TV stellt tägliche Live-Strecken ein
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Was sich vor zwei Wochen bereits abzeichnete (“Bild” will TV-Angebot schrumpfen, spiegel.de), werde nun laut dem Branchendienst “Medieninsider” (nur mit Abo lesbar) zur Gewissheit: Der Springer-Konzern verabschiedet sich anscheinend von seinem Plan, mit “Bild TV” einen Nachrichtensender zu etablieren. Der Ausstieg aus dem Live-Betrieb soll schätzungsweise 80 Personen und deren Stellen betreffen. Der Deutsche Journalisten-Verband hat bereits mit einer Pressemitteilung reagiert und fordert einen sozialverträglichen Stellenabbau: “Springer muss seiner Verantwortung als Arbeitgeber gerecht werden und den betroffenen Kolleginnen und Kollegen alternative Arbeitsplätze im Konzern anbieten”.

2. “Spiegel” nimmt mehrere Beiträge von der Webseite
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz)
Der “Spiegel” habe nach eigenen Angaben mehrere Beiträge zum Todesfall eines fünfjährigen syrischen Flüchtlingsmädchens vorläufig von der eigenen Website entfernt. Stattdessen ist dort ein redaktioneller Hinweis zu lesen: “Mittlerweile gibt es Zweifel an der bisherigen Schilderung der damaligen Geschehnisse. Wir haben daher mehrere Beiträge zu diesem Thema vorläufig von unserer Website entfernt. Wir überprüfen unsere Berichterstattung und entscheiden nach Abschluss der Recherchen, ob die Beiträge gegebenenfalls in korrigierter und aktualisierter Form erneut veröffentlicht werden.”

3. Juso-Vorsitzende und weitere Politikerinnen fordern Vorgehen gegen KI-Pornos
(spiegel.de, Max Hoppenstedt)
Deepfake-Pornografie ist laut Wikipedia ein “Pornografie-Segment, das das durch Computer berechnete Einfügen von Gesichtern realer Personen in pornografische Bilder oder Filme zum Inhalt hat”. Opfer von derartigen Videofälschungen sind oftmals Politikerinnen und Prominente. Wie Max Hoppenstedt berichtet, hätten sich Betroffene an Digitalminister Volker Wissing gewandt und Maßnahmen gegen die Fakes gefordert.

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4. Das miese Medien-Spiel mit der Fußball-WM
(georgstreiter.de)
“Zwölf Jahre nach der skandalösen Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft nach Katar am 2. Dezember 2010 entdecken die Medien, dass die Vergabe ein Skandal war. Dabei ist die Skandal-WM auch ein Medien-Skandal. Vor allem ein öffentlich-rechtlicher.” Georg Streiter über das “miese Medien-Spiel” mit der Fußball-WM.

5. Denkfabriken – nicht immer unabhängig
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 2:50 Minuten)
Denkfabriken beziehzungsweise Thinktanks werden in Medien überraschend oft als Quellen zitiert. Dabei bleibe oft unklar, wie neutral sie wirklich sind und vom wem sie finanziert werden. Es reiche daher nicht, den Namen einer Denkfabrik zu nennen. In der Berichterstattung müsse klar werden, für welche Interessengruppen die jeweilige Organisation stehe, so Annika Schneider im Deutschlandfunk.

6. Social-Media-Benimmkolumne: Wie man sich unmöglich macht – Nonmentions und Snitchtagging
(54books.de, Franziska Reuter)
Franziska Reuter erklärt zwei Kommunikationsphänomene, die typischerweise auf Social Media anzutreffen sind: Die sogenannten Nonmentions und das sogenannte Snitchtagging. Unterhaltsam, anschaulich und lehrreich beschrieben.

Umfrage-Chaos, Twitter-Chaos, Geschönte Bilder vom Eröffnungsspiel

1. Umfrage unter “Bild”-TV-Teilnehmern belegt: Keiner versteht was von Umfragen
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Bei “Bild TV” war man mit einer Umfrage aus dem aktuellen ZDF-“Politbarometer” unzufrieden, nach der Außenministerin Annalena Baerbock derzeit die beliebteste Politikerin des Landes sei, gefolgt von Wirtschaftsminister Robert Habeck, Kanzler Olaf Scholz und Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, zweifelte man pauschal die Umfrage samt ihrer Methodik an. Medienkritiker Stefan Niggemeier erklärt die Grundlagen der Meinungsforschung und schließt mit den Worten: “Man kann über den Sinn und die Methodik all dieser Umfragen streiten. Aber viel billiger und wirkungsvoller ist es natürlich, Leute einfach in ihrem Eindruck zu bestätigen, dass das ZDF irgendwelche hanebüchenen Zahlen veröffentlicht, die im Sinne der Bundesregierung sind und niemand nachvollziehen kann.”

2. Nicht anzusehen
(sueddeutsche.de, Harald Hordych)
Während des Auftaktspiels der Fußball-WM in Katar (Katar vs. Ecuador, Ergebnis: 0:2) verließen die Zuschauer und Zuschauerinnen in Scharen das Stadion. Die Fans der Heimmannschaft hatten offenbar keine Lust mehr auf das Spiel und wollten die Staus zu Spielende vermeiden. Fernsehbilder davon gab es jedoch nicht, dafür zahlreiche Aufnahmen von “siegestrunkenen Ecuadorianern und Jubel-Katarern”. Harald Hordych erklärt, woran das liegt, und welche organisatorische Konstruktion dem zugrunde liegt.

3. Twitter-Chaos: Copyright-geschützte Filme in voller Länge hochgeladen
(derstandard.de, Jonas Heitzer)
Die Massenentlassungen bei Twitter sorgen anscheinend dafür, dass auch das automatische Copyright-Schutzsystem der Plattform nicht mehr richtig funktioniert. Ein User habe den Film “The Fast and the Furious: Tokyo Drift” in voller Länge hochladen können, ohne dass die Videodateien automatisch offline genommen wurden. Der Film sei einen ganzen Tag online geblieben, bis der User – offenbar manuell – gesperrt worden sei.

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4. Woran liegt Journalismusmüdigkeit?
(de.ejo-online.eu, Marlis Prinzing)
Laut einer Studie scheinen junge Frauen nur halb so interessiert an Journalismus zu sein wie Männer. Das müsse Medien, Wissenschaft und Politik aufrütteln, findet Marlis Prinzing: “Gerade mal 5,4 Minuten täglich widmen sich Frauen im Alter von 19 bis 24 Jahren journalistischen Inhalten auf ihrem Smartphone, Männer immerhin fast doppelt so lange – 10,7 Minuten.” Wissenschaft und Medien sollten ergründen, wann die jüngere Generation wie und für welche Themen erreichbar ist, sich engagiert und Journalismus “cool” findet, so Prinzing.

5. “El País” wächst digital
(faz.net, Hans-Christian Rößler)
Die spanische Tageszeitung “El País” kann auf beeindruckende Wachstumszahlen im Digitalen verweisen, berichtet der in Madrid ansässige Auslandskorrespondent der “FAZ”, Hans-Christian Rößler. Einer der Gründe: “Bei ‘El País’ setzt man auf anspruchsvolle Berichterstattung mit einer Redaktion mit mehr als 400 Mitgliedern und einem Korrespondentennetz, das sich im Ukrainekrieg bewährte, in dem spanische Medien von Anfang an mehr Präsenz zeigten als die deutschen.”

6. “DB Mobil” erscheint ab 2023 nicht mehr gedruckt
(dwdl.de, Alexander Krei)
Nach über 20 Jahren verabschiedet sich “DB Mobil”, das Kundenmagazin der Deutschen Bahn, von der Papierform. Wie das Unternehmen mitgeteilt habe, soll “DB Mobil” ab 2023 ausschließlich digital weitergeführt werden.

Goldener Handschlag, Macht der Klischeebilder, Eingeknickter Podcast

1. Goldener Handschlag für Ex-Chefredakteur des rbb
(rbb24.de, Marcus Engert & René Althammer & Jo Goll)
Wie Recherchen von NDR und RBB sowie vertrauliche Dokumente zeigen, gab der RBB seinem scheidenden Chefredakteur Christoph Singelnstein ­einen gut dotierten Beratervertrag mit auf den Weg – zusätzlich zur gesetzlichen Rente und einem lebenslangen Anspruch auf ein jährliches Ruhegeld von mehr als 100.000 Euro. Ein Sprecher des RBB habe auf Anfrage erklärt, man könne sich “zu Vertragseinzelheiten aus vertragsrechtlichen Gründen (Verschwiegenheitsklausel) nicht äußern”.

2. Beschäftigte wehren sich juristisch gegen Kündigungen
(golem.de, Ingo Pakalski)
Alle Twitter-Beschäftigten in Deutschland, die von einer Kündigung durch den neuen Eigentümer Elon Musk betroffen sind, sollen in die Gewerkschaft eingetreten sein. Die Kündigungsschutzklagen würden sie nun mit gewerkschaftlicher Unterstützung führen. Außerdem solle ein Betriebsrat gegründet werden.

3. Wie Behörden, Medien und NGOs Mastodon für sich entdecken
(netzpolitik.org, Sebastian Meineck)
Twitter laufen die Nutzerinnen und Nutzer weg, und selbst Behörden, Medien und NGOs sehen sich nach Alternativen um. Als Ausweichmöglichkeit bietet sich derzeit Mastodon an. Sebastian Meineck erklärt, welche Politiker und Politikerinnen, Institutionen und Akteure der Zivilgesellschaft es bereits dorthin gezogen hat und was bei einem möglichen Umzug zu beachten ist.

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4. Böll-Stiftung nimmt Podcast vom Netz: Eingeknickt vor Anthroposophen
(volksverpetzer.de, Matthias Meisner)
Die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung in Baden-Württemberg und ihre bayerische Schwesterorganisation Petra-Kelly-Stiftung haben einen etwa 45-minütigen Podcast zum Thema Anthroposophie offline genommen. Dem sei eine Intervention der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland vorausgegangen. Matthias Meisner führt aus, worum es bei der Auseinandersetzung im Einzelnen geht.

5. Massive Kritik an Einsparplänen bei der Ostsee-Zeitung
(verdi.de)
Wie die Gewerkschaft ver.di berichtet, soll es bei der “Ostsee-Zeitung” Pläne für größere Einsparungen geben. So soll zum Jahresende der “Ostsee-Anzeiger” eingestellt werden. Außerdem sähen die Sparpläne die Schließung des Druckstandortes, des Anzeigensatzes und der Bildbearbeitung vor. “Die Überrumpelungstaktik, mit der die Unternehmensführung die geplanten Maßnahmen kommuniziert hat, ist zeitlich wie inhaltlich unakzeptabel und wird von uns so nicht hingenommen”, so eine Gewerkschaftsvertreterin.

6. Die Macht der Klischeebilder
(deutschlandfunk.de, Sandro Schroeder, Audio: 28:44 Minuten)
Im Medienpodcast “Nach Redaktionsschluss” geht es um die oftmals klischeebehaftete Bebilderung von Themen wie Rente und Alter. Es diskutieren eine Hörerin des Deutschlandfunks (Dlf), Andi Weiland (freier Fotograf und Projektleiter beim Verein “Sozialhelden”) Tatjana Blobel (Redaktionsleiterin von “Brigitte Wir” und “Brigitte Woman”) und Sandro Schroeder aus der Dlf-Medienredaktion.

“Bild” und “die unwahrscheinliche dritte Möglichkeit”

Die russische Armee hat Polen bombardiert!

So beginnt der Kommentar von “Bild”-Chefredakteur Johannes Boie, den man heute in der gedruckten “Bild” lesen kann und der bereits gestern Abend bei Bild.de erschienen ist. Überschrieben ist er mit “Putin spielt mit dem Weltkrieg”:

Ausriss Bild-Zeitung - Kommentar - Putin spielt mit dem Weltkrieg - von Johannes Boie

Auch die heutige “Bild”-Titelseite lässt wenig Zweifel am Ursprung der Rakete (oder Raketen), die gestern im polnischen Dorf Przewodów eingeschlagen ist und zwei Menschen getötet haben soll:

Ausriss Bild-Titelseite - Nach amerikanischen Angaben - Zwei Tote - Putin feuert Raketen nach Polen - Nationaler Sicherheitsrat einberufen

Genauso deutlich auf Seite 2:

Ausriss Bild-Zeitung - Gezielter Angriff oder verirrte Geschosse? Polen in höchster Alarmbereitschaft - Putin-Raketen auf Nato-Gebiet

Und bei Bild.de hieß es schon gestern Abend eindeutig:

Screenshot Bild.de - Nationaler Sicherheitsrat einberufen - Zwei Tote! Russen-Raketen in Polen eingeschlagen

Heute berichtet Bild.de:

Screenshot Bild.de - Nach Explosion in Polen - Hinweise auf ukrainische Flugabwehrrakete

Denn so klar, wie die “Bild”-Medien es erscheinen ließen, war die Lage gestern Abend nicht. Inzwischen sollen die USA davon ausgehen, dass die Rakete nicht von Russland aus gestartet wurde, sondern dass es sich um eine Flugabwehrrakete handelt, die ukrainische Soldaten abgefeuert haben. Gestern wurde die Ukraine erneut heftig von Russland mit Raketen beschossen. US-Präsident Joe Biden antwortete auf die Frage, ob es zu früh sei, um sagen zu können, ob die Rakete von Russland abgefeuert wurde, dass es vorläufige Informationen gebe, die dagegensprächen. In Anbetracht der Flugbahn der Rakete sei es unwahrscheinlich, dass sie von Russland abgefeuert wurde, so Biden. Der polnische Präsident Andrzej Duda sagte, es gebe keine Beweise dafür, dass die Rakete von Russland abgefeuert wurde. “Höchstwahrscheinlich” stamme sie von der ukrainischen Luftabwehr, so Duda, “absolut nichts deutet darauf hin, dass dies ein absichtlicher Angriff auf Polen war”. Und auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte heute in einer Pressekonferenz, dass die bisherigen Untersuchungen darauf hinweisen, dass es sich um eine Flugabwehrrakete der Ukraine gehandelt hat.

“Bild” und Johannes Boie meinten hingegen, mehr zu wissen.

Auf der heutigen Titelseite hat die Redaktion über ihrer riesigen Überschrift zwar noch klein “NACH AMERIKANISCHEN ANGABEN” geschrieben. Aber das ist ein etwas merkwürdiger Versuch, die Tatsachenbehauptung jemand anderem zuzuschreiben. Es gab durchaus eine Meldung der Nachrichtenagentur AP, in der ein um Anonymität bittender “U.S. official” von russischen Raketen spricht, die nach Polen geflogen seien. Es gab gestern Abend aber auch eine Meldung der Nachrichtenagentur Reuters, in der ein namentlich genannter Sprecher des Pentagon sagt, dass man bislang keine Informationen habe, mit denen man Medienberichte bestätigen könnte, dass es sich um Raketen Russlands handelt.

Einen Hinweis auf “die Nachrichtenagentur AP mit Berufung auf einen US-Geheimdienstbeamten” hat auch Chefredakteur Johannes Boie bei Bild.de noch nachträglich in seinen Kommentar geschrieben. Und nicht nur das. In der Ursprungsversion, die heute auch in der “Bild”-Zeitung zu lesen ist, legt Boie sich fest, dass es sich um “einen bewaffneten Angriff auf Nato-Territorium” handelt, erörtert die politischen Folgen, sollte es sich dabei um ein Versehen Russlands handeln, und schreibt anschließend:

Oder Putin hat die Nato mit Absicht angegriffen. Dann muss das Militärbündnis hart zurückschlagen. Denn die Nato kann ihr Territorium nicht einfach bombardieren lassen, ihre Bürger nicht im russischen Bombenhagel sterben lassen. Putin reagiert nur auf Gewalt.

Der irre Tyrann bringt uns immer näher an einen dritten Weltkrieg.

Inzwischen findet man bei Bild.de an dieser Stelle einen weiteren Absatz. Die Passage lautete nun:

Oder Putin hat die Nato mit Absicht angegriffen. Dann muss das Militärbündnis hart zurückschlagen. Denn die Nato kann ihr Territorium nicht einfach bombardieren lassen, ihre Bürger nicht im russischen Bombenhagel sterben lassen. Putin reagiert nur auf Gewalt.

Sollte die unwahrscheinliche dritte Möglichkeit zutreffen, dass die Explosion die Folge der ukrainischen Flugabwehr war, dann sind – tatsächlich – auch die Russen schuld. Denn sie spielen an der Nato-Grenze mit dem Feuer.

Der irre Tyrann bringt uns immer näher an einen dritten Weltkrieg.

In üblicher “Bild”-Manier fehlt jeglicher Hinweis darauf, dass an dem Text nachträglich etwas verändert wurde.

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Bild.de lässt mögliche Täter-Uhr stehen bleiben

In der Nacht auf den 3. Oktober ist im bayerischen Hohenaschau eine 23-jährige Frau getötet worden. Etwa um 2:30 Uhr soll sie einen Club verlassen und sich auf den Heimweg gemacht haben. Bereits kurz darauf, spätestens um 3 Uhr, soll es zu dem Verbrechen gekommen sein. Die Polizei sucht noch nach Tatverdächtigen und setzt dabei auch auf eine Armbanduhr: Die Beamten fanden ein markantes, überwiegend aus Holz gefertigtes Modell am mutmaßlichen Tatort, das Armband aufgerissen. Ganz in der Nähe lag auch ein Ring, den das Opfer am Abend noch getragen hatte. Ob die Uhr mit der Tat in Verbindung steht, ist nicht klar. Die Polizei sucht aber nach dem Besitzer.

Am Mittwoch waren Fall und Uhr auch Thema in der ZDF-Sendung “Aktenzeichen XY… Ungelöst”. Hans-Peter Butz, Leiter der eingesetzten Sonderkommission, war zu Gast im Studio.

Und dann konnte Bild.de gestern auch noch berichten:

Screenshot Bild.de - Mordfall Hanna bei Aktenzeichen XY ungelöst - Um 2:39 Uhr blieb diese Uhr stehen - Sie wurde in der Nähe des Tatorts gefunden
(Unkenntlichmachung durch uns.)

“Bild”-Reporter Jörg Völkerling schreibt:

Butz im Gespräch mit XY-Moderator Rudi Cerne: “Es ist möglich, dass die Uhr beim Kampf mit dem Täter abgerissen wurde.” Auffällig: Die Zeiger blieben bei 2.39 Uhr stehen!

Das lässt den Zusammenhang von Uhr und Tat noch klarer erscheinen: Die Tatzeit liegt zwischen 2:30 Uhr und 3 Uhr, die Zeiger der gefundenen Armbanduhr sollen laut Bild.de um 2:39 Uhr stehen geblieben sein – Treffer!

Das Problem dabei: Die Uhr ist, anders als von Völkerling behauptet, gar nicht stehen geblieben. Schon in der ZDF-Sendung konnte man auf zwei verschiedenen, eingeblendeten Fotos erkennen, dass sich der Sekundenzeiger zwischen beiden Aufnahmen bewegt hat:

Screenshot Aktenzeichen XY ungelöst - Zu sehen sind zwei verschiedene Fotos der Uhr, auf denen der Sekundenzeiger unterschiedliche Stellungen hat

Auf Nachfrage bestätigte uns ein Sprecher des zuständigen Polizeipräsidiums Oberbayern Süd:

Die Stellung der Zeiger der Uhr spielt, wie wir bereits bei Veröffentlichung der Fotos erwähnt haben, keine Rolle. Die Uhr war zum Zeitpunkt des Fundes funktionstüchtig, lief also. Das Foto entstand am Tag nach dem Fund der Uhr, zufällig zu einer Zeit, die mit der – von Medienvertretern vermuteten – Tatzeit übereinstimmen könnte.

(Hervorhebungen im Original.)

Oder anders gesagt: Die “Bild”-Redaktion stiftet bei einen Verbrechen, bei dem sowieso noch vieles geklärt werden muss, zusätzliche Verwirrung.

Mit Dank an Stefan für den Hinweis!

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