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2. “Ein Haus für die Bewohner des Internets” (faz.net, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier schreibt über den aktuellen Zustand der Axel Springer AG. “Kai Diekmann hat seit einigen Jahren sichtlich den Ehrgeiz, sich mit der ‘Bild’-Zeitung den Respekt der Journalisten-Elite zu erarbeiten; doch trotz aller Recherche-Erfolge bleibt fast jeder seriöse Preis für das Blatt dann doch ein Eklat. Viele Journalisten bei Springer erleben einen großzügigen Arbeitgeber, aber nicht das Gefühl, dass das irgendjemand von außerhalb anerkennt.”
4. “Schlechte Sicht in den Süden” (nzz.ch, Valerie Zaslawski)
Die Nachrichten-Auswahl der westlichen Medien: “Auch nach dem Ende des Kalten Krieges bestimmten weiterhin AFP, Reuters und AP die thematische Struktur der Auslandberichterstattung von Medien weltweit.”
5. “RTL zeigt Reue: Explosiv Weekend vom Partyschiff war nicht ‘sendertauglich'” (wuv.de, Lisa Priller-Gebhardt)
RTL äussert sich zu einer von der Prüfgruppe der Jugendschutzkommission KJM beanstandeten Sendung: “Da gibt es nichts schönzureden. Die Sendung entsprach weder im Themenmix noch in der Bildsprache den internen Vorgaben des Hauses.”
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1. “Veggie Day: Wie man aus alten Fleischabfällen der ‘Bild’-Zeitung Nachrichten macht” (stefan-niggemeier.de)
Vorschläge zur Einführung eines “Veggie Days” sind seit Jahren ein Thema bei den Grünen. Doch nach einem Bericht von “Bild” berichten sehr viele Nachrichtenmedien über einen Punkt aus dem Parteiprogramm, der schon seit Monaten öffentlich ist. “Wenn die Anregung der Grünen, fleischfreie Tage in Kantinen einzuführen, so ein Aufregerthema ist — warum hat es dann niemand vorher in den Beschlüssen von Partei und Bundestagsfraktion entdeckt? Kann ich davon ausgehen, dass in den Redaktionen der Nachrichtenmedien die Wahlprogramme der Parteien nicht gelesen werden?”
2. “‘Bild’ macht Stimmung für Bezahl-Bundesliga” (wuv.de, Franziska Mozart)
Die “Bild”-Titelgeschichte vom 5. August ruft die “Bundesliga-Revolution im Internet!” aus und berichtet über ein eigenes Angebot.
3. “‘Unsere Väter, unsere Mütter, unsere Landser'” (welt.de, Peter Praschl)
Peter Praschl liest den “Landser”, eine Zeitschrift, gegen die das Simon Wiesenthal Center in Los Angeles protestiert und deren Distribution es unterbinden möchte. “Die Bauer Media Group reagierte auf die Vorwürfe des Wiesenthal Centers mit der Beteuerung, sie lege ‘größten Wert darauf, dass weder der Nationalsozialismus verherrlicht, noch Naziverbrechen verharmlost werden’ und dass ‘Der Landser’ ‘im Einklang mit den in Deutschland geltenden Gesetzen’ stehe. Damit hat der Verlag ganz sicher recht. Es existieren keine Gesetze gegen Soldaten-Schmonzetten, und wären Verschweigen und Verdrängung verboten worden, hätte es viele Nachkriegs-Karrieren nie gegeben.”
4. “Jeff Bezos on Post purchase” (washingtonpost.com, Jeff Bezos, englisch)
Amazon-Gründer Jeff Bezos kauft “The Washington Post” für 250 Millionen US-Dollar. An die Angestellten schreibt er: “The Internet is transforming almost every element of the news business: shortening news cycles, eroding long-reliable revenue sources, and enabling new kinds of competition, some of which bear little or no news-gathering costs. There is no map, and charting a path ahead will not be easy. We will need to invent, which means we will need to experiment.”
5. “IT’S OFFICIAL: We Never Need To Worry About The Future Of Journalism Again!” (businessinsider.com, Henry Blodget, englisch)
Henry Blodget beurteilt die von der “New York Times” offengelegten Einnahmen im Digitalgeschäft. “The future of the New York Times print edition–and some of the current New York Times newsroom budget–looks dim. But the future of journalism looks excellent.”
Die Leute von “Bild” sind erleichtert. Denn die langweilige Sommerpause im Fernsehen, die ihnen schon seit Jahren immer wieder schwer zu schaffen macht, neigt sich endlich dem Ende. Jetzt beginnt der “Super-Serien-Sommer”, für den Bild.de (kostenpflichtig) schon mal den “Super-Serien-Planer” ausgepackt hat:
Ganz besonders freuen sie sich dort auf die Fortsetzung von “Breaking Bad”. Nicht nur, weil sie bei der Gelegenheit gleich ein bisschen Werbung für das kostenpflichtige Portal “Bild Movies” machen können, sondern auch aus einem anderen Grund:
Serien-Erfinder Vince Gilligan verriet vorab, dass einige Szenen der fünften Staffel in Deutschland gedreht wurden.
Das hatte Bild.de vor einem Jahr schon mal behauptet, sich dann aber korrigiert, nachdem wir darauf hingewiesen hatten, dass das nicht stimmt: Einige Episoden spielen zwar in Deutschland, gedreht wurden sie aber in den USA. Vince Gilligan hatte in einem Interview sogar ausdrücklich gesagt, dass sie “weder das Geld noch die Zeit” hatten, “um tatsächlich in Deutschland zu drehen”.
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1. “Extrabyte! Extrabyte!” (freitag.de, Jakob Augstein)
Jakob Augstein beschäftigt sich mit den heftigen Reaktionen auf den Verkauf von Zeitungen durch den Axel-Springer-Verlag: “Wie viele von denen, die Springers Ausverkauf kritisierten, fürchten in Wahrheit, dass Mathias Döpfner recht haben könnte? Dass Blätter, mit denen sich heute noch Millionen verdienen lassen, schon übermorgen praktisch wertlos sein könnten. Und damit auch die eigene Arbeit, die eigene Bedeutung, das eigene Leben.”
3. “Qualitätsjournalismus in Amerika” (blogs.faz.net/fazit, Patrick Welter)
FAZ-Wirtschaftskorrespondent Patrick Welter wundert sich, dass US-Journalisten klar und unverblümt berichten, und das in eigener Sache: “Die New-York-Times-Journalisten zitieren dann die Sprecherin des eigenen Verlages, die den Verkaufspreis von 70 Millionen Dollar bestätigt – und ziehen zugleich den Vergleich mit 1993, als die New York Times Company für den Boston Globe 1,1 Milliarden Dollar gezahlt hatte. Als ‘staggering’ – atemberaubend – bezeichnen die Journalisten den Wertverfall.”
4. “Die LousyPennies-Umfrage: Das verdienen Journalisten im Netz” (lousypennies.de, Karsten Lohmeyer)
Die Auswertung einer Leserumfrage zeigt, dass man als Journalist im Netz Geld verdienen kann: “Aber oft ist es nur ein Zubrot. (…) Selbst größere Seiten mit bis zu 75.000 Besuchen im Monat können nicht immer die Umsätze erwirtschaften, die eine Familie zum Leben braucht.”
5. “Penis-Skulptur ist ein Blickfang” (blogs.taz.de, Jan Feddersen)
Rund 500’000 Euro hätte die “taz” schon einnehmen können, wenn sie das Kunstwerk “Friede sei mit Dir” konsequent monetarisiert hätte, rechnet Jan Feddersen aus. “Nach grober Zählung haben nämlich – einerlei ob Sommer, Winter, Frühling oder Herbst – bisher durchschnittlich knapp 400 Personen pro Tag das, sagen wir: Mahnmal fotografiert.”
6. “Meine Akte. Deine Akte.” (stern.de, Holger Witzel)
In seiner Kolumne “Schnauze, Wessi!” denkt Holger Witzel nach über Geheimdienste: “Viele feiern Edward Snowden zwar wie einen Bürgerrechtler, aber gleichzeitig fehlt ihnen noch der Mut, die Dienststellen ihrer Überwachungsbehörden einfach zu besetzen und die Akten selbst zu lesen. Aus der Erfahrung von 1989 kann man nur raten: Macht das!”
Um Menschen in Notsituationen vor den gierigen Blicken anderer zu schützen, versperren Rettungskräfte den Gaffern oft mit Decken oder Tüchern die Sicht.
Vergangene Woche gab es im saarländischen Riegelsberg so einen Fall. Ein stark übergewichtiger Mann musste ins Krankenhaus gebracht werden, doch ein Transport durch das Treppenhaus war nicht möglich. Also wurden Feuerwehr und THW gerufen, die es zuerst mit einer Drehleiter, dann mit einem Kran versuchen wollten, schließlich aber ein Fenster herausbrachen und den Mann mit Hilfe eines Baggers aus seiner Wohnung holten. Die Rettungsaktion dauerte sechs Stunden, Dutzende Helfer waren vor Ort, selbst der Bürgermeister kam zwischendurch mal vorbei, um sich die Sache anzuschauen.
Man kann nur erahnen, wie sich der Patient dabei gefühlt haben muss. Mit nacktem Oberkörper in der Baggerschaufel sitzend, überall Menschen, im Garten ein Krangerüst. Immerhin kamen die erwähnten Decken zum Einsatz, die die Rettungskräfte hochhielten, um den Mann vor den Blicken der Anwohner zu schützen.
Das Problem ist nur, dass auch ein Journalist vor Ort war. Und der hat die Szenen hinter dem Sichtschutz fotografiert und die Fotos dann an die “Bild”-Zeitung verkauft:
Die Männer mit dem Sichtschutz sind in der Print-Ausgabe nicht zu sehen. Online aber schon:
Wir haben bei der Feuerwehr Riegelsberg nachgefragt, warum sie es zugelassen hat, dass der Fotograf — der übrigens auch für die offiziellen Internetseiten der örtlichen Feuerwehr und des THW arbeitet — hinter den Sichtschutz gelangt und dort auch noch fotografiert. Ein Sprecher antwortete uns, es sei “nicht immer möglich, die Pressefotografen an den Einsatzstellen fern- bzw. aufzuhalten.” Der Fotograf sei in diesem Fall “nicht hinter den Sichtschutz gelangt, sondern verschaffte sich von einer erhöhten Position den Blick auf die dargestellte Situation.”
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1. “Die bessere Kommentarkultur: Stärkt die Guten!” (medialdigital.de, Ulrike Langer)
Um eine bessere Kommentarkultur zu erhalten, solle man nicht immer nur über Negativbeispiele reden, sondern die Positivbeispiele stärken. Die meisten Tipps für ein bessere Community-Führung gingen “stark vom Weltbild des unreifen Users aus, der im Zaum gehalten und zu besseren Manieren bekehrt werden muss. Dabei sollte es doch vor allem um jene Nutzer gehen, die von vornherein und von sich aus mit intelligenten und konstruktiven Beiträgen Debatten anregen und damit auch den Journalismus weiterbringen.”
2. “Magazin-Menschen (1): Die Verkäuferin – ‘Gruftis sind wahnsinnig nett'” (kioskforscher.wordpress.com, Markus Böhm)
Ein Interview mit einer 54-jährigen Kioskverkäuferin am Münchner Hauptbahnhof: “Die Fernsehzeitschriften könnten gern abwechslungsreicher sein – optisch unterscheiden die sich doch nur durch die Haarfarbe des Models. Zu häufig auf Titelseiten ist Heidi Klum: Manchmal habe ich das Gefühl, die zieht gleich bei mir ein.”
3. “Ask me Anything zum 10jährigen” (allesaussersport.de, Kai Pahl)
Gründer Kai Pahl beantwortet anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Blogs “Alles Ausser Sport” Fragen der Leser: “Wie viele Fernseher hast Du wirklich?” – “Zuhause eigentlich nur einen, aber zwei Satelliten-Receiver und da der Fernseher Split-Screen kann, kann ich zwei Bilder gleichzeitig sehen. Nach Bedarf kann ich hocheskalieren mit iPad und Laptop. Am Fernseher ist noch ein alter Laptop angeschlossen um ggf. Streams auf den Fernseher zu bringen. Und da die Freundin derzeit in München weilt, habe ich ihren Fernseher auch gleich in mein Zimmer gerollt.”
4. “Der Tag, an dem die Verlage gerettet wurden” (lumma.de)
Nico Lumma befasst sich mit dem seit gestern geltenden Leistungsschutzrecht für Presseverleger: “Das Argument, dass eine strukturelle Schwäche eines Marktes durch das Eingreifen des Gesetzgebers ausgeglichen werden muss, zieht leider immer wieder, vor allem, wenn mit dem Verlust von vielen Arbeitsplätzen gedroht wird. Da haben dann insbesondere die Politiker der Volksparteien CDU/CSU/SPD so einen dermaßen großen Schiss vor der nächsten Wahl, dass sie alles mitmachen. Lieber den nötigen Strukturwandel der Dickschiffe einer Branche durch ein Gesetz etwas herauszögern, als kleineren Marktteilnehmern eine Chance zu geben, aus einer nischigen Position heraus zu wachsen”
5. “Willkommen in der Sackgasse” (zeit.de, Till Kreutzer)
“Für einen Suchdienst, egal ob horizontal oder vertikal”, sei es unmöglich, das Leistungsschutzrecht einzuhalten, schreibt Till Kreutzer. “Schließlich würde das erfordern, für alle Webangebote, die nach der Definition des Leistungsschutzrechtes Presseerzeugnisse sind, Rechte einzuholen. Abgesehen davon, dass es keine zentrale Stelle für die Lizenzierung gibt, dürfte dieser Versuch schon daran scheitern, überhaupt herauszufinden, welche Webseiten unter den Begriff des Presseerzeugnisses fallen. Die einzige Strategie, und das macht die Ironie dieser Gesetzesnovellierung besonders deutlich, ist es, sich um das Leistungsschutzrecht herumzudrücken. Mit anderen Worten: Den Anbietern von Suchdiensten bleibt nichts anderes übrig, als ihre Angebote so zu gestalten, dass sie nicht unter das Gesetz fallen.”
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1. “‘schnell, unbürokratisch und leistungsstark’ — demnächst vielleicht” (wirres.net, Felix Schwenzel)
Heute tritt das Leistungsschutzrecht für Presseverleger in Kraft. Felix Schwenzel wundert sich, “dass die verlegerverbände und die verleger auch nach vier jahren vorbereitungszeit so unvorbereitet vom leistungsschutzrecht getroffen wurden, dass sie ihre maximalforderungen noch für ein paar monate oder jahre auf eis legen und ‘vorerst’ auf ansprüche verzichten und sich weiterhin unentgeldlich bei google news auflisten lassen — oder wie hubert burda das damals nannte, sie lassen sich weiter ‘schleichend enteignen’.”
2. “Schuss ins Knie: Der Schildbürgerstreich Leistungsschutzrecht” (blogs.taz.de/hausblog, Blogwart)
“Es bleibt also alles beim Alten”, bilanziert die “taz” das neue Gesetz – “und man muss kein großer Prophet sein, um vorherzusagen, dass aus dem unter Vorbehalt verkündeten Verzicht auf das Leistungsschutzrecht ein Dauerzustand wird, denn dieses Gesetz war und ist nichts anderes ein Schuss ins Knie.”
4. “‘Verhandle, gottverdammtes Arschloch!'” (blog.tagesanzeiger.ch, Constantin Seibt)
Constantin Seibt rät Journalisten, Honorare nicht einfach zu akzeptieren, sondern sie zu verhandeln: “Auch wenn alle Journalistenschulen der Welt das Gegenteil behaupten: Zum Journalisten wird man nicht per Diplom, sondern per Bankbeleg – sobald jemand für einen Text von Ihnen Geld überweist. Die spannende Frage in allen Jahren danach ist nur noch: Wie viel?”
5. “Hasserfüllte Poster und ahnungslose Journalisten? Eine Replik” (brodnig.org)
Ingrid Brodnig debattiert zu Leserkommentaren auf Zeitungs-Websites: “Medien haben sehr wohl das Recht, die Debatte auf ihrer Seite zu moderieren und Rüpel auszuschließen. Wem das nicht gefällt, der kann an etlichen anderen Orten posten oder sogar sein eigenes Onlinemedium starten. Die Meinungsfreiheit wird nicht gefährdet, wenn man gegen jene vorgeht, die andere beleidigen oder sogar bedrohen.”
Mit der Ironie verhält es sich im Grunde ganz einfach. Entweder sie funktioniert — oder eben nicht. Es kommt immer darauf an, wer einem gerade zuhört.
Nehmen wir als Beispiel die Aussagen von Peer Steinbrück, als er gestern die neue Wahlkampagne der SPD vorstellte.
Das “Handelsblatt” schreibt heute:
Auf die Frage, warum er [Peer Steinbrück] im August sieben Tage lang keine Wahlkampftermine habe, antwortete er gewohnt ironisch: “Da bin ich noch mal eine Woche auf Gran Canaria und lege mich auf die faule Haut.” Er habe das eigentlich bis zum 20. September ausweiten wollen, was Nahles aber nicht zugelassen habe.
Tatsächlich will der SPD-Kanzlerkandidat dann in Berlin sein und etwa für Interviews zur Verfügung stehen.
Bild.de hingegen fasste es so zusammen:
Und eine Stunde später:
Irgendwann hat es dann aber auch Bild.de kapiert:
Die Leser-Abstimmung ist übrigens wieder verschwunden.
Am Nachmittag des 30. Juni klingelte bei Dieter Schroth, dem Lebensgefährten des Modedesigners Harald Glööckler, das Telefon. Der Anrufer war ein Reporter von der “Bild”-Zeitung. Er konfrontierte Schroth damit, dass Harald Glööckler in einen Kokain-Skandal verwickelt sei. Schroth reagierte verdutzt und erklärte, dass dies mit Sicherheit nicht stimme. Er bat den Anrufer, sich an die Presseagentur von Glööckler zu wenden. Doch das tat der Anrufer nicht. Er meldete sich überhaupt nicht mehr.
Stattdessen erschien am nächsten Morgen diese Titelgeschichte:
Nach BILD-Informationen ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft gegen Modezar Harald Glööckler (48). Es geht um den Verdacht von Drogenbesitz – möglicherweise sogar Drogenhandel! […] Der Verdacht: Bei den Lieferungen soll es um mehr als zehn Gramm Kokain gegangen sein.
[…] Ein Zeuge hatte detailliert gesagt, wann und wo der Modedesigner das Kokain gekauft haben soll. […] Glööckler erklärte gestern über seinen Lebensgefährten Dieter Schroth, die Vorwürfe seien “an den Haaren herbeigezogen”.
Noch am selben Tag gab Harald Glööckler eine Pressekonferenz und dementierte die Vorwürfe. Spätestens jetzt stiegen neben den (Noch-)Springer–BlätternauchandereMedien in die Berichterstattung über den “Kokain-Skandal” ein. Und die “Bild”-Zeitung nutzte den von ihr selbst entfachten “Wirbel” gleich für eine weitere Titelgeschichte:
Fast eine komplette Seite widmete “Bild” dem Thema:
Auch am Tag darauf bekam es einen Platz im Blatt:
Bild.de zeigte unterdessen eine Infografik zu den beliebtesten Schmuggel-Routen, listete bekannte Koks-Skandale auf und fragte: “Ist das Glööckler-Imperium in Gefahr?”
Tagelang wurde der “Skandal” ausgeschlachtet. Er sei “DAS Gesprächsthema”, verkündete das Blatt am dritten Tag stolz. Womit es nicht ganz unrecht hatte: Insgesamt zählten Glööcklers Anwälte später etwa 3.000 Medienberichte zu dem Fall – jeder davon beruhte einzig auf den “Enthüllungen” der “Bild”-Zeitung. Denn die Staatsanwaltschaft schwieg.
Zwei Wochen später erklärte das Landgericht Köln die Berichterstattung von “Bild” und Bild.de per einstweiliger Verfügung für unzulässig. Unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro wurde den Springer-Medien verboten, die wesentlichen Aussagen zum angeblichen “Kokain-Skandal” weiter zu veröffentlichen. Bild.de hielt sich daran und löschte alle betreffenden Artikel und Textpassagen.
Mit seiner Entscheidung folgte das Gericht einem Antrag von Glööcklers Anwälten. Die hatten argumentiert, die Berichterstattung sei “insgesamt rechtswidrig, weil sie gegen die höchstrichterlichen Grundsätze der sogenannten Verdachtsberichterstattung” verstoße.
In der Tat gelten in solchen Fällen besonders strenge Regeln für Journalisten. Um über angebliche Straftaten berichten zu dürfen, müssen zunächst ausreichende Verdachtsmomente vorliegen. Der Bundesgerichtshof verlangt daher einen “Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen.” Ein solcher Mindestbestand liegt zum Beispiel vor, wenn ein Haftbefehl erlassen worden ist oder die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hat. Die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens genügt in der Regel jedoch nicht, um eine Berichterstattung zu rechtfertigen.
Im Fall Glööckler gab es weder einen Haftbefehl noch eine Anklage, sondern lediglich ein Ermittlungsverfahren, das auf einer anonymen Anzeige beruhte. Schon aus diesem Grund hätte die “Bild”-Zeitung nach Ansicht von Glööcklers Anwälten nicht über das Ermittlungsverfahren berichten dürfen. Dass sie es dennoch getan hat, sei eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Außerdem habe der Reporter dem Beschuldigten “keine hinreichende Möglichkeit” eingeräumt, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Der Reporter habe weder mit der Presseagentur noch mit dem Management noch mit Glööckler selbst gesprochen. Stattdessen habe man Glööcklers Lebensgefährten an einem Sonntagnachmittag mit den Vorwürfen überrumpelt, nicht mal 24 Stunden vor der geplanten Veröffentlichung. Der Reporter habe mit unterdrückter Nummer angerufen und Angaben gemacht, die sich im Nachhinein zum Teil als nachweislich falsch herausgestellt hätten.
Auch die Berichterstattung von “Bild” und Bild.de sei “in wesentlichen Teilen unwahr”, heißt es im Antrag auf die einstweilige Verfügung:
So befindet sich in der gesamten Strafakte kein einziger Hinweis darauf, dass es um größere Mengen von “mehr als zehn Gramm Kokain” gehen […] soll. Ebenso falsch ist der mehrfach geäußerte Verdacht, dass es in dem Verfahren […] auch um Handel mit der Droge ging.
Tatsächlich zeigten sich selbst die Ermittlungsbehörden überrascht von den Erkenntnissen, über die die Reporter angeblich verfügten: In einem Vermerk schrieb die ermittelnde Kriminalkommissarin, es sei “unbekannt”, woher “die Informationen der BILD-Zeitung stammen”. In dem anonymen Anzeigenschreiben seien die “Angaben über die Menge, die Zeit sowie den Ort des Erwerbs” jedenfalls nicht enthalten.
In der vergangenen Woche stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen Harald Glööckler mangels Tatverdacht schließlich ein.
Glööckler teilte am Montag mit, er wolle auch weiterhin gegen die Springer-Medien vorgehen. Der “angebliche Kokain-Skandal” sei “in Wirklichkeit ein Medien-Skandal”. Sein Anwalt Christian-Oliver Moser kündigte an, Schadenersatz in einer “historischen Höhe” zu fordern und “notfalls bis zur höchsten europäischen Instanz” zu gehen.
Es geht uns darum, die bewusst in Kauf genommene wirtschaftliche und soziale Vernichtung von Existenzen zugunsten der verkauften Auflage endlich gestoppt wird. Das funktioniert aber nur, wenn die wirtschaftlichen Folgen eines derartigen Rufmordes auch für einen der größten Verlage Europas tatsächlich spürbar sind.
Und schon jetzt zeigt die Ankündigung offenbar Wirkung: Die “Bild”-Zeitung berichtete gestern über die Einstellung des Verfahrens genauso prominent wie über dessen Eröffnung:
PS: Die “Rheinische Post” hat vergangene Woche in der Düsseldorfer Print-Ausgabe und online eine Gegendarstellung veröffentlicht:
In der “Rheinischen Post” vom 08.07.2013, Seite 8, verbreiten Sie unter der Überschrift “Harald Glööckler lässt in Düsseldorf bitten” im Zusammenhang mit einer Berichterstattung über meinen PR-Auftritt auf der Messe “Little Gallery” am 07.07.2013 über mich Folgendes:
“Glööckler (…) sprach von Verleumdung durch die ‘Bild’-Zeitung, der er in Düsseldorf vor der Veranstaltung ein Exklusiv-Interview gewährte.”
Hierzu stelle ich fest: Ich habe der “Bild” kein Interview gegeben.
Harald Glööckler
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2. “Genau das, was wir wollen” (faz.net, Harald Staun)
Harald Staun stellt Netflix vor: “Spätestens seit die Juroren der Academy of Television Arts & Sciences die künstlerischen Ambitionen des Dienstes vergangene Woche mit 14 Emmy-Nominierungen honoriert haben (davon alleine neun für die Politserie ‘House of Cards’), googeln sich die Zuschauer in Deutschland die Finger nach Anleitungen wund, die erklären, mit welchen Tricks sie ihr Geld an das Unternehmen und die Filme auf ihren Laptop oder iPad bringen können.”
3. “Das Leistungsschutzrecht ist ein Schuss ins Knie” (cicero.de, Christian Jakubetz)
Das ab morgen Donnerstag geltende Leistungsschutzrecht für Presseverleger: “Google? Wird keinen einzigen User verlieren, weil die ‘Saarbrücker Zeitung’ nicht mehr in Google News vertreten ist. Die ‘Saarbrücker Zeitung’? Bekommt keinen einzigen Nutzer und keinen Cent Erlöse mehr dadurch (eher im Gegenteil, die Reichweite wird sinken). Die Autoren und Urheber? Haben keinen einzigen Cent mehr in der Tasche. Dazu kommt Rechtsunsicherheit.”
4. “Keine Nächte voller Sorge” (topfvollgold.de, Mats Schoenauer)
Eine Gegendarstellung von Karl-Theodor und Stephanie zu Guttenberg auf der Titelseite der Zeitschrift “Das Neue”.
6. “Life Of A Stranger Who Stole My Phone” (lifeofastrangerwhostolemyphone.tumblr.com, englisch)
Ein auf Ibiza gestohlenes Mobiltelefon lädt über eine noch immer eingerichtete Upload-Funktion Fotos automatisch auf Dropbox. Der ehemalige Besitzer teilt die Schnappschüsse mit der ganzen Welt.