iPhone 6, Report Mainz, Profimeinungskommentare

1. “SPIEGEL Online und der Phantom-Konvoi – Hysterie, Lügen und Heuchelei”
(nachdenkseiten.de, Jens Berger)
Die “Spiegel-Online”-Schlagzeile “Ukrainische Truppen greifen russischen Konvoi an” in der Analyse: “Man spekuliert munter drauf los, überprüft Nachrichten nicht auf deren Wahrheitsgehalt, verbreitet mutwillig Hysterie und schürt damit das Feuer, aus dem ein Krieg zwischen West und Ost entfachen könnte.”

2. “Angebliche Gerichtsaffäre wird zur Petitesse”
(mainpost.de, Manfred Schweidler)
Ein Blick zurück auf die Auswirkungen des Berichts “Verdacht auf Parteilichkeit und Vetternwirtschaft bei Bußgeldvergabe” des ARD-Politmagazins “Report Mainz”: “Eine Reihe von Opfern blieb zurück – und nicht zuletzt ein Stück journalistischer Glaubwürdigkeit. Nur wenige Schlagzeilen-Formulierer kamen später zu der Einsicht: Der Richter hatte vielleicht ein wenig unbekümmert Bußgelder vergeben, was zu einem falschen Eindruck führen konnte. Aber von Mauschelei konnte nie die Rede sein.”

3. “BILD Plus und das Geschaeft mit ‘exklusiven Fotos’ eines Fakes des iPhone 6”
(mobilegeeks.de, Sascha Pallenberg)
Fotos hinter der “Bild-Plus”-Paywall, die angeblich ein Apple iPhone 6 zeigen: “Es handelt sich bei all diesen vermeintlichen Fotos des echten iPhone 6 um immer wieder die gleichen Modelle eines Fakes auf Android Basis, den man bereits seit Wochen auf Aliexpress.com bestellen kann.”

4. “Bomben auf Gaza: Ohne deutsche Medien – Jung & Naiv in Israel: Folge 192”
(youtube.com, Video, 40:17 Minuten)
Im Interview mit Tilo Jung fragt sich der freie Journalist Martin Lejeune, der die Bombardierungen des Gazastreifens durch die israelische Armee bei einer Familie dort erlebt hatte, warum öffentlich-rechtliche Medien in Deutschland kaum mit ihm zusammenarbeiten wollen. Zur Sprache kommt auch die Frage nach seiner Unabhängigkeit.

5. “Krude, kruder, am krudesten”
(taz.de, Deniz Yücel)
Deniz Yücel gibt Tipps, wie man einen “Profimeinungskommentar” verfasst.

6. “Was für ein Pech mit dem Wetter! Ein PR-Trip des FC Bayern München im Live-Ticker”
(funkkorrespondenz.kim-info.de)

Bullshit im Sekundentakt

FOCUS Online ist eines der erfolgreichsten Online-Nachrichtenmedien in Deutschland. Mit schnellen Nachrichten und präzisen Analysen ist das Portal eine feste Adresse für Qualitätsjournalismus im Netz. FOCUS Online steht für hervorragenden Nachrichtenjournalismus.

(Zitat der Tomorrow Focus AG.)

Mein persönlicher Rekord im Surfen auf “Focus Online” liegt bei etwa zehn Minuten. Länger halte ich es da nicht aus.

“Focus Online” ist der Ein-Euro-Laden des deutschen Journalismus. Die ramschige Resterampe, auf der man alles findet, was selbst Klickfängern wie Bild.de zu billig war. “Focus Online” haut alles raus. Raus, raus, raus, irgendwer wird schon draufklicken.

Gerade bei medialen Großereignissen setzt “Focus Online” — hartnäckig wie kaum ein Medium sonst — auf die So-viel-wie-geht-Taktik.

Anfang vergangenen Jahres, nach dem Amoklauf im US-amerikanischen Newtown, veröffentlichte “Focus Online” in der ersten Woche nach der Tat 45 Artikel — nicht mal Bild.de hatte mehr zu bieten. Und dann diese Schlagzeilen: “Mutter des Amokläufers hatte Angst vor dem Weltuntergang”. “Schulkrankenschwester sah den Killer auf sich zukommen”. “Amokläufer nannte seine Mutter nur ‘Excuse Me'”. Solcher Quatsch, permanent.

Oder dieser unfassbare Live-Ticker zum Gesundheitszustand von Michael Schumacher, in dem dann verkündet wurde, dass der Verkäufer des Krankenhauskiosks nichts dazu wisse. Niemand sonst blies so lange und so ambitioniert irgendwelche Schumacher-Gerüchtefetzen in die Welt wie “Focus Online”.

Oder auch jetzt, nach dem Tod von Robin Williams. Allein in den ersten vier Tagen hat das Portal über 70 (!) Artikel dazu veröffentlicht:

  • Robin Williams stirbt im Alter von 63 Jahren
  • Fans trauern in Hollywood
  • Tod von Robin Williams
  • Schock und Trauer in Hollywood
  • Die Welt trauert um einen ihrer größten Schauspieler: Robin Williams ist tot
  • Robin Williams ist tot
  • Hollywood-Star Robin Williams ist tot
  • Williams’ langer Kampf gegen Alkohol und Depressionen
  • So emotional nehmen Freunde und Kollegen Abschied von Robin Williams
  • “Wir haben dich geliebt”: So trauert Hollywood um Robin Williams
  • Islamisten verhöhnen toten Schauspieler Robin Williams
  • Seine Tochter Zelda schreibt den wohl berührendsten Tweet
  • Sein letzter Tweet galt seiner Tochter
  • Zelda Williams’ rührender Abschieds-Tweet an ihren Vater
  • Sah Robin Williams den Suizid als letzten Ausweg?
  • Oscar-Academy verabschiedet sich mit herzzerreißendem Tweet von Robin Williams
  • Zitate zum Tod von Robin Williams
  • Video: Hollywood trauert um Robin Williams
  • Robin Williams – “Erfolg schützt nicht vor Depressionen”
  • Fragen und Antworten: “Erfolg schützt nicht vor Depressionen”
  • Warum wollte Robin Williams nicht mehr leben?
  • Williams hinterließ vier unfertige Filmprojekte
  • Fernsehsender ändern zum Tod von Robin Williams ihr Programm
  • Mehrere Fernsehsender ändern ihr Programm
  • Der Clown, der uns zum Weinen brachte: Robin Williams
  • Hintergrund: Seine wichtigsten Rollen
  • Dieses Grimassen-Gesicht werden wir vermissen!
  • Auf Tischen stehend: So nimmt das Netz Abschied von Robin Williams
  • Robin Williams und seine Susan – Ende einer großen Liebe
  • Oscar-Preisträger Robin Williams ist tot
  • Robin Williams – sein großes Leben in Bildern
  • Internet-Verwechslung von Robin und Robbie Williams
  • Fans verwechseln Robin und Robbie Williams
  • Robin Williams hat […]
  • Tod von Robin Williams erschüttert Hollywood
  • Tod von Robin Williams – Polizei schließt Fremdverschulden aus
  • Tod von Robin Williams: Polizei sieht kein Fremdverschulden
  • “Tagesthemen” ehren Williams mit “Dichter”-Anmoderation
  • ‘Hannoversche Allgemeine Zeitung’ zu Robin Williams
  • So fand sein Assistent den toten Robin Williams
  • “Robin Williams hatte das Bedürfnis, alle in Schenkelklopf-Ekstase zu versetzen”
  • Jetzt sprechen Robin Williams’ Kinder
  • Matt Damon: “Ich werde Robin Williams nie vergessen”
  • “Auf meinem Grabstein wird 1951-2014 stehen”
  • So moderierte Miosga die “Tagesthemen” für Williams auf dem Tisch
  • “O Captain! My Captain!” wird zum Twitter-Trend
  • So sorgte Robin Williams für seine Kinder vor
  • Pharell Williams trauert um Robin Williams
  • Die ergreifende Trauer seiner Kinder
  • Antisemitische Posts zum Tod von Robin Williams: Verroht das Internet?
  • Weltweit Betroffenheit nach Tod von Robin Williams
  • Robin Williams wird in “World of Warcraft” verewigt
  • “Was schuldet man einem derartigen Menschen? Alles!”
  • Robin Williams war kurz vor seinem Tod bei der Suchtberatung
  • Michael Mittermeier: “Wir machen mit einem Bruchteil seiner Möglichkeiten Comedy”
  • Abschied von Robin Williams: “Der Soldat hat die Waffen niedergelegt”
  • Wie Robin Williams’ Gorilla-Freundin trauert
  • Wurde Robin Williams am Set von “The Crazy Ones” rückfällig?
  • Kurz vor seinem Tod war Williams bei der Suchtberatung
  • Was dann folgte, war einmalig in meiner Laufbahn…
  • Twitter will auf Belästigung von Williams’ Tochter reagieren
  • Das Netz diskutiert: Durfte Miosga auf den Tisch steigen?
  • Darum stieg Caren Miosga auf den “Tagesthemen”-Tisch
  • Video: Broadway knipst für Robin Williams Lichter aus
  • Robin Williams litt an Parkinson im Frühstadium
  • Ehefrau: Robin Williams litt an Parkinson
  • Ehefrau offenbart: Robin Williams hatte Parkinson
  • Robin Williams hatte Parkinson: Das emotionale Statement seiner Frau im Wortlaut
  • Warum zerbrechen so viele Stars am Ruhm?
  • Robin Williams litt an Parkinson
  • User zwingen Zelda Williams, Twitter-Account zu löschen
  • (Details zu den Begleitumständen haben wir rausgekürzt.)

    Vieles davon ist Agenturmaterial, oft zusammengeschwafelt von “Spot on”, der von der dapd gegründeten Promi-Klatsch-Agentur. Aber auch solche Artikel werden auf der Startseite von “Focus Online” mitunter angeteasert wie eigene Beiträge:

    Jetzt mal ehrlich. Ein Gorilla, der den Schauspieler vor 13 Jahren mal getroffen … Als Nachricht? Auf der Startseite?

    Aber das ist das redaktionelle Konzept von “Focus Online”. Und es scheint zu funktionieren — die Williams-Artikel, egal wie bescheuert, zählten in den vergangenen Tagen immer zu den meistgelesenen auf “Focus Online”.

    Da juckt es dann auch niemanden, dass einige “News” gleich doppelt und dreifach veröffentlicht werden. Etwa die, dass Williams an Parkinson gelitten haben soll: Dazu gab es bei “Focus Online” einen Artikel von der dpa, einen von “Spot on”, einen eigenen Beitrag, noch einen von der dpa, ein Video sowie “das emotionale Statement” von Williams’ Witwe im Wortlaut.

    Bei dieser Artikelflut verlieren selbst die, die sie verantworten, den Überblick. Da kann es dann auch mal passieren, dass es zuerst heißt, der Tweet von Williams’ Tochter sei der “wohl berührendste Tweet des Jahres” — und nur drei Stunden später wird der Tweet der Oscar-Academy zum “emotionalsten” und “wahrscheinlich herzzerreißensten” Tweet hochstilisiert. Ein banales Beispiel zwar, aber bezeichnend dafür, wie “Focus Online” mit der gedankenlosen Raushau-Taktik auch noch den Rest der eigenen Seriosität aufs Spiel setzt.

    Der Veröffentlichungswahn macht aber nicht nur anfällig für Widersprüche und Ungenauigkeiten. Gerade im aktuellen Fall widerspricht das Dauerfeuer der Berichterstattung eben genau dem, was Medienforscher bei Suiziden von Prominenten immer wieder fordern: Zurückhaltung.

    “Focus Online” hält sich nicht zurück. “Focus Online” arbeitet stattdessen, wie andere auch, eifrig daran, die Selbstmordrate in die Höhe zu treiben. Das Portal berichtet sehr prominent, sehr detailliert und sehr emotional über den Suizid und missachtet (nicht nur) damit die wichtigen Richtlinien zur Verhinderung von Nachahmungstaten.

    Dass “Focus Online” und andere Medien die Berichte um Williams’ Tod ganz selbstverständlich mit Werbung zuballern, ist dabei noch das geringste Übel:

    “Focus Online” setzt auf Masse. Auf Emotionalisierung, Skandalisierung und Buzzfeedisierung — und ähnelt immer mehr dem, was “Bild” und andere Schundmedien in ihren Online-Portalen veranstalten. Nur dass die Leute von “Focus Online” immer noch so tun, als gebe es bei ihnen “Qualitätsjournalismus im Sekundentakt”.

    Mit Dank auch an Karl-Heinz U.

Rügen, Thomas Helmer, Ignoranzallianz

1. “Jede vierte Rüge des Presserats betraf ‘Bild'”
(ndr.de, Fiete Stegers)
Fiete Stegers wertet Rügen des Deutschen Presserats aus: “Mit 157 Rügen seit 1986 liegen Deutschlands auflagenstärkste Zeitung und ihre Ableger unübersehbar vorn. (…) Im Auswertungszeitraum gab es nur 1989 und 1990 keine Rüge für einen ‘Bild’-Titel. In fast jedem anderen Jahr war ‘Bild’ dagegen negativer Spitzenreiter und kassierte manchmal mehr als 40 Prozent der insgesamt ausgesprochenen Rügen.”

2. “‘Jetzt kann ich die blöden Fragen selbst stellen, statt sie beantworten zu müssen'”
(abzv.de, Mario Müller-Dofel)
Thomas Helmer berichtet von seinen Erfahrungen mit “Bild” und “Spiegel”: “Der Spiegel-Beitrag war leider die größte Fehleinschätzung, die ich je über mich lesen musste. Da wurden zum Beispiel Aussagen von mir verdreht und in falschen Kontexten zitiert, sodass sie nachteilhaft für mich waren. Und es wurden stilistische Mittel benutzt, um Thesen zu belegen, die nur der subjektiven Sicht des Journalisten entsprachen, ohne meine Sicht der Dinge ausgewogen einzubeziehen.”

3. “Stellungnahme der Redaktion”
(daserste.de)
Eine Stellungnahme zur vielfältigen Kritik (“mehrere Tausend Briefe, Mails und Anrufe”) an der Sendung “Mission unter falscher Flagge – Radikale Christen in Deutschland” (daserste.de, Video, 43:20 Minuten).

4. “Die Presse echauffiert sich”
(opalkatze.wordpress.com, Vera Bunse)
Vera Bunse nennt die Reaktion auf die Vorwürfe an die deutsche Presse, sie sei “gleichgeschaltet”, “eine wahre Ignoranzallianz”: “Hinter scheinbar unsachlichem Meckern vermuten die Beleidigten nicht einmal begründete Kritik. Den ernsten Hintergrund nehmen sie nicht wahr.”

5. “Verletzte Gefühle”
(wahrheitueberwahrheit.blogspot.de, Thomas Steinschneider)
Wie steht es um den Vorwurf, “deutsche Journalisten beteiligten sich an einem Propagandafeldzug”? Thomas Steinschneider prüft “drei kleine Einzelfälle”: “Menschen, bei denen davon auszugehen ist, daß sie bei einem tragischen Versehen ums Leben gekommen sind, wurden laut Spiegel also ‘ermordet’. Menschen, bei denen davon auszugehen ist, daß sie ermordet wurden, sind laut Tagesschau ‘ums Leben gekommen’. Und eine ‘unstreitig demokratisch legitimierte’ Regierung ist in der Tagesschau auch mal ein ‘Regime’.”

6. “Wer beim Tagesspiegel die Befehle erteilt”
(tagesspiegel.de, Johannes Schneider)
Johannes Schneider skizziert “einen hyperrealistischen Tagesablauf” der “Tagesspiegel”-Redaktion, “für alle Verschwörungsfans”.

Kriegsbilder, Stringer, Martin Lejeune

1. “Manipulierte Kriegsfotos: Bilder, die lügen”
(spiegel.de, Leon Scherfig und Philipp Löwe)
Gefälschte Kriegsbilder im Netz: “Drastische Bilder machen bei Twitter und Facebook die Runde. Aber dieser Krieg im Netz wird von beiden Seiten mit oft unsauberen Mitteln geführt – es wird gefälscht und gemogelt.”

2. “Können wir diese Bilder sehen – und nichts tun?”
(handelsblatt.com, Maike Freund)
Und echte Kriegsbilder im Netz: “Die Bilder sind echt, denn echte Menschen werden hingerichtet. Und sie sind trotzdem Propaganda, weil sie ein Ziel verfolgen, das des IS. Wie viel politische Macht in Bildern stecken kann, ist spätestens seit dem 11. September 2001 klar, der die Welt veränderte. Experte El Difraoui ist sich sicher, dass auch die Terrorbilder des Islamischen Staats diese politische Macht haben.”

3. “Gefährlicher Einsatz im Kriegsgebiet”
(ostpol.de, André Eichhofer)
Ein Bericht über Stringer in der Ostukraine, die Gefahr laufen, entführt zu werden. “Zeitungen und Agenturen zahlen rund 100 US-Dollar pro Tag, TV-Sender etwas mehr.”

4. “Was ist los in Gaza? – Jung & Naiv in Israel: Folge 187”
(youtube.com, Video, 68:15 Minuten)
Tilo Jung spricht mit Journalist Martin Lejeune, der während der Bombardierung des Gazastreifens durch die israelische Armee mehrere Wochen bei einer lokalen Familie verbracht hat.

5. “Sind wir Kriegstreiber?”
(cicero.de, Petra Sorge)
In einem Stück zur Glaubwürdigkeit der deutschen Presse berichtet Petra Sorge auch von einer Debatte über die Unabhängigkeit von Martin Lejeune: “Dass sich die Debatte um journalistische Unabhängigkeit an einem freien Journalisten Bahn bricht, der unter Einsatz seines Lebens von der Front berichtet, während auf der anderen Seite gut verdienende Festangestellte der Zeit gegen eine ZDF-Satire klagen, weil sie um ihren journalistischen Ruf fürchten, muss doch einige Medienkonsumenten zweifeln lassen.”

6. “Jeder Satz ein Seufzer”
(operation-harakiri.de, Ralf Heimann)
Die Zukunft der Zeitung: “Man kann ja versuchsweise mal die eigene Zeitung durchblättern und sich die Frage stellen, auf was man wirklich nicht verzichten möchte. Die Pressemitteilungen von Stadt und Polizei, die Nachrichten der Vereine, die Termine – um das zu veröffentlichen, braucht man keine Journalisten. Wirklich wichtig ist nur ein kleiner Teil. Und um den herzustellen, bräuchte man einen Computer und ein paar Leute. Tatsächlich aber sind riesengroße Organisationen damit beschäftigt, Nachrichten und PR-Text auf Papier zu drucken und in der Stadt zu verteilen.” Siehe dazu auch “Wann wird die letzte Zeitung gedruckt?” (watson.ch, Philipp Löpfe).

Quatsch-Umfragen, Drohnen, Propaganda

1. “Ranking-Schummelei in Dritten Programmen”
(ndr.de, Video, 6:20 Minuten)
Online-Umfragen zu Hitlisten-Sendungen wurden von Redaktionen im NDR, im WDR, im HR und im RBB nach Gutdünken verändert. Die NDR-Sendung “Zapp” fasst die aktuelle Lage zusammen. Siehe dazu auch “Die Letzten werden die Ersten sein. Oder irgendwas dazwischen” und “Ranking-Shows: Die traurigsten Klickzahlen des Nordens” (stefan-niggemeier.de) sowie “Das Ranking der absurdesten Rankingshow-Manipulationen” (meedia.de, Jens Schröder).

2. “Hauptsache billig: Wie egal ist euch euer Programm?”
(dwdl.de, Alexander Krei)
Alexander Krei fragt zu den Ranking-Manipulationen: “Wie wurscht kann einem das eigene Programm sein, wenn trotzdem immer und immer wieder neue Quatsch-Umfragen zum Klicken freigegeben werden? Da passt es gut ins Bild, dass WDR und NDR selbst jetzt nicht an eine Einstellung ihrer Rankingshows denken, sondern allenfalls die Methode überarbeiten möchten.”

3. “Was darf ein Drohnenjournalist?”
(irights.info, Ramak Molavi)
“Die Nutzung von Drohnen ist bereits weitgehend reguliert”, schreibt Ramak Molavi zur journalistischen Nutzung von Drohnen in Deutschland: “Gewerbliche Nutzer – damit sind alle Nutzer gemeint, die keinen Aufstieg zu Sport- oder Freizeitzwecken planen – brauchen immer eine Aufstiegserlaubnis.”

4. “Medien: Plädoyer gegen die Propaganda-Universen”
(publixphere.de, Emil)
Emil wünscht sich von den Medien “nach allen Seiten schonungslose Recherche”, “die gute alte Richtigstellung”, eine “Trennung zwischen Nachrichten und Kommentaren” sowie eine “Kenntlichmachung von möglichen Interessenkonflikten”.

5. “Die Offenbarungen des Krieges”
(ad-sinistram.blogspot.de, Roberto De Lapuente)
Roberto De Lapuente stört sich an den unzureichenden Fakten, die der Journalismus zur Lage in Kriegsgebieten produziert: “Eine zufriedenstellende publizistische Lösung dieses Dilemmas wird es nicht geben. Im Krieg ist der Berichterstatter immer jemand, der etwas erzählen soll, wovon er nur randständig etwas wissen kann. So richtig im Geschehen ist er natürlich nicht. Niemand weiß in einem solchen Szenario ganz genau, was gerade vor sich geht.”

6. “Gaza inmitten von Parolen und Tränen”
(heute.de, Stephan Hallmann)
Stephan Hallmann denkt nach über Propaganda im Nahost-Konflikt: “Israelis wie Palästinenser haben keine andere Wahl, sie müssen lernen, über diesen jahrzehntelangen blutigen Schatten zu springen und sich gegenseitig zu akzeptieren: Die Existenz des Staates Israel ebenso wie das Existenzrecht des palästinensischen Volkes in einem eigenen, unabhängigen Staat.”

Gefährlicher Journalismus

Journalisten sollten den Werther-Effekt kennen. Jene Tatsache also, dass sich mehr Menschen das Leben nehmen, wenn zuvor ausführlich über einen Suizid berichtet wurde. Dieser Effekt ist schon in vielen Untersuchungen bestätigt worden: Je länger und prominenter über einen Suizid berichtet wurde, desto größer war der folgende Anstieg der Selbstmordrate.

Darum fordern viele Institutionen — darunter der Deutsche Presserat, die Weltgesundheitsorganisation und die Deutsche Depressionshilfe –, dass Medien zurückhaltend über Suizide berichten sollen. Insbesondere dann, wenn es sich um einen Prominenten handelt.

Journalisten wissen also, dass sie eine große Verantwortung tragen, wenn sie über solche Fälle berichten. Dass sie ganz genau abwägen sollten, was und wie sie berichten — weil sie im schlimmsten Fall dazu beitragen könnten, dass sich Menschen das Leben nehmen.

Doch vielen scheint das egal zu sein.

Nach dem Tod von Robert Enke hatten etliche Medien tagelang ohne jede Rücksicht über dessen Suizid berichtet. Die Zahl der Selbsttötungen stieg daraufhin massiv an. „In Anbetracht früherer Befunde zum Werther-Effekt scheint sich dieser Zusammenhang ohne Einfluss der Medienberichterstattung kaum zu erklären“, schrieben Kommunikationswissenschaftler der Uni Mainz später in einer Analyse der Enke-Berichterstattung. Auch sie kamen zu dem Ergebnis, dass sich in der Berichterstattung über Selbstmorde einiges ändern muss, um Nachahmungstaten zu verhindern.

Nur leider ist das vielen Journalisten immer noch egal.

Gestern wurde bekannt, dass sich der Schauspieler Robin Williams das Leben genommen hat.

Genügt das nicht schon an Informationen? Ist es für das Verständnis dieses Ereignisses wirklich erforderlich zu erfahren, wo, wie und womit er sich umgebracht hat, was er dabei anhatte, wie er aufgefunden wurde? Reicht es nicht, wenn die Leser erfahren, dass es ein Suizid war?

Offenbar nicht:




Viele Überschriften wollen wir gar nicht zitieren, weil sie einzig aus der Beschreibung der Suizidmethode bestehen. Und es sind nicht nur die Boulevardmedien, die ausführlich auf die “traurigen Details seiner letzten Minuten” eingehen. Beschrieben werden die Begleitumstände unter anderem bei den Agenturen AFP und AP, in der “Berliner Morgenpost”, im “Südkurier”, im “Express”, bei “RP Online”, “Focus Online” und der “Huffington Post”, auf den Internetseiten der “Tagesschau”, der “Welt”, der “FAZ”, der “Deutschen Welle”, der “tz”, des “Hamburger Abendblatts”, der “Mopo”, der “Gala”, der “Bunten”, der “inTouch”, von N24, RTL, der österreichischen “Krone”, dem Schweizer “Blick” und vielen, vielen mehr.

Aber es gibt zum Glück auch positive Entwicklungen. Ein paar Medien halten sich tatsächlich zurück, etwa die dpa, die nicht auf die Begleitumstände von Williams’ Tod eingegangen ist. Eine bewusste Entscheidung, wie uns dpa-Sprecher Christian Röwekamp auf Anfrage mitteilte. Es habe “intensive Gespräche” gebeben, auch mit den Kollegen in den USA, woraufhin die Agentur beschlossen habe, “eine sehr zurückhaltende Linie zu fahren”.

Und die “Bild”-Zeitung nennt unter ihrem heutigen Artikel immerhin die Nummer der Telefon-Seelsorge. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass ihr wirklich etwas daran liegt, die Zahl der Nachahmer gering zu halten — ein paar Zeilen weiter oben beschreibt auch sie ganz ausführlich, wo und wie sich Williams das Leben genommen hat.

Diskussionskultur, Blick, Facebook

1. “Hart aber fair”
(sueddeutsche.de, Dirk von Gehlen)
“Es fehlt online wie offline an einer Diskussionskultur, die dem Wettstreit der Ideen gerecht wird, der Politik ausmachen soll”, schreibt Dirk von Gehlen. “Dieses Land muss streiten lernen! Es fehlen Vorbilder, die zeigen, dass man in der Sache hart, aber dennoch nie persönlich ringen kann. Stattdessen werden Kontrahenten in TV-Talkshows einzig nach dem Provokationsprinzip und nicht mit dem Ziel der Verständigung eingeladen. Und außerhalb des Fernsehens gilt: Je spitzer die These, umso größer der Platz auf dem Titel der Magazine.”

2. “Junge, weiße Männer und Silicon Valley”
(boess.welt.de, Gideon Böss)
Gideon Böss kritisiert den Artikel “Tal der weißen Männer” (sueddeutsche.de, Johannes Kuhn): “Interessant wäre es gewesen, hätte der Artikel nachgewiesen, dass bei gleicher Begabung systematisch die weiblichen Bewerber abgelehnt werden und stattdessen ein ‘weißer, junger Mann’ das Rennen machte. Diesen Beweis blieb er schuldig.”

3. “Positionsbestimmung Nahost”
(matthias-schumacher.com)
“Ekelhaft, mit welchen Mitteln ein Meinungskrieg ausgetragen wird, wie rasch man mit Urteilen, Beschimpfungen, Verleumdungen bei der Hand ist, mit welcher Vehemenz man sich vor vernünftigen und vermittelnden Argumenten verschließt”, schreibt Matthias Schumacher zu den Diskussionen im Netz zum Nahostkonflikt: “Hobby-Israelis und Wahl-Palästinenser tragen erbitterte Stellvertreterkriege in Sozialen Netzwerken aus. In rund 3000 Kilometern sicherer Entfernung.”

4. “Der Flop, der keiner war”
(tagesanzeiger.ch, phz)
Die Boulevardzeitung “Blick” fährt eine Kampagne gegen die Sendung “Anno 1914: Leben wie vor 100 Jahren” des Schweizer Fernsehens – dabei ist die Sendung beim Publikum ein Erfolg, ihr Marktanteil liegt bei durchschnittlich 49 Prozent. Siehe dazu auch “‘Wir haben fantastische Zahlen!'” (persoenlich.com, Edith Hollenstein).

5. “I Liked Everything I Saw on Facebook for Two Days. Here’s What It Did to Me”
(wired.com, Mat Honan, englisch)
Während 48 Stunden klickt Mat Honan bei Facebook auf jedes “Gefällt mir”, das er sieht: “The next morning, my friend Helena sent me a message. ‘My fb feed is literally full of articles you like, it’s kind of funny,’ she says. ‘No friend stuff, just Honan likes.’ I replied with a thumbs up.”

6. “ABC News keeping it classy”
(thebestpageintheuniverse.net, Screenshot, englisch)

Bild  

Bigotterie-Bigotterie

Wenn sich das Medienmagazin “Zapp” über Hinrichtungs-Videos bei Facebook empört und dabei auch Szenen zeigt, in denen Vermummte mit Schusswaffen auf die vor ihnen knienden (aber unkenntlich gemachten) Männer zielen, dann ist das für “Bild”-Chef Kai Diekmann B-I-G-O-T-T-E-R-I-E.

Wenn sich hingegen die “Bild”-Zeitung über Facebook-Fotos mit abgetrennten Köpfen empört und dabei auch Facebook-Fotos mit abgetrennten Köpfen (aber unkenntlich gemachten Gesichtern) zeigt, dann ist das für “Bild”-Chef Kai Diekmann — Alltag.

Nachtrag, 17 Uhr: Kai Diekmann hat selbst eingesehen, dass es ein “fail” war.

Schlagzeilen, Martin Lejeune, Burg Sooneck

1. “Dieser Text soll wütend machen”
(coffeeandtv.de, Lukas Heinser)
Lukas Heinser beschäftigt sich mit dem “Heftigstyle”: “Formulierungen wie ‘Dieser Elfmeterschütze möchte besonders angeben. Doch was dann folgt, ist einfach zum Lachen.’ machen mich so unfassbar aggressiv wie sonst nur tropfende Wasserhähne über Edelstahlspülen.”

2. “Wie du mit der ‘Cosmo-Headline-Technik’ großartige Überschriften schreibst”
(affenblog.de, Vladislav Melnik)
Wie Schlagzeilen aus Frauen- und Männerzeitschriften “für jedes Thema” verwendet werden können.

3. “10 Gründe, warum sich der Onlinejournalismus in eine Sackgasse manövriert”
(dominikleitner.com)
Dominik Leitner beleuchtet den “Qualitätsjournalismus” online – “man schreibe über Gerüchte, Soft-News und 10-Sekunden-Echtzeiteinträge nur, weil die Menschen das so wollen. Das kann man natürlich als Qualitätsjournalismus bezeichnen, aber auch wohl nur, weil Qualität ein furchtbar dehnbarer, relativer Begriff ist.”

4. “‘Es gibt keinen sicheren Ort’: Als Journalist in Gaza”
(vocer.org, Jan Ewringmann)
Ein Interview mit Journalist Martin Lejeune, der sich als einziger Korrespondent aus Deutschland während den jüngsten Bombardierungen im Gazastreifen aufgehalten hatte: “Ich wollte, dass auch jemand für deutsche Medien die Beeinträchtigungen der palästinensischen Bevölkerung beschreibt. Ich finde, dass die Beeinträchtigungen der israelischen Bevölkerung hinreichend beschrieben werden — und auch zu Recht beschrieben werden. Auch ich habe in den letzten Jahren schon mehrmals aus Israel berichtet und dort Interviews mit verschiedenen Strömungen geführt.”

5. “Sechs Monate für Geld hier leben: Mittelrhein sucht einen Burgenblogger”
(rhein-zeitung.de)
Gegen eine Aufwandsentschädigung von monatlich 2000 Euro brutto sucht die Burg Sooneck für ein halbes Jahr einen Blogger: “Der Burgenblogger wohnt in Räumen, die rund 800 Jahre Geschichte atmen, aber bei seinem Einzug in einem wohnlichen und modernen Zustand sein werden.”

6. “Es ist nie genug”
(reimon.net)

Gaffen und gaffen lassen

Nach einem tödlichen Unfall auf der A3 haben sich am Sonntag nach Aussage des Passauer Stadtbrandinspektors “unbeschreibliche Szenen” abgespielt. Gegenüber der “Passauer Neuen Presse” (PNP) sagte er, dass einige Autofahrer auf der Überholspur plötzlich abgebremst hätten, um den Unfall, den Toten und die Verletzten zu fotografieren. Auch auf der Gegenfahrbahn und einer nahegelegenen Brücke hätten sich viele Schaulustige versammelt, zitiert die PNP einen Augenzeugen.

“Die Fahrer haben teilweise aus dem fahrenden Auto heraus gefilmt. Sie hatten die Hände gar nicht mehr am Steuer”, beschrieb [der Stadtbrandinspektor] das Verhalten der dreisten und sensationslüsternen Gaffer. “Das habe ich in dem Ausmaß noch nie erlebt”, betonte der erfahrene Feuerwehrmann.

Warum machen Menschen so etwas? Als schaurige Erinnerung fürs Fotoalbum? Damit sie im Freundeskreis damit angeben können? Oder einfach nur, weil es möglich ist?

Einige zücken ihre Kameras vermutlich nur deshalb, weil sie hoffen, ihre Horrorbilder später an die Medien verkaufen zu können. Manche Boulevardmedien belohnen solche Gaffer-Fotos auch mal mit mehreren Hundert Euro.

Aber auch Zeitungen wie die “Passauer Neue Presse” sollten sich überlegen, ob es der Sache unbedingt dienlich ist, wenn sie, wie in diesem Fall, zwar das Verhalten der Gaffer kritisieren — aber im selben Artikel eine Klickstrecke mit über einem Dutzend Fotos vom Unfallort zeigen und darüber hinaus ein Youtube-Video einbetten, das offenbar von genau der Brücke aus aufgenommen wurde, auf der sich die Schaulustigen versammelt hatten.

Hochgeladen wurde das Video von einem lokalen Radiosender. Auf Anfrage hieß es, ein Mitarbeiter habe das Video gemacht. Für die Leser ist das aber nicht ersichtlich; sie könnten annehmen, dass es von einem “Leserreporter” stammt — und sich im schlimmsten Fall beim nächsten Unglück auch auf irgendeine Brücke stellen und die Sache filmen, für alle Fälle.

Mit Dank an spotnik.

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