Dauerfeuer der Halbwahrheiten

Seit Mitte vergangener Woche zieht eine neue Horrorstory aus Nordkorea ihre Kreise durch die westliche Medienwelt. Bild.de fasst sie so zusammen:

Schon wieder eine brutale Hinrichtung in Nordkorea.

Verteidigungsminister Hyon Yong Chol ist laut einem Agenturbericht abgesetzt und hingerichtet worden. (…)

Grund: Der Minister war (…) dabei ertappt worden, wie er bei offiziellen Militärveranstaltungen eindöste. Außerdem habe er Kim Widerworte gegeben.

Besonders brutal: Die Exekution wurde den Angaben zufolge mit Flakfeuer vollzogen.

Die Geschichte war am Mittwoch zuerst von der südkoreanischen Agentur Yonhap in die Welt gesetzt worden, die sich auf den südkoreanischen Geheimdienst NIS berief. Hierzulande wurde sie dann von den Agenturen AFP, AP, Reuters und dpa verbreitet.

Und wie das mit Horrormeldungen aus Nordkorea so ist, übernahmen so ziemlich alle die Geschichte und ließen bis auf ein paar vereinzelte „offenbar“s und „soll“s kaum einen Zweifel an ihrem Wahrheitgehalt:




(Screenshots von “Focus Online”, Express.de, News.de, “T-Online”, Web.de, “RP Online”, den “Deutschen Wirtschafts Nachrichten”, “Zeit Online”, “Spiegel Online”, Heute.de, Stern.de, den Seiten der “Kölnischen Rundschau”, der “Wirtschaftswoche”, der “Süddeutschen Zeitung”, der “Tagesschau”, des “SRF”, des “Tagesanzeigers”, der “Thüringischen Landeszeitung”, des “Deutschlandfunks”, des “Handelsblatts”, des “Tagesspiegels”, der “Mitteldeutschen Zeitung”, des “Kuriers”, der “Aargauer Zeitung”, des “Südkuriers”, der “Sächsischen Zeitung”, der “FAZ” und der “NZZ”. Auflistung sicherlich unvollständig.)

Und wie das mit Horrormeldungen aus Nordkorea ebenfalls so ist, stellte sich kurze Zeit später heraus: Stimmt (wahrscheinlich) doch nicht.

Am Tag nach Bekanntwerden der Story meldete die AFP:

Südkorea relativiert Angaben zu Exekution nordkoreanischen Ministers

Südkoreas Geheimdienst hat am Donnerstag zuvor kolportierte Angaben zur Absetzung und Hinrichtung des nordkoreanischen Verteidigungsministers Hyon Yong Chol relativiert. Hyon sei zwar entlassen worden, sagte ein Sprecher des Geheimdiensts NIS der Nachrichtenagentur AFP. Auch gebe es Geheimdienstberichte, denen zufolge er hingerichtet worden sein könnte. “Dies konnte aber noch nicht verifiziert werden”, sagte der Sprecher.

Also doch wieder nur ein unbestätigtes Konjunktivkonstrukt aus irgendeiner geheimen Quelle, das von den Medien fälschlicherweise als Tatsache dargestellt wird.

Nun wäre das nicht ganz so schlimm, wenn die Journalisten, die solche Geschichten rumposaunen, wenigstens auch bei der Richtigstellung so eifrig bei der Sache wären. Doch die Meldung vom Rückzieher des Geheimdienstes hat es nur in die wenigsten deutschen Medien geschafft (bisher haben wir ganze vier gezählt). Auch von den Agenturen, die die Story wie wild verbreitet hatten — allein die dpa hat sieben Texte dazu rausgehauen –, hat (bis auf die AFP) keine darüber berichtet, dass der Geheimdienst zurückgerudert ist.

Wahrscheinlich wird die Story nun also Teil des schaurig-bunten Nordkorea-Horror-Pools, aus dem sich die Medien alle paar Monate bedienen (“So grausam richtet der Diktator seine Minister hin”), wenn das nächste Gerücht die Runde macht. Da hat die dpa anlässlich der Flak-Geschichte sogar die Nummer mit dem von Hunden zerfleischten Onkel wieder rausgefischt, die (wie die dpa an anderer Stelle selbst schreibt) in Wirklichkeit eine Satiremeldung war. Auch die von der vergifteten Tante wird aufgezählt, obwohl sie (wie die dpa an anderer Stelle ebenfalls selbst schreibt) vom südkoreanischen Geheimdienst als grundlos zurückgewiesen wurde.

Fakten und Fiktion werden gefährlich vermischt, aber es gibt sich auch kaum jemand die Mühe, das zu verhindern. Auch in der Flak-Sache hätten die Journalisten mit ein bisschen Recherchewillen schon früh stutzig werden können, denn es gab bereits kurz nach der Veröffentlichung konkrete Zweifel an der Geschichte. So berichteten unter anderem die „New York Times“ und der „Guardian“ schon am Mittwoch (also an dem Tag, als die Meldung aufkam) über Cheong Seong-chang vom südkoreanischen Sejong Institute, der die Authentizität des Berichts infrage stellte. Der Verteidigungsminister sei kürzlich noch im nordkoreanischen Fernsehen zu sehen gewesen — normalerweise würden abgesetzte und hingerichtete Offizielle aber sofort aus allen TV-Bildern entfernt. Außerdem sei sein Name am 30. April (seinem angeblichen Hinrichtungstag) in der Tageszeitung des Regimes veröffentlicht worden.

„Das bedeutet, er war bis zum 29. April nicht verhaftet,“ sagte [Cheong Seong-chan]. „Das bedeutet, er wurde am 30. April verhaftet und am selben Tag hingerichtet. Das ist schwer zu glauben, es sei denn, er hat etwas Ungewöhnliches versucht, zum Beispiel ein Attentat auf Kim Jong-un.“

Hierzulande hat sich nur Welt.de ausführlich mit diesem Kritikpunkt beschäftigt. Die AFP erwähnte die Zweifel des Analysten am Mittwoch immerhin am Rande und zitierte ihn mit den Worten, der Bericht sei “unüberlegt”; es handele sich um “wackelige, unbestätigte Geheimdienstberichte”.

Dieses Zitat steht auch beim „Guardian“. Da geht es allerdings noch weiter:

He added: “It needs to be verified, but is already being reported as fact by the media, which only adds to the confusion.”

In deutschen Medien sucht man diesen Satz vergeblich.

Mit Dank an Erik H.

Gemüse, Jürgen Domian, Monitor

1. “Es ist etwas faul mit den Medien dieses Landes”
(derstandard.at, Helge Fahrnberger)
Helge Fahrnberger schreibt über Medien in Österreich: “In Zeiten, in denen die direkte Demokratie ausgebaut werden soll, frage ich mich: Wie kann das funktionieren? Wie soll die Bevölkerung eine Entscheidung treffen, wenn Massenmedien die Öffentlichkeit nicht informieren, sondern vorsätzlich manipulieren, und die, die das nicht tun, dazu schweigen? Wer kontrolliert die vierte Gewalt, wenn sie das nicht selbst tut?”

2. “Stefanie Heinzmann – Inzestopfer oder einfach nur dumm?”
(dearswisspeople.com)
Der Artikel “Stefanie Heinzmann: Liebt sie ihren Bruder?” (nzz.ch, Claudia Schumacher): “Dieser Beitrag ist wirklich die billigste Form von Boulevardjournalismus und einer solchen Publikation nicht würdig.”

3. “Kraut- und Rübenreporter”
(ackerbaupankow.blogspot.de)
Der Artikel “Von der Schwierigkeit, legal gutes Gemüse zu finden” (krautreporter.de, Theresa Bäuerlein): “Man bekommt in den Supermärkten inzwischen sehr schmackhafte Cocktailtomaten, die es auch mit meinen Gartentomaten aufnehmen können. Nur die Fleischtomaten sind weitgehend Ausfälle (das kann aber kaum an EU-Normen liegen, da man z.B. in Frankreich auch schöne Fleischtomaten auf dem Markt kriegt). Hier hätte ich es spannend gefunden, wenn man bei Einkäufern von Großmärkten recherchiert und nicht nur einen Gemüsehändler nebenan gefragt hätte. Wahrscheinlich hätte man dann ein paar spannende Dinge erfahren, genauso wie man sicher schlauer geworden wäre, wenn man mit ein paar Leuten, die im großen Stil Tomaten anbauen, über den Markt gesprochen hätte.”

4. “Platter Versuch, einen Mythos zu demaskieren”
(deutschlandradiokultur.de, Alexander Kohlmann)
Alexander Kohlmann schaut sich das Theaterstück “Wir sind Günter Wallraff!” im Schauspiel Hannover an: “Indem die Autoren von den Missständen bei ‘Bild’ bis zur Ausbeutung der Arbeiter im 19. Jahrhundert alles über einem Kamm scheren, bagatellisieren sie in Wahrheit die Auswüchse, denen Wallraff mit Schauspiel begegnete. Es ist gerade diese Form der Verweigerung jeglicher Differenzierung, die wesentlich restaurativer daherkommt, als die angeprangerte Mitarbeit Wallraff innerhalb der marktwirtschaftlichen Gesellschaftsordnung.”

5. “Das WDR-Politmagazin ‘Monitor’ besteht 50 Jahre”
(medienkorrespondenz.de, Reinhard Lüke)
Das TV-Magazin “Monitor” wird 50 Jahre alt und konnte das Durchschnittsalter seiner Zuschauer kürzlich von 64 auf 62 Jahre senken. Redaktionsleiter und Moderator Georg Restle: “Sobald wir bei den Marktanteilen mal unter die Zehn-Prozent-Marke geraten, wird von der Medienkritik immer wieder die Daseinsberechtigung der Magazine in Frage gestellt.”

6. “‘Von Natur aus ein Einzelgänger'”
(taz.de, Christine Stöckel)
Ein Interview mit Jürgen Domian: “Ich hatte immer zwei Leitsätze: Es darf nicht pornografisch sein und es darf nie um die bloße Sensation gehen. So kam es, dass ich in der Sendung ein fast viertelstündiges Interview zum Thema ‘Fisten’ geführt habe. Der Anrufer war schwul und von Beruf Arzt. Eine perfekte Mischung.”

NonstopNews, Seymour Hersh, Instant Articles

1. “Breaking News in Delmenhorst”
(ndr.de, Video, 29:17 Minuten)
Julian verbringt sieben Tage mit Blaulicht-Reportern der TV-Agentur NonstopNews aus Delmenhorst.

2. “‘Laut einem Medienbericht’ – wie Nonsense aus der ‘Bild’ die Roaming-Debatte bestimmt”
(blog.lehofer.at)
Hans Peter Lehofer beschäftigt sich mit einer von anderen Medien aufgegriffenen “Bild”-Story. “Wäre es wirklich zuviel verlangt, einmal kurz eine Suchmaschine zu bedienen, um die Behauptungen der ‘Bild’ zu überprüfen, vor allem wenn sie schon beim ersten Blick unglaubwürdig sind? Hätte nicht irgendjemand auf die Idee kommen können, sich das ‘Geheimpapier’ einmal anzuschauen?”

3. “The media’s reaction to Seymour Hersh’s bin Laden scoop has been disgraceful”
(cjr.org, Trevor Timm, englisch)
Wie Journalisten auf das Stück “The Killing of Osama bin Laden” von Seymour Hersh in der “London Review of Books” reagiert haben: “This is not to say all the assertions contained in Hersh’s story are accurate. Some may turn out not to be true; I simply don’t know. But neither do any of Hersh’s critics, because, unfortunately, the flippant blog posts dismissing Hersh out of hand outnumber follow-up reporting on his stories by about 50 to one.” Siehe dazu auch “Podcast Extra: Seymour Hersh” (onthemedia.org, Audio, 22 Minuten, englisch).

4. “Secrets of the Brussels media machine”
(thepressproject.net, Nikos Sverkos, englisch, 2. Mai)
Nikos Sverkos schreibt über die Medien in Brüssel: “In terms of collection and distribution of news, the main players in the system are the three major European-level media outlets: the agencies Reuters and Bloomberg, and the Financial Times newspaper. Whatever this group reports, all other media outlets in Europe rush to reproduce. Thus – intentionally or not – articles published by the group are spread widely.”

5. “Bitte benutzen Sie den Lieferanteneingang”
(faz.net, Michael Hanfeld)
Michael Hanfeld kritisiert eine Kooperation von “Spiegel” und “Bild” mit Facebook, Instant Articles: “Facebook wird zum Verleger – mit den Inhalten anderer, die sich auch noch darüber freuen, dass sie ihre Werke kostenlos abgeben dürfen. Man muss sich das entsprechende Werbevideo von Facebook antun: Da sehen wir Journalisten mit Stockholm-Syndrom, die mit glänzenden Augen erzählen, wie schnell ihre Story bei Facebook aufpoppt. Als wäre das ein Gnadenerweis, als gäbe es außerhalb von Facebook kein Leben in der Online-Welt.” Siehe dazu auch “könige, kaiser und lakaien” (wirres.net, Felix Schwenzel) – in dem der Text von Hanfeld als “ein schneller, hingekotzter aufregertext” beschrieben wird.

6. “Funkstille für Rundfunkjournalisten!”
(prinzessinnenreporter.de, Elke Wittich)
Printjournalistin Elke Wittich erzählt von Erfahrungen, die sie mit Hörfunkjournalisten gemacht hat: “Guten Tag, ich bin Frau Dingens vom wichtigen Rundfunksender Sowieso und ich habe mit großer Begeisterung Ihren Artikel gelesen. Ach so, nein, ich möchte Sie nicht interviewen, ich mache selber einen Beitrag zum Thema, könnten Sie so nett sein und mir die Kontaktdaten derjenigen geben, mit denen Sie gesprochen haben, danke. Nein, jetzt, können Sie nicht später Ihre Deadline einhalten/in Urlaub fahren/wasimmer, es ist wirklich dringend? Und super wäre es, wenn Sie mir eben sagen, welche Aspekte Sie für besonders wichtig halten, vielleicht so als kurze Gliederung.”

“Bild”-Reporter lässt Heidi Klum schreiend aus der Halle rennen

Sie werden es mitbekommen haben: Gestern wurde das Finale von „Germany’s Next Topmodel“ wegen einer Bombendrohung abgebrochen.

Für die „Bild“-Medien war Klatsch- und Quatschreporter Daniel Cremer vor Ort, der den ganzen Abend eifrig twitterte. Sein mit Abstand erfolgreichster Tweet war der hier:

Viele Medien übernahmen die Information oder bauten Cremers Tweet direkt in ihre Artikel ein:

Heidi Klum lief schreiend aus SAP Arena

(abendzeitung-muenchen.de)

Heidi Klum soll “schreiend” aus der Halle gelaufen sein – noch bevor das Publikum diese verlassen durfte.

(tz.de)

“Schreiend” soll Heidi Klum (41) die SAP-Arena in Mannheim nach der Bombendrohung verlassen haben.

(“InTouch” online)

Heidi Klum (41) hätte allerdings angeblich “schreiend” die Halle verlassen.

(promiflash.de)

Laut einem Bild-Reporter soll Heidi Klum die Halle schreiend verlassen haben.

(yahoo.com)

Die „Bild“-Zeitung selbst druckte die Info heute sogar auf die Titelseite. Über Nacht sind dann auch alle Restzweifel, die Anführungszeichen und das „soll“ verschwunden:

„Heidi Klum verließ mit Tochter Leni schreiend die Arena“.

Nunja. Pro7 teilte heute mit:

Das muss man den Leuten von Pro7 natürlich nicht glauben. Recht haben sie aber trotzdem, und lustigerweise kommt der Beleg dafür von „Bild“ selbst:

Auf dem Video ist zu sehen, wie Heidi Klum ganz ruhig ihre Tochter in Empfang nimmt und die Halle verlässt. Ohne ein einziges Mal zu schreien.

Diese Geschichte war auch nicht die einzige Meldung des “Bild”-Reporters, die heute dementiert wurde. Gestern Abend schrieb er:

Pro7 entgegnet heute:

Die Polizei hat inzwischen bestätigt, dass es keine Verletzten gab.

“Bild”-Mann Daniel Cremer war übrigens auch einer der ersten, die schon von einer Bombendrohung sprachen, während der Sender noch auf „technische Probleme“ verwies. Wie Sender-Sprecher Christoph Körfer später erklärte, wollte man so eine Panik verhindern:

(…) deswegen mussten wir auch zunächst von einem technischen Defekt sprechen, um eine Panik zu verhindern. Daran haben sich leider nicht alle Medien gehalten. [Manche] Medien haben relativ unreflektiert von einer Bombendrohung gesprochen und haben damit billigend in Kauf genommen, dass hier eine Panik in der Halle ausbricht.

“Bild”-Chef Kai Diekmann fällt zu all dem aber nur eins ein:

Mit Dank an Boris R., Benedikt S. und Johannes K.!

Thomas Schaaf, Wait But Why, Malawi

1. “Verifizieren – die journalistische Schlüsselqualifikation”
(get.torial.com, Bernd Oswald)
Bernd Oswald stellt Sessions vor, die sich an der re:publica mit dem Verifizieren von Inhalten befasst haben: “In Zeiten, wo die Gier nach schnellen Informationshäppchen und Aktualisierungen stetig steigt, ist eine saubere Verifizierung um so wichtiger.”

2. “Millionen Klicks – mit 3 Mitarbeitern und 100 Artikeln: Wie Wait But Why den Online-Journalismus neu erfindet”
(t3n.de, Martin Weigert)
Martin Weigert stellt die Website “Wait But Why” vor: “Tim Urban publiziert immer dann einen Artikel, wenn er einen fertig hat. Und da viele der Stücke viele tausend Worte umfassen (der Text über Elon Musk liegt bei rund 6.500), können mitunter mehrere Wochen vergehen, bis Leser einen neuen Beitrag bei WBW finden.”

3. “Frischer Wind von unten”
(journafrica.de, Deogracias Kalima)
Vier Journalisten in Malawi gründen eine private Nachrichtenagentur: “Chefredakteur Paul Akomenji schwört, dass LINA politische Einflussnahme als Folge finanzieller Zuwendungen nicht in Kauf nehmen werde – eine Andeutung dafür, dass es solche Zuwendungen sind, die freie und lebendige Medien vernichten. ‘Ehe wir uns von Politikern unterstützen lassen, schließen wir lieber’, sagt Akomenji nachdrücklich. Stattdessen wollen sie unabhängige Organisationen um Unterstützung zu bitten: Botschaften, internationale Organisationen und die Geschäftswelt zum Beispiel, nicht aber Politiker.”

4. “‘Wir brauchen eine öffentlich-rechtliche Suchmaschine'”
(telemedicus.info, Fabian Rack)
NDR-Verwaltungsratsmitglied Dagmar Gräfin Kerssenbrock fordert eine öffentlich-rechtliche Suchmaschine: “Eine öffentlich-rechtliche Suchmaschine müsste eine vergleichbare Nutzenfunktion haben wie Google, jedoch bereinigt um den Einfluss verschiedenster Interessengruppen auf das Suchergebnis. (…) Wir brauchen eine öffentlich-rechtliche Suchmaschine, die ausschließlich eine dienende Funktion für eine informierte Gesellschaft im wachsenden digitalen Datenberg hat, ohne wirtschaftliche Interessen verfolgen zu müssen.”

5. “Schluss mit muffig”
(11freunde.de, Dirk Gieselmann)
Die Medien werfen Thomas Schaaf vor, er habe Probleme, mit seiner Mannschaft zu kommunizieren: “Die Spekulationen haben Thomas Schaaf in eine Lage versetzt, aus der er sich naturgemäß kaum wird befreien können. Wir sehen eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Schaafs Hang zur Einsilbigkeit wird zu seinen Ungunsten ausgelegt, und das soll er, der ja tatsächlich ungern mehr sagt als unbedingt nötig, nun bitteschön wortreich entkräften. (…) Er wird öffentlich einer Prüfung unterzogen, ob er als leitender Angestellter den Ansprüchen an eine modernen Unternehmenskommunikation genügt. Beherrscht er den Jargon angenehm sedierender Pressemitteilungen? Kann er professionell dementieren?”

6. “I had (the privilege) to give a couple of interviews to media journalists these last days and keep wondering”
(facebook.com, Wolfgang Blau, englisch)

Volle Pulle vorbeigesteuert

Ein todsicherer Weg, den geneigten Bild.de-Leser so richtig auf die Palme zu bringen? Eine angeblich neue Steuer aufwerfen. Und wenn sich diese Steuer auch noch auf etwas Alltägliches bezieht — zum Beispiel aufs Biertrinken –, dann ist in der Kommentarspalte Jahrmarkt.

Da kann man dann wunderbar auf die Politiker schimpfen, die dem kleinen Mann nicht mal sein Feierabendbier lassen wollen …

… auf die EU, die alles totreguliert …

… auf die Griechen, weil’s die Griechen sind …

… und auf Hartz-IV-Empfänger, die doch eh alle ein Alkoholproblem haben:

Alles in allem ist der Bild.de-Mob ziemlich wütend:

Hintergrund für den Zorn ist eine OECD-Studie, nach der “politische Maßnahmen gegen den Alkoholmissbrauch” jedes Jahr mehr als 44.000 Leben in Deutschland retten könnten. Dazu gehören neben strengeren Regeln für Alkoholwerbung und vermehrte Alkoholkontrollen im Straßenverkehr auch “höhere Steuern auf alkoholische Getränke”.

Die Quintessenz laut Bild.de:

Nun hat jedoch kein einziger deutscher Politiker die Einführung einer Biersteuer gefordert, was vor allem daran liegen dürfte, dass es die schon seit Jahrhunderten gibt, samt Biersteuergesetz und Biersteuerverordnung. Also, liebe Bild.de-Leser, jetzt einmal ganz stark sein: Ihr zahlt schon heute jedes Mal, wenn Ihr Euch einen hinter die Binde kippt.

Mit Dank an Gerald H.!

Mohammed-Karikaturen, Sing-Treff, Corinna Schumacher

1. “Religion schlägt Meinungsfreiheit”
(zeit.de, Cigdem Akyol)
Ceyda Karan und Hikmet Cetinkaya drohen bis zu viereinhalb Jahre Haft, weil sie “zwei kleine Mohammed-Karikaturen in ihren Kolumnen zwischen ganz viel Text versteckten”: “Die Staatsanwaltschaft in Istanbul wirft ihnen vor, den öffentlichen Frieden gestört und die religiösen Werte der Menschen in der Türkei beleidigt zu haben.”

2. “Speed kills: Germanwings und die Medien”
(derstandard.at, Johanna Jung, Jennifer Woods und Josef Trappel)
Medienwissenschaftler greifen die Berichterstattung zum Germanwings-Flug 9525 auf: “Unzählige Falschmeldungen ohne Bestätigung, Expertenbefragungen ohne Antworten, Sondersendungen ohne Inhalt und Spekulationen ohne ausreichende Hinweise prägen den medialen Irrflug. Keine Frage: Ihre Informationspflicht haben die Medien mehr als erschöpfend erfüllt – zumindest in Sachen Schnelligkeit und Aktualität. Doch sind Speed und Quantität die neue Qualität?”

3. “Nein, die GEMA will kein Seniorensingkränzchen killen”
(medium.com/@jagermo)
Moritz Jaeger zweifelt die Story “Gema verlangt Gebühren fürs Volkslieder-Singen” (siehe dazu auch “6 vor 9” vom 11. Mai) an und fragt bei der Gema nach, die ihm ausführlich Auskunft erteilt: “Wir bedauern es sehr, dass sich Frau von Assel nach Erhalt der Rechnung nicht an uns, sondern direkt an die Presse gewendet hat. Erst aufgrund der jetzt veröffentlichten Berichterstattung in den Schleswiger Nachrichten haben wir jedoch erfahren, dass es sich bei dem ‘Sing-Treff im Café Fahrdorf’ um ein nicht-öffentlichen Sing-Treffen handelt. Diese Information lag uns bislang nicht vor. Daher werden wir die Rechnung gegenüber der Veranstalterin stornieren.”

4. “Schumacher vs. taz: Streit ums Foto endlich entschieden”
(blogs.taz.de/hausblog, Manuel Schubert)
Ein Gerichtsfall um ein in der “taz” abgedrucktes Foto von Corinna Schumacher: “Das von uns verwendete Bildnis sei ‘kontextgerecht’, urteilten die Richter. Es illustriere und belege die Wortberichterstattung in besonderer Weise und hätte einen eigenen Informationswert. (…) Die Richter des Oberlandesgerichts Köln ließen keine Berufung zu ihrem Urteil zu.”

5. “Bilder zu Netzthemen: Überwachung? Kann ich nicht mehr sehen!”
(spiegel.de, Markus Böhm)
Markus Böhm macht sich Gedanken, wie man das Thema Überwachung bebildern könnte: “Man kann wohl mittlerweile noch so gute und wichtige NSA- oder BND-Enthüllungsgeschichten schreiben, noch so originelle Plädoyers für oder gegen die Vorratsdatenspeicherung: Ohne ein Foto, das in den Artikel zieht, ist die Chance gering, dass der Text überdurchschnittlich oft gelesen wird und nicht nur die übliche Zielgruppe erreicht.” Siehe dazu auch “BND liefert NSA 1,3 Milliarden Metadaten – jeden Monat” (zeit.de, Kai Biermann).

6. “Faces of doom: what reporters look like delivering horrific news – in pictures”
(theguardian.com)

Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Böcken werfen

Menschenskinder, der Nachname des bisherigen Bremer Bürgermeisters, der gestern verkündete, er wolle nach dem schwachen Wahlergebnis künftig auf sein Amt verzichten, ist aber auch knifflig …

Wie schreibt sich der Bürgermeister von Bremen? Jens Boernsen, Börnsen oder Böhrnsen? Richtig ist der Name mit “ö” und “h”. Seine eigene Partei, die SPD, sollte das wissen.

Oder mit etwas mehr Bild.de-Häme:

Aber nicht nur die SPD sollte es hinbekommen, Jens Böhrnsens Namen richtig zu schreiben, sondern auch Journalisten, die über Böhrnsen berichten wollen. Zum Beispiel die von Bild.de:

15. April 2009 (übernommen von dpa):

15. April 2009 (übernommen von dpa):

24. Juni 2009 (übernommen von dpa):

30. Juni 2010:

3. Juli 2010:

30. Juni 2011:

12. Juni 2013:

31. Januar 2014:

Einigkeit also bei Bild.de und SPD, wie man Jens Boernsen/Börnsen/Böhrnsen falsch schreibt. Einen Unterschied gibt es dann aber doch:

Wenig später ist auch dem SPD-Twitter-Team der Fehler aufgefallen. Sie haben sich umgehend für den Boernsen-Bock entschuldigt.

Auf sowas können wir bei Bild.de sicher lange warten.

Was “Focus Online” dann abschrieb, ist schier unglaublich

Oha, das passiert auch nicht allzu oft: Auf der Startseite von „Focus Online“ steht aktuell eine Nachricht, bei der man nicht (!) klicken muss, um zu erfahren, was passiert ist:

Aber so ganz ohne ihre liebgewonnenen Clickbaiting-Formeln kommen sie dann doch nicht aus, darum lautet der Einstieg in den Text:

Eine gefühlte Ewigkeit mussten die Kunden in einer Lidl-Filiale im irischen Dunboyne darauf warten, dass endlich eine zweite Kasse geöffnet wurde. Was dann geschah, ist schier unglaublich

Das Schöne ist: Vermutlich weiß der zuständige Redakteur nicht mal, wie recht er damit hat. Als Quelle werden nämlich die „Waterford Whispers News“ angegeben. Den Disclaimer, in dem steht:

Waterford Whispers News is a fabricated satirical newspaper and comedy website

… haben sie beim Recherche-Discounter “Focus Online” aber blöderweise übersehen.

Mit Dank an @derhuge, @vierzueinser, Stefan S. und Angelina E.!

Nachtrag, 14.20 Uhr: “Focus Online” hat den Artikel umgeschrieben. Die Überschrift lautet jetzt: “Satirebericht über Massenpanik in Lidl-Filiale begeistert das Netz”, und am Ende steht eine “Anm. der Red.”:

In einer früheren Version des Artikels fehlte der Hinweis, dass es sich um einen Satirebeitrag handelte.

Naja. Aber immerhin.

Watson, Vapiano, Strassenfeger

1. “Hansi Voigt: Pimp my News”
(vocer.org, Roxana Wellbrock)
Roxana Wellbrock berichtet über das Projekt Watson.ch, das derzeit “viele hunderttausend Euro Verlust im Monat” macht: “Tatsächlich sind es monatlich rund 400.000 Euro, wie Wanners Verlag AZ Medien einräumt. ‘Bis zum Break Even kann es noch zwei Jahre dauern’; ergänzt Wanner. ‘Das ist aber so geplant.'”

2. “Betrügereien mit Zeitungsseiten”
(prenzlauerberg-nachrichten.de, Anja Mia Neumann)
Anja Mia Neumann versucht, beim Chefredakteur Informationen zu den Verkäuferregeln des Straßenmagazins “Strassenfeger” zu erhalten: “Antworten auf eine schriftliche Anfrage bleibt er schuldig, ans Telefon geht niemand.”

3. “Wie Vapiano unsere Recherchen begleitete”
(investigativ.welt.de, Anette Dowideit)
Die Restaurantkette Vapiano hält die “direkte Kontaktaufnahme” mit Mitarbeitern seitens der “Welt”-Redaktion für fragwürdig. “Wir nennen es ganz einfach Recherche”, schreibt dagegen Anette Dowideit. In einer Stellungnahme von Vapiano (meedia.de) schreibt Gregor Gerlach: “Offenbar wird jetzt das Schreiben unserer Anwaltskanzlei missbraucht, um dem Artikel die Aufmerksamkeit zu bescheren, die er aus sich heraus nicht hervorgerufen hat.”

4. “Brief aus dem Berlin des Jahres 2096: Kickstarter-Kampagne zu ‘The Future Chronicles’ startet”
(basicthinking.de/blog, Tobias Gillen)
Tobias Gillen stellt die Magazinidee “The Future Chronicles” vor.

5. “Gruppenbild mit Rissen”
(faz.net, Timo Frasch)
Der Prozess um den Tod von Tugce Albayrak. Über die “Berichterstattung unmittelbar nach dem Vorfall” schreibt Timo Frasch: “Es wurde die Fiktion zweier gänzlich unterschiedlicher Gruppen geschaffen. Überspitzt gesagt: Hier die nichtintegrierten halbkriminellen Verlierer um Sanel M., dort die aufgeklärten altruistischen Akademiker um Tugce Albayrak. Wenn man den Prozess beobachtet und dabei auch das Publikum nicht außer Acht lässt, dann wird man dieses Bild zwar nicht völlig revidieren, aber doch etwas zurechtrücken müssen. ”

6. “Schlusslicht”
(winnyswelt.de)

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