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“Bild” druckt freiwillig zu kleine Gegendarstellung

Die heutige Titelseite der “Bild”-Zeitung sieht auf den ersten Blick ganz normal aus: ein bisschen Fußball (“Neuer Zwirn für Schweini”), ein bisschen mehr vom Wir-gegen-die-Griechen-Gefühl (“Merkel rettet Griechenland mit unserem Geld!”), was Kurioses (“Betrunkener Einbrecher schläft im Kofferraum ein”). Oben rechts wird’s aber eher ungewöhnlich, da steht nämlich das hier:

Sie bezieht sich auf die riesige “Bild”-Titelstory vom 17. Juni, in der das Blatt keinen Zweifel daran ließ, was nach der Urteilsverkündung im Tuğçe-Prozess (BILDblog berichtete) passiert ist:

Das Besondere an der Gegendarstellung auf der “Bild”-Titelseite von heute: Sie hätte in dieser Form gar nicht abgedruckt werden müssen.

Vor zwei Wochen hat das Landgericht Berlin zugunsten von Sadija M. eine einstweilige Verfügung erlassen und die “Bild”-Zeitung dazu verdonnert, eine Gegendarstellung abzudrucken. Gegen diese Abdruckanordnung hat “Bild” Widerspruch eingelegt, eine mündliche Verhandlung folgt in der kommenden Woche. Trotzdem hat sie schon heute eine Gegendarstellung veröffentlicht, allerdings nicht entsprechend den Vorgaben des Gerichts.

Warum? Der Grund könnte in eben diesen gerichtlichen Vorgaben liegen: Demnach muss das Wort “Gegendarstellung” in der Größe der Dachzeile der Erstveröffentlichung (“EKLAT NACH DEM HAFTURTEIL”) gedruckt werden, der dazugehörige Text (“In der BILD-Zeitung vom 17.06.2015 haben Sie auf …”) in der Größe der einstigen Überschrift (“Mutter des Schlägers spuckt auf Tugce-Foto!”). Das würde bedeuten, dass die Gegendarstellung am Ende in etwa so aussieht, wie die von Heide Simonis aus dem Jahr 2006.

Felix Damm, Anwalt von Sadija M., vermutet, dass die “Bild”-Zeitung sich mit dem Abdruck der kleinen Version für die mündliche Verhandlung wappnen will:

Es scheint die Hoffnung zu bestehen, das Gericht werde von der verfügten Abdruckanordnung derart abweichen, dass mit dem Abdruck der verkleinerten Version der gerichtlichen Entscheidung genügt wurde. Ich gehe allerdings davon aus, dass die „Bild“-Zeitung die Gegendarstellung noch einmal drucken muss, dann deutlich größer.

Warum “Bild” bei der Position bleibt, Sadija M. habe auf das Tuğçe-Foto gespuckt, steht auf Seite 6 der heutigen Ausgabe:

Dem Gericht legte [M.] eine eidesstattliche Versicherung vor, nach der sie nicht gespuckt habe.

Wir glauben, dass Frau [M.] lügt, und bleiben deshalb bei unserer Darstellung und werden Strafanzeige stellen.

Mehrere Zeugen haben den Vorgang beobachtet und gegenüber BILD bestätigt.

Interessanterweise berichteten auch andere Medien von einem Spucken nach der Verhandlung, sie ordneten es im Gegensatz zur “Bild”-Redaktion aber nicht unmittelbar Sadija M. zu.

Ihr Anwalt Felix Damm sagt, ihn erinnere die Art der “Bild”-Berichterstattung über seine Mandantin an eine “moderne Form der Sippenhaft”:

Als Sanel M. im Gefängnis saß, hat sich die “Bild”-Zeitung dessen Bruder vorgenommen. Als sie damit durch war, kam die Mutter dran. Es wird versucht, der Öffentlichkeit eine schuldige Familie zu präsentieren.

Deswegen gehe Familie M. nun juristisch gegen einzelne Veröffentlichungen vor. Erste Unterlassungserklärungen konnte sie bereits einsammeln. Zum Beispiel hatte “Bild” auch ein unverpixeltes Foto der Mutter abgedruckt. Das Blatt darf es nun nicht mehr zeigen — weiß sich aber natürlich zu helfen und druckt heute einfach ein anderes Foto der Mutter, schon wieder ohne jede Unkenntlichmachung. Auch dagegen wird sie sich nun wehren.„"

Weiteres Plagiat, Doppelmoral, Merkel und LeFloid

1. „‘Weltwoche‘-Redaktor schrieb auch bei deutscher Zeitung ab“
(tagesanzeiger.ch, Iwan Städler)
Das „The Telegraph”-Plagiat von Urs Gehriger war kein Einzelfall. Iwan Städler deckt auf, dass die „Weltwoche“ auch bei „faz.net“ abgeschrieben hat. Dieses Mal geht es um zehn weltweit verstreute Mauerwerke: „Kein einziger Wall wird beschrieben, ohne dass sich die ‘Weltwoche’ ausgiebig bei der ‘FAZ’ bedient hätte.“

2. „Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger ist tot, es weiß es nur noch nicht“
(juliareda.eu, Mathias Schindler)
„Es ist ein politisches Problem, das größer ist als das Leistungsschutzrecht, wenn Gesetze nicht ordentlich zustandekommen“, schreibt Mathias Schindler, Mitarbeiter der Piratin Julia Reda. Schindler schildert in sechs Kapiteln „den gesetzgeberischen Totalschaden Presseverlegerleistungsschutzrecht“ – ein „inhaltliches Komplettversagen des Gesetzes in den letzten Monaten im Zusammenspiel mit Verwertungsgesellschaften, Suchmaschinenbetreibern und Verlegern”.

3. „Schaum vor dem Mund?“
(faz.net, Jochen Zenthöfer)
Die Staatsanwaltschaft Stralsund fühlte sich von „Nordkurier“-Chefredakteur Lutz Schumacher durch eine Passage seines Kommentars zum „Rabauken-Jäger“-Verfahren beleidigt. Schumacher beschrieb den Staatsanwalt „mit Schaum vor dem Mund“. Nun wurde er freigesprochen Nun sieht die Staatsanwaltschaft von weiteren Ermittlungen ab:

Dass die Staatsanwaltschaft von ehrenrührigen Äußerungen spreche, zeige, „dass auch in Deutschland die Meinungsfreiheit leider keine Selbstverständlichkeit ist und immer wieder neu erkämpft werden muss“

4. „Fachwissen, Herzblut und Emotionen“
(medienwoche.ch, Nik Niethammer)
Nik Niethammer nervt die Doppelmoral von TV-Kommentatoren im Radsport, die „beinahe zwanghaft“ die Zuschauer „bei jeder Gelegenheit auf das Thema Doping“ hinwiesen: „Sie fühlen sich offensichtlich genötigt, immerzu Bedenken zu formulieren. Einem Sport gegenüber, den sie zwar übertragen, dem sie aber zutiefst misstrauen.“

5. „Was wurde eigentlich aus StudiVZ?“
(spiegel.de, Sebastian Meineck)
Nach Betreiberangaben seien eine Million Nutzer, vor allem Menschen zwischen 25 und 45 Jahren, auf den VZ-Netzwerken noch aktiv. „Flirten und Kennenlernen gehörten zu den Dingen, die vielen Nutzern von StudiVZ und MeinVZ heute offenbar besonders wichtig sind“, analysiert Sebastian Meineck.

6. „Das Interview mit Angela Merkel – #NetzFragtMerkel”
(youtube.com, LeFloid)
Von „PR-Geschichte“ bis „er hat gezeigt, dass er mehr kann, als hektisch geschnittene News-Videos mit Sprüchen versehen“ scheiden sich die Meinungen über das gestern veröffentlichte Interview des 27-jährigen Psychologiestudenten und Youtubers LeFloid mit der Bundeskanzlerin.

In Luft aufgelöste Griechen, Plagiat, öffentliche Selfies

1. „Griechen, in Luft aufgelöst“
(sueddeutsche.de, Ralf Scharnitzky)
Auf Spurensuche: Ralf Scharnitzky folgt einer „Spiegel Online“-Meldung und sucht vergeblich nach in Bayern gestrandeten griechischen Lkw-Fahrern.

2. „Kritische Selbstreflexion“
(carta-info, Karola Wille)
Karola Wille, Intendantin des „Mitteldeutschen Rundfunks“, spricht sich für mehr Transparenz bei den Öffentlich-Rechtlichen aus:

Gerade in Zeiten, in denen Sinn und Zweck des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in einer digitalen Medienwelt hinterfragt werden, ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk gut beraten, nicht nur die gesetzlichen Mindestvorgaben hinsichtlich der Transparenz seines Handelns umzusetzen, sondern selbst freiwillig die Transparenz auf den unterschiedlichen relevanten Feldern zu stärken.

3. „Plagiat bei der ‘Weltwoche‘“
(nzz.ch, Patrick Imhasly, Pascal Hollenstein)
„‘Ich habe einen Fehler gemacht und wurde von der Chefredaktion gerügt‘“, erklärt sich der Schweizer Auslandskorrespondent Urs Gehriger, nachdem bekannt geworden ist, dass er Teile eines Artikels des britischen Kollegen Keith Lowe von „The Telegraph“ übernommen hat.

4. „Roleup!: auf Tuchfühlung mit Role-Models“
(vocer.org, Nina Pressentin)
Gegen den Mangel weiblicher Vorbilder in Führungspositionen haben die Hamburger Journalistinnen und Filmemacherinnen Susanne Harnisch und Frauke Vogel ein Webvideo-Format gestartet. Nina Pressentin stellt „roleUP!“ vor.

5. „Die Piratin Julia Reda rettet unser Recht auf öffentliche Selfies“
(wired.de, Liat Clark)
Im Europäischen Parlament wurde beschlossen, Fotos von öffentlichen Plätzen nicht urheberrechtlich einzuschränken. „Die Tatsache, dass der Angriff auf die Panoramafreiheit über lange Zeit solch eine Unterstützung bei einer Mehrheit im Parlament hatte, zeigt, dass viele Mitglieder die kulturellen Umwälzungen des Internets und deren Auswirkungen auf unser Urheberrecht noch immer nicht verstanden haben“, sagt die EU-Parlamentarierin und Piratin Julia Reda gegenüber „Wired“.

6. „Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf samplen ‘Bild’, ‘Spiegel’, ‘Faz’“
(tagesspiegel.de, Sonja Álvarez)
Das Video „Unsere schönen deutschen Euros“ von Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf bringe „das Niveau vieler ‘Grexit’-Diskussionen auf einen traurigen Punkt“, schreibt Sonja Álvarez. 

Man tut wass man kann

Schneeglöckchen in Winterlandschaft?

Danke an Thomas M.

***

Sehen alle glei … na ja.

Danke an “Syl Via”.

***

Lernen wir also als Nächstes Rechtschreibung und Kommasetzung.

Danke an “Flo Sieben”.

Die einfallsreichen Ku-Klux-Karnevalisten

Heute machen wir mal einen kleinen Abstecher ins südliche Afrika. Genauer: nach Windhoek, die Hauptstadt Namibias. Dort erscheint nämlich die einzige deutschsprachige Zeitung des Kontinents: Die „Allgemeine Zeitung“ (AZ), die in der vergangene Woche, wie sie selbst inzwischen einräumen musste, durch „schlechten Journalismus“ einen „Sturm der Entrüstung“ ausgelöst hat. Selbst die namibische Regierung schaltete sich zwischenzeitlich ein und zeigte sich „bestürzt“ von dem, was passiert war.

Aber beginnen wir dort, wo alles angefangen hat, und zwar in der Stadt Swakopmund, die als „deutscheste” Stadt Namibias gilt und — natürlich — auch ihren eigenen Karneval hat. Über den berichtete die AZ letzte Woche Montag und veröffentlichte unter der Überschrift …

… mehrere Fotos von verkleideten Karnevalsteilnehmern. Im Text dazu heißt es:

Wieder haben sich viele Besucher beim Maskenball des Swakopmunder Karnevals „Küska“ viel Mühe mit den Kostümen gegeben. (…) Wie erwartet waren passend zum diesjährigen Motto „30 Jahre Küska mit der Swakopmunder Mafia“ viele Personen im Anzug erschienen. Andere waren auf
andere Art und Weise sehr einfallsreich.

Zum Beispiel die hier:

(Alle Verpixelungen von uns.)

Und die hier erst:

Oh ja, sehr einfallsreich. Und so feinfühlig!

Viele andere Namibier waren dagegen weniger begeistert vom Blackfacing und den Rassisten-Kostümen der Karnevalisten. Nur mal zwei (vergleichsweise nüchterne) Beispiele von der Facebookseite der AZ:

Ich bin schockiert, entsetzt und fassungslos. Darüber, das solch hochgradig rassistisches “Amüsement” in Namibia bis heute eine unreflektierte Akzeptanz findet. Darüber dass es als harmloses, sogar glorifiziertes Ereignis durch Ihre Zeitung aufgewertet wird. Ich fühle mich sprachlos angesichts dieser Ungeheuerlichkeit. Es ist wirklich an der Zeit, sich entschieden gegen Rassismus auszusprechen und nicht ihn zu schüren…

Leider zeigt das einmal mehr, wie wenig sensibel man in der deutschsprachigen Gemeinde in Namibia noch mit dem Thema umzugehen weiß. Eine Erfahrung, die ich immer wieder in Namibia mache, wenn Rassismus oder die deutsche Kolonialgeschichte zur Sprache kommt. Da wird weggelacht, mit den Schultern gezuckt und im schlimmsten Fall die Geschichte verdreht. Die Geschichte muss dringend vernünftig aufgearbeitet werden. Sonst wird es auch weiterhin in Namibia nur ein “Nebeneinander” aber nie ein echtes “Miteinander” zwischen Schwarz und Weiß geben. Und ein Nebeneinander führt über kurz oder lang in die Katastrophe.

Am Tag nach der Veröffentlichung entschuldigte sich die Zeitung auf ihrer Facebookseite …

… und druckte am darauffolgenden Tag eine (optisch allerdings stark an eine Anzeige erinnernde) Entschuldigung auf der Titelseite:

Auch die Jungs in den KKK-Kostümen entschuldigten sich, genau wie der Karnevalsverein, der zudem ankündigte, nun „costume guidelines“ einzuführen.

Kurz darauf gab das namibische Ministerium für Information und Kommunikationstechnologie eine Stellungnahme heraus, in der es unter anderem heißt:

The Government is dismayed by the pictoral page of the daily newspaper, the Allgemeine Zeitung, which published the German festival participants or organizer honoring the Klu Klux Klan – a white extremist movement that killed black people.

The Government has witnessed the shocking images of youths dressed in offensive gear during the Swakopmund Carnival (Kuska-Maskenball) – a traditional German festival that took place in the coastal town. The youths were dressed as members of the Klu Klux Klan and others were dressed in laborers outfits painted in blackface. Blackface is a form of theatrical makeup used by performers to represent a black person. Blackface as a practice, which gained popularity during the 19th century and contributed to the proliferation of stereotypes such as the ‘happy-go-lucky/ darky on the plantation’. Their outfits were called ‘imaginative’ in the Allgemeine Zeitung where it was published.

Tags darauf meldete sich auch das „Editors’ Forum of Namibia“ (EFN) zu Wort, ein Zusammenschluss namibischer Journalisten und Medien, den man in etwa mit dem Deutschen Presserat vergleichen kann. Das Forum erinnerte an …

the importance of all media to be ever vigilant against the publishing and broadcasting of offensive content in the interest of promoting harmony and reconciliation in the country.

Man sei aber auch …

impressed by the swift manner in which the Namibia Media Holdings and the Allgemeine Zeitung reacted to the backlash on social media, showing their commitment to self-regulation and upholding the media code of ethics.

Und tatsächlich muss man der AZ zugutehalten: So daneben die Aktion war, so bemüht war die Redaktion, transparent mit der Sache umzugehen und die Kritik sichtbar zu dokumentieren. Sie berichtete über das “Bedauern und Entsetzen”, das sie ausgelöst hatte, veröffentlichte die Stellungnahmen bei Facebook und auch prominent im Blatt, bat die Leser um ihre Meinung und druckte kritische Leserbriefe („I am ashamed“) ab. Von einem solch offensiven Umgang mit bösen Fehlern sind deutsche Medien oft leider weit entfernt.

Mit Dank an René B.!

WDR-Sparpläne, Transfergerüchte, lästige Leser

1. „Widerstand gegen Sparpläne des WDR“
(meta-magazin.org, Markus Lehmkuhl)
Der Berufsverband der Wissenschaftsjournalisten fordert in einem offenen Brief (PDF) an WDR-Intendant Tom Buhrow eine Debatte über die Zukunft des Wissenschaftsjournalismus in der ARD. „Anlass für das Schreiben sind die kürzlich bekannt gewordenen Sparpläne des Senders, die unter anderen die Fernsehsendungen „nano“ und „W wie Wissen“ betreffen.“ Auf keine-nische.de sammelt der Verband Unterstützer, die sich gegen die Sparpläne des WDR aussprechen.

2. „Zlatan zum FC Bayern!“
(11freunde.de, Andreas Bock)
Andreas Bock geht wilden Gerüchten im Profifußball auf den Grund, die in der Sommerpause plötzlich aufkommen: „Wenn man sich mal die Mühe macht, die ‘Laut-Medienberichten’-Transfergerüchte zurückzuverfolgen, landet man oft in obskuren Internetforen, wo Fans darüber diskutieren, ob Spieler xy oder yz gut zu ihrem Verein passen würde.“ Vor einer Woche berichtete „Vice Sports” über Transfergerüchte, die sich „auf bulgarische Blogeinträge oder italienische Talkshow-Aussagen” stützen.

3. „Die 10 zentralen Trends für Journalisten“
(horizont.net, Pauline Tillmann)

4. „Wer stellt die Mehrheit?“
(faz.net, Julia Bähr)
„Dieses als Filterbubble bekannte Phänomen sorgt dafür, dass sich am Ende alle fragen, wer denn eigentlich diese Leute sind, die andere Parteien wählen als sie selbst.“ Julia Bähr befasst sich mit einer Studie (PDF), die herausstellt, dass Meinungsströme im Internet in die Irre führen, auf Facebook gar meinungsverzerrend wirken.

5. „Ach, diese lästigen Leser“
(opinion-club.com, Falk Heunemann)
„Das Problem am schönen Allgemeinplatz von der Fehlerkultur ist nur: die gelebte Praxis. Bis heute haben es viele Medien nicht gelernt, mit den Reaktionen ihrer Leser und Zuschauer umzugehen”, schreibt Falk Heunemann.

6. „Feminismus ist nur was für hässliche Frauen, sagt ein Öffentlich-Rechtliches Radio aus Berlin“
(buzzfeed.com, Philipp Jahner)
Philipp Jahner über einen Tweet von „Radioeins“, das mit einem falschen Zitat von Charles Bukowski für Aufsehen sorgte.

Was die Polizei will, ist “Bild” doch egal

Momentan geistert ein Handyvideo durch die Sozialen Netzwerke, das einen hilflosen älteren Mann zeigt, der von einer 17-Jährigen und einem 20-Jährigen übel verprügelt wird. Bild.de berichtet seit vorgestern fleißig darüber, drei Artikel hat das Portal inzwischen veröffentlicht. Der aktuellste endet so:

Im selben Artikel verbreitet Bild.de das Video.

Genauso wie schon im ersten der drei Artikel und im zweiten. Die Printausgabe zeigte gestern vier große Standbilder aus der Videoaufnahme. Und auf der “Bild”-Facebook-Seite und im hauseigenen Twitter-Kanal teasert die Redaktion mit einem Bild, das einen Tritt des Mädchens ins Gesicht des Rentners zeigt.

Aus zwei Gründen warne man davor, das Video weiter zu verbreiten, erklärte uns Rüdiger Ulrich, Sprecher der Polizei Salzgitter:

Das unerwünschte Aufzeichnen von Personen in deren Wohnung ist unter Strafe gestellt. Gleiches gilt, wenn jemand diese Aufnahmen verbreitet.

Oder wie die Polizei Braunschweig noch deutlicher bereits vorgestern auf ihrer Facebook-Seite schrieb (mit interessanten Antworten der Polizei im Kommentarbereich):

Wir danken allen für die eingegangenen Hinweise und weisen darauf hin, dass das Teilen oder die weitere Verbreitung dieses Videos eine Straftat gem. § 201 a StGB (Verletzung des pers. Bereichs durch Bildaufnahmen) darstellt und strafrechtlich verfolgt werden muss.

Außerdem sei der Warnhinweis eine Präventivmaßnahme der Polizei gewesen, so Ulrich:

Wir wollen damit möglichen Reaktionen von Personen vorbeugen, die schnell mal strafrechtlich relevante Dinge äußern, wie: “Mit denen müsste dieses oder jenes anstellen.” Und wir wollen Belagerungszustände beim Opfer und auch bei den Tatverdächtigen vermeiden.

Dass diese Befürchtungen sehr berechtigt sind, kann man auf der Facebook-Seite der “Bild”-Zeitung nachverfolgen, wo der vom Prügelvideo aufgeheizte Mob schon eifrig dabei ist, die Adressen und Telefonnummern der Täter herauszufinden.

Von Seiten der Polizei Salzgitter, so ihr Sprecher Rüdiger Ulrich, sei der Fall inzwischen aufgeklärt und werde nun strafrechtlich aufgearbeitet, jegliche Informationen seien vorhanden. Ein weiteres Verbreiten der Videoaufnahmen sei daher sowieso nicht nötig.

Auf die Frage, was er von der Verbreitung des Videos bei Bild.de halte, sagt Ulrich:

Nicht alles, was “Bild” und Bild.de veröffentlichen, ist hilfreich für die Polizeiarbeit.

Wie fatal die sensationsgierige Berichterstattung für die Aufklärung eines Verbrechens sein kann, hat gerade erst der Gerichtsprozess im Fall Tuğçe gezeigt.

Mit Dank an noir, Pauli und Christian S. und Anonym.

Nachtrag, 10. Juli: Da die Polizei Braunschweig auf ihrer Facebookseite schreibt, dass die weitere Verbreitung des Videos eine Straftat darstelle, die strafrechtlich verfolgt werden müsse, kam die Frage auf, ob das auch für Bild.de gilt. Die zuständige Staatsanwaltschaft Braunschweig erklärte uns auf Nachfrage:

Bei einem Verstoß gegen § 201a des Strafgesetzbuchs handelt es sich um ein absolutes Antragsdelikt. Wir können es also erst dann verfolgen, wenn ein Strafantrag vorliegt.

Und der muss vom Geschädigten kommen, in diesem Fall also von dem älteren Mann, in dessen Wohnung die Aufnahmen gemacht wurden. Sollte er keinen Strafantrag stellen, hat die Veröffentlichung für Bild.de (genauso wie für “RTL2”, das das Video in seinen Nachrichten gezeigt hat) keine rechtlichen Folgen.

Außenstehende könnten zwar auch Anzeige erstatten, so die Staatsanwaltschaft. Dann würde die Behörde Kontakt zum Geschädigten aufnehmen, um die Anzeige zu prüfen. Einem Strafantrag komme das aber nicht gleich.

Bild.de lockt Leser mit frechen Früchtchen an die Spielautomaten

Es gibt in der Redaktion von Bild.de eine auffallende Affinität für sogenannte Online-Slot-Machine-Games, also für einarmige Banditen im Internet. Zum Beispiel fürs Spiel “7 Slots”, das, so Bild.de, “für wahre Adrenalinschübe” sorge:

Das “Slot-Game” sei spannend …

In “7 Slots” steigt die Spannung praktisch bei jedem Dreh der Walzen! Gewinnen Sie Freispiele oder sogar den ganz großen Gewinn an Spiel-Chips?!

… das Richtige für Gewinnertypen …

Im kostenlosen Slot-Game “7 Slots” lassen Sie die Walze rollen und Sahnen [sic] ordentlich Punkte ab

… und einfach das “perfekte Spiel”:

“7 Slots” ist das perfekte Spiel für den Adrenalin-Kick zwischendurch. Zocker kommen hier garantiert auf ihre Kosten!

Spielen kann man “7 Slots” auf der Seite “jackpot.de”. Und die hat den Bild.de-Artikel bezahlt gepowert:

Von der Kooperation mit dem Online-Casino erfährt man allerdings nur in den Fotocredits und wenn man mit dem Mauszeiger über die Links geht, die zur Casino-Seite führen. Ansonsten kommt der Text wie jeder andere auf Bild.de daher.

Genauso beim Artikel, in dem die Redaktion für das Spiel “Fancy Fruits” wirbt:

Die “Früchtchen” stammen ebenfalls von “jackpot.de” und sollen ebenfalls “das perfekte Spiel” bieten:

“Fancy Fruits” ist das perfekte Spiel für den Adrenalin-Kick zwischendurch. Zocker kommen hier garantiert auf ihre Kosten!

Beide Artikel erschienen im Mai. Im Juni gab’s die nächste Slot-Machine-Geschichte bei Bild.de, dieses Mal “Powered by Gametwist”. Und wieder lautete das Versprechen:

Nun aber nicht nur bei einem Spiel:

BILD stellt Ihnen 5 kostenlose Slot-Machine-Games vor, die stundenlangen Spielspaß garantieren!

Zum Beispiel die Früchte von “Fruits’n Sevens”, die “in der bunten Spielwelt […] Ihre besten Freunde” seien. Oder der “Spieleklassiker ‘Book of Ra'”, in dem “Sie sich als mutiger Abenteurer auf eine Suche nach sagenumwobenen Relikten ins alte Ägypten” begäben. “Frisches Obst so weit das Zockerauge reicht” verspreche bei “Sizzling Hot Deluxe” eine “satte Gewinnernte”.

Das Fazit von Bild.de:

Kasino-Spiele sind der perfekte Adrenalin-Kick für zwischendurch

All diese Angebote, die Bild.de vorstellt, sind kostenlos; die Nutzer können Spielgeld setzen. Man könnte also — abgesehen vom merkwürdigen Werbeformat — meinen: Warum nicht auf Webseiten hinweisen und verlinken, die für ein bisschen Zeitvertreib sorgen?

Klar, wenn es dem Werbekunden hier nicht auch darum ginge, potentielle Glücksspieler anzufixen. Denn “Gametwist” ist nicht irgendein kleines Spieleportal. Es gehört zum österreichischen Unternehmen Funstage. Und Funstage ist eine 100-prozentige Tochter (PDF) der Novomatic AG, einem riesigen Aufsteller von Glücksspielautomaten mit einem Umsatz von zwei Milliarden Euro im Jahr 2014. Vor den Novomatic-Geräten sitzen zahlreiche Süchtige, die nicht selten ihr gesamtes Geld verzocken. Und in diese so lustige Welt der “frechen Früchtchen” und “mutigen Abenteurer” führt Bild.de seine Leser nun ein.

Wenn das alles völlig abwegig klingen sollte: Vor wenigen Tagen ging der nächste Slot-Machine-Text online, “Powered by OnlineCasino Deutschland AG”. Und dieses Mal ist nicht nur von Spielgeld die Rede:


(Immerhin: Das Graue über der Schlagzeile ist eine Anzeigen-Kennzeichnung.)

Beim “Echtgeld-Modus” hingegen kommen Hobby-Zocker voll auf ihre Kosten! Hier können Sie mit echtem Geld spielen und natürlich auch echtes Geld gewinnen

Einen Hinweis darauf, dass man auch eine Menge “echtes Geld” verlieren kann, gibt es im Artikel nicht.

Mit Dank an @bassena.

Unpolitische Politikmagazine, Brustwarzen, Perlen aus Freital

1. „Politikmagazine immer unpolitischer?“
(daserste.ndr.de, Anja Reschke, Volker Steinhoff & Andrej Reisin)
„Panorama“ widerspricht den Anschuldigungen einer neuen Studie der „Otto Brenner Stiftung“, Politikmagazine im TV würden immer unpolitischer, und weist neben der ungenauen Kategorisierung durch Studien-Autor Bernd Gäbler auf den kurzen Betrachtungszeitraum von fünfeinhalb Wochen hin.

So ordnet Gäbler etwa Panorama-Beiträge über die „Share Economy“ der Kategorie „Digitalisierung“ zu und nicht etwa „Wirtschaft“. Ein Beitrag über Vorsorgevollmachten, bei dem es darum ging, dass das Gesetz Menschen nicht schützt, wenn jemand an ihr Hab und Gut will, landet in der Kategorie „Gesundheit“. Da die Magazine logischerweise thematische Abwechslung suchen und brauchen, wäre ein Jahr Beobachtung aus unserer Sicht unerlässlich gewesen.

2. „Tengelmann, Edeka und die Medien: der Kampf der Mitarbeiter um die Deutungshoheit“
(welt.de, Christian Meier)
Welt-Redakteur Christian Meier zeigt am Beispiel des offenen Briefes zum Kaiser’s-Tengelmann-Verkauf, wie schnell es passieren kann, dass in der Berichterstattung von einer kleinen Gruppe auf eine unbestimmte Zahl bis hin zu 16.000 Mitarbeiter geschlossen wird.

3. „Brustwarze ist nicht gleich Brustwarze”
(sueddeutsche.de, Simon Hurtz)
„Aus der Nähe betrachtet sehen sich männliche und weibliche Brustwarzen sehr ähnlich. Für Facebook ist das noch lange kein Grund, sie gleich zu behandeln.“ Die No-Nippel-Policy verbannt Fotos von weiblichen, nicht aber von männlichen Brüsten auf den Plattformen Facebook und Instagram. Die kanadische Künstlerin Micol Hebron wehrte sich und postete eine satirische Bastelanleitung, um Oben-ohne-Fotos akzeptabel zu gestalten. Diese findet im Netz nun Anwendung.

4. „When journalists take a vacation, do they actually take a break?“
(poynter.org, Melody Kramer, englisch)
Was heißt Urlaub für Journalisten, die nonstop auf zahlreichen Kanälen vertreten, per E-Mail und Handy erreichbar sind? Melody Kramer hat bei Kollegen nachgefragt. Bei Twitter kursiert zu dem Thema das Hashtag #journovacation.

5. „Ich könnte schreien”
(horizont.net, Volker Schütz)
Richard Gutjahr spricht im Interview über die späte Einsicht seiner Kollegen, die ihn lange für seine Social-Media-Aktivitäten belächelten und heute für künstliche Reichweite bezahlen: „Meine Artikel, meine Kommentare, meine Filme sind nur Teaser für das eigentliche Produkt. Und das Produkt, das wird mir jetzt immer mehr bewusst, bin ich.“

6. „Perlen aus Freital“
(perlen-aus-freital.tumblr.com)
Worst of Hetze in der sächsischen Stadt Freital – ein Tumblr sammelt Posts von Menschen, die „sich gegen die vermeintliche Bedrohung durch Flüchtlinge“ wehren.

“Bild” versteckt Rüge zu Germanwings-Opferfotos

Zwei Tage nach dem Absturz der Germanwings-Maschine 4U9525 veröffentlichten “Bild” und Bild.de mehrere private Fotos von Opfern des Unglücks (BILDblog berichtete):

Dafür kassierten sie eine öffentliche Rüge des Presserats (BILDblog berichtete ebenfalls).

Gestern hat „Bild“ die Rüge veröffentlicht und dafür — wie üblich — einen möglichst prominenten und angemessenen Platz gesucht:

Falls Sie noch suchen: neben den Brüsten. Direkt über dem Känguru.

(Zum Vergleich: Der gesamte Artikel ist ungefähr so groß wie das „Barcelona“ in der ursprünglichen Schlagzeile.)

Dass sich die Rüge außerdem auf die Veröffentlichung eines (immerhin verpixelten) Klassenfotos und den Nachdruck einer Traueranzeige mit den vollen Namen der Opfer bezieht, erwähnt „Bild“ nicht. Und dass es bei den Ziffern 8 und 11 des Pressekodex um den „Schutz der Persönlichkeit“ sowie den „Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen“ geht, hat die Redaktion auch nicht erwähnt, allerdings war ja auch kein Platz mehr, weil Brüste und Känguru.

Dass die Opferfotos „teilweise zuvor auf Facebook gepostet oder öffentlich aufgestellt worden waren“, hat dagegen noch reingepasst, schließlich zieht die „Bild“-Zeitung daraus eines ihrer Hauptargumente für die Veröffentlichung der Fotos. In ihrer Stellungnahme betonten die „Bild“-Juristen:

Es seien ausschließlich öffentlich zugängliche Bilder verwendet worden. Bei den Aufnahmen der verunglückten Deutschen handele es sich überwiegend um Fotos, die in Haltern am See ausgestellt gewesen seien. So habe beispielsweise das Gruppen-Selfie der verstorbenen [L.] öffentlich und frei zugänglich am dortigen Marktplatz ausgehangen.

Für den Presserat ist das aber kein Argument. So stelle …

die Tatsache, dass Fotos von Opfern in sozialen Netzwerken einem beschränkten Empfängerkreis zugänglich sind, keine Zustimmung zu einer identifizierenden Berichterstattung durch eine berechtigte Person dar. Auch ist ein öffentlicher Aushang solcher Fotos in einer Stadt nicht als eine solche Zustimmung zu werten, da völlig unklar ist, ob der Aushang mit Zustimmung erfolgt ist. Selbst dann, wenn dieser Aushang mit Zustimmung von berechtigten Personen erfolgt sein sollte, so ist dies noch nicht als Zustimmung zu einer Weiterverwertung durch die Medien zu bewerten.

„Bild“ argumentierte außerdem mal wieder damit, dass die „Personalisierung der Berichterstattung“ die „Dimension des Ereignisses“ konkretisiere und ein „Totengedenken“ ermögliche:

Ohne Einbeziehung ihrer Identität würden die 149 unschuldigen Menschen auf anonyme Zahlen in der Unfallstatistik reduziert.

Dazu hatte Ursula Ernst vom Presserat schon im Rahmen der MH17-Berichterstattung gesagt:

Die Argumentation einiger Medien, den Opfern ein Gesicht zu geben, ist nachvollziehbar, dennoch: Nur weil jemand zufällig Opfer eines schrecklichen Ereignisses wird, darf er nicht automatisch mit Foto in der Presse gezeigt werden.

Das sieht „Bild“ natürlich anders. In ihrer Stellungnahme zu den Germanwings-Opferfotos schreiben die Springer-Anwälte noch:

Personalisierung und Illustration würden bei Lesern erhöhte Aufmerksamkeit wecken, das Bewusstsein erhöhen und Mitgefühl auslösen. Keinesfalls würden dadurch die verunglückten Passagiere oder deren Angehörige ein zweites Mal zu Opfern gemacht.

„Keinesfalls“.

Vielleicht müssen wir doch noch mal das wiederholen, was der Vater eines der Opfer des Amoklaufs von Winnenden gesagt hat, nachdem „Bild“ und andere Medien groß über das Leben und Sterben seines Kindes berichtet hatten:

„Die Bild-Zeitung und andere, auch Fernsehsender, ziehen Profit aus unserem Leid! Dreimal hintereinander sind Bilder von [meiner Tochter] erschienen, ohne dass wir das gewollt hätten. Wir hätten das nie erlaubt. (…) Die reißen die Bilder an sich und fragen nicht danach, was wir Hinterbliebenen denken und fühlen.“

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