24-Stunden-Frist, DLF bedauert Gewaltaufruf, Gelöschte Kritik

1. ver.di kritisiert Kanzleramt wegen 24-Stunden-Frist zur Kommentierung des BND-Gesetzes
(dju.verdi.de, Daniela Milutin)
Das Bundeskanzleramt habe betroffenen Verbänden und Organisationen, einschließlich der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, lediglich 24 Stunden Zeit gegeben, um den Referentenentwurf zur Überarbeitung des BND-Gesetzes zu kommentieren. Christoph Schmitz, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand, kritisiert diese kurze Frist und betont, dass das BND-Gesetz die Rechte von Journalistinnen und Journalisten nicht ausreichend schütze, was bereits zu Kritik vom Bundesverfassungsgericht geführt habe. Die dju fordert das Kanzleramt auf, die Frist zur Stellungnahme anzupassen und die Verbände angemessen zu beteiligen.
Weiterer Lesehinweis: Bundeskanzleramt simuliert Verbändebeteiligung mit 24-Stunden-Frist (netzpolitik.org, Markus Reuter).

2. LinkedIn löscht sachliche Kritik an AfD
(netzpolitik.org, Tomas Rudl)
Wie netzpolitik.org berichtet, hat der SPD-Bundestagsabgeordnete Robin Mesarosch auf LinkedIn vor einer Zusammenarbeit mit der AfD gewarnt. Sein Beitrag sei daraufhin von der Plattform wegen angeblicher Hassrede gelöscht worden. Mesarosch klage nun mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) gegen die Löschung, da er die Maßnahme als Einschränkung seiner Meinungsfreiheit sieht. Die GFF argumentiert, dass Plattformen nicht willkürlich vorgehen dürfen und in Mesaroschs Beitrag keine Herabwürdigung zu erkennen ist.

3. Außergerichtlich geeinigt
(taz.de, Christian Rath)
Der Axel-Springer-Verlag und der geschasste “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt haben ihren arbeitsgerichtlichen Streit mit einem Vergleich beigelegt, wodurch Reichelt seine Abfindung von zwei Millionen Euro behalten könne. Der ursprünglich für den 15. November angesetzte Prozess sei abgesagt worden; die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Berlin gegen Reichelt wegen Betrugs würden hingegen weiterlaufen. Die Kontroverse hatte mit Vorwürfen des Machtmissbrauchs gegen Reichelt begonnen. Als Gerüchte aufkamen, dass Reichelt nach seiner Entlassung anderen Medien Unterlagen aus seiner Springer-Zeit angeboten haben könnte, habe der Verlag die Abfindung infrage gestellt.

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4. DLF bedauert gesendeten Gewaltaufruf gegen Selenskyi
(dwdl.de, Manuel Weis)
Im Deutschlandfunk (DLF) wurde eine Hörermeinung ausgestrahlt, in der gefordert wurde, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj “lebendig zu vierteilen”. Diese Passage der Sendung “Kontrovers” sei mittlerweile entfernt worden, der Sender habe für den Vorfall um Entschuldigung gebeten. Der DLF habe die Ausstrahlung als “Fehler eines erfahrenen Redaktionsteams” bezeichnet und interne Gespräche angekündigt, um zu klären, wie es dazu kommen konnte.

5. Fußball-Experten ohne Distanz?
(deutschlandfunk.de, Constantin Eckner, Audio: 5:14 Minuten)
Der Deutschlandfunk beschäftigt sich mit dem Transferjournalismus, also der Berichterstattung über Spielerverkäufe im Profifußball (siehe dazu auch die “6 vor 9” vom 16. August). Das Interesse an den millionenschweren Deals sei immens, die journalistische Neutralität gerate dabei jedoch manchmal in den Hintergrund, so Sportjournalist Constantin Eckner: “Transfers sind gewiss ein besonderes Spektakel. Dieses mit ausreichender journalistischer Distanz zu beobachten, ist mitunter die größte Herausforderung.”

6. Die Formel 1 und das gute Gefühl, dass jederzeit etwas passieren könnte
(uebermedien.de, Sebastian Hotz)
Im Rahmen der “Übermedien”-Serie “Geheimen Leidenschaften” reflektiert Sebastian Hotz, bekannt als “El Hotzo”, seine Faszination für die Formel 1 trotz der offensichtlichen moralischen und ökologischen Bedenken, die der Sport mit sich bringe. Für ihn liege die Magie unter anderem “in den gewaltigen Anstrengungen, die Fernsehsender auf der ganzen Welt auf sich nehmen, um diesen Sport vollends zu vermarkten und aus perfekten Athleten, die in perfekten Autos perfekte Runden um perfekte Strecken drehen, irgendetwas aufregendes zu machen. Und darauf falle ich nur allzu gerne rein.”

Gluckernde Güllepumpe, Geseufztes Halleluja, Klimajournalismus

1. Andreas Ellermann und die Güllepumpe aus Trash
(uebermedien.de, Peter Breuer)
Bei “Übermedien” beschäftigt sich Peter Breuer mit der medialen Selbstvermarktung des Andreas Ellermann, der sich durch seine Beziehungen zu Prominenten wie Patricia Blanco und Nadja Abd el Farrag in die Schlagzeilen der Boulevardpresse katapultiert hat. Breuer kritisiert die Redaktionen für ihre Bereitschaft, Ellermanns Inszenierungen zu verbreiten und bezeichnet die Beziehung zwischen Ellermann und den berichtenden Medien als “Perpetuum mobile” und “gluckernde Güllepumpe aus Trash, die bereits mit minimaler Nährstoffanreicherung ein unfassbares Textwachstum düngt”.

2. Klimajournalismus – über Herausforderungen und Perspektiven eines zukunftsträchtigen Ressorts
(fachjournalist.de, Ulrike Bremm)
Die Klimajournalistin Annika Joeres spricht im Interview über die Entwicklung und Herausforderungen ihres Themenfeldes. Sie betont, dass Klimajournalismus nicht nur über physikalische Gesetzmäßigkeiten berichtet, sondern auch kritisch hinterfragt, welche politischen und wirtschaftlichen Interessen die Klimapolitik beeinflussen. Und sie hat einen Tipp für junge Journalistinnen und Journalisten: “Wer sich für den Klimajournalismus interessiert, sollte sich in die Europapolitik im Zusammenhang mit der Klimakrise einarbeiten. Da wird dringend Nachwuchs gebraucht!”

3. Ein geseufztes Halleluja zum Geburtstag: Wo steht Bild TV?
(dwdl.de, Alexander Krei)
Mit großen Ambitionen startete der Springer-Konzern vor zwei Jahren sein Projekt “Bild TV”. Zum Jubiläum zieht Alexander Krei eine Zwischenbilanz. Die aktuellen Entwicklungen und Entscheidungen des Senders lassen in ihm Zweifel aufkommen, ob “Bild TV” langfristig in der Medienlandschaft bestehen kann: “In zwei Jahren steht die nächste Bundestagswahl an. Dass es dann noch einmal eine ‘Kanzlernacht’ bei Bild TV geben wird, darf bezweifelt werden. Wahrscheinlicher ist da schon, dass dann mal wieder ein Film über das Schwarze Loch gesendet wird. Wenn überhaupt.”

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4. “Clankriminalität”: Berichten, aber wie?
(deutschlandfunk.de, Luise Sammann, Audio: 5:57 Minuten)
Im Deutschlandfunk geht es um die Berichterstattung über “Clankriminalität”. Obwohl das Wort von Medien und Polizei häufig verwendet werde, gebe es keine einheitliche Definition. Oft werde der Begriff mit einer bestimmten ethnischen Herkunft in Verbindung gebracht, was zu Diskriminierung und Pauschalisierung führen könne. Experten empfehlen, dass Redaktionen differenzierter berichten und auch nicht-kriminelle Familienmitglieder zu Wort kommen lassen sollten.

5. “Frankfurter Rundschau” ohne Tarif
(taz.de, Caspar Shaller)
Die “taz” berichtet über den Tarifkonflikt bei der “Frankfurter Rundschau” (“FR”). Die Gewerkschaften Verdi und DJV würden eine Rückkehr in die Tarifbindung fordern, was die Geschäftsführung des Blattes ablehne. Die “FR” sei vor zehn Jahren aus der Tarifbindung ausgestiegen, was dazu führe, dass viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Vergleich mehrere hundert Euro weniger im Monat bekämen. Die Eigentümerin der Zeitung, die Ippen-Gruppe, argumentiert, die “FR” könne sich höhere Gehälter nicht leisten, was die Gewerkschaftsvertreter bezweifeln. Sie fordern mehr Transparenz über die finanzielle Situation des Unternehmens.

6. Wenn Pointen von damals heute aufregen
(tagesspiegel.de, Ariane Bemmer)
Der WDR hat alte Sendungen von Otto Waalkes und Harald Schmidt in der eigenen Mediathek mit einem Hinweis versehen, dass einige Passagen heute als diskriminierend empfunden werden könnten. Dafür wurde der Sender in Sozialen Medien heftig kritisiert. Zu Unrecht, findet Ariane Bremmer. Sie spricht in diesem Zusammenhang von einem Akt der Rücksichtnahme: “Es wird damit nichts zensiert, es wird nichts ungeschehen gemacht, es wird nichts zurückgenommen.”

AfD in den Medien, Presserecht ausgehebelt, “Spiegel” vs. Steingart

1. Berichterstattung über die AfD: “Der Medienopfer-Mythos fruchtet bei ihren Anhängern”
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
In einem Interview mit dem Kommunikationsberater Johannes Hillje beschäftigt sich der “Tagesspiegel” mit der Berichterstattung über die AfD und dem “Medienopfer-Mythos” der Partei. Hillje identifiziert rückblickend drei Phasen des journalistischen Umgangs mit der AfD: Erstens die mediale Verstärkung der rechtspopulistischen Rhetorik, zweitens eine Phase mit mehr journalistischer Verantwortung und drittens eine Phase der Orientierungslosigkeit, in der Medien wieder verstärkt über die AfD berichten. Er betont, dass die AfD die Normen der demokratischen Öffentlichkeit sprenge und einige Redaktionen nach wie vor Schwierigkeiten hätten, den Extremismus der Partei richtig einzuordnen.

2. Journalistenschelte überzogen
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) kritisiert die pauschalen Vorwürfe von Springer-Chef Mathias Döpfner gegen Journalistinnen und Journalisten. Döpfner hatte in einem Beitrag in der “Welt” Medienschaffenden, insbesondere jenen, die sich um den Politikbetrieb in Berlin kümmern, eine Mitschuld am Aufstieg der AfD gegeben und behauptet, sie würden zu Aktionismus und überzogenen moralischen Erwartungen an Politikerinnen und Politiker neigen. Der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall sagt, dass Döpfners Kritik in Einzelfällen zutreffen möge, sie zeichne aber insgesamt ein Zerrbild der Medienlandschaft.

3. Wenn Vereinsrecht Presserecht aushebelt
(verdi.de, Stefan Mey)
“In der deutschen Rechtsordnung gibt es also eine Hintertür, mit der sich eine Grundsäule des Rechtsstaats aushebeln lässt. Über ein wenig aufregend erscheinendes Gebiet namens Vereinsrecht lässt sich die Pressefreiheit hacken. Diese ‘Sicherheitslücke’ sollte dringend geschlossen werden.” Stefan Mey weist auf eine aus seiner Sicht gefährliche Schwachstelle unseres Rechtsstaates hin.

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4. Wie der “Spiegel” an Gabor Steingarts Bullshit scheiterte
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Bei “Übermedien” beschäftigt sich Stefan Niggemeier mit einem Konflikt zwischen dem Nachrichtenmagazin “Spiegel” und dem Medien-Start-up “Media Pioneer” von Gabor Steingart. Der “Spiegel” kritisiere Steingarts Unternehmen und werfe ihm vor, dass Firmen und Vereine durch die Buchung von Steingarts “Medienschiff” für Veranstaltungen möglicherweise auch eine redaktionelle Vorzugsbehandlung erhalten könnten. Niggemeier stellt die Recherche des “Spiegel” infrage und betont, dass viele der vom “Spiegel” aufgeworfenen Punkte entweder irrelevant oder unbewiesen seien. Sein Fazit: “Die unendlich lange ‘Spiegel’-Geschichte ist vor allem ein erschütterndes Dokument einer gescheiterten Recherche.”

5. New York Times gegen ChatGPT
(deutschlandfunk.de, Doris Simon, Audio: 5:43 Minuten)
Die “New York Times” (“NYT”) soll eine Urheberrechtsklage gegen das US-Unternehmen OpenAI prüfen, das hinter der Künstlichen Intelligenz (KI) ChatGPT steht. Die KI sei auch mit Texten der “NYT” trainiert worden, so der Vorwurf. Doris Simon berichtet für den Deutschlandfunk aus Washington und weiß mehr über den Streit und seine möglichen Folgen.

6. Weniger Geld für Demokratie-Projekte?
(youtube.com, Monitor, Herbert Kordes & Till Uebelacker & Laurie Stührenberg, Video: 7:53 Minuten)
Die Bundesregierung plant, die Finanzierung von Projekten, die sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagieren, zu kürzen. Hintergrund ist der Versuch, die sogenannte Schuldenbremse einzuhalten. Das treffe unter anderem die Organisation HateAid, die Betroffenen von rechter Hetze im Internet hilft, und die Bundeszentrale für politische Bildung mit zahlreichen Unterprojekten. Die Kürzungen seien ein falsches Signal und eine Gefahr für die Demokratie, kritisiert der “Monitor”-Beitrag.

“Bild” erwischt Cathy Hummels schon wieder auf Dating-App

Entweder haben Tanja May, Mitglied der “Bild”-Chefredaktion, und Cathy Hummels, Influencerin und Unternehmerin, beide ein sehr schlechtes Gedächtnis. Oder sie halten die “Bild”-Leserinnen und -Leser für so bescheuert, dass sie kein Problem damit haben, sie ganz offensichtlich zu verarschen.

Vergangenen Mittwoch berichtete May über Hummels bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Cathy Hummels auf Promi-Tinder erwischt! So lief ihr erstes Date - Wer Chancen bei ihr hat - Es handelt sich dabei laut Symbol um einen Bild-plus-Artikel

Einen Tag später schaffte es diese Entdeckung sogar auf die “Bild”-Titelseite …

Ausriss Bild-Titelseite - Cathy Hummels auf Promi-Tinder erwischt - TV-Moderatorin Cathy Hummels (35) sucht im Internet nach einer neuen Liebe

… und groß ins Blatt:

Ausriss Bild-Zeitung - Cathy Hummels bei Promi-Tinder erwischt! Ich habe schon ein paar Männern geschrieben

Was sagt denn Cathy Hummels dazu?

Im exklusiven BILD-Interview gibt die schöne Single-Mama zu, dass sie sich jetzt bei “Raya” tummelt: “Erwischt! Ja, das stimmt. Modernes Dating? Bin ich auch dabei.”

Dass die eine berichtet, jemanden “erwischt” zu haben, und die Erwischte sich “erwischt” fühlt, ist etwas überraschend. Denn vor mehr als acht Monaten, im Dezember 2022, berichtete Bild.de schon einmal über Cathy Hummels und die Dating-App Raya:

“Ich habe die Dating-App Raya ausprobiert”, verrät die Mama eines kleinen Sohnes (Ludwig, 4) jetzt gegenüber BILD.

Die Autorin des Artikels damals: Tanja May.

Es ist schon eine tolle Symbiose: Auf der einen Seite Prominente, die trotz der eigenen Reichweite in den Sozialen Medien offenbar immer noch das Boulevardscheinwerferlicht brauchen. Und auf der anderen eine Klatschredaktion, die mit derartigen Nichtigkeiten Online-Abos und gedruckte Exemplare verkaufen kann – zur Not sogar als aufgewärmtes “Erwischt!”-Märchen.

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Kein Spitzen(steuersatz)-Journalismus

Bei der Ursachenforschung zur Frage, warum namhafte Politiker und Politikerinnen so gern den “Bild”-Medien Interviews geben, wird meist die Reichweite als zentraler Aspekt identifiziert: Mit “Klartext”-Parolen in “Bild”, “Bild am Sonntag” und Bild.de kann man nach wie vor eine Menge Leute erreichen. Aber vielleicht spielt noch etwas anderes eine wichtige Rolle: Dass man beim Interview Leuten gegenübersitzt, die einen jeden Unsinn ohne Faktencheck erzählen lassen.

In “Bild am Sonntag” erschien gestern ein großes Interview mit CDU-Politiker Jens Spahn:

Ausriss Bild am Sonntag - Spahn fordert Pause bei völlig ungesteuerter Asyl-Migration

Spahn erklärt darin unter anderem seine Idee von einer im Grundgesetz verankerten “Belastungsbremse” für die Sozialabgaben. “Bild am Sonntag” will daraufhin wissen: “Braucht es darüber hinaus auch eine Steuerreform?” Antwort Spahn:

Leistung muss sich wieder mehr lohnen. Überstunden sollten steuerfrei sein. Zudem zahlt ein Facharbeiter mit 62.000 Euro Jahresgehalt schon den Spitzensteuersatz. Der sollte künftig erst ab 80.000 Euro greifen.

Da könnte man als Redaktion natürlich erstmal nachfragen, nachforschen und die Info nachliefern, wie viele “Facharbeiter mit 62.000 Euro Jahresgehalt” es in Deutschland denn so gibt. Sicher, in der richtigen Branche und/oder mit vielen Jahren Berufserfahrung gibt es die bestimmt. Aber Jens Spahn kann beim nächsten Besuch in der Kita oder im Seniorenheim oder in der Kantine des Bundestags ja mal eine Erzieherin, einen Pfleger oder eine Köchin fragen, was die so mit ihren 62.000 Euro Jahresgehalt anstellen. Wenn er Glück hat, wird er von den Fachkräften nur ausgelacht und nicht wütend rausgejagt.

Das aber nur nebenbei. Eigentlich soll es um Spahns Behauptung gehen, dass man “mit 62.000 Euro Jahresgehalt schon den Spitzensteuersatz” zahle. Das ist nämlich Unsinn. Und die “Bild”-Medien verbreiten diesen Unsinn unhinterfragt.

Richtig ist, dass der Spitzensteuersatz von 42 Prozent für das Jahr 2023 ab 62.810 Euro gilt (2022 lag diese Grenze bei 58.597 Euro). Aber es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen dem von Spahn genannten Jahresgehalt und dem zu versteuernden Einkommen. Letzteres ist für die Berechnung des Steuersatzes entscheidend. Und auf dem Weg vom Jahresgehalt zum zu versteuernden Einkommen gibt es verschiedene, individuelle Möglichkeiten, Ausgaben geltend zu machen und damit die Summe zu reduzieren: Den wichtigste Posten dürften die Sozialversicherungsbeiträge bilden, beispielsweise die Beiträge zur Krankenversicherung. Dazu kommen noch weitere Vorsorgeaufwendungen, die die Summe drücken können, Freibeträge wie der Kinderfreibetrag oder der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende, außergewöhnliche Belastungen wie Krankheitskosten oder Pflegekosten für die eigenen Eltern und Sonderausgaben wie Spenden oder Kinder­betreuungs­kosten.

Nur wer nach all diesen Abzügen ein zu versteuerndes Einkommen von über 62.810 Euro hat, zahlt 2023 den Spitzensteuersatz (aber natürlich nicht auf die gesamte Summe, sondern nur auf den Betrag, der über dieser Grenze liegt; der Durchschnittssteuersatz liegt deutlich darunter: bei einem zu versteuernden Einkommen von exakt 62.810 Euro beträgt er laut Rechner des Bundesfinanzministeriums 26,12 Prozent). Oder anders gesagt: Wer “62.000 Euro Jahresgehalt” bekommt, zahlt nicht den Spitzensteuersatz.

Die Leserschaft von “Bild am Sonntag” und Bild.de erfährt von all dem nichts. Wer sich selbst mit dem Thema nicht so auskennt, wird einfach glauben, was der CDU-Politiker da erzählt.

Jens Spahn war Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Er ist als stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter anderem zuständig für das Thema Wirtschaft. Es ist ausgesprochen unwahrscheinlich, dass er den Unterschied zwischen Jahresgehalt und zu versteuerndem Einkommen nicht kennt. In den “Bild”-Medien kann Jens Spahn unwidersprochen seine falsche Botschaft verbreiten.

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Prorussische Propaganda, Blockiertes Blockieren?, Afrika

1. Prompt auf Fake News reingefallen
(taz.de, Florian Bayer)
Wie die “taz” unter Berufung auf Andre Wolf vom Blog “mimikama” berichtet, sind die ORF-Nachrichten auf zwei prorussische Propagandavideos hereingefallen. Die Aufnahmen wurden fälschlicherweise als Beispiele für Zwangsrekrutierungen in der Ukraine ausgestrahlt, tatsächlich sollen sie aber unter anderem die Festnahme eines russischen FSB-Spions zeigen. Trotz breiter medialer Kritik und Hinweisen von Faktencheckern habe der ORF zunächst heftig widersprochen und erst nach einiger Zeit den Fehler eingestanden.

2. Musk will auf X das Blockieren verhindern
(spiegel.de)
Elon Musk, Eigentümer des früher als Twitter bekannten Kurznachrichtendienstes X, will offenbar die Blockierfunktion abschaffen – eine Grundfunktion eines Sozialen Netzwerks, mit der man verhindert, dass bestimmte Konten einen kontaktieren, Beiträge sehen oder einem folgen können. Das Blockieren werde als Feature abgeschafft, mit Ausnahme von Direktnachrichten, so Musk in einem Beitrag auf X.
Weiterer Lesehinweis: Untersuchungen des Fachmagazins “Nature” und der Zeitschrift “Trends in Ecology & Evolution” würden zeigen, dass viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Mitglieder der Klima-Community die Plattform X/Twitter verlassen oder ihre Aktivitäten reduziert haben: Wenn die Wissenschaft verstummt (zeit.de, Eike Kühl).

3. Nur Krisen und Krieg? Afrika-Berichterstattung in Deutschland
(sr.de, Michael Meyer, Audio: 17:10 Minuten)
In der aktuellen Folge des SR-Medienmagazins “Cross und Quer” geht es um die Afrika-Berichterstattung deutscher Medien. Der Kontinent komme dort meist nur vor, wenn es um Krieg und Krisen gehe. Michael Meyer hat sich mit dem freien Journalisten und Afrika-Kenner Issio Ehrich über die Herausforderungen und Gefahren seiner Arbeit unterhalten.

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4. Kann sich die Sportschau behaupten?
(tagesspiegel.de)
Die ARD-“Sportschau” habe in Zeiten von Streamingdiensten und Pay-TV an Bedeutung verloren und verzeichne sinkende Zuschauerzahlen. Ihren “Nimbus als Pflichtveranstaltung für Fußballfans” habe sie “längst verloren”, schreibt der “Tagesspiegel”. Drei Mitglieder der Redaktion geben ihre Einschätzungen zur Zukunft der “Sportschau” ab: Joachim Huber, verantwortlicher Redakteur Medien, Kulturredakteur Christian Schröder und Sportredakteur Martin Einsiedler.

5. Fremder Fehler könnte das Aus bedeuten
(faz.net, Jochen Zenthöfer)
Jochen Zenthöfer berichtet in der “FAZ”, dass die gemeinnützige Rechtsprechungsdatenbank “OpenJur” wegen der Veröffentlichung eines von einem Gericht nicht ausreichend anonymisierten Urteils verklagt wird. Trotz einer schnellen Anonymisierung des Namens nach einem Hinweis klage nun ein Betroffener vor dem Landgericht Hamburg auf Schadenersatz. Die Klage stelle eine existenzielle Bedrohung für das Projekt dar, so Zenthöfer: “Sollte die Klage erfolgreich sein, wäre die einzige gemeinnützige Rechtsprechungsdatenbank in Deutschland am En­de.”

6. Wie das deutsche Fernsehen zum Losverkäufer wurde
(dwdl.de, Christian Richter)
Christian Richter zeichnet bei “DWDL” die Entwicklung und den Einfluss der Fernsehlotterien im deutschen Fernsehen nach. Die Geschichte beginnt 1955 mit der Spielshow “1:0 für Sie”, moderiert von Peter Frankenfeld, der durch seine humorvolle Art und die Interaktion mit dem Publikum große Popularität erlangte. Frankenfelds Idee, westdeutsche Familien zur Aufnahme von Kindern aus dem isolierten Berlin für eine Art Erholungsferien zu bewegen, führte zur Gründung der “ARD-Fernsehlotterie”, die sich aus dem Verkauf von Losen finanzierte und bedürftigen Kindern Ferienreisen ermöglichte.

KW 33/23: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Wochenendausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Wie nah kommt man als Journalist an Bord eines Regierungsfliegers den Politikern?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 20:41 Minuten)
Der Versuch von Außenministerin Annalena Baerbock, nach Australien zu reisen, scheiterte kürzlich an einem Defekt an den Landeklappen des eingesetzten Regierungsfliegers. Wie meist bei solchen Reisen waren auch dieses Mal mehrere Journalistinnen und Journalisten an Bord, darunter t-online.de-Korrespondent Patrick Diekmann. Im “Übermedien”-Podcast “erzählt Diekmann, wie wichtig es für ihn ist, mit an die Orte zu reisen, an denen Außenpolitik gemacht wird. Und wie das zugeht an Bord eines Regierungsfliegers: Wer sitzt wo? Wer zahlt das, wenn Journalisten dort mitfliegen? Und wie nah kommt man ran an die Regierenden?”

2. Zwei Jahre unter den Taliban: Afghanistan in den Medien
(sueddeutsche.de, Nadia Zaboura & Nils Minkmar, Audio: 41:11 Minuten)
Vor zwei Jahren, am 15. August 2021, übernahmen die Taliban die Macht in Afghanistan. Den Jahrestag nehmen viele Redaktionen zum Anlass, mal wieder auf das Land zu schauen. Doch die aktuelle Aufmerksamkeit sei eine Ausnahme – seit dem überstürzten Abzug der westlichen Truppen und den dramatischen Szenen am Flughafen Kabuls sei es in deutschen Medien sehr still geworden um Afghanistan. Nadia Zaboura und Nils Minkmar fragen in ihrem Podcast “quoted”: “Tauchen das Land und seine Menschen so in unseren Medien auf, wie es angesichts der dramatischen Situation und der jahrelangen westlichen Militärpräsenz angemessen wäre? Geht die Berichterstattung über die Abbildung von Krise, Elend und Taliban-Gräueltaten hinaus? Und was macht das alles mit unserem Bild von Afghanistan?” Als Gast haben sie sich Emran Feroz eingeladen, österreichischer Journalist mit afghanischen Wurzeln und Autor des Buchs “Der längste Krieg. 20 Jahre War on Terror”.

3. RTL und ProsiebenSat.1 – Alarmstufe bei den Privaten?
(br.de, Jonathan Schulenburg, Audio: 30:31 Minuten)
Im Medienpodcast des Bayerischen Rundfunks geht es um die Situation der Privatsender in Deutschland, die derzeit teils massiv Stellen abbauen und sich umstrukturieren müssen: “Schon länger machen die Werbeflaute und die amerikanischen Streaming-Angebote den privaten Fernsehsendern hierzulande das Leben schwer. Wir schauen auf die zwei großen Privatsender RTL und ProsiebenSat.1.”

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4. Brückner: “Paradigmenwechsel im TV-Markt”
(wdr.de, Sebastian Sonntag, Audio: 10:01 Minuten)
In Hollywood streiken die Drehbuchautorinnen und -autoren. Aber wie steht es in Deutschland um die Branche? Darüber spricht Drehbuchautor Thomas Brückner im Interview: Das aktuelle Jahr sei “von Verunsicherungen, verschobenen Projekten, Absagen geprägt.”

5. Wie wir mehr Positivbeispiele in die Medien bekommen
(deutschlandfunk.de, Sören Brinkmann, Audio: 30:37 Minuten)
Im Deutschlandfunk-Podcast “Nach Redaktionsschluss” geht es dieses Mal um den konstruktiven Journalismus, also die Grundidee, in der Berichterstattung Lösungen statt nur Probleme aufzuzeigen. Eine Hörerin wünscht sich mehr davon und diskutiert darüber mit Lisa Urlbauer vom Bonn Institute, Charlotte Horn, Korrespondentin im ARD-Studio Neu-Delhi, und Moderator Sören Brinkmann.

6. Sicherheit für Kinder und Jugendliche im Netz
(podcast.leibniz-hbi.de, Johanna Sebauer , Audio: 26:34 Minuten)
Ob Cybermobbing, Hate Speech oder Cybergrooming – es gibt online ernstzunehmende Gefahren für Kinder und Jugendliche. Sie komplett vom Internet fernzuhalten, ist aber sicher auch keine Lösung. Der “BredowCast” stellt daher die Frage: “Wie soll diesen Gefahren begegnet werden?” Antworten liefern die Juristin Sünje Andresen und die Medienforscherin Kira Thiel.

Klimakrise, Journalisten in Afghanistan, Die Hölle auf Speed

1. Objektivität ist eine Illusion
(taz.de, Valérie Catil)
“Texten über das Klima wird häufig vorgeworfen, zu viel Haltung zu zeigen und nicht objektiv genug zu sein”, schreibt Valérie Catil in ihrem Essay über die “Klimakrise im Journalismus”: “Dabei sind wir an so einem kritischen Punkt in der Klimakrise angekommen, dass die Plattformen, die nicht ernsthaft über sie schreiben, der unterlassenen Hilfeleistung bezichtigt werden sollten.”

2. DJV warnt Medienschaffende vor Reisen in die Türkei: Bitte nicht pauschalisieren
(freitag.de, Barış Altıntaş)
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) reagierte auf die Festnahme einer Bundestagsabgeordneten bei deren Einreise in die Türkei mit einer Art Reisewarnung für Journalistinnen und Journalisten (siehe die “6 vor 9” vom vergangenen Dienstag). Barış Altıntaş fragt im “Freitag”: “War es eine Überreaktion des DJV?” Für eine differenzierte Antwort hat Altıntaş mit mehreren Medienschaffenden und -experten in der Türkei gesprochen, und die widersprechen dem DJV zum Teil, stimmen ihm in manchen Punkten aber auch zu.

3. Reichelt revanchiert sich
(jungle.world, Markus Liske)
Markus Liske hat sich durch “Nius” gekämpft, ein neues Medienangebot, das “die Stimme der Mehrheit” verkörpern will und dessen Gesicht der geschasste “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt ist: “Dass der geradezu minimalistisch enge Meinungskorridor, den Nius abbildet, tatsächlich ‘die Stimme der Mehrheit’ wiedergibt, darf bezweifelt werden. Selbst rechte Gesinnungen in diesem Land sind deutlich vielfältiger.” Liskes Fazit: “Derzeit dient Nius hauptsächlich dazu, Julian Reichelt im Gespräch zu halten. Das immerhin scheint geglückt.”

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4. Taliban nehmen neun Journalisten fest
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die Organisation Reporter ohne Grenzen berichtet über die erschütternde Situation für Medienschaffende in Afghanistan: “In den vergangenen elf Tagen ließen die Taliban landesweit insgesamt neun Journalisten verhaften. Faqir Mohammad Faqirzai, Jan Agha Saleh, Haseeb Hassas, Habib Sarab, Sayed Wahdatullah Abdali, Shamsullah Omari, Wahidrahman Afghanmal, Ataullah Omar und Parwiz Sargand wurden bei Razzien in fünf afghanischen Provinzen ohne Angabe von Gründen verhaftet. Mit einer Ausnahme sind alle noch in Haft.” Der Text wirft auch einen kritischen Blick auf das Mitte Oktober 2022 angelaufene Bundesaufnahmeprogramm Deutschlands.
Noch ein zusätzlicher Hörtipp: Eine positive Nachricht aus einem völlig anderen Land: Natalie Amiri berichtet, dass die im Iran verhaftete Journalistin Nazila Maroofian offenbar wieder frei ist (deutschlandfunk.de, Audio: 5:50 Minuten).

5. Razzia bei Zeitung in Kansas sorgt für Entrüstung
(spiegel.de)
Die kleine Wochenzeitung “Marion County Record” aus dem US-Bundesstaat Kansas, die laut “New York Times” eine Auflage von etwa 4.000 Exemplaren hat, steht im Zentrum einer großen Debatte um die Pressefreiheit in den USA. Beamte hatten die Redaktionsräume des “Record” sowie das Haus des Herausgebers durchsucht und unter anderem Computer und Handys beschlagnahmt. Große Medienorganisationen sind von der Razzia entsetzt, sogar das Weiße Haus schaltete sich ein: Der Vorgang böte Grund zur Sorge. Inzwischen soll der Durchsuchungsbeschluss wieder zurückgezogen und die beschlagnahmten Geräte zurückgegeben worden sein.

6. Süchtig nach TikTok
(uebermedien.de, Armin Wolf)
In der neuen “Übermedien”-Serie “Geheime Leidenschaften” stellen “bekannte Leute Mediendinge vor, die sie mögen – obwohl man das vielleicht von ihnen nicht erwartet hätte.” Den Anfang macht der österreichische Journalist Armin Wolf, der über seine TikTok-Sucht schreibt: “TikTok ist die Hölle. Glauben Sie einem demnächst 57-Jährigen. Ich habe keine Erfahrung mit herkömmlichen Drogen oder anderen Substanzen, die süchtig machen. Aber der Algorithmus von TikTok ist die Hölle. Auf Speed.”

Lindemann-Berichterstattung, Erfundener Tweet?, Drosselung bei X

1. Wenn aus Erin­ne­rungs­lü­cken ein Ver­ge­wal­ti­gungs­ver­dacht wird
(lto.de, Felix W. Zimmermann)
Bei den ganzen gerichtlichen Entscheidungen zur Berichterstattung unterschiedlicher Medien über Rammstein-Sänger Till Lindemann kann man schnell den Überblick verlieren: Was wurde von Gerichten alles untersagt? Und was darf aktuell noch berichtet werden? Da ist es praktisch, dass Felix W. Zimmermann bei “Legal Tribune Online” genau dazu einen Überblick liefert, die aktuellsten Entscheidungen des Landgerichts Hamburg einordnet (“Erstmals werden nun auch Schilderungen von Frauen verboten, aus denen sich der Verdacht der Vergewaltigung ergibt.”) und einen Ausblick gibt, wie es juristisch weitergeht.
Weiterer Lesehinweis: Lindemann war juristisch auch gegen Formulierungen in einer Petition der Organisation Campact vorgegangen. Nach einem Hinweis des Landgerichts Berlin soll der Anwalt des Rammstein-Sängers den Unterlassungsantrag gegen Campact allerdings zurückgezogen haben. Bei Tagesschau.de folgern Daniel Drepper, Elena Kuch, Sebastian Pittelkow und Isabel Schneider aus dem Vorgang, dass man dem Landgericht Berlin zufolge “das Rekrutierungssystem um Lindemann wohl als ‘sexuellen Missbrauch’ bezeichnen” dürfe.

2. RTL setzt Zusammenarbeit mit “Explosiv”-Moderator Maurice Gajda aus
(uebermedien.de, Frederik von Castell)
Im RTL-Magazin “Explosiv” wurde am 5. August in einem Beitrag ein angeblicher Tweet der ehemaligen AfD-Politikerin Frauke Petry eingeblendet, der inzwischen gelöscht sei. Es gibt allerdings große Zweifel daran, dass es diesen Tweet je gegeben hat. Der Vorwurf: Der Reporter habe sich den Tweet ausgedacht. Frederik von Castell berichtet, dass RTL nun erste Konsequenzen ziehe: “Der Sender teilte Übermedien auf Anfrage mit, dass er die Zusammenarbeit mit Moderator und Reporter Maurice Gajda vorerst aussetzt, ‘bis die im Raum stehenden Vorwürfe geklärt sind’.” Von Castell bietet in seinem Beitrag zusätzlich noch einen Service: “Eigentlich sollte man Journalist:innen im Jahr 2023 nicht mehr erklären müssen, wie man Inhalte, die man online findet, sichert. Muss man aber offenbar doch”. Deshalb erklärt er noch einmal, wie online das richtige Archivieren funktioniert.
Weiterer Lesehinweis: Bei “DWDL” schreibt Alexander Krei, er habe von Maurice Gajdas Management als Beweis einen Link zugeschickt bekommen, der einst zum fraglichen, aber längst gelöschten Tweet von Frauke Petry geführt haben soll. Das Problem laut Krei: Dieser Link verweist bekanntermaßen zu einem anderen gelöschten Tweet Petrys.

3. FR-Belegschaft mit Offenem Brief an Ippen: “Enorme Ungerechtigkeit” bei der Bezahlung
(journal-frankfurt.de, Katja Thorwarth)
“Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Frankfurter Rundschau sind unzufrieden mit ihrem Gehalt”, schreibt Katja Thorwarth und berichtet von einem Offenen Brief, in dem die Belegschaft von der Geschäftsführung des Ippen-Verlags eine “Rückkehr in eine tarifliche Bezahlung” fordert. Thorwarth kennt sich mit der Materie aus: Sie schrieb einst selbst für die “Frankfurter Rundschau”.

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4. RBB weist Vorwürfe gegen Chefredakteur Biesinger zurück
(dwdl.de, Manuel Weis)
Der RBB widerspreche vehement einem Bericht des Portals “Business Insider”, der sich mit dem inzwischen gestoppten Bau des Medienhauses des öffentlich-rechtlichen Senders befasse und RBB-Chefredakteur David Biesinger Fehler ankreide.

5. X verhängte Zeitstrafe für missliebige Links
(spiegel.de)
Die einst als Twitter bekannte Plattform X soll für bestimmte Links eine Drosselung eingebaut haben: “Experten entdeckten eine merkwürdige Verzögerung, die auftrat, wenn man in dem sozialen Netzwerk Links aufrief, die zur ‘New York Times’, zur Nachrichtenagentur Reuters sowie zu mehreren Konkurrenzangeboten führten.” So seien nicht nur aus Sicht von X-Eigentümer Elon Musk unliebsame Medien, sondern auch die zu X in Konkurrenz stehenden Plattformen Bluesky, Facebook und Instagram ausgebremst worden. Laut golem.de habe das Unternehmen die Verzögerung nach öffentlicher Kritik wieder aufgehoben.

6. 35 Jahre Geiseldrama von Gladbeck: Was Medien heute anders machen würden
(deutschlandfunk.de, Herwig Katzer, Audio: 5:32 Minuten)
Vor 35 Jahren, am 16. August 1988, begann das Geiseldrama von Gladbeck. Herwig Katzer nimmt das zum Anlass, noch einmal auf all die furchtbaren Aussetzer der Journalisten und Journalistinnen vor Ort zurückzublicken. Er spricht auch mit einem bemerkenswert selbstkritischen Udo Röbel, der damals nicht davor zurückschreckte, ins Fluchtauto der Geiselnehmer zu steigen und sie aus Köln zu lotsen.

“Clan-Kriminalität”, Medien im Exil, Hass gegen Herr Ingeborg

1. “Clan-Kriminalität”: Gefährliche Diskurse über gefühlte Wahrheiten
(fr.de, Yağmur Ekim Çay)
“Die Redaktion der Frankfurter Rundschau hat den umstrittenen Begriff ‘Clan-Kriminalität’ intern umfassend diskutiert. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass er politisch missbraucht wird und Menschen stigmatisiert. Deshalb werden wir die Bezeichnung nur in Ausnahmefällen verwenden – nämlich wenn wir über Polizeieinsätze und politische Debatten berichten, in denen die Kategorie zentral ist. Um uns von der falschen und gefährlichen Rhetorik zu distanzieren, setzen wir von nun an den Begriff in Anführungszeichen oder machen das mit sprachlichen Formulierungen wie sogenannte Clan-Kriminalität deutlich”, schreibt die “FR”-Redaktion “in eigener Sache”. Diese Positionierung ist eingebettet in einen Text von Yağmur Ekim Çay zum Thema. Zusätzlich gibt es ein Interview mit Thomas Feltes: “Kriminologe kritisiert den Begriff ‘Clan-Kriminalität’ und Faeser: ‘PR-Gag im Vorfeld der Wahl in Hessen'”.

2. Keine Nachrichten sind schlechte Nachrichten. Medien im Exil als “letzte Bastion der Freiheit”
(de.ejo-online.eu, Simone Benazzo)
Simone Benazzo hat zu Exilmedien geforscht und präsentiert beim Europäischen Journalismus-Observatorium eine Zusammenfassung seiner Ergebnisse: 98 Exilmedien aus 33 Ländern konnte er ausmachen. Was verbindet sie? Und wo liegen die Unterschiede je nach Herkunftsregion?

3. Die Hasswelle rollt: Erste queere Person im “Sandmännchen”
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Mit Herr Ingeborg gibt es erstmals in sechs Jahrzehnten eine queere Figur beim “Sandmännchen”. Angetrieben vom Entsetzen verschiedener einschlägiger Medien (“Nius”, “Junge Freiheit”, “Bild”) sei eine Welle des Hasses ins Rollen gekommen. Joachim Huber kommentiert, dass diese Empörung empören müsse: “Da hilft kein Drumherumreden, da hilft keine Beschwichtigung: Hier toben sich Menschenfeinde aus. Und deswegen: Lasst nicht einen Herrn Ingeborg, lasst viele Herren Ingeborg um uns sein.”

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4. Qualifizierte Ausbildung für Nachwuchs beim Film
(mmm.verdi.de, Andrea Wenzek)
Wie in so vielen Branchen herrscht auch in der Filmbranche ein Nachwuchs- und Fachkräftemangel. Das liege unter anderem “an den Arbeitsbedingungen für die Filmschaffenden: Befristete Arbeitsverträge, 12stündige Drehtage und eine erhöhte Arbeitsverdichtung”, schreibt Andrea Wenzek, aber auch am “unübersichtlichen Aus- und Weiterbildungsbildungsdschungel”. Wenzek präsentiert erste Initiativen, die das “kaum vorhandene und kaum regulierte deutsche Ausbildungssystem für die Filmberufe” verbessern wollen, um dem “Personalnotstand in der deutschen Filmwirtschaft entgegenzuwirken.”

5. “Es gibt nur zwei Monate, in denen Ruhe ist”
(dwdl.de, Manuel Weis)
Manuel Weis porträtiert Sky-Reporter Florian Plettenberg, der ein bekannter Vertreter einer ganz besondere Journalismusnische ist: Des Transferjournalismus, in dem es um die Vereinswechsel von Fußballspielern geht. Der Text ist allein schon wegen der Gaga-Aussagen Plettenbergs lesenswert. Kostprobe: “Je größer das ‘Transfer Update’ wird, desto größer werde ich auch.”

6. Digitales killt Requisite: Warum sich der SWR von seinem Fundus trennt
(deutschlandfunk.de, Thomas Wagner, Audio: 6:25 Minuten)
Ob Ritterrüstungen, Flipperautomaten oder Leichenteile – im Fundus des SWR gibt es alle möglichen Großrequisiten, geschätzt sind es 11.500 verschiedene Teile. Nun will der Sender den Fundus aber weitgehend auflösen: 80 Prozent will er loswerden. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Die Kosten für die Aufbewahrung sollen reduziert werden, digitale Technologien machen analoge Requisiten immer häufiger überflüssig, und viele Produktionen sind inzwischen an externe Firmen mit eigenem Fundus ausgelagert worden.

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