Wahre Liebeslügen

Sogar im Medienbetrieb gibt es manchmal Menschen, die nicht zynisch werden, sondern weiter an die wahre Liebe glauben. Die über sich hinauswachsen, um diesem edelsten, wahrhaftesten aller Gefühle Ausdruck zu verleihen. Die ihre Bewunderung noch frei artikulieren.

Ihre Mundwinkel besuchen die Ohren, kräuseln sich an den Enden, ihre Augen blitzen schelmisch, ihr Kinn hebt sich mit verhaltener Arroganz

… schreibt Jürgen Elsässer über seinen Schwarm:

wer denkt da nicht an Audrey Hepburn in Frühstück bei Tiffany?

Die meisten. Elsässers Blicke jedenfalls können nicht vom Körper der Verführerin lassen:

Ihr Business-Kostüm mit der Flügelkragenbluse verleiht ihr die noble Kühle, die notwendig ist, um den Betrachter von den langen Beinen unter dem Rock abzulenken.

Die Frau, der Elsässer verfallen ist, ist Frauke Petry von der AfD. Ende Januar autorisierte sie dem “Mannheimer Morgen” ein Interview, in dem sie sagt, Grenzpolizisten müssten den illegalen Grenzübertritt von Flüchtlingen verhindern und “notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen”, das sei Gesetz. Jürgen Elsässer schwärmt nicht trotz, sondern wegen solcher Dinge von Frauke Petry.

Elsässer ist Chefredakteur des monatlich erscheinenden Magazins “Compact”. Nach eigenen Angaben liegt die verkaufte Auflage bei 36.000 Stück, was nicht völlig frei erfunden zu sein scheint — etwa jeder zweite Facebook-Fan müsste dann auch Käufer sein. “Compact” (Untertitel: “Magazin für Souveränität”, Slogan: “Ehrlicher Journalismus in Zeiten der Lüge”) ist ein Blatt, das seine Agenda sehr offensiv verfolgt. Eine publizistische Plattform für diverse Verschwörungstheorien und allerlei ausländerfeindliches Geraune.

In der aktuellen Ausgabe …

… geht es vor allem um Frauke Petry und die AfD. Das ist das Titelthema, nicht der Politikteil. Dieser handelt wiederum weniger von Politik als von Medien, was in der Denke von “Compact” austauschbar ist, weil ohnehin alles der Idee unterstellt ist, dass die Presse (außer “Compact” und ein paar Freunde aus der gleichen Filterbubble) von der Politik gesteuert sei.

Im Einzelnen findet sich dort:

“Vergewaltigt und verhöhnt” (der Fall der angeblichen Vergewaltigung eines 13-jährigen Mädchens durch vier Araber, den “die Presse” nun “zur Propaganda gegen Russland” benutzt)
“Aus dem Logbuch der Gleichschaltung” (wie die “GEZ-Medien” von der “Regierung instrumentalisiert” werden)
“Bielefeld ist überall” (“Alltag in einer deutschen Kommune: Die Verwaltung schönt die Zahl der Flüchtlinge”)
“Der Boulevard-Kanzler” (Österreichs Regierungschef, der die Grenzen doch partout nicht schließen wollte)
“Die Reichen und die Superreichen” (wie uns wissenschaftliche Studien “in die Irre führen”)
“Patriot unter Falken” (Donald Trump)
“Frankensteins Killer-Moskito” (Zika-Virus)

Es folgen ein Reisebericht aus Nordkorea, ein Bericht über “Unsere Handball-Helden” (“Zwei Dutzend Männer stehen stramm und singen unsere Nationalhymne mit stolzgeschwellter Brust und aus voller Kehle”), Teil 12 der Serie “Meisterspione des 20. Jahrhunderts” (es geht um James Bond: “007 war ein Jugo!”), eine Rezension des neuen Rihanna-Albums (“Nun sind die Songs keine Reise in die Kindheit, aber vielleicht Wiederfinden des inneren Kindes”) sowie eine ausführliche Definition des Wortes “Gutmensch” (“Gutmenschen vertreten grundsätzlich nur die Interessen von Minderheiten und finden es unmoralisch, dass Männer und nichtfeministische Frauen, Deutsche, Christen, Weiße und Heterosexuelle überhaupt existieren”).

Das Dossier macht mit Eugène Delacroix’ Gemälde “Die Freiheit führt das Volk” auf und ist Renaud Camus gewidmet, der als Vordenker des “Front National” gilt. Camus behauptet darin, “die Kolonisierung und Islamisierung Europas durch Afrikaner und Araber” habe “begonnen”. Dies “klar auszusprechen”, sei “der erste Schritt zur notwendigen Revolte”.

“Revoltiert!”, fordert die Überschrift, und Camus erklärt im Text, “wir” müssten …

zu einer unumgänglichen, manifesten, evidenten Kraft heranwachsen, um sicherzustellen, dass selbst die Medien, für die wir ein fleischgewordener Albtraum werden müssen, es nicht länger vor unseren Landsleuten verbergen können: Es gibt eine Bewegung, die sich der Eroberung konsequent entgegenstellt und der sich jeder jederzeit anschließen kann!

Camus’ deutscher Verleger Götz Kubitschek betreibt mit Gleichgesinnten das Bündnis “Ein Prozent”, das sich gegen Flüchtlinge starkmacht. Einer dieser Gleichgesinnten ist — Jürgen Elsässer.

“Compact” weiß um seine Wirkung als Leitmedium der “Lügenpresse”-Rufer. So gelingt es Jürgen Elsässer gleich im ersten Satz des Editorials, den “Lügenmedien” und der Bundesregierung gemeinsame Pläne zu unterstellen:

Bundesregierung und Lügenmedien arbeiten fieberhaft daran, zwei Themen miteinander zu verknüpfen: den Krieg in Syrien und die Flüchtlingskrise in Europa. Für beides soll ein Mann verantwortlich sein: Wladimir
Putin.

Mitte Februar schreibt die Bild-Zeitung: “Noch mehr Bomben, noch mehr Menschen auf der Flucht. Zehntausende fliehen in diesen Tagen aus der syrischen Stadt Aleppo – nicht vor den ISIS-Terroristen, sondern vor den Truppen von Syriens Diktator Assad und den Luftangriffen Russlands. Verantwortlich: Präsident Putin.”

Elsässers Theorie: Erst seit Putin eine Rolle spiele, habe die “Bild”-Zeitung ihr “Mitleid” für die Menschen in Aleppo entdeckt. “Heuchlerischer geht‘s nimmer”, schreibt er.

Wo war denn der Aufschrei der Springerpresse, als in den letzten drei Jahren Zehntausende aus Aleppo flohen oder vertrieben wurden, weil die Kopf-ab-Dschihadisten einen Distrikt nach dem anderen säuberten?

Abgesehen davon, dass Elsässer damit selbst die Geschehnisse in Syrien und die Flüchtlingskrise miteinander verknüpft — wo der Aufschrei der Springerpresse war? In der Springerpresse.

Die Artikel stammen alle aus dem Jahr 2012, lange bevor Putin sich einschaltete. “Bild” berichtet seit Jahren permanent aus Aleppo, war 2013 sogar mit Jan Josef Liefers dort. Sucht man bei Bild.de nach “Aleppo”, findet man über 600 Artikel, der älteste ist fünf Jahre alt. All das unterschlägt Elsässer. Er schreibt:

Mit diesen Flüchtlingen [die in den letzten drei Jahren aus Aleppo flohen], darunter zahlreiche Christen, hatte die Schmierenjournaille kein Mitleid

Nun ja.


(Ein winziger Ausschnitt aus den letzten drei Jahren.)

Aber zurück zu “Compact”.

In der aktuellen Titelgeschichte widmet sich Elsässer also seiner angebeteten Frauke Petry von der AfD. Der Titel des schwärmerischen Portraits: “Die bessere Kanzlerin”. Die nächste Bundestagswahl findet zwar planmäßig erst im Herbst 2017 statt, doch Elsässer hat sich bereits einen Masterplan für den Umsturz überlegt und wähnt diesen in greifbarer Nähe. Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt sollen die Politik erschüttern:

Nach dem 13. März könnten die Altparteien in Turbulenzen kommen wie noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik.

Der Superlativ gehört bei “Compact” zum normalen Ton, oft gefolgt von eigenartigen Relativierungen:

Voraussetzung ist allerdings, dass die AfD zumindest in Stuttgart und Magdeburg stärker als die SPD wird und sich der 20-Prozent-Marke nähert.

Sicher wird ein gutes Abschneiden der AfD für Diskussionen sorgen. Laut den letzten Umfragen kommt die Partei tatsächlich an die SPD heran (Baden-Württemberg) oder liegt sogar vor ihr (Sachsen-Anhalt). Aber anders als in Sachsen-Anhalt befindet sich die “Petry-Truppe”, wie Elsässer sie nennt, in Baden-Württemberg fernab von der 20-Prozent-Marke.

Solche Einordnungen hält Elsässer jedoch nicht für erwähnenswert, wie es ihm auch in seinem Portrait über Frauke Petry nicht nötig erschien zu erklären, dass die Gesetzeslage zum Schusswaffeneinsatz, die sie ihmzufolge nur “referiert”, von Juristen und der “Gewerkschaft der Polizei” ganz anders ausgelegt wird.

Aber gut, Elsässer ist augenscheinlich ein großer Fan von Frauke Petry, die er auch deswegen schätzt, weil sie “im Unterschied zu ‘Mutti'” vier Kinder habe, “ohne dabei ihre frische Jugendlichkeit verloren zu haben”. Derart in Wallung vergisst man schon mal Kleinigkeiten, die das Herzblatt nicht im besten Licht erstrahlen lassen.

Übrigens hat die Elsässer-Truppe das gleiche Motto wie die von Petry:


(Als Prämie gibt’s zum Beispiel das “COMPACT-Spezial: Dschihad in Europa” oder das “COMPACT-Buch: Faktencheck 9/11” oder das “COMPACT-Buch: Gesamtkunstwerk Rihanna”.)

Wie diese Wahrheitsliebe in der Praxis aussieht, auch in anderen Publikationen, die sich in Zeiten der “Lügenmedien” dem “ehrlichen Journalismus” verschworen haben, wollen wir uns in dieser Serie anschauen.

Spoiler-Warnung: “Mut zur Wirrheit” wäre ein geeigneteres Motto.

Huffbaiting-Post, Lügenpartei, Aufwachen

1. “FAZ Woche”: Jung und ohne Perspektive
(wuv.de, Manuela Pauker)
Die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” hat für den 22. April eine neue Publikation angekündigt: Die “FAZ Woche”. Das Magazin ist laut Verlag “auf die spezifischen Ansprüche der jungen Elite zugeschnitten, einer Zielgruppe die “always on” ist”. Manuela Pauker, Ressortleiterin Medien bei “W&V”, räumt dem Vorhaben keine großen Chancen ein: “Ein ehrenwerter und ambitionierter Versuch. Nur: Es wird mit großer Wahrscheinlichkeit schiefgehen. Denn wenn die letzten, sagen wir, zehn Jahre etwas gebracht haben, dann die Gewissheit, dass die nachwachsende Generation immer weniger Bock auf althergebrachte Darreichungsformen von Informationen hat”.

2. Das macht die „Huffington Post“ mit Einwanderern
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
“Die „Huffington Post“ betreibt Clickbaiting, das offenbar ganz gezielt rassistische Reflexe triggern soll – und triggert.” Diesem Resümee kann man sich nur anschließen, wenn man die Beispiele sieht, die Boris Rosenkranz in seinem Beitrag zusammengestellt hat. Ob durch manipulative Überschriften, Bebilderung oder Teasertexte: Die scham- und rücksichtslose Jagd nach dem schnellen Klick hat Methode. Auch, wenn die klicksüchtigen Berufszyniker der “Huffington Post” in einem allzu schäbigen Fall zurückrudern mussten.

3. Dreist: AfD fälscht Abendzeitungs-Überschrift
(abendzeitung-muenchen.de, Timo Lokoschat)
Die “Abendzeitung” macht auf einen besonders dreisten Fall von Fälschung aufmerksam: Die AfD (Kreisverband Nürnberg) hat auf Facebook einen “Abendzeitung”-Artikel geteilt, diesen jedoch mit einer selbstgetexteten, tendenziösen Überschrift versehen. Besonders pikant bei einer Partei, die sich fortwährend über die “Lügenpresse” beklagt und von der “Pinocchiopresse” höhnt. (Update 08:05 Uhr: Die AfD Nürnberg hat nun kommentarlos gelöscht.)

4. “Dann schreib doch unter nem Männernamen!”
(herlandnews.com, Zoë Beck)
Zoë Beck, als Verlegerin, Autorin, Übersetzerin und Synchronregisseurin seit langer Zeit erfolgreich im Mediengeschäft, macht sich Gedanken, wie es wäre, wenn ein Männername ihre Buchcover zieren würde: “Natürlich reizt es mich entsprechend auch schon seit Jahren, diesen Test zu machen: Wie käme derselbe Text an, stünde ein Männername drauf? Das Experiment müsste aber noch weitergehen: Gäbe es andere Vorschüsse? Andere Werbemaßnahmen? Würde der Buchhandel anders vorbestellen? Sähen die Verkaufszahlen anders aus?”

5. Eine Frage der Ethik
(daniel-bouhs.de)
Daniel Bouhs berichtet von den aktuellen Diskussionen im Presserat, dem Selbstkontrollgremium der Medien. Streitgegenstand ist derzeit eine Richtlinie des Pressekodex zur Nennung von Abstammungen: „die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten [wird] nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht“. Bouhs berichtet über das Pro und Contra und die Interessenlage der Medien.

6. A!096 – American Saleswoman
(aufwachen-podcast.de, Stefan Schulz & Tilo Jung)
Wer Podcasts mag und sich für Medien interessiert, kommt am “Aufwachen-Podcast” nicht vorbei. Hier seziert ein, sich aufs Vorteilhafteste ergänzendes, Zweimann-Team regelmäßig die Nachrichten der Öffentlich-Rechtlichen: Auf der einen Seite der Soziologe und ehemalige FAZ-Journalist Stefan Schulz, auf der anderen Seite Tilo “Bundespressekonferenz” Jung. Ein aktueller Anlass zum Einschalten ist die Berichterstattung über den amerikanischen Wahlkampf: Eine derart ausführliche Auseinandersetzung mit den derzeit stattfindenden Debatten der Präsidentschaftsbewerber wird man schwer finden.

Wenn die “Bild”-Zeitung erscheint, stirbt ein Promi

Vorgestern, am Sonntag, ist die frühere US-First-Lady Nancy Reagan gestorben. Und wer ist schuld daran? Ist doch klar: “Bild am Sonntag”. Denn am Todestag von Nancy Reagan erschien eben auch eine neue Ausgabe der “Bild am Sonntag”.

Und das ist nur der vorzeitige Höhepunkt eines gruseligen “Bild”-Fluchs: Immer dann, wenn ein Promi stirbt, ist am selben Tag eines der “Bild”-Printmedien erschienen. Am Todestag von Alan Rickman? Eine neue Ausgabe von “Bild”. Tod von David Bowie? “Bild am Sonntag”. Robin Williams? Paul Walker? Whitney Houston? Jedes Mal erschien am Tag des Promi-Todes auch ein “Bild”-Produkt. Das kann kein Zufall sein.

Wie? Die Theorie ist völliger Blödsinn? Ja, natürlich ist sie das. Und damit genau das Richtige für “Bild” und Bild.de:

Auf Fußballer Aaron Ramsey vom Premier-League-Klub Arsenal London soll laut Bild.de ein “unheimlicher Tor-Fluch” liegen. Ramsey sei “der gefährlichste Fußballer der Welt.” Die Redaktion bringt seine Tore mit dem Ableben der oben genannten und elf weiterer Personen in Verbindung.

Und tatsächlich: Als der Mittelfeldspieler am 1. Mai 2011 in der Liga gegen Manchester United trifft, wird einen Tag später Osama bin Laden erschossen. Einen Tag nach Ramseys Champions-League-Tor gegen Olympique Marseille stirbt Muammar al-Gaddafi. Seit Oktober 2009 soll das schon so gehen, wenn Ramsey für Arsenal London oder die walisische Nationalmannschaft trifft:

Spiel Datum Prominenter Todestag
Liechtenstein – Wales 14.10.2009 Andrés Montes 16.10.2009
Wales – Schottland 14.11.2009 Antonio de Nigris 16.11.2009
Arsenal – Manchester United 01.05.2011 Osama bin Laden 02.05.2011
Tottenham Hotspurs – Arsenal 02.10.2011 Steve Jobs 05.10.2011
Olympique Marseille – Arsenal 19.10.2011 Muammar al-Gaddafi 20.10.2011
AFC Sunderland – Arsenal 11.02.2012 Whitney Houston 11.02.2012
Großbritannien – Südkorea 04.08.2012 Chavela Vargas 05.08.2012
Schottland – Wales 22.03.2013 Bebo Valdés 22.03.2013
Arsenal – Wigan Athletic 14.05.2013 Jorge Rafael Videla 17.05.2013
Olympique Marseille – Arsenal 18.09.2013 Ken Norton 18.09.2013
Cardiff City – Arsenal 30.11.2013 Paul Walker 30.11.2013
Hull City – Arsenal 20.04.2014 Rubin “Hurricane” Carter 20.04.2014
Norwich City – Arsenal 11.05.2014 HR Giger 12.05.2014
Arsenal – Manchester City 10.08.2014 Robin Williams 11.08.2014
Arsenal – AFC Sunderland 09.01.2016 David Bowie 10.01.2016
FC Liverpool – Arsenal 13.01.2016 Alan Rickman 14.01.2016
Tottenham Hotspurs – Arsenal 05.03.2016 Nancy Reagan 06.03.2016

“Bild” und Bild.de haben schon früher über die “UNDHEIMLICHE ENGLAND-SERIE VON AARON RAMSEY” berichtet. Der Tod von Robin Williams im August 2014 war ein Anlass, genauso der “Doppelschlag mit Bowie und Rickman” im Januar dieses Jahres:



Und gestern dann Nancy Reagan, nachdem Aaron Ramsey am Samstag in der Premier League gegen die Tottenham Hotspurs getroffen hatte.

Damit der irre Ramsey-Fluch überhaupt hinhaut, erweitert die Redaktion hier und da auch das Verständnis von Prominenz und Unmittelbarkeit: Als “Prominente” gelten nicht nur Leute wie Osama bin Laden oder Robin Williams, sondern auch spanische Sportjournalisten oder kubanische Musiker. Und manche bekannten Persönlichkeiten — beispielsweise Apple-Gründer Steve Jobs oder der frühere argentinische Diktator Jorge Rafael Videla — starben erst mehrere Tage nach Ramseys Toren. Es wackelt und knirscht an allen Enden.

Trotzdem bleibt Bild.de bei der knackigen Formel:

Immer wenn der Waliser trifft, stirbt ein Prominenter!

An dieser Stelle ist die Berichterstattung des Portals dann nicht mehr nur dämlich, sondern schlicht falsch. Denn nach der Mehrzahl von Aaron Ramseys Toren seit dem Start des vermeintlichen Fluchs im Oktober 2009 passierte — wenig überraschend — rein gar nichts:

Spiel Datum Prominenter Todestag
Liechtenstein – Wales 14.10.2009 Andrés Montes 16.10.2009
Wales – Schottland 14.11.2009 Antonio de Nigris 16.11.2009
Arsenal – Stoke City 05.12.2009
FC Portsmouth – Arsenal 30.12.2009
West Ham United – Arsenal 03.01.2010
Cardiff City – Leicester City 22.02.2011 (als Leihspieler für Cardiff City)
Arsenal – Manchester United 01.05.2011 Osama bin Laden 02.05.2011
Nordirland – Wales 27.05.2011
Wales – Montenegro 02.09.2011
Tottenham Hotspurs – Arsenal 02.10.2011 Steve Jobs 05.10.2011
Wales – Schweiz 07.10.2011
Olympique Marseille – Arsenal 19.10.2011 Muammar al-Gaddafi 20.10.2011
AFC Sunderland – Arsenal 11.02.2012 Whitney Houston 11.02.2012
Großbritannien – Südkorea 04.08.2012 Chavela Vargas 05.08.2012
Arsenal – Olympiakos Piräus 03.10.2012
Schottland – Wales 22.03.2013 Bebo Valdés 22.03.2013
Arsenal – Wigan Athletic 14.05.2013 Jorge Rafael Videla 17.05.2013
Fenerbahce Istanbul – Arsenal 21.08.2013
Arsenal – Fenerbahce Istanbul 27.08.2013
Mazedonien – Wales 06.09.2013
AFC Sunderland – Arsenal 14.09.2013
Olympique Marseille – Arsenal 18.09.2013 Ken Norton 18.09.2013
Arsenal – Stoke City 22.09.2013
Swansea City – Arsenal 28.09.2013
Belgien – Wales 15.10.2013
Arsenal – Norwich City 19.10.2013
Arsenal – Liverpool 02.11.2013
Borussia Dortmund – Arsenal 06.11.2013
Cardiff City – Arsenal 30.11.2013 Paul Walker 30.11.2013
Hull City – Arsenal 20.04.2014 Rubin “Hurricane” Carter 20.04.2014
Norwich City – Arsenal 11.05.2014 HR Giger 12.05.2014
Arsenal – Hull City 17.05.2014
Arsenal – Manchester City 10.08.2014 Robin Williams 11.08.2014
Arsenal – Crystal Palace 16.08.2014
FC Everton – Arsenal 23.08.2014
Stoke City – Arsenal 06.12.2014
Galatasaray Istanbul – Arsenal 09.12.2014
Arsenal – West Ham United 14.03.2015
AS Monaco – Arsenal 17.03.2015
Israel – Wales 28.03.2015
FC Burnley – Arsenal 11.04.2015
Hull City – Arsenal 04.05.2015
Wales – Andorra 13.10.2015
FC Watford – Arsenal 17.10.2015
Arsenal – AFC Sunderland 05.12.2015
Aston Villa – Arsenal 13.12.2015
Arsenal – AFC Sunderland 09.01.2016 David Bowie 10.01.2016
FC Liverpool – Arsenal 13.01.2016 Alan Rickman 14.01.2016
Tottenham Hotspurs – Arsenal 05.03.2016 Nancy Reagan 06.03.2016

Ramseys folgenlose Treffer lässt Bild.de einfach aus.

Dass die Wenn-dann-Kausalität totaler Murks ist, hält andere Redaktionen natürlich nicht davon ab, den “Todes-Fluch” weiterzutragen:


(mopo.de)

(stern.de)

(“Focus Online”)

(krone.at)

(kurier.at)

(oe24.at)

Mit Dank an Jannis C.!

Vergessene Themen, Rechtsextreme, Dominatoren-Orakel

1. Journalistinnen
(freitag.de, Katja Kullmann)
Passend zum heutigen Weltfrauentag stellt die stellvertretende Chefredakteurin des “Freitag” einige berühmte Journalistinnen in einem “Kolleginnenlexikon” vor. Die Liste reicht von historischen Figuren aus dem Beginn des Print-Zeitalters bis hin zu zeitgenössischen “Fernsehfrauen” wie Anja Reschke und Dunja Hayali.

2. Blinde Flecken in der Berichterstattung
(de.ejo-online.eu, Susann Eberlein)
Die “Initiative Nachrichtenaufklärung” (INA) veröffentlicht jedes Jahr eine Liste mit zehn in den Medien vergessenen Themen. Susann Eberlein hat sich mit dem Geschäftsführer des Vereins über die Arbeit des Vereins, die Auswahl der Themen und den Einfluss der Liste auf die Medienberichterstattung unterhalten. Die ersten drei Plätze der vernachlässigten Nachrichten belegen übrigens die Finanzierung von Nuklearwaffen durch deutsche Finanzinstitute, das millionenschwere EURATOM-Abkommen zur Förderung der Atomkraft und die Tatsache, dass K.O.-Tropfen nahezu unkontrolliert über das Internet bestellbar sind.

3. „Die New York Times der Millennials“
(netzoekonom.de, Holger Schmidt)
Wenn man sich das Durchschnittsalter von Tagesschau-Zuschauern (63), CNN-Sehern (63) oder Fans der konservativen Fox-News anschauen würde, könnte man denken, dass junge Menschen nicht an Nachrichten interessiert seien. Dass dem nicht so ist, beweise u.a. die amerikanische Webseite “Mic”, die auch als “New York Times der Millennials” bezeichnet werde. Um Geschichten “relevant” zu machen, würden sie aus der Perspektive von jungen Menschen erzählt. Außerdem seien die Inhalte für Smartphones optimiert. Autor Holger Schmidt beschreibt die Vorgehensweise der erfolgreichen News-Seite und liefert einige interessante Daten über Nachrichtenmedien im Allgemeinen.

4. Einfach mal dreißig Minuten Zeit
(faz.net, Gina Thomas)
Gegen den Trend der Zeit ist in Großbritannien eine neue Tageszeitung erschienen. Das Blatt heißt “The New Day”, und es richtet sich an eine Zielgruppe im Alter zwischen 35 und 55 Jahren. Mit einem Team von 25 Redakteuren will man leichtverdauliche Nachrichtenkost anbieten. In großzügiger Aufmachung und in, was die wesentlichen Nachrichten anbelangt, flapsig formulierten Zehnzeilern.

5. Rechtspopulistische Gesprächsstrategien – Eine Übersicht
(netz-gegen-nazis.de, Simone Rafael)
Rechtsextreme bedienen sich in der Diskussion in sozialen Netzwerken oft rhetorischer Tricks und Kniffe. Wie man den Gesprächsstrategien von Rechtsaußen nicht auf den Leim geht, verrät die Übersicht mit den neun häufigsten Strategien der Gegenseite und Empfehlungen für argumentative Konter.

6. Jan Böhmermann macht die meisten Schlagzeilen / Kai Diekmann auf Platz 2
(horizont.net, Tim Theobald)
Die Medienplattform “Recherchescout” hat 300 Journalisten orakeln lassen, welche Medienschaffende dieses Jahr die Schlagzeilen beherrschen werden und ein Top-10-Ranking der zukünftigen News-Dominatoren erstellt.

Empörungsmaschine, Terror, Meinung

1. Die Empörungsmaschinerie
(tagesspiegel.de, Maria Fiedler)
#BreakingBeck, Erika Steinbach und die angebliche Schweinefleischpflicht: Die vergangene Woche stehe für alles, was mit Politik im sozialen Netz schiefläuft. Maria Fiedler erklärt die Funktionsweise der Empörungsmaschine, die sich aus Verkürzung, Reflexen und Spott und Häme zusammensetzen würde. “Jeder, der sich in sozialen Netzwerken öffentlich äußert, sollte vor dem finalen Klick noch einmal innehalten und sich diese Mechanismen bewusst machen.”

2. Terror von rechts
(multimedia.swr.de, Marion Dilg & Sandra Kaupmann & Katja Beck, Thomas Reutter)
In der Dokumentation “Terror von Rechts. Die neue Bedrohung” (Sendeterimine: 7.3.2016 um 22.45 Uhr im Ersten und 9.3.2016 um 23.30 Uhr im SWR Fernsehen) fragt Filmemacher Thomas Reutter, wie konsequent Politik und Justiz gegen rechtsradikale Täter vorgehen würden und ob der neue rechte Terror womöglich nicht ernst genug genommen wird. Der “SWR” hat eine sehens-, hörens- und lesenswerte Webdoku zum Film veröffentlicht. Nicht nur informativ und lehrreich, sondern auch Beispiel dafür, wie neue, multimediale Erzählformen aussehen können.

3. Klare Worte beim EU-Türkei-Gipfel nötig
(reporter-ohne-grenzen.de)
“Reporter ohne Grenzen” fordert anlässlich des bevorstehenden EU-Türkei-Gipfels klare Worte von Bundeskanzlerin Angela Merkel: “Das dröhnende Schweigen der Bundesregierung zum Vorgehen der Türkei gegen kritische Medien ist unerträglich. Was muss eigentlich noch passieren, damit die Bundesregierung klare Worte zu den immer dreisteren Einschränkungen jeder freien Berichterstattung findet?”

4. Sie nennen Volker Beck einen Moralisten. Dabei wollen sie nur, dass er die Klappe hält. Dass wir die Klappe halten.
(nollendorfblog.de, Johannes Kram)
Im Nollendorfblog beschäftigt sich Johannes Kram u.a. mit der öffentlichen Wahrnehmung von Schwulen in Medien. Anlässlich des Rückzugs von Volker Beck hätten einige Medien diesen abschätzig als “Moralapostel” und “Moralist” bezeichnet, doch das Gegenteil sei der Fall. Das, was dort Moralismus genannt würde, sei in Wahrheit Beständigkeit, Hartnäckigkeit, Prinzipienfestigkeit und die Bereitschaft, sich für die Sache auch unbeliebt zu machen. Ebenfalls zur Causa Beck äußert sich Kulturwissenschaftler Jan Schnorrenberg, der die Funktionsweise zweier ihm typisch erscheinender Erzählmuster erklärt: Die Erzählung vom selbstzerstörerischen Homosexuellen und die vom “hedonistischen, dekadenten und amoralischen Großstadtbewohner”.

5. Vom Aufschaukeln und Zweifeln
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier & Sascha Lobo)
Eine Stunde Denkanstöße der zwei wohl bekanntesten Medienkenner: Im Übermedien-Podcast reden Stefan Niggemeier und Sascha Lobo über Soziale Medien und wie sich ihre Wahrnehmung geändert hat. Machen sie Hass und Ressentiments in der Gesellschaft nur sichtbar oder verstärken sie sie? Ist ein ernsthafter Austausch von Argumenten, ein Überzeugen des Gegenübers überhaupt möglich? Auf welcher Grundlage kommen wir selbst zu unseren Überzeugungen, wie die Welt ist – und wie nicht?

6. Alf Frommer: Meinung schafft am Ende kein Vertrauen
(kress.de, Alf Frommer)
Alf Frommer hat eine Meinung zu Meinungsbeiträgen. Diese seien der beliebteste Content im Internet, seien schnell produziert, je provokanter desto populärer. Doch wer das Vertrauen seiner Leser gewinnen wolle, solle auf die gut recherchierte Nachricht setzen, nicht auf Meinung. “Dabei darf man nicht vergessen – jede Meinung ist eine Art Elfenbeinturm. Einer hat sie, der andere nicht. Bei einer Nachricht ist das anders, sie kann einem zwar auch gefallen (oder eben nicht), doch sie schließt niemanden aus.”

Bild  

“Bild” macht friedliche Moslems zu radikalen Islamisten

Alte „Bild“-Grundregel: Menschen, die etwas Schlimmes getan haben, verlieren automatisch ihre Persönlichkeitsrechte.

Egal, wie alt sie sind.


(Unkenntlichmachung von uns.)

Die 15-Jährige soll regelmäßig eine Moschee von radikalen Islamisten besucht haben, wollte angeblich nach Syrien reisen (darum “ISIS-Horror”) und steht nun im Verdacht, in Hannover einen Polizisten niedergestochen zu haben.

Aus dem Pressekodex:
Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. (…) Insbesondere in der Berichterstattung über Straftaten und Unglücksfälle dürfen Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in der Regel nicht identifizierbar sein.

Das Foto des Mädchens hat „Bild“ (noch so eine alte Grundregel) bei Facebook besorgt, ebenso wie die meisten Fotos im Innenteil: das Mädchen im Kinderzimmer, auf einem Pferd, vor dem Eiffelturm …

Ob wenigstens das richtige Kind zu sehen ist, wissen wir nicht. Gut möglich, dass die Fotobeschaffer wieder mal im falschen Profil gewildert haben.

Allzu sorgfältig sind die “Bild”-Leute auf ihrer Fotojagd jedenfalls nicht vorgegangen, wie dieses Beispiel (ebenfalls aus dem Artikel) zeigt:

Das stimmt nicht. Das Foto zeigt keine Moschee, sondern ein Cem-Haus. Und es gehört nicht zum „Deutschsprachigen Islamkreis“, sondern zur „Alevitischen Gemeinde“ Hannovers.

Das mag für „Bild“-Redakteure eh alles dasselbe sein, ist es in der Realität aber nicht.

Im Gegensatz zum salafistischen Islamkreis in Hannover ist die alevitische Gemeinde Mitglied in der Deutschen Islamkonferenz und wird nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Von Salafisten unterscheidet Aleviten ohnehin eine ganze Menge: Männer und Frauen beten bei ihnen gemeinsam, sie deuten den Koran nicht wörtlich und lehnen die fünf Säulen des Islam ab. Mit dem „Islamischen Staat“ verbindet sie allenfalls, dass er ihnen die Köpfe abschneiden will.

Anders gesagt: Das abgebildete Haus und die Gemeinde, zu der es gehört, haben überhaupt nichts mit dem „Terror-Mädchen“ zu tun; “Bild” bringt sie zu Unrecht mit dem “ISIS-Horror” in Verbindung.

Ein Mitglied der Gemeinde sagte uns, sie würden oft beleidigt und bedroht, weil viele Leute annähmen, sie hätten was mit Terroristen zu tun. Durch die falsche Bebilderung würden sie jetzt umso mehr zur Zielscheibe.

Bei Facebook schreibt der Vorstand der Gemeinde, er fasse dies “als bewusste Tat gegen uns auf”.

Wir würden eher auf Fahrlässigkeit tippen. Wenn die “Bild”-Zeitung die Wahl hat zwischen Sorgfalt und Schnelligkeit, entscheidet sie sich eben für Letzteres. Auch wenn sie dabei in Kauf nimmt, unbeteiligte Menschen zu Hassobjekten zu machen. Alte Grundregel.

Nachtrag, 23.15 Uhr: Wie wir gerade entdeckt haben, hat “Bild” heute eine Korrektur veröffentlicht.

Falls Sie auch nicht gleich fündig werden: Ganz oben, zwischen dem toten Wal und Sarah Connor.

Die alevitische Gemeinde schreibt dazu bei Facebook:

In der heutigen ‪#‎BILD‬ Ausgabe (05.03.2016) wurde eine Richtigstellung aufgrund der ‪#‎Fotoverwechslung‬ vom Vortag vorgenommen. Die Redaktion bedaure die Verwechslung. Die Frage ist jedoch wie es zu so einer Verwechslung kommen konnte!?
Unser Dachverband ‪#‎AABF‬ und auch die Alevitische Gemeinde ‪#‎Hannover‬ ist nun seit fast 25 Jahren im Widerstand gegen Extremismus, vor allem gegen radikalen Islamismus. Denn die Alevitische Gesellschaft kennt die Folgen extremistischer Gewalt sehr gut. Dennoch werden wir nach all den Jahren mit den Feinden der Demokratie verwechselt. Kann ein knapp verfasster Artikel das wieder gut machen?

Unwillkommenskultur, Whistleblower, Hitler-Droge

1. Wie sich die deutsche Willkommenskultur in Ablehnung verwandelte
(sueddeutsche.de, Simon Hurtz)
Die “SZ” hat die Medienberichte zur Flüchtlingsthematik der letzten neun Monate und die Social-Media-Reaktionen ausgewertet. Daraus ließe sich ablesen, wie sich die deutsche Willkommenskultur in Ablehnung verwandelte. Lege man die Zahl der Facebook-Interaktionen zugrunde, sei “Focus Online” das mit Abstand erfolgreichste deutsche Nachrichtenportal. 97 Berichte zählten zwischen Juni und Februar zu den monatlichen Top 100. Davon hätten sich 50 mit dem Thema Flüchtlinge beschäftigt – und 48 hätten einen negativen Tonfall. Mit großem Abstand folgten die “Deutschen Wirtschafts Nachrichten” (14 negative Artikel), die “Welt” (13 negative, zwei positive Artikel) und die rechtskonservative bis rechtsextreme “Junge Freiheit” (zehn negative Artikel).

2. Vater aller Whistleblower
(freitag.de, Jacob Augstein)
Der 84-jährige “Vater aller Whistleblower” Daniel Ellsberg hat den internationaler Friedenspreis “Dresdenpreis” erhalten. Jacob Augstein dankt ihm in einer Laudatio. Ellsberg hätte dafür gesorgt, dass die “Pentagon Papers” veröffentlicht wurden, die Unterlagen, die bewiesen haben, dass vier amerikanische Präsidenten hintereinander die Öffentlichkeit über Absichten und Aussichten des Vietnamkriegs belogen haben. Papiere, die dazu beigetragen haben, den Krieg zu beenden. Die in vielerlei Hinsicht lesenswerte Rede endet mit den Worten “Freiheit für Chelsea Manning! Freiheit für Julian Assange! Asyl für Edward Snowden!”

3. Der Mann, der den Toten vom Lageso erfand
(tagesspiegel.de, Julia Prosinger)
Im Januar verbreitete sich die Falschmeldung, das “Lageso” (Landesamt für Gesundheit und Soziales) in Berlin habe einen Flüchtling auf dem Gewissen. Auslöser war eine Facebooknachricht des ehrenamtlichen Helfers Dirk V., die von einer Unterstützerorganisation zunächst ungeprüft übernommen wurde. Julia Prosinger vom “Tagesspiegel” hat mit dem Mann und anderen Helfern gesprochen. Ein nachdenklich machendes Stück Journalismus, das mehr sagt als tausend Zahlen und das man der Politik mit “Fontsize=20” ausgedruckt auf den Schreibtisch legen möchte.

4. tagesspiegel.de
(netzpiloten.de, Angela Phillips)
Im letzten Teil der Serie über Geschäftsmodelle für Nachrichtenmedien betrachtet Angela Phillips die Möglichkeit des Crowdfundings und wie es zukünftige Nachrichtenprojekte finanziell unterstützen könnte. Dabei stellt sie erfolgreiche Modelle aus anderen Ländern vor und streift Paywalls und Micropayment.

5. „Hitler-Droge!“: eine kurze Geschichte des Methamphetamin
(moritz-hoffmann.de)
Der Grünen-Politiker Volker Beck wurde mit einer Substanz erwischt, von der “Bild” behauptet, es handele sich um Methamphetamin (Crystal Meth). Weil der Tageszeitung die Schlagzeile immer noch nicht reißerisch genug war, setzte man einen drauf und schrie hinaus: “Grüner mit Hitler-Droge erwischt!”. Diese Bezeichnung liege hauptsächlich an einem Buch aus dem letzten Jahr, das von Hitlers angeblicher Cracksucht berichtet hätte (damaliges Präparat: “Pervitin”). Der Historiker und Geschichtsblogger Moritz Hoffmann verrät, was von den knalligen Behauptungen zu halten ist.

6. War die Hitler-Überschrift ein Geniestreich der Bild-Redaktion?
(vice.com/de, Paul Garbulski)
An den letzten Beitrag anschließend die Kommentierung von “Vice”, die unter anderem auf die “Reductio ad Hitlerum” verweist.

Gestreckter Stoff mit Hitler

Gestern Nachmittag verkündete Bild.de:

Im Artikel sagt der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, bei dem Politiker seien „0,6 Gramm einer betäubungsmittelsuspekten Substanz“ gefunden worden.

Nach Informationen von BILD soll es sich dabei vermutlich um Crystal Meth handeln.

Heißt also: Vielleicht hat “Bild” recht. Vielleicht war es auch wieder nur Salz. Oder was ganz anderes.

Volker Beck selbst erklärte bisher nur:

Und wie immer sind die Leute von „Bild” nun sehr darum bemüht, daraus eine möglichst große Sache zu machen. Allein sprachlich. Zum Beispiel nennen sie Crystal Meth konsequent die “gefährlichste Droge der Welt”. Wie sie darauf kommen, verraten sie allerdings nicht. Womöglich deshalb, weil sich über diesen Superlativ durchaus streiten lässt: In vielen “Gefährlichkeit”-Rankings belegen Alkohol, Heroin und Crack die obersten Plätze, noch vor Crystal Meth. Aber es ist ohnehin fraglich, wie groß die Aussagekraft solcher Rankings ist.

“Bild” jedenfalls bleibt dabei und lässt in den Berichten inzwischen auch die “Soll”s und “Vermutlich”s weg.


Für die heutige Titelseite hat sich die Print-Redaktion Folgendes überlegt:

Warum Hitler? Erstens: Weil’s geil ankommt. Zweitens:

Crystal Meth ist kristallisiertes Methamphetamin. Dieser Wirkstoff war einst Hauptbestandteil eines der populärsten Arzneimittel Deutschlands: Pervitin – in der Nazizeit bekannt als „Panzerschokolade“.

Vor allem Soldaten der Wehrmacht hätten die Pillen im Zweiten Weltkrieg genommen, schreibt „Bild“. Jedoch:

Was Süchtige heute konsumieren, entspricht dem Tausendfachen dessen, was Wehrmachtsoldaten geschluckt haben

Dem „Tausendfachen“?

Die “Nazi-Pillen” (Bild.de) sollen etwa drei Milligramm Wirkstoff enthalten haben. Laut „Spiegel“ wurde den Soldaten die Einnahme von ein bis zwei Tabletten empfohlen. Das entspricht also drei bis sechs Milligramm.

Heutzutage liegt eine mittlere Dosis bei 10 bis zu 40 Milligramm. Das ist nicht das Tausend-, sondern maximal das Dreizehnfache.

Gewöhnte Konsumenten dosieren oft höher. „Bild“ selbst schreibt:

Ein Gramm Crystal entspricht dem Tageskonsum eines Langzeitkonsumenten

Aber auch das wäre “nur” das 150- bis 300-fache. Noch dazu sind diese Dosierungen häufig verunreinigt, die Menge des reinen Wirkstoffs liegt also oft darunter. Wahrscheinlich wird es auch Leute geben, die noch höher dosieren, doch bis zum „Tausendfachen“ dürften wohl die wenigsten gehen.

Wie viele der anderen „Informationen von BILD“ im Fall Beck der Realität entsprechen, wird sich zeigen. Bisher hat die Staatsanwaltschaft keine Ermittlungen aufgenommen.

Mit Dank an Thomas R.!

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