Informationsgier, Newskanal, Push-up-BHs

1. Müssen wir sie als Helden sterben lassen?
(faz.net, Judith Brosel)
Judith Brosel fragt in der “FAZ”, ob wir zur Aufarbeitung von Taten wie dem Münchner Amoklauf unbedingt Gesicht und Name des Täters brauchen: “Einer meiner Klassenkameraden beging selbst einen Amoklauf, nachdem wir im Unterricht über Winnenden sprachen. Unsere Gier nach Informationen fordert Nachahmer geradezu heraus – warum wollen wir trotzdem alles über die Täter wissen?”

2. Brauchen wir einen öffentlich-rechtlichen Newskanal?
(br.de, Daniel Bouhs, Audio, 4:27 Min.)
Am Freitagabend sei die ARD-Tagesschau nahtlos in die Tagesthemen übergegangen, die bis nachts um ein Uhr informierten. Ähnlich sei es beim ZDF gelaufen. Damit hätten die Sender auch auf Kritik nach Nizza und dem Türkei-Putschversuch reagiert, als ihnen vorgeworfen wurde, zu wenig Sondersendungen angeboten, zu viel Normalprogramm gesendet zu haben. Daniel Bouhs fragt, ob das ausreicht und ob wir einen öffentlich-rechtlichen Newskanal brauchen.

3. Amoklauf verändert das Bild von München im Ausland
(sueddeutsche.de, Julian Dörr)
Julian Dörr hat sich für die “SZ” durch die vielen internationalen Medienberichte zum Amoklauf von München geklickt und gibt in einer kleinen Presseschau die Sichtweise einiger ausländischer Medien wieder. Das Klischee von München als sicherster Stadt sei angekratzt…

4. Gestern in Reutlingen
(rkklha.wordpress.com, David Höhnerbach)
In Reutlingen kam es nach einem Streit zu einer Gewalttat, bei der die genaue Motivlage noch unklar ist. David Höhnerbach hat die lokale Berichterstattung dazu verfolgt. Er moniert die von den Medien verbreitete Erwähnung, um was es sich bei der Tat wohl nicht gehandelt habe: “Dabei geht es gar nicht um die in letzten Tagen vielfach diskutierte Frage, was Terror ist und was Amok, sondern dass ohne einen stichhaltigen Anhaltspunkt schon der mögliche terroristische Hintergrund erwähnt wird, nur um ihn dann zu negieren. Es stellt sich doch die Frage, warum derartige subtile Gefühle der Unsicherheit damit indirekt bestätigt werden. Denn es handelt sich doch um einen sehr seltsamen Effekt: ein blutiger Gewaltakt in der Öffentlichkeit, der vermutlich ohne politischen Hintergrund war, wird so in die Nähe des Terrors gerückt, obschon diese Nähe sogleich verneint wird.”

5. Dunja Hayali über die Arbeit beim ZDF
(youtube.com, Thilo Jung, Video, 1:15 Stunde)
Thilo Jung unterhält sich mehr als eine Stunde mit der Journalistin und Fernsehmoderatorin Dunja Hayali. Unter anderem auch darüber, warum uns die Nationalität eines Täters so brennend interessiert: “Die Schüler haben mich gefragt, warum gestern in der Zeitung stand, dass ein Deutsch-Marrokaner etwas geklaut hat. Dann haben sie gesagt: Wenn das jetzt ein Deutsch-Schwede gewesen wäre, würde es da doch nicht stehen. Und dann dachte ich: Wow, das stimmt! Wie kann das sein?”

6. Das passiert, wenn ich nur noch Überschriften lese
(welt.de, Peter Praschl)
“Überschriften sind die Push-up-BHs im Journalismus”, behauptet Peter Praschl in seiner “Welt”-Glosse. Trotz gepimpter Schlagzeilen falle es immer schwerer, die Aufmerksamkeit der Leser zu gewinnen: “59 Prozent aller auf Twitter geteilten Artikel werden nie gelesen. Von keinem einzigen Menschen, nicht einmal von jenen, die sie geteilt haben. Es kann also durchaus sein, dass einem auf Twitter ein Text empfohlen wird, dessen Überschrift “Bessere Orgasmen durch ‘Pokémon Go'” verspricht, in dem aber bloß steht, dass Elvis Presley wieder einmal gesichtet wurde, und niemandem würde es auffallen.”

Außerdem: Unsere gestrige “6 vor 9”-Sonderausgabe mit ausgesuchten Medienlinks zum Münchner Geschehen.

„6 vor 9“-Sonderausgabe: Amoklauf in München

1. OEZ und ein Abend mittendrin…
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz ist ein bekannter Journalist und Medienprofi. Und seine Münchner Wohnung liegt in der Nähe der U-Bahn-Station Olympia-Einkaufszentrum. Kein Wunder, dass er in den Stunden des Geschehens ein gefragter Interviewpartner und für mehrere Stunden bei “BBC World” und “Deutsche Welle TV” on air war. Jakubetz schreibt auf seinem Blog über seinen persönlichen Zwiespalt bei der Bewertung des Geschehens. Und geht selbstkritisch mit sich ins Gericht, weil er trotz des Bemühens um journalistische Sorgfalt auch Dinge verbreitet habe, die sich später als Falschmeldungen herausgestellt hätten: “Jetzt, mit dem Abstand von einer paar Stunden, weiß ich nicht mehr, warum ich diese Meldungen abgesetzt habe, ohne sie gegenzuchecken. Allerdings, ohne dass das eine Ausrede sein soll: Man steht da plötzlich mehr oder weniger unvorbereitet und Radio- und TV-Stationen aus der ganzen Welt wollen von dir im Minutentakt etwas Neues haben. Ernsthaft hätte ich nicht mehr sagen können außer: Es gab eine Schießerei, es gibt wohl Tote, nein, wir wissen nichts über den oder die Täter. Aber so kann man natürlich keine Live-Schalte bestreiten und außerdem: Ich war an dem Abend beides, Betroffener und Journalist. Und ich habe an mir selbst festgestellt, wie groß mein Bedürfnis nach irgendwelchen Informationen ist, wie ich alles aufgesaugt habe ohne jegliche professionelle Distanz. Wie soll man auch distanziert und ruhig bleiben, wenn in deiner Nachbarschaft neun Menschen erschossen werden?”

2. Unverantwortliche Angstmacherei mit «Terror»
(infosperber.ch, Urs P. Gasche)
Der Schweizer Journalist und ehemalige Fernsehmoderator Urs P. Gasche bezeichnet die vielen Terror-Schlagzeilen in Zusammenhang mit dem Amoklauf in München als unverantwortliche Angstmacherei: “Die unbedarften, aber quotenbringenden Schlagzeilen dienen in den meisten Ländern Westeuropas der extremen Rechten. Je stärker die verbreitete Angst, je grösser die gefühlte Unsicherheit, je intensiver das Gefühl, dass die heute Regierenden den Terror nicht in den Griff bekommen, desto grösser das Echo auf Rufe nach der starken Partei, dem starken Mann oder der starken Frau. Desto bereitwilliger akzeptiert eine Bevölkerung den Ausnahmezustand, die totale Überwachung und eine polizeiliche und militärische Aufrüstung.”

3. Der Amoklauf von München – so war es in einer Nachrichtenredaktion
(michael-draeger.com)
Michael Draeger ist Journalist und arbeitet als Nachrichtenredakteur beim NDR. Von der Schießerei im Olympiaeinkaufszentrum in München erfährt er bei der Arbeit: Draeger ist an dem Abend für die Spätnachrichten bei “N-JOY ” und “NDR2” eingeteilt und muss aus einem Wust an verschiedenen und teils widersprüchlichen Informationen herausfiltern, was stimmt. Am Ende seiner Schilderung über den besonderen Arbeitstag bricht Draeger eine Lanze für das Medium Radio: “Wer im Breaking-News-Fall statt dem stetigen Nachrichtenfluss kompakte und verlässliche Informationen sucht, der sollte stattdessen Radio hören. Sie verpassen nichts Wichtiges, versprochen. Gleichzeitig ersparen Sie sich jede Menge Spekulationen, Gerüchte und Halbgares. Auch mit gefälschten Bildern müssen Sie sich nicht herumschlagen.”

4. fiene & dann lasst uns auf text umschalten
(danielfiene.com)
Journalist Daniel Fiene ist zu Hause, als er von einer möglichen Schießerei in München erfährt. Nach Rücksprache mit den Kollegen vom Newsdesk fährt er kurzerhand zurück in die Redaktion, um dort bis tief in die Nacht zu arbeiten. Fiene ist Social-Media-Profi und Fan von Tools wie Periscope und Facebook Live. Dennoch fragt er sich, ob das Veröffentlichen von Bildern und Videos immer zweckdienlich sei. “Ich nehme mir auf jeden Fall vor, bei künftigen extremen Nachrichtensituation —egal ob nah dran, oder beobachtend— auf meinen eigenen Accounts in den Textmodus zu wechseln. Es gibt Leute, die das schätzen werden und Leute, die das schätzen lernen werden und vielleicht den Textmodus auch für sich entdecken. Wir können Vorbild sein.”

5. Das Vielfache von Entsetzen
(fraumeike.de, Meike Lobo)
Meike Lobo schreibt über den Impuls, bei schlimmen Ereignissen in die Timeline der sozialen Medien abzutauchen. Aus dem Bedürfnis nach Informationen, aber auch, um die Nähe von anderen zu suchen. Meike Lobo fragt sich, welchen Sinn es habe, immer wieder hektisch auf Aktualisieren zu klicken und beantwortet diese Frage für sich, indem sie irgendwann Twitter abschaltet: “Gruppendynamik bedeutet nichts anderes als dass wir Dinge sagen, tun und fühlen, weil andere sie auch sagen, tun und fühlen. Das Handeln der Allgemeinheit begründet das Handeln des Einzelnen. Menschen sind soziale Wesen; sich nach anderen zu richten, ist normal, natürlich und in vielen Fällen sinnvoll. In aufgeregten Zeiten aber, das hat der gehetzte Eilmeldungsjournalismus der letzten Jahre genauso gezeigt wie die Erfolge der AfD, macht Gruppendynamik genau eines: die Menschen noch aufgeregter. Denn das Vielfache von Entsetzen ist nicht Trost, sondern Panik.”

6. Wie die deutschen Medien Udo Ulfkotte die Wahrheit über München verschwiegen
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Udo Ulfkotte hat den Bestseller “Gekaufte Journalisten” geschrieben und ist bekannt für seine vielen Geschichten über die “Lügenpresse”. Auch am Abend des Amoklaufs wittert er eine Verschwörung der deutschen Medien und fragt auf Facebook: “+++ Wieso muss ich ausländische Zeitungen lesen, um aus LONDON zu erfahren, was wirklich gerade in München los ist +++ mindestens 6 Tote , die Zahl meldet noch KEIN deutscher Journalist …++”. Stefan Niggemeier dokumentiert auf “Übermedien” mit zahlreichen Beweisfotos, warum dies Mumpitz ist.

Das besondere “Bild”-Mitgefühl

Was mag in Eltern und Freundin des Todes-Piloten vorgehen? Sind sie mit der Tat des Sohnes nicht gestraft genug?

Gemeint sind in diesen zwei Fragen die Eltern und die frühere Freundin von Andreas L., dem Co-Piloten des Germanwings-Flugs 4U9525. L. hatte im März vergangenen Jahres ein Flugzeug in die französischen Alpen gelenkt, wodurch er und 149 weitere Menschen ums Leben kamen. Die oben zitierte Passage stammt aus einem Artikel, den “Bild” und Bild.de am Dienstag veröffentlichten:



(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Artikel durch uns.)

Der Mann, der Anzeige gegen die Eltern von Andreas L. erstattet hat, hat bei dem Unglück vor 16 Monaten seine Tochter und sein Enkelkind verloren. Der Lebensgefährte seiner Tochter ist ebenfalls gestorben. Die “Bild”-Medien schreiben dazu:

Der schwere Vorwurf des Düsseldorfer Unternehmers: Die Eltern [von L.] hätten sich mitschuldig gemacht. […]

Konkret geht es um die zahlreichen Arztbesuche des kranken L[.]. Eltern und Freundin hätten davon gewusst und den späteren Amok-Piloten zu den Medizinern begleitet, ihn jedoch nicht davon abgehalten zu fliegen, so die Anzeige. […]

Sein juristischer Beistand, Klaus Brodbeck, zu BILD: “Die Anzeige ist für uns die einzige Möglichkeit, dass in diese Richtung ermittelt wird.” Für ihn komme der Straftatbestand der Beihilfe zur fahrlässigen Tötung in 149 Fällen in Frage.

Und nun fragt das Dreierautorenteam von “Bild” also mitfühlend, ob die Eltern von Andreas L. nicht schon genug gestraft seien.

Dass “Bild”-Mitarbeiter sich ums Wohlbefinden von Angehörigen von Tätern sorgen, ist, gelinde gesagt, überraschend. Gerade im Fall von Andreas L. Denn die “Bild”-Medien hatten wenige Tage nach der Tat von L. kein Problem damit, auch seine Eltern in den Fokus der Berichterstattung zu zerren:

Autor Tim Sönder nannte in dem Artikel die Berufe der beiden Eltern und ließ einen “Trauma-Experten” eine Ferndiagnose über sie anstellen.

Nur wenige Tage später ging es in einem weiteren Artikel noch einmal um das Ehepaar L.:

Erneut wurden die Berufe genannt, dieses Mal von “Bild”-Mitarbeiter Philipp Blanke. Er ließ den “Trauma-Experten” ebenfalls zu Wort kommen. Und bei seiner Recherche hat er offenbar auch im Umfeld der Familie rumgeschnüffelt — eine Nachbarin der Großeltern von L. erzählt in dem Text nämlich über die Kindheit des Piloten.

Nun kann man Andreas L. aufgrund seiner Tat als Person der Zeitgeschichte sehen. Doch seine Eltern sind kein Teil dieser Tat, dieses zeitgeschichtlichen Ereignisses. Sie haben das Recht auf Privatsphäre.

Davon unabhängig sollte man ihnen auch ein Recht auf Trauer zugestehen. Neben dem Verlust ihres Sohnes müssen sie auch verarbeiten, dass dieser für den Tod vieler weiterer Menschen verantwortlich ist. Doch wie soll das funktionieren, wenn die “Bild”-Medien jede Kleinigkeit nutzen, um über ihren Sohn zu berichten? Zum Beispiel wenn sich ein früherer Bekannter im Fernsehen über ihn äußert …

… oder wenn die “Tagesschau” zum Jahrestag des Unglücks sein Gesicht nur verpixelt zeigt …

… oder wenn “Bild” einen Mann findet, der genauso heißt wie ihr Sohn:

Sie müssen mit ansehen, dass Bild.de Fotos vom Grab ihres Sohnes veröffentlicht. Und dass Bild.de aus angeblichen privaten E-Mails ihres Sohnes zitiert:

Und dass Bild.de, gerade erst vor zwei Wochen, Fotos aus Ermittlungsakten veröffentlicht, die die private Wohnung von L. …




… und auch sein Kinderzimmers im Haus der Eltern zeigen:

Autor des Artikels ist Mike Passmann. Passmann ist es auch, der am Dienstag mit seinen zwei Kollegen fragte, ob die Eltern von Andreas L. nicht schon gestraft genug seien.

Hoax erkennen, Anschlagsadoption, Schwiegertochter gesucht

1. Hoax: Wie erkenne ich Falschmeldungen?
(digitalcourage.de)
Immer wieder werden Falschmeldungen im Internet lanciert, die teilweise jahrelang die Runde machen. Ob über E-Mail oder Messenger, als Tweets oder auf Webseiten. Doch wie erkennt man, dass es sich um ein falsches Digitalgerücht (“Hoax”) handelt? Der sich für “Grundrechte, Datenschutz und eine lebenswerte Welt im digitalen Zeitalter” engagierende Verein “Digitalcourage” listet die Indizien auf, die für einen Hoax sprechen könnten und gibt Tipps für einen Faktencheck. Damit man sich “hinterher nicht auslachen lassen muss, weil man irgendeinen Unsinn geglaubt und weitergegeben hat.”

2. Die Schlacht um die Netzneutralität ist geschlagen und wir Journalisten haben es versemmelt
(djv-bw.de, Peter Welchering)
Beim Thema Netzneutralität haben die Netzaktivisten trotz einer groß angelegten Petition anscheinend die entscheidenden Schlachten verloren. Es gelang nicht, eine breitere Öffentlichkeit für das Thema zu interessieren. Journalist Peter Welchering lastet dies in seinem Zwischenruf vor allem seinen Berufskollegen an. “Nicht selten steckte da die mangelnde Bereitschaft dahinter, sich mit technischen Fragen auseinanderzusetzen. Unschöne Erinnerungen an den Mathematikunterricht längst vergangener Tage waren da leider allzu oft Triebfeder des Nicht-Handelns. Also müssen wir Journalisten mit dem Vorwurf vieler Internet-Ingenieure leben: Das mit der Netzneutralität haben wir Journalisten versemmelt. Und wir haben keine Entschuldigung dafür.”

3. 100 Jahre Elektrischer Reporter: So geht es weiter
(sixtus.net, Mario Sixtus)
Mario Sixtus feiert das zehnjährige Jubiläum des “Elektrischen Reporters”. Knapp 200 Folgen des Kurzmagazins rund ums Digitale entstanden bis zur aktuellen Sendung, die zugleich die letzte Sendung ist. Doch keine Sorge: “Aber das ist mitnichten das Ende des Elektrischen Reporter, im Gegentum! Künftig werden wir unter diesem Label für ZDFinfo Dokumentarfilme zu Digitalthemen produzieren. Die Zeiten haben sich geändert, vierminütige Beiträge werden dem Digitalen des Jahres 2016 einfach nicht mehr gerecht. Deswegen werden es künftig 45 Minuten sein. Zwei dieser Filme befinden sich bereits im Stadium der Vorproduktion.”

4. Wenn der IS Anschläge adoptiert
(zeit.de, Yassin Musharbash, Video, 5:05 Min.)
Der für das Investigativressort der “Zeit” tätige Journalist Yassin Musharbash spricht über die Probleme bei der Täterzuschreibung nach Attentaten. Die Anschläge von Orlando, Nizza und Würzburg seien beispielsweise von der IS-nahen Medienstelle Amaq dem IS zugeschrieben worden. Musharbash sortiert und bewertet die verschiedenen Aspekte und rät zum Schluss zu Skepsis und sorgfältiger Prüfung. Auch, wenn dies Zeit koste: “Alleine, weil der IS etwas behauptet, ist es noch nicht wahr. Es ist oft wahr, es ist aber oft auch nur halbwahr. Und dann gilt es auch die Ermittlungsarbeiten der Sicherheitsbehörden abzuwarten, was sich in Übereinstimmung bringen lässt. Und ehrlich gesagt: Dann dauert es halt eine Woche, bis wir wissen, ob Amaq und der IS die Wahrheit gesagt haben.”

5. 21.07.1816 – Geburtstag von Paul Julius Reuter
(wdr.de, Ronald Feisel, Audio 14:36 Min.)
Mit vierzig Brieftauben überbrückte Paul Julius Reuter 1849 die Telegrafen-Lücke zwischen Aachen und Brüssel. Was so klein begann, sollte später Milliarden wert sein: Die nach Reuter benannte Nachrichtenagentur wechselte im Jahr 2007 für stolze 13 Milliarden den Eigentümer und ist nun im Besitz der kanadischen Thomson-Gruppe. In “WDR-Zeitzeichen” geht es um den umtriebigen Agenturgründer und die bewegte Unternehmensgeschichte.

6. Regeln gesucht
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Es gibt Sendungen, in denen regelmäßig medienunerfahrene Menschen mit oft geringem Bildungsgrad vor den Augen der Fernsehnation lächerlich gemacht werden. “Schwiegertochter gesucht” von RTL ist ein derartiges Format. Nachdem Jan Böhmermann („Neo Magazin Royale“) RTL einen falschen Bewerber untergejubelt hatte, gelobte der Sender Besserung. Nun hat man mit der Niedersächsischen Landesmedienanstalt „eine Reihe von Vorgaben zur Auswahl und Präsentation der Bewerber“ vereinbart. Boris Rosenkranz hat sich die Angelegenheit näher angeschaut und nachgefragt. (Um es positiv auszudrücken: Fans des unappetitlichen Demütigungs- und Voyeurformats mit ihren über den Tisch gezogenen und als skurril-schaurige Jahrmarktsattraktionen vorgeführten Mitwirkenden, brauchen sich keine allzu großen Sorgen um ihre Lieblingssendung machen.)

Genies unter sich

Kaum zu glauben, aber wahr:

Hein-Georg wird heut’ siebzig J …

Ach nee, doch nicht:

Kaum zu glauben, aber wahr: In diesem Bild sind mehr als nur drei Gesichter zu erkennen!

“Dieses Bild” ist das hier, das die Leute von Bild.de, wie sie schreiben, auf einem Instagram-Account namens “brainteaserss” gefunden haben, auf dem vor einiger Zeit immerhin zehn verschiedene Rätselbilder gepostet wurden und der seit rund zweieinhalb Jahren inaktiv ist:

Von “brainteaserss” (bzw. von irgendeiner, bis zu 15 Jahre alten, anderen Internet-Quelle) hat Bild.de auch die Auswertung des Rätsels übernommen:

Wenn du …

  • … sechs findest, hast du eine außergewöhnliche Beobachtungsgabe.
  • … sieben findest, hast du eine überdurchschnittliche Beobachtungsgabe.
  • … acht findest, bist du ein sehr aufmerksamer Mensch, Glückwunsch!
  • … neun findest, bist du extrem aufmerksam, sehr intuitiv und kreativ.

Oder, wie Bild.de es dann in eigenen Worten in der Überschrift formuliert:

(Um herauszufinden, warum Bild.de die Leser in dem Artikel eigentlich duzt, muss man vermutlich zwölf Personen auf dem Bild finden.)

Nun wird es aber etwas schwierig, die gesuchten neun Personen tatsächlich zu finden, denn das Gemälde (“The General’s Family” von Octavio Ocampo) ist bei “brainteaserss” — wie an vielen anderen Stellen im Internet — am linken Rand ein bisschen zu weit beschnitten.

Es fehlt diese zweite, äußere Säule, die eigentlich nicht fehlen darf, wenn man die neun Personen finden will. Denn die Säule formt auch noch eine Gesichtssilhouette:

Das ist den Leuten bei Bild.de aber egal, die haben einfach ganz woanders noch ein Gesicht gefunden (hier mit der roten 8 “hervorgehoben”):

Für alle, die an der richtigen Lösung des Rätsels interessiert sind — die gibt es hier.

Mit Dank an Stefan W.

Abgetrumpte Michelle, Kollateralschäden, Titelmühle Focus

1. Melania Trump: Wie Jarrett Hill die Schummelei aufdeckte
(spiegel.de, Veit Medick)
Viele haben die Gegenüberstellung der Passagen in den letzten Tagen gesehen: Melania Trump kupferte Teile ihrer Rede bei Michelle Obama ab! Losgetreten wurde die Affäre jedoch nicht von professionellen Faktencheckern oder dem gegnerischen Wahlkampfteam, sondern von einem Ex-Journalisten, der in Los Angeles in einem Café saß und von seiner Beobachtung twitterte. Veit Medick über die Geschichte eines Zufalls und seine weitreichenden Folgen.

2. Holt uns die Gewalt bei Facebook ein?
(wired.de, Max Biederbeck, Audio, 10:43 min)
Ob wir es wollen oder nicht: Unsere Feeds werden von der aktuellen Nachrichtenlage bestimmt und das bedeutet, dass wir immer öfter Augenzeuge von Gewalt werden. “Wired”-Redakteur Max Biederbeck diskutiert im “detektor.fm-Interview”, was das mit Staat, Medien und Usern macht.

3. Brief an die WAZ
(facebook.com, Pascal Hesse)
Die “WAZ” berichtete umfangreich über die SPD-Bundestagsabgeordnete Petra Hinz, die ihren Lebenslauf gefälscht hat und gegen die es seit längerem Mobbingvorwürfe gibt. Dies geht jedoch auf die Recherchen von Pascal Hesse zurück, der beim “Informer Magazine” als Erster davon berichtete, wie er auf Facebook schreibt. Die “WAZ”-Kollegen hätten seine Rechercheergebnisse ohne Quellenangabe einfach übernommen. Entsprechend reagiert Hesse: “Schade, dass es offenbar in Essen keine Fairness mehr unter Kollegen gibt. Und die WAZ die Erfolge anderer nun bundesweit medial für sich beansprucht. Und die Bild, n-tv Der Nachrichtensender, DER SPIEGEL, tagesschau und andere dann auch noch die falsche Quellenangabe übernehmen. Weil sie es nicht anders wissen können und darauf vertrauen, dass das, was ihr schreibt, liebe WAZ, richtig ist.” Die “WAZ” hat in den Kommentaren geantwortet, (was eine weitere Diskussion auslöste), ihren Text nachträglich angepasst und die Quelle genannt.

4. Trotz Web 2.0: Gatekeeper bleiben relevant
(de.ejo-online.eu, Nadia Leihs)
Nadia Leihs hat sich das Buch “Gatekeeping” von Ines Engelmann angesehen, in dem diese einen Zeitraum von knapp 70 Jahren auf etwa 100 Seiten anschaulich zusammengefasst habe. Damit empfehle sich der Band vor allem für Studienanfänger, die einen ersten Überblick über das Forschungsfeld erhalten wollen, aber auch zur Rekapitulation und Auffrischung vorhandenen Wissens.

5. Kollateralschäden eines unsinnigen Gesetzes
(zeit.de, Patrick Beuth)
Seit drei Jahren ist das “Leistungsschutzrecht für Presseverleger” in Kraft. Es geht auf den Wunsch der Verlage zurück, daran mitzuverdienen, wenn Suchmaschinen und andere Dienste Textauszüge (“Snippets”) einblenden. Doch das Gesetz ist handwerklich schlecht gemacht wie viele Juristen finden. Gerechnet hat sich das Ganze eh nicht. Eingenommen hat man laut “irights.info” gerade mal 715.540 Euro, die Kosten für die juristische Auseinandersetzung betrugen jedoch mehr als drei Millionen Euro. Vom Branchenriesen Google hätten die Verleger keinen Cent bekommen. Stattdessen ginge es nun kleinen Startups an den Kragen, mit denen man sich juristische Scharmützel liefert.

6. Was meint ihr?
(facebook.com, Steve Kroeger)
Die Leistung von Coachs, Motivatoren und Speakern ist wegen ihrer Abstraktheit (und im Einzelfall wegen der vielen heißen Luft) nicht einfach anzupreisen. Da ist man besonders glücklich, wenn man auf Awards, Siegel und andere prestigeträchtige Auszeichnungen verweisen kann. Dies weiß anscheinend auch der “Focus”. Steve Kroeger macht auf seiner Facebookseite ein unmoralisches Angebot des Magazins öffentlich: “Für nur €5.000,- zzgl. MwSt. kann ich mir das unabhängige! FOCUS-Siegel kaufen.” Kroeger hat das “Focus”-Anschreiben samt schicker Urkunde gepostet, dem praktischerweise gleich ein Bestellschein beiliegt.

Falsches Spiel des Jahres

In der Kindersendung “Kakadu” vom “Deutschlandradio Kultur” gibt es all die Themen, die Kindern beim Radiohören Spaß machen könnten: Eine Reportage vom “Kinderabenteuerhof in Freiburg” oder ein Hörspiel über einen “Elefanten im Krankenhaus” oder einen Beitrag über “Kaninchenköttel, Kuhfladen, Katzenkacke”.

Vorgestern ging es unter anderem um eine der wichtigsten Preisverleihungen für die “Kakadu”-Hörerschaft:

Das wird jedes Jahr von einer Jury gekürt, und gewonnen hat dieses Mal das Sprachspiel “Codenames”. Um die diesjährige Entscheidung der Jury zu kommentieren, ist extra die “Spiele-Expertin” Christina Valentiner-Branth ins “Kakadu”-Studio gekommen. Und als die Moderatorin von Valentiner-Branth wissen will, ob die Wahl der Jury eine “gute Wahl” war, hat die eine klare Antwort:

Nee, leider nicht. Dieses Jahr leider überhaupt kein bisschen. Und ich bin auch echt, ich bin, ich bin sogar richtig ein bisschen böse.

In der Vergangenheit habe man sich als Käufer immer sicher sein können, dass das “Spiel des Jahres” ein “Super-Top-Familienspiel” ist. Das könne man mit Oma spielen, das könne man mit den Kindern spielen, das könne man mit der ganzen Familie spielen, nicht zu schwer, nicht zu viele Regeln. “Codenames” sei nun ab 14 Jahren empfohlen, dazu ein Sprachspiel, bei dem man gut lesen können müsse, und es funktioniere erst ab vier Leuten, “die richtig gut und kreativ sind.”

Also:

Finger weg vom diesjährigen “Spiel des Jahres”, wenn ihr eine Familie seid.

Soweit, so nachvollziehbar.

Moderatorin: Gucken wir doch dann, was bei den restlichen Nominierten, die aber heute keinen Preis bekommen haben, vielleicht noch dein Tipp wäre, was so ein Familienspiel ist.

Valentiner-Branth: Also wenn jetzt Weihnachten naht oder ihr demnächst Geburtstag habt, und ihr wollt euch was …

Moderatorin: Ja, “O Tannenbaum” lief schon im Radio.

Valentiner-Branth: Ja, du warst schon voll dabei. Also wenn ihr da irgendwie was sucht und ihr seid so Familie, habt vielleicht so einen Achtjährigen, einen Zehnjährigen, vielleicht auch noch einen Zwölfjährigen dabei, dann kann ich das Spiel “Karuba” empfehlen. “Karuba” stand auf der Nominierungsliste, also drei Spiele waren vorgeschlagen für den “Spiel des Jahres”-Preis. Das ist ein Spiel für Kinder ab acht Jahren. Die Regeln sind super einfach. Man kann es ganz schnell lernen. Und eigentlich hatten ganz viele gewettet, dass “Karuba” “Spiel des Jahres” wird. Die waren natürlich alle ein bisschen enttäuscht.

Einer, der besonders enttäuscht gewesen sein dürfte, ist der Ehemann von “Spiele-Expertin” Christina Valentiner-Branth. Der war als Redakteur nämlich maßgeblich an der Entwicklung von “Karuba” beteiligt (PDF) und dürfte großes Interesse daran haben, dass Achtjährige oder Zehnjährige oder auch Zwölfjährige bei “Kakadu” von seinem “Karuba” hören und es sich dann zu Weihnachten oder zum Geburtstag wünschen.

Über die Sendung “Kakadu” steht auf der Homepage vom “Deutschlandradio”:

Die Kindersendung läuft täglich live im Programm von Deutschlandradio Kultur und ist bundesweit und werbefrei zu hören.

Der Werbeblock von Christina Valentiner-Branth hat es dann aber doch ins Programm geschafft.

Auf Nachfrage schreibt und das “Deutschlandradio Kultur”, dass Christina Valentiner-Branth die Redaktion darüber informiert habe, dass ihr Ehemann “an dem Spiel ‘Karuba’ beteiligt war, aber eben als Redakteur.” Man habe “keinerlei Anzeichen von Schleichwerbung o.ä. gesehen oder auch beabsichtigt. Insofern haben wir kein Problem darin gesehen, sie als Kritikerin für die Preisverleihung ‘Das Spiel des Jahres’ zu befragen.” Man schätze “Frau Valentiner-Branth wegen ihrer kritischen und objektiven Berichterstattung.”

Mit Dank an den Hinweisgeber!

Die bigotten Hüter des Urheberrechts

Gestern konnte man bei Bild.de richtig was lernen — ohne Witz. Vor allem die Mitarbeiter des Portals selbst dürften durch diesen Artikel eine Menge Neues erfahren haben:

Denn die Fragen, die die Redaktion erst stellt und dann mit Hilfe eines Beitrags aus der Zeitschrift “Finanztest” beantwortet, haben sich die Leute bei Bild.de unserer Meinung nach bisher viel zu selten durch den Kopf gehen lassen:

Doch darf man andere Personen einfach fotografieren? […] Wer darf fotografiert werden und wer nicht? Was darf ich veröffentlichen? Wann brauche ich das Einverständnis der Abgelichteten?

Also: Zettel und Stifte raus und mitschreiben, liebe Bild.de-Mitarbeiter — in nur zwei Schritten zum rechtschaffenen Boulevardredakteur.

Lektion 1: das Recht am eigenen Bild.

Jeder darf selbst bestimmen, ob er fotografiert oder gefilmt werden möchte oder nicht

Und wie sieht’s mit dem Veröffentlichen von Fotos aus?

Jeder Mensch hat das Recht zu entscheiden, ob ein Bild von ihm veröffentlicht wird. […] Gesetzlich gewährleistet ist letztlich das Recht des Menschen auf Anonymität.

Und Fotos von Kindern — muss ich da was Besonderes bei der Veröffentlichung beachten?

Nur mit Einwilligung der Eltern! Darüber hinaus muss auch das minderjährige Kind gefragt werden — sofern es in der Lage ist, die Bedeutung und Tragweite seiner Einwilligung zu überblicken.

Alles klar.

Weiter zu Lektion 2: das Urheberrecht.

Prinzipiell gilt: Wer das Foto knipst, ist auch der Urheber des Fotos. […] Er muss immer im Zusammenhang mit seinem Foto genannt werden.

Und was passiert, wenn das — mal rein theoretisch — ein Boulevardblatt missachtet?

Ohne Einverständnis des Urhebers darf ein Foto nicht veröffentlicht werden, sonst drohen empfindliche Geldstrafen.

Aber gilt das auch für dieses Internet?

Selbstverständlich gilt das Urheberrecht auch fürs Internet. […] Eine Veröffentlichung des Fotos liegt bereits vor, wenn es im Internet verwendet wird, denn dort wird es wieder anderen Nutzern zugänglich gemacht.

So einfach ist das, alte Rechtsmissachter von Bild.de. Und jetzt könnt ihr euer neues Wissen anwenden, indem ihr euch eure Kollegen von “Bild” und “Bild am Sonntag” schnappt und mal euer gesamtes Archiv nach Verletzungen der oben aufgeführten Grundsätze durchsucht. Die gibt es nämlich massenweise.

Zum Start könntet ihr euch beispielsweise hiermit beschäftigen …

… oder hiermit

… oder hiermit

… oder hiermit

… oder hiermit

… oder hiermit

… oder hiermit

… oder hiermit

… oder hiermit

… oder hiermit

… oder hiermit

… oder mit all den anderen Fällen, in denen ihr auf Facebook-Profilen von Privatleuten gewildert, deren Fotos geklaut und ohne Nachfrage veröffentlicht habt; in denen euch das Persönlichkeitsrecht und das Recht am eigenen Bild und das Urheberrecht völlig Wurscht waren.

Nachrichtenkanal, Lehrstück, Livestream

1. WikiLeaks veröffentlicht AKP-Mails
(tagesschau.de)
Die Enthüllungsplattform Wikileaks hat ihre Ankündigung wahrgemacht und unzählige E-Mails (es sollen mehr als 294.000 sein) der türkischen Regierungspartei AKP öffentlich zugänglich gemacht. Die neueste Mail sei am 6. Juli dieses Jahres verschickt worden, die älteste stamme aus dem Jahr 2010. Viele Mails seien auf Türkisch, ein Teil der Korrespondenz aber auch auf Deutsch. Die Mails sind in einer Datenbank erfasst und lassen sich nach darin vorkommenden Begriffen durchsuchen.

2. Warum es keinen öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender geben wird
(meedia.de, Stefan Winterbauer)
In bewegten Nachrichtenzeiten wird immer wieder der Ruf nach einem öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanal laut, der rund um die Uhr sendet. Warum es dazu nicht kommen wird, schreibt Stefan Winterbauer: “Es fehlt im bestehenden System also am Geld und am Willen, einen öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanal aufzubauen. Möglich wäre dies nur, bei einer umfassenden, grundlegenden Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks insgesamt. Und die wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Der öffentlich-rechtliche Newskanal in Deutschland bleibt also leider Wunschdenken.”
Ergänzung: Auch der “Tagesspiegel” beschäftigt sich mit den “News als Politikum”.

3. Live: Kleine Chronologie der vergangenen Wochen
(mobile-journalism.com, Marcus Bösch)
Marcus Bösch hat sich die Mühe gemacht und eine kleine Chronologie der Liveberichterstattung der letzten Wochen zusammengestellt. Unterteilt in fünf Kapitel “zur Dokumentation eines neuen Status Quo mit neuen Gatekeepern und alten Verhaltensregeln”.

4. “Ein Chronist, der lügt, ist erledigt”: Ein Lehrstück über Fehler, ihre Entstehung und die Entschuldigung
(kress.de, Paul-Josef Raue)
Wenn ein Journalist und Herausgeber des Buchs “Das neue Handbuch des Journalismus” über eine Veranstaltung des “Netzwerk Recherche” schreibt und in dem Beitrag Leute zu Wort kommen lässt, die gar nicht anwesend waren, ist dies ein besonders bemerkenswerter Vorgang. Nachdem Stefan Niggemeier den “Rutschunfall” des Kollegen bereits bei “Übermedien” aufgearbeitet hat, meldet sich dieser mit einigen Tagen Verspätung bei “kress.de” wortreich zu Wort. Zu Beginn des Beitrags bittet der Autor kurz um Entschuldigung, das gerät jedoch im weiteren Verlauf immer mehr in den Hintergrund. Die Angelegenheit sei ein “Lehrstück”, er verfüge über keine Dokumentations- und Verifikationsabteilung wie “Spiegel” und “Stern” und – so lässt er den Beitrag enden – auch Reporterlegende Egon Erwin Kisch hätte sich dereinst mal was aus den Fingern gesaugt.

5. Alles muss ans Licht
(faz.net, Harald Staun)
Millionen von Menschen haben das Video von Lavish Reynolds gesehen, das sie nach dem tödlichen Schuss auf ihren Freund via Livestream auf Facebook postete. Der Tod werde heute live im Internet übertragen. Der wahre Horror aber sei, was wir nicht sehen, findet Harald Staun in seiner Auseinandersetzung mit der radikalen medialen Transparenz. Gegen Rassismus würden keine Bilder helfen und: “Wenn gesellschaftliche Probleme nur noch danach entschieden werden, wer die glaubhafteren Beweise hat, wird nicht nur das Vertrauen zerstört, ohne das keine Gemeinschaft überleben kann; sondern, was womöglich viel schlimmer ist, auch das Misstrauen in die Bilder, die tun, als zeigten sie eine objektive Wahrheit.”

6. Kann ich bitte alle Informationen schon vor der ersten Eilmeldung haben?
(udostiehl.wordpress.com)
Udo Stiehl ist Journalist, Redakteur und Mitbetreiber der “Floskelwolke”, die täglich 2000 Nachrichtenseiten auf Phrasen hin untersucht und daraus ein Ranking erstellt. Weil er sich derzeit im Urlaub befindet, hat er die aktuellen Nachrichten und Reaktionen aus einem anderen Blickwinkel, nämlich dem des Konsumenten, verfolgt. Dem in den sozialen Medien oftmals erschallenden Ruf nach Schnelligkeit setzt er entgegen: “Es ist dringend geboten, dem rasenden Geschäft der „Klick-Geier“ und „Schnell-Melder“ mit Qualität und Recherche das Handwerk zu legen. Ja, das kostet im Berichtsfall Zeit, die man uns nachträglich als Versäumnis vorwerfen wird. Und es kostet Geduld, die uns – insbesondere bei öffentlich-rechtlichen Medien – als Geldschneiderei unterstellt wird. Aber wenn wir dem Druck nachgeben und damit journalistische Grundwerte über Bord werfen, dann haben wir vielleicht sogar kurzfristig eine tolle Quote, aber langfristig das eigene Grab gegraben.”

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