Suchergebnisse für ‘we are the champions’

We are the champions II

Manchmal ist “Bild” so berechenbar wie früher das “Neue Deutschland”. Dieter Stolte wird 70, und weil der ehemalige ZDF-Intendant heute Herausgeber von “Welt” und “Berliner Morgenpost” ist, die im Axel-Springer-Verlag erscheinen, der auch die “Bild”-Zeitung herausgibt, ist Dieter Stolte heute was? Richtig: Gewinner des Tages in “Bild”.

Und wir seufzen und machen einen weiteren Eintrag auf dieser Liste:

06.09.: Christian Kracht, “Der Freund” (Axel Springer)
10.09.: “Welt kompakt” (Axel Springer)
15.09.: “Auto Bild.de Automarkt” (Axel Springer)
17.09.: “Welt” (Axel Springer)
18.09.: Dieter Stolte (Axel Springer)

Langsam wär’ mal wieder Kohl dran.

(Wird fortgesetzt.)

We are the champions

Womöglich gibt es eine Welt außerhalb des Axel Springer Verlages, und eventuell passiert dort gelegentlich sogar mal etwas, das man als Erfolg werten kann, aber bestimmt ist das alles nicht halb so toll wie das, was in den vielen schönen Pressemitteilungen des eigenen Hauses steht und woraus “Bild” fast täglich einen “Gewinner des Tages” für seine erste Seite kürt, allein viermal in den letzten elf Ausgaben:

06.09.: Christian Kracht, “Der Freund” (Axel Springer)
10.09.: “Welt kompakt” (Axel Springer)
15.09.: “Auto Bild.de Automarkt” (Axel Springer)
17.09.: “Welt” (Axel Springer)

Wäre es wohl zuviel verlangt, wenn einem wirklich keine anderen Gewinner mehr einfallen, die Rubrik einfach abzuschaffen oder wenigstens “In eigener Sache” drüberzuschreiben?

(Wird fortgesetzt. Garantiert.)

We (and he) are the Champions XVI

1.) Am gestrigen Mittwoch machte “Bild” mal nicht sich selbst (oder den Axel Springer-Verlag) zum “Gewinner” des Tages, sondern einen gewissen Wendelin Wiedeking, und schrieb dazu:

“Übrigens: Vergangenes Jahr ging die hohe Auszeichnung an BILD. BILD meint: Ein würdiger Nachfolger!”

(Stattdessen stand auf der “Bild”-Titelseite nur eine Kurzfassung dieser oder dieser oder dieser Version dieser Pressemitteilung über die “Axel Springer AG auf Erfolgskurs!”)

2.) Am heutigen Donnerstag hingegen macht “Bild” wiederum nicht sich selbst (usw.) zum “Gewinner” des Tages, sondern zum nunmehr achten Mal in diesem Jahr Helmut Kohl.

Selbstverzwergung, Gewalt gegen Journalisten, Verbrechen lohnt sich

1. Am Hufeisen aufgehängt
(taz.de, Bo Wehrheim)
Bo Wehrheim hat sich den aktuellen Bericht des Berliner Verfassungsschutzes angeschaut, der der steigenden Gewalt gegenüber Medienschaffenden ein Sonderkapitel widmet. Wehrheim ist unzufrieden mit der Einordnung und der Gewichtung der Fälle: “Der Verfassungsschutz beweist mit seiner Herangehensweise, dass er nicht geeignet ist, zum Schutz von Journalist_innen beizutragen. Er leistet in der Auseinandersetzung einen Bärendienst, indem er den Blick auf die Fakten verstellt.”

2. Verzerrt, übertrieben, umgedeutet – wie Russlands Fernsehen geschickt die Mär von «Wir sind die Guten» verbreitet
(nzz.ch, Inna Hartwich)
“Russische Staatsmedien erzählen von Barbaren in der Ukraine, die die friedliche Bevölkerung als menschliche Schilde missbrauchen würden – und viele in Russland sprechen solche Sätze voller Überzeugung nach. Warum?” Dieser Fragestellung versucht die in Moskau lebende freie Journalistin Inna Hartwich in der “Neuen Zürcher Zeitung” nachzugehen.

3. Leichtsinnig. Ärgerlich. Peinlich.
(t-online.de, David Digili)
Nach dem Champions-League-Sieg von Real Madrid gegen den FC Liverpool hat ein ZDF-Reporter den Fußballspieler Toni Kroos unter anderem gefragt, ob es für ihn überraschend sei, dass seine Mannschaft “doch ganz schön in Bedrängnis” geraten sei. Darauf polterte Kroos: “Du hattest jetzt 90 Minuten Zeit, dir vernünftige Fragen zu überlegen, ehrlich. Und jetzt stellst Du mir zwei solche Scheißfragen. Das finde ich Wahnsinn!” und stapfte wütend davon. Nun bedauert es der Sportreporter, den Fußballer nicht ausführlicher zu “positiven Emotionen” befragt zu haben. Ein falscher Ansatz, wie David Digili in seinem Kommentar schreibt: “Vorauseilender Gehorsam als Selbstverzwergung eines ganzen Berufsstands. Die immergleichen ‘Woran hat’s gelegen?’-Fragen mögen zuweilen uninspiriert wirken, sie sind aber Bestandteil gewissenhafter journalistischer Arbeit, deren oberste Gebote noch immer Distanz und Neutralität sind. Sein müssen. In unter Vereinsmitwirkung gedrehten Jubel-Dokus auf Streamingdiensten wird schon genug beklatscht und überhöht.”

Bildblog unterstuetzen

4. Vom Knast auf den roten Teppich
(uebermedien.de, Felix Jung)
Die boomenden True-Crime-Formate führen dazu, dass manche Straftäterin und mancher Straftäter nicht nur berühmt wird, sondern auch erhebliche Einnahmen generiert. Felix Jung zeigt anhand der Beispiele Anna Sorokin und Jens Söring, wie problematisch das Ganze ist. Sein Wunsch: “An einer öffentlichen Selbstdarstellung und Vermarktung, bisweilen gar einer Täter:innen-Opfer-Umkehr, sollten sich journalistische wie finktionale Produktionen nicht beteiligen. Die Zahl der True-Crime-Formate, die genau das tun, scheint aber zuzunehmen. Und mit ihr die Chance für verurteilte Straftäter, kräftig abzukassieren.”

5. Was macht eigentlich ein Sachbuch aus?
(deutschlandfunkkultur.de, Berit Glanz & Simon Sahner & Christine Watty, Audio: 44:41 Minuten)
Kurz vor der heutigen Verleihung (Livestream ab 18:00 Uhr) des Deutschen Sachbuchpreises schaut sich das Team von “Lakonisch Elegant” die Kategorie Sachbuch genauer an und stellen sich die Frage: “Was ist eigentlich ein Sachbuch?”

6. Warum bekommt Bibi’s Beauty Palace so viel Hass ab? Ich hab da eine These…
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
In seiner satirischen Kolumne “Über Leben in Deutschland” hat Imre Grimm die Trennung des Influencer-Paars Bibi und Julian Claaßen thematisiert und dabei nicht mit Spott und Verachtung gespart. Eben jenes kritisiert Thomas Knüwer: “Was glauben die Autorinnen und Autoren solcher Stücke zu erreichen? Dass eine jüngere Generation sich von InfluencerInnen ab- und sich ihnen zuwendet? Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass das Gegenteil passiert, weil eine Beschimpfung junger Prominenter gleichzeitig eine Beschimpfung von deren Publikum darstellt?” Imre Grimm antwortet wiederum auf Thomas Knüwers Text bei Twitter: “Ich teile Ihre These nicht, empfinde die Bezeichnung ‘Hass’ für eine fröhliche, harmlose Satire als lächerlich und führe Ihren Zorn auf mich auf Ihr langjähriges Frustverhältnis zu Regionalzeitungsverlagen zurück.”

Deutsche Welle in Russland, Olympia 2022, Facebook muss Urteil posten

1. Auswärtiges Amt sieht deutsch-russische Beziehungen erneut belastet
(zeit.de)
Erst kürzlich wurde dem russischen Staatssender RT DE (früher: Russia Today) das Senden in Deutschland untersagt, weil keine entsprechende Lizenz vorliege. Nun hat die russische Regierung ein Sendeverbot für die Deutsche Welle in Russland erteilt und lässt das Moskauer Büro des deutschen Auslandssenders schließen. Eine Sprecherin des deutschen Auswärtigen Amts sagte zu dem Vorgang: “Die Maßnahmen, die die russische Regierung heute gegen die Deutsche Welle angekündigt hat, entbehren jeglicher Grundlage und stellen eine erneute Belastung für die deutsch-russischen Beziehungen dar”.
Weiterer Lesehinweis: Frank Überall, Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), kritisiert die Drohungen des russischen Außenministeriums gegen deutsche Medien und bezieht sich dabei auch explizit auf das verwendete “Kriegsvokabular”. Die Entscheidung gegen RT DE sei zudem nicht von deutschen Behörden, sondern von der unabhängigen Medienaufsicht getroffen worden. “Hier gibt es nichts zu vergelten”, so der DJV-Chef. (djv.de, Hendrik Zörner)

2. Olympia 2022: Wie Pandemie und Polizei die Medien behindern
(ndr.de, Zapp, Fritz Lüders & Mandy Mülling, Video: 12:33 Minuten)
Totale Überwachung, totale Kontrolle: Die chinesische Staatsführung tut alles, um eine unabhängige Berichterstattung über Land und Leute zu erschweren. Dies gilt auch und besonders für die anstehenden Olympischen Spiele in Peking. “Zapp” hat sich mit Athleten und Funktionären über die erschwerten Bedingungen unterhalten.

3. Facebook muss Gerichtsurteil auf seiner Startseite veröffentlichen
(spiegel.de)
Ein Wiener Gericht hat Facebook angewiesen, beleidigende Inhalte gegen eine ehemalige österreichische Grünen-Politikerin weltweit zu löschen. Bemerkenswert: Facebook muss über dieses Urteil mit einem Banner informieren und diese Information sechs Monate auf seiner Homepage stehen lassen. Das Unternehmen sei der Anweisung nachgekommen, das Banner sei jedoch nur für diejenigen sichtbar, die Facebooks aus Österreich aufrufen, ohne bei dem Sozialen Netzwerk eingeloggt zu sein. Der Streit zwischen der ehemaligen Politikerin und Facebook habe sich über fünf Jahre hingezogen.

Bildblog unterstuetzen

4. Sport-Streaming: Für die Verbraucher wird es immer teurer
(deutschlandfunk.de, Timur Gökce & Sören Brinkmann, Audio: 6:57 Minuten)
Der Sportstreamingdienst DAZN verdoppelt seine Preise für Neukunden und Rückkehrer – von 14,99 Euro auf 29,99 Euro pro Monat. Kritiker sähen die Preiserhöhungen skeptisch. Es bestehe die Gefahr, dass Kunden abspringen, zumal diese jetzt schon viel Geld zahlen müssen, um beispielsweise bei verschiedenen Anbietern alle Spiele der Fußball-Bundesliga und der Fußball-Champions-League sehen zu können.

5. Elternabende zu Fake News: neues Angebot des Referentennetzwerks zum Safer Internet Day
(blmplus.de, Bettina Pregel)
Anlässlich des Safer Internet Day 2022 am 8. Februar bietet die Stiftung Medienpädagogik Bayern den neuen Elternabend “Fake News – Moderne Lügen und Desinformation” an. Außerdem werde es in der Aktionswoche rund 20 Online-Elternabende zu Digitalthemen geben, die durch die Bayerische Landeszentrale für neue Medien mitfinanziert werden.

6. CNN-Chef Jeff Zucker tritt zurück
(sueddeutsche.de, Jürgen Schmieder)
Eigentlich wollte CNN-Chef Jeff Zucker zum Jahresende ohnehin aufhören, doch nun tritt er sofort zurück. Der Grund: Zucker hatte eine Beziehung zu einer hochrangigen Mitarbeiterin nicht öffentlich gemacht.

Julian Reichelt in der Champions League der Heuchler

Eine der großen Stärken von “Bild”-Chef Julian Reichelt war schon immer seine Doppelmoral. Er, der schlimmste Schläger auf dem Schulhof, zeigt sich regelmäßig völlig überrascht/entsetzt/angeekelt, sobald eine Keilerei mal ihn oder “Bild” betrifft. Die Maßstäbe, die Reichelt bei anderen anlegt, müssen ja keineswegs für ihn oder seine Redaktion gelten. Und damit herzlich willkommen zu Folge 3471 der Serie “Julian gefällt sich in der Opferrolle”.

Gestern, nach dem Bundesligaspiel zwischen der TSG Hoffenheim und Union Berlin, twitterte Holger Kliem, der in Hoffenheim für die Medien- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, folgendes (von ihm unkenntlich gemachtes) Foto:

Screenshot eines Tweets von Holger Kliem - Hier schwänzt Bild die Maskenpflicht! Auf allen Bundesliga-Pressetribünen herrscht weiterhin Maskenpflicht nur Bild macht es anders, trotz mehrmaligen Hinweises! - Dazu sieht man ein Foto eines Bild-Reporters, der seinen Mund-Nase-Schutz nicht über Mund und Nase trägt und dabei telefoniert.

Julian Reichelt fand es selbstverständlich gar nicht in Ordnung, dass Kliem öffentlich machte, dass ein “Bild”-Reporter “trotz mehrmaligen Hinweises” seinen Mund-Nase-Schutz lieber als Kinnschutz verwendete. Der “Bild”-Chef kommentierte bei Twitter:

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt - Gleich zwei deutsche Volkssportarten in einem Stadion: Fußball und Denunziation.

Nun wäre dieser Reichelt-Tweet lediglich eine weitere Folge in der oben erwähnten Serie. Hätte der, der hier laut “Da ist eine Petze!” ruft, nicht mit seinem Team nur wenige Stunden zuvor selbst und verblüffend ähnlich gepetzt:

Screenshot Bild.de - In Berlin-Tegel - Hier sitzt Kretschmann ohne Mundschutz im Flughafen

In dem Bild.de-Artikel geht es um ein Foto, auf dem Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann zu sehen ist, wie er am Flughafen ein paar Süßigkeiten isst und dabei — wenig überraschend — keinen Mund-Nase-Schutz trägt. Laut einer Augenzeugin habe Kretschmann auch später keine Maske getragen. Ein Sprecher Kretschmanns sagt hingegen, dass die Maske nur für “ganz kurze Zeit” nicht aufgesetzt gewesen sei.

Bildblog unterstuetzen

Die Kombination aus Kretschmann-Artikel und Reichelt-Tweet lässt letztlich nur einen logischen Schluss zu: Julian Reichelt und seine “Bild”-Redaktion sind aus Sicht von Julian Reichelt Denunzianten.

Mit Dank an @the_real_urbsi und die vielen Hinweisgeber!

“Mädchen treibt auf aufblasbarem Einhorn ins Meer hinaus”

Ein Gastbeitrag von Alf Frommer

Vor 25 Jahren, im Mai 1993, erschien erstmals das “jetzt”-Magazin als Beilage zur “Süddeutschen Zeitung”. Schade, dass dies im Grunde völlig unterging, denn die Zeitschrift hatte mal wirklich Kult-Status, da sie Kommunikation für junge Menschen neu definierte. Wahrscheinlich würde das Heft jetzt als Twenty-Something gerade ein Zimmer in Berlin-Neukölln suchen und auf einen mies bezahlten Job in einem digitalen Start-Up hoffen. Oder es würde sich als Jung-Journalist mit einem Bachelor in Kommunikationswissenschaften bei einem der heute vielen Online-Angebote wie “Bento”, “Ze.tt”, “Watson” oder eben jetzt.de bewerben. Da könnte es dann — ja was eigentlich? — möglichst kurze Texte schreiben, Listen erstellen oder ein GIF-Feuerwerk nach dem anderen abschießen. In einem Vierteljahrhundert hat sich der junge Journalismus durch die Digitalisierung gänzlich verändert.

Das “jetzt”-Magazin war ein Experimentierraum. Aus ihm entstieg eine ganze Gruppe von Journalisten, die noch heute viele wichtige Publikationen prägen. Namen wie Matthias Kalle, Christoph Amend oder Timm Klotzek definieren momentan modernen Journalismus als Redaktionsleiter oder deren Stellvertreter. Der “jetzt”-Sound und die Erzählweisen des Magazins veränderten den angestaubten Journalismus insgesamt. Selbst wenn das Magazin kein kommerzieller Erfolg war (aber zur Gründung von “Neon” führte, das gerade eingestellt wird). Wenn man heute nach wichtigen jungen Journalisten sucht, dann findet man diese eher nicht in den Redaktionen der einschlägigen Angebote für junge Leser oder User. Sie arbeiten in der Regel bei den Zeitungen oder Magazinen, die sich eigentlich an Erwachsene richten. Aber warum ist das so?

Junger Journalismus profitierte vom Internet und hat durch das digitale Medium gleichzeitig die größten Probleme bekommen. Das Netz sorgt mit dafür, dass Jugend immer später oder nie endet. Während man in der früheren Offline-Welt streng geschützte Räume für Jugendliche auf­recht­er­hal­ten konnte, ist heute die Welt der ewigen Jugend dank Spotify, Online-Shops oder sozialen Medien ständig offen und erreichbar. Auch für Silver Surfer. Die Abgrenzung zu Erwachsenen wird immer schwieriger, bei Mode, Musik aber auch bei Themen. Über-30-Jährige beschäftigen sich oft mit den gleichen internetaffinen Dingen wie Jugendliche. Denn Internet-Meme sind allgemeines Kulturgut geworden. Alle sprechen über den neuesten Trump-Post, das aktuelle OK-Go-Musikvideo oder die Patzer eines Torwarts im Champions-League-Finale. Es ist heute viel schwieriger geworden, sich von den Themen abzugrenzen, die auch bei “Spiegel Online”, Süddeutsche.de oder Welt.de besprochen werden. Während das “jetzt”-Magazin auf eine unerwachsene Weise erwachsen war, ist es für den Jung-Journalismus von heute schwer, einen eigenen Sound zu kreieren. Die Daten haben immer Recht und sagen, was gemacht und wie es geschrieben werden muss. Für Experimente ist kaum Raum.

Gleichzeitig haben sich die Lese- und Konsumgewohnheiten komplett geändert. Während man in den 90ern noch ausladende Reportagen schreiben konnte, wird Information heute oft in Häppchen gereicht. Listen sind dabei ein gern genutztes Stilmittel, das zwar unterhält und Klicks, Reichweite und Umsatz bringt, aber eben nicht preisverdächtig ist. Große Texte, inhaltlich wie formal, sind eine ganz, ganz seltene Ausnahme, wenn überhaupt. Beim diesjährigen Axel-Springer-Preis für junge Journalisten wurden jedenfalls keine Texte der Angebote für die jüngere Zielgruppe ausgezeichnet. Das liegt bestimmt nicht an den jungen Journalisten selbst. Wahrscheinlich ist deren Ausbildung genauso gut wie vor 25 Jahren, wenn nicht besser. Es liegt daran, dass das Internet einem keine Muße mehr gibt. Alles muss immer irgendwie einen aktuellen Bezug haben, weil gefühlt alles aktuell ist. Vom Bombenhagel auf Syrien bis zum Pups eines Influencers auf Instagram. Alles ist wichtig, auf alles muss mit schnappatmiger Schreibe reagiert werden. Ein englisches Pärchen heiratet? 9 Gründe warum du jetzt auch heiraten solltest. Loris Karius patzt? Hier sind 5 Instagram-Posts, die zeigen, wie sexy er trotzdem ist. Und dazu noch jede Menge Lebenshilfe für die U30-Generation: So brichst du ein beschissenes Tinder-Date in fünf Minuten ab, ohne dein Gesicht zu verlieren oder Die fiesesten Fragen beim WG-Casting und wie du dich perfekt darauf vorbereiten kannst.

Mal ein paar aktuelle Schlagzeilen von jetzt.de, “Ze.tt”, “Bento” und “Watson”:

Screenshot jetzt.de - Kerstin hat sich die Schamlippen verkleinern lassen
Screenshot Watson - 6 Bilder, die deine Seriensucht beschreiben
Screenshot Bento - Mädchen treibt auf aufblasbarem Einhorn ins Meer hinaus
Screenshot Watson - Dürfen wir vorstellen: ein Auto, das Pizza backen kann
Screenshot Ze.tt - 15 fragwürdige Gedanken, die du bei Hitze im Büro hast
Screenshot Bento - Katze fährt als blinder Passagier in Polizeiauto mit und hinterlässt eine Überraschung
Screenshot Ze.tt - So lecker sah Lego noch nie aus
Screenshot jetzt.de - Warum beißen sich Schneeleoparden in den Schwanz?

Das liest sich wie eine Mischung aus Yellow-Press-Trash, Clickbait und “Postillon”-Meldungen und hat nichts mit dem ausgezeichneten Journalismus eines “jetzt”-Magazins zu tun. Auch nach 25 Jahren erinnere ich mich an die “Verzichten auf”-Kolumnen von Matthias Kalle, an die Rubrik “Lebenswert” oder an den Tagebuchtext des Autors Benjamin Lebert, der in seinen Roman “Crazy” mündete. Wer wird sich in 25 Jahren an das Pizza-backende Auto erinnern?

Die Frage ist aber auch: Wer will heute noch eine 15.000 Zeichen lange Abhandlung über ein Thema lesen, welches vielleicht gerade nicht besonders aktuell oder Lebensberatung ist? Nach Meinung der zuständigen Redaktionen anscheinend nicht mehr viele. Wobei einschränkend gesagt werden muss, dass zumindest jetzt.de und “Ze.tt” nicht ganz so trashig sind wie der Rest.

Vielleicht braucht es einfach wieder mehr Mut. Oder mehr Talent. Oder beides. 25 Jahre nach der Geburt des “jetzt”-Magazins sieht der moderne Jung-Journalismus im Grunde sehr alt aus. Algorithmen und Daten-Analyse machen ihn durchschnittlicher, weil Themen und Formate von ihnen vorgegeben werden. Das Ergebnis sind dann “Bento”, “Watson”, “Ze.tt” und auch jetzt.de. Letztlich bleibt nur die Hoffnung, dass am Ende des Regenbogens ein aufblasbares Einhorn darauf wartet, abgeholt zu werden. Vielleicht bringt das die Erleuchtung.

Nachtrag, 16:34 Uhr: Die jetzt.de-Redaktion hat mit zwei Tweets auf diesen Beitrag (und vermutlich auch auf unseren Tweet zu diesem Beitrag) reagiert.

Desinformations-Champions, Verleger im Jammertal, Realfake Jasmin

1. Welche deutsche Nachrichtenseite verbreitet die meisten Falschmeldungen auf Facebook?
(motherboard.vice.com, Theresa Locker)
Welche deutsche Nachrichtenseite verbreitet die meisten Falschmeldungen auf Facebook? “Vice” hat über einen Zeitraum von sechs aufeinanderfolgenden Tagen die Facebook-Seiten von acht verschiedenen deutschsprachigen Online-Nachrichtenmedien mit großer Reichweite untersucht. Gewinner der Stichprobe ist der “Spiegel”, Verlierer sind “Sputnik DE”, “Huffington Post DE” und “RT Deutsch”. Tiefer gehende Infos zu den “Postingstrategien” der untersuchten Medien sind in einem separaten Artikel aufbereitet. Außerdem hat man ein FAQ zum Untersuchungs-Setup der Recherche zusammengestellt. Und zum Schluss noch der Hinweis auf Stefan Niggemeiers Kommentar ‘Fake News’-Debatte: Warum wir die Wahrheit nicht relativieren dürfen

2. Der rechtsextreme Flügel hat sich durchgesetzt
(nwzonline.de, Andreas Herholz)
Die “Nordwest Zeitung” (NWZ Online) hat sich mit dem Politikwissenschaftler Hans-Joachim Funke über die Chancen der AfD bei der anstehenden Bundestagswahl unterhalten. Funke spricht von einer drohenden Zäsur in der Geschichte des Bundestages und appelliert die Medien, ihrer Aufklärungsfunktion gerecht zu werden: “Viele Talkshows, die wie etwa Maybrit Illner im ZDF oder Plasberg in der ARD, AfD-Politiker geradezu hofieren, werden ihrem öffentlichen Auftrag nicht mehr gerecht.”

3. Ganz schön sportlich – für eine Frau
(sueddeutsche.de, Werner Bartens)
Wissenschaftlerinnen aus Kalifornien haben analysiert, wie sich die Darstellung von Sportlerinnen in den letzten Jahrzehnten geändert hat. Das Resümee: Wenn Frauen-Sport im Fernsehen übertragen wird, gibt es immer noch unangemessenen Kommentaren über Äußerlichkeiten und Nebensächliches. Der Sexismus komme jedoch verkleidet daher: “Es geht um die vermeintlichen Schwächen der weiblichen Leistungsfähigkeit. Damit wird den Zuschauern subtil vermittelt, dass Frauensport weniger aufregend und interessant ist.”

4. AfD wirft Google Sabotage vor
(spiegel.de, Melanie Amann & Marcel Rosenbach)
Die AfD fühlt sich von Google diskriminiert. Der Suchmaschinenriese würde sich nach “Spiegel”-Informationen seit mehr als einer Woche weigern, bestimmte Anzeigen für eine Anti-Merkel-Seite der AfD zu schalten. AfD-Kampagnenchef Kunkel spricht von Sabotage und will den fünfstelligen Etat für die Bewerbung der Anti-Merkel-Inhalte nun bei Facebook investieren.

5. Schuld sind die anderen
(taz.de, Benno Stieber)
Beim Jahreskongress der deutschen Zeitungsverleger ging es laut “taz”-Korrespondent Benno Stieber recht einseitig zu: Die Verleger hätten sich ausführlich ihren erklärten Gegnern gewidmet und tüchtig auf die großen Internetmultis wie Facebook und Google sowie die öffentlich-rechtlichen Sender geschimpft. Die eigenen Fehler seien dabei nicht zur Sprache gekommen.

6. Mein Fake Jasmin Nicoletta Goldmann
(fritschis-welt.de, Denise Fritsch)
Online einen Menschen kennenlernen, den man schätzt und in den man sich irgendwann vielleicht sogar verliebt, um nach Monaten der Kommunikation festzustellen, dass es diesen Menschen gar nicht gibt… Genau das ist Bloggerin “Fritschi” passiert, als sie Opfer des Realfakes “Jasmin Goldmann” wurde. Nachdem sich das Lügengebäude nicht mehr halten ließ, fingierte die falsche “Jasmin” ihren angeblichen Tod. Denise Fritsch hat die verstörende Geschichte dokumentiert.

Sportgezappt, Verräterische Drucker, Breitbartocare

1. ZAPP Themenschwerpunkt Sportjournalismus
(ndr.de)
Das Medienmagazin “Zapp” hat sich in einer halbstündigen Sondersendung ausschließlich mit dem Sportjournalismus beschäftigt. Fünf Themen hat man sich ausgesucht: 1.) Die Nebenjobs von ARD & ZDF-Sportmoderatoren und die damit einhergehenden Probleme 2.) Die mediale Abschottung von Fußballvereinen durch den Aufbau eigener Plattformen 3.) Das Abwandern von Sportevents wie der Champions League ins Pay-TV 4.) Der hohe Preis, den Whistleblower im Sport zahlen müssen und 5.) ein Gespräch mit dem Sportmoderator und -reporter Alexander Bommes, der selbst jahrelang aktiver Sportler war. Die Sendung kann in kompletter Länge angeschaut werden; es gibt aber auch Unterseiten, in denen nur das jeweilige Thema behandelt wird.

2. Petra Reski verklagt Jakob Augstein
(faz.net, Andreas Rossmann)
Der Streit zwischen der Journalistin Petra Reski und dem Verleger des „Freitags“, Jakob Augstein, geht in eine weitere Runde: Reski verklagt den Verleger. Dieser hätte mit seinen Äußerungen ihre journalistische Arbeit herabgewürdigt. Grund war ein Artikel der Mafiaspezialistin mit einer umstrittenen Namensnennung, die eine Klage des Genannten nach sich zog. In der juristischen Auseinandersetzung hatte “Freitag”-Chef Augstein seiner freien Mitarbeiterin die finanzielle Unterstützung verweigert und ihr Fehlverhalten vorgeworfen.

3. Publizistische Sorgfaltspflicht statt Netzwerkdurchsetzungsgesetz
(wolfgangmichal.de)
Es ist schon ein Phänomen: Einig wie selten lehnen Digitalverbände und Bürgerrechtsgruppen das von Justizminister Heiko Maas geplante „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ ab. Es lege die Meinungsfreiheit in die Hände privater Internetkonzerne und fördere Zensur. Die Befürchtungen seien nachvollziehbar, so Wolfgang Michal. Die Kritiker der geplanten Gesetzgebung würden jedoch die Augen vor einem anderen Problem verschließen: “Sie halten es offenbar für vertretbar, dass Online-Plattformen ein Sonderrecht auf organisierte Verantwortungslosigkeit für sich in Anspruch nehmen dürfen.” Michal hält das gesamte Netz-DG für unnötig. Für Medienunternehmen wie Facebook sollten jene Regelungen des Presserechts und Selbstverpflichtungen gelten, die bereits existieren. Entsprechend sollten die Unternehmen ihrer Verantwortung nachkommen: “Wer Inhalte gewissenhaft prüft, bevor sie veröffentlicht werden, übernimmt eben nicht „staatliche Rechtsdurchsetzungsaufgaben“, wie Kritiker des NetzDG gerne unterstellen, er kommt lediglich seiner Sorgfaltspflicht nach. Verhütung ist immer besser als die Pille danach.”

4. Regierung muss Journalisten besser schützen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht Ende der Woche Mexiko. Dies nimmt “Reporter ohne Grenzen” zum Anlass, an die Bundeskanzlerin zu appellieren, sich bei der mexikanischen Regierung für den Schutz von Journalisten einzusetzen. „Mexikos Regierung darf nicht länger so tun, als hätte das erschreckende Ausmaß der Gewalt gegen Journalisten nichts mit ihr zu tun“, so der Geschäftsführer der Organisation. „Verbale Verurteilung und wohlklingende Ankündigungen reichen nicht aus. Mexiko muss jetzt schnell handeln, um endlich deutliche Signale gegen die Kultur der Straflosigkeit zu setzen, durch die sich die Täter zu immer neuen Verbrechen gegen Journalisten ermutigt fühlen.“

5. Verräterische Drucker
(zeit.de, Kai Biermann)
In den USA wurde die 25-jährige, mutmaßliche Whistleblowerin Reality Leigh Winner festgenommen. Ihr wird vorgeworfen, der Nachrichtenseite “The Intercept” eine geheime NSA-Studie zugespielt zu haben. Zum Verhängnis wurde ihr ein versteckter und kaum sichtbarer Code, den moderne Drucker den Ausdrucken hinzufügen und der eine Identifizierung des Druckers möglich macht. “The Intercept” hatte dieses Dokument den Behörden zur Stellungnahme vorgelegt. Ein Riesenfehler wie sich nun herausstellt.

6. Wunderbare Welt der Schadenfreude
(taz.de, Laila Oudray)
Mit einer gewissen Schadenfreude betrachtet “taz”-Autorin Laila Oudray das Scheitern von Katie McHugh, einer Autorin des rechten US-Portals “Breitbart”. Diese hatte Dutzende Artikel für die Seite geschrieben, in denen sie gegen Muslime und Flüchtlinge gewettert und Donald Trump gefeiert hat. Nun wurde sie von “Breitbart” angeblich wegen eines Tweets gefeuert, der selbst für “Breitbart” nicht hinnehmbar war (“Ohne Muslime gäbe es keinen Terror in UK”). Katie Mc Hugh hat daraufhin eine Crowdfunding-Page eingerichtet, um ihre medizinischen und alltäglichen Ausgaben decken zu können. Was nicht ohne Ironie ist, denn sie hatte sich vorher gegen Unterstützung von Armen ausgesprochen. “taz”-Autorin Laila Oudray: “Man wünscht ihr natürlich keine Krankheit, aber es ist einfach zu schön, zu sehen, wie ihr jeder ihrer hasserfüllten Ansichten auf die Füße fällt. Deswegen I love you Katie Mc Hugh, für dieses breite Grinsen und dass ich wieder an Karma glauben kann.”

Blättern:  1 2 3 4 ... 6