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medienlese – der Wochenrückblick

Häschenwitze, Web2.0 Gral, Unschuld, Ho-Ho-Ho!

EILMELDUNG: Stefan Aust verläßt TITANIC” – titelte das Nachrichtenmagazin Titanic über den Abgang ihres Chefredakteurs. Als Nachfolger im Gespräch seien “Helmut Markwort (‘Die hundert besten Häschenwitze’) und Helmut Lotti (‘Es fährt ein Schiff nach nirgendwo’)”. Das ist natürlich Blödsinn, denn es waren die Gesellschafter des SPIEGEL-Verlags, die einvernehmlich auf Initiative der Mitarbeiter KG beschlossen, den Vertrag von Stefan Aust nicht zu verlängern. Über seine Zukunft werden derweil bereits Wetten abgeschlossen.

Nicht verwetten, aber ersteigern kann man eine Flasche Apollinaris-Wasser, an der Web-2.0-Mensch Tim O’Reilly an der Web-2.0-Expo in Berlin seine Lippen netzte. Aktuelles Gebot: 25,50 Euro.

NZZ-Chefredakor Markus Spillmann machte sich Gedanken, ob er in deutscher Sprache weiterhin Leser erreichen kann. In seiner eigenen Zeitung wurde er so zitiert, indirekt: “Man müsse sich ernsthaft Gedanken machen, wie man eine an sich qualitätsaffine Kundschaft, die nicht in Deutsch kommuniziere, erreichen könne.”

Read On…

100 % der “Bild”-Leser in die Irre geführt

"EU verschwendet 250 Mio. Euro! -- Brüssel. Die EU verschwendet jedes Jahr rund 250 Millionen Euro, weil die 785 Abgeordneten zwischen den beiden Parlamentssitzen in Brüssel und Straßburg hin- und herpendeln müssen. Laut einer Umfrage, die der deutsche FDP-Abgeordnete Alexander Alvaro organisiert hat, halten das 89 % der Parlamentarier für falsch, 81 % wollen Brüssel als einzigen Sitz. Alvaro zu BILD:

Hat’s also immerhin auf die Titelseite der heutigen “Bild”-Zeitung geschafft, die Pressemitteilung von Alexander Alvaro, Vorsitzender der “Kampagne für Parlamentsreform”: Da verschwendet die EU jährlich 250 Millionen Euro, und 89 Prozent der EU-Parlamentarier halten das für falsch — das ist doch was!

Nun ja: Schaut man sich die Pressemitteilung Alvaros, auf der “Bild”-Meldung beruht, genauer an, ist dort auch nirgends von “89 % der Parlamentarier” die Rede. Vielmehr betont Alvaro selbst, dass sich nur 306 der 785 EU-Abgeordneten (umgerechnet also 39 %) an seiner Umfrage beteiligt und “89 % der Teilnehmer” (umgerechnet also nur 35 % der Parlamentarier) gegen die Pendelei zwischen Brüssel und Straßburg ausgesprochen haben. Pendel-Gegner Alvaro hält sein Ergebnis dennoch für ein “durchaus repräsentatives” — und “Bild” gibt “Bild”-Lesern keine Chance, daran zu zweifeln.

Und was die Höhe der EU-Verschwendung anbelangt: Die “Kampagne für Parlamentsreform” beziffert sie nur auf 200 Millionen. Und der von “Bild” zitierte FDP-Mann Alvaro übrigens auch.

“Bild” hört Phantom-Songs bei den Chili Peppers

"Red Hot Chili Peppers im HSV-Hexenkessel"Wir wissen nicht, ob der Autor oder die Autorin der heutigen “Bild”-Meldung zum gestrigen “Red Hot Chili Peppers”-Konzert in Hamburg (siehe Ausriss) schon früh gegangen oder während des Konzerts weggedöst ist* und sich dann in weiten Teilen auf einen dpa-Korrespondenten-Bericht vom vergangenen Samstag verlassen hat, der sich mit dem Konzert in München beschäftigte. Jedenfalls steht in der “Bild”-Hamburg unter der Überschrift “Red Hot Chili Peppers im HSV-Hexenkessel”:

Nach “Can’t Stop” jagte ein Highlight das nächste — inklusive “Califor[n]ication” und “Under The Bridge”. (…) BILD-Urteil: Selber schuld, wer nicht da war. Denn das, was die Band um Sänger Anthony Kiedis da hingelegt hat, war Konzert-Kunst vom Feinsten.

Nun ja, was das Urteil angeht, kann man selbstverständlich unterschiedlicher Meinung sein. Im Gästebuch der deutschen Homepage der “Red Hot Chili Peppers” zeigen sich viele Fans, die beim Konzert dabei waren, ziemlich enttäuscht. Das Konzert wurde vielfach als zu kurz empfunden, Sänger Anthony Kiedis wird als “bocklos” beschrieben und habe sich schon früh von der Bühne verabschiedet. Anderen Fans gefiel das Konzert aber auch. Absolut einig sind sie sich jedoch alle insofern, als die Band weder “Californication” noch “Under The Bridge” gespielt hat.

Mit Dank an Mirko M., Florian F. und Leif U. für die Hinweise.

*) Ähnlich ging es uns übrigens bei einer dpa-Meldung zum Hamburger Konzert, in der es heißt, “auch mit älteren Hits wie ‘Californication’ heizten sie den jubelnden Hanseaten ein”. Bei dpa begründete man uns das auf Nachfrage mit einem “Übermittlungsfehler”. Mittlerweile hat dpa eine “Zusammenfassung” herausgegeben, die die ursprüngliche Meldung korrigiert, und in der es nun heißt, “Mit Songs wie ‘Snow (Hey Oh)’ oder ‘Dani California’ heizten sie den jubelnden Hanseaten ein.”

Nachtrag, 3.7. (mit Dank an Nico M.): “Bild”-Hamburg korrigiert ihren Fehler zwar heute in einer eigenen Meldung und bittet sogar “um Entschuldigung”. Allerdings wird man das Gefühl nicht los, dass sie den Red Hot Chili Peppers auch eine Mitschuld für den Fehler gibt, weil die sich nicht an die “Playlist” hielten, die “Bild” vorlag, und das Konzert erst “nach Redaktionsschluss” beendeten.

Symbolfoto XLV

Netter Versuch.

Aber die heute von “Bild” abgebildete Boeing 747 (also das als “Jumbo-Jet” bekannte Flugzeug mit dem charakteristischen “Buckel”) wird leider auch dadurch nicht zum Airbus 330-300, dass die “Bild”-Zeitung “Airbus A330-300” draufschreibt.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

PS: Bild.de zeigt das falsche Flugzeug immerhin kommentarlos.

Nachtrag, 13.2.2007: “Bild” hat’s heute in ihrer “Korrekturspalte” korrigiert.

Werbedurchfall bei Bild.de (4)

Wir haben dann doch einfach mal beim Unternehmenssprecher von Bild.T-Online, Tobias Fröhlich, nachgefragt, warum das “Spiele”-Ressort erst monatelang nicht, dann (nachdem wir darüber berichtet haben) doch, dann wieder nicht als Werbung gekennzeichnet war. Im zweiten Versuch bekamen wir von ihm auch so etwas wie eine Stellungnahme. Sie lautet (ungekürzt):

Wenn ich richtig gesehen habe, ist der besagte Bereich als Anzeige gekennzeichnet.

Nachdem wir ihn daraufhin noch einmal baten, uns das vorausgehende Hin und Her zu erklären, haben wir nichts mehr von Herrn Fröhlich gehört.

Interessantere Antworten hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). Er wies uns darauf hin, dass ein von ihm erstrittenes Urteil des Landgerichts Berlin aus dem vergangenen Jahr inzwischen rechtskräftig sei. Bild.T-Online habe auf Rechtsmittel verzichtet.

Das Gericht untersagte damals Bild.de, für den “Volks-Seat” mit Teasern zu werben, die wie redaktionelle Hinweise aussahen, und erst auf der folgenden Seiten das Wort “Anzeige” quasi nachzureichen. Es urteilte:

Ein Hyperlink, der aus einem redaktionellen Zusammenhang auf eine Werbeseite führt, muss so gestaltet sein, dass dem Nutzer irgendwie erkennbar wird, dass auf eine Werbeseite verwiesen wird.

Bild.T-Online habe gegen den Trennungsgrundsatz verstoßen und damit gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, urteilte das Gericht.

Die Verbraucherschützer sagen: Sollte Bild.T-Online erneut in gleicher Weise vorgehen, könnte das Gericht ein Ordnungsgeld festsetzen.

Gut zu wissen.

(Fortsetzung hier.)

Trotz Gerichtsurteil: Bild.de führt Leser in die Irre

Vor zwei Monaten hat Bild.T-Online sein Internetangebot komplett überarbeitet. Seitdem befindet sich auf jeder Seite oben eine Reihe kleiner grauer Laschen:

Fährt man mit der Maus über diese Flächen, bewegt sich die jeweilige Lasche nach oben und gibt ein buntes Feld darunter frei — etwa wie Reiter auf Karteikarten. Aktuell sehen die so aus:

Hinter diesen Reitern verbergen sich Links. Und jetzt kommt die Preisfrage: Führen diese Reiter zu redaktionellen Angeboten von Bild.de? Oder zu Werbung?

Die erstaunliche Auflösung: Sowohl als auch.

Die Reiter “WM 2006” und “Wir sind Fußball” führen zu nicht-werblichen Inhalten von Bild.de. Wer aber nun glaubt, dass das für alles gilt, auf dem das “Wir sind Fußball”-Logo steht, irrt. Wenn man auf “LCD-Fernseher” klickt, kommt man keineswegs (wie vielleicht zu vermuten) zu einem redaktionellen Test von Großbildschirmen anlässlich der WM. Sondern zu einer Anzeige, die für ein Angebot von Fujitsu-Siemens wirbt. Und der “Fan-Caddy” ist ein Produkt, das Volkswagen auf Bild.T-Online verkauft. Und natürlich ist auch der “Volks-Kredit” kein redaktionelles, sondern ein werbliches Angebot: dahinter verbirgt sich easyCredit.

Vor dem Klicken ist nicht zu unterscheiden, welches dieser Bild.de-Standardelemente zu einer reinen Werbeseite führt und welches nicht. Und damit verstößt Bild.de gegen ein Urteil des Berliner Landgerichtes vom 26. Juli 2005. Damals untersagte das Gericht Bild.de, auf eine Werbeseite für den “Volks-Seat” mit einem Teaser zu verweisen, der sich von Teasern für redaktionelle Inhalte nicht unterscheiden lässt (wir berichteten). Das Gericht urteilte:

Ein Hyperlink, der aus einem redaktionellen Zusammenhang auf eine Werbeseite führt, muss so gestaltet sein, dass dem Nutzer irgendwie erkennbar wird, dass auf eine Werbeseite verwiesen wird. (…)

Hier ist der Hyperlink, der auf die Werbeseite führt, genau so gestaltet, wie die Hinweise, die zu redaktionell gestalteten Seiten führen. Das Erscheinungsbild und die Platzierung sind identisch. Es kann daher selbst bei einer großzügigen Betrachtung nicht mehr davon ausgegangen werden, dass dem Nutzer ein klar erkennbarer Hinweis auf den werbenden Inhalt der Seite erteilt wird, auf die er weitergeleitet wird.

Genau dasselbe System, das Bild.T-Online damals untersagt wurde, hat das Unternehmen in der Gestaltung der neuen Seiten-Köpfe zum Prinzip gemacht: Eine Unterscheidung, welche Reiter zu Anzeigen führen und welche nicht, ist vor dem Klicken unmöglich.

In der Verhandlung 2005 hatte Bild.T-Online noch geltend gemacht, man könne davon ausgehen, dass die “Volks-Produkte” durch die breite Werbung so bekannt seien, dass niemand hinter einem Teaser mit dem entsprechenden Begriff etwas anderes als Werbung erwarte. Dieses Argument hatte das Gericht zurückgewiesen. Heute wäre die Position von Bild.T-Online noch schwächer, weil in den Reitern nicht nur die bekannten “Volks-Produkte” beworben werden, sondern auch Produkte, die ohne diesen Markennamen auskommen (“Fan-Caddy”) oder sogar mit einem redaktionellen Bild.de-Label versehen sind (“Wir sind Fußball! LCD-Fernseher”).

Und wir ersparen es uns, an dieser Stelle noch einmal all die Selbstverpflichtungen und Ankündigungen aufzuzählen, gegen die diese Bild.de-Praxis außerdem verstößt.

Flausen

Kommt ein Mann zum Arzt und klagt über Kopfschmerzen. Kein Wunder: In seinem Schädel stecken zwölf Stahlstifte. Am Tag zuvor hatte sie sich der Mann mit einer Nagelmaschine selbst in den Kopf geschossen. Der Patient wird operiert und behält keine bleibenden Schäden zurück.

Über diese unglaubliche Geschichte berichten heute Medien in aller Welt.

Nur in “Bild” ist die Geschichte noch unglaublicher. Um nicht zu sagen: falsch.

Bei “Bild” war man offenbar nachhaltig verwirrt von der Tatsache, dass sich all das, der Selbstmordversuch, der Krankenhausbesuch und die gelungene Operation, schon vor einem Jahr abgespielt hat — die Geschichte wurde erst jetzt in einem medizinischen Fachmagazin veröffentlicht. Aber “Bild”-Leute sind es bekanntlich nicht gewohnt, dass es Dinge gibt, die nicht “jetzt” passieren, und packten die Zeitangabe mit dem einen Jahr an eine Stelle, an der sie viel eindrucksvoller ist.

Und so hat “Bild” heute weltexklusiv die Geschichte von dem Mann, der ein ganzes Jahr lang mit Nägeln im Kopf durch die Gegend rannte:

12 Nägel im Kopf und 1 Jahr Migräne

Danke an die vielen Hinweisgeber!

Sauber getrennt

Das Urteil des Berliner Landgerichtes lässt kaum Fragen offen: Die Praxis von Bild.de, Links zu setzen, die aussehen, als würden sie zu redaktionellen Texten führen, tatsächlich aber auf Werbeangebote verweisen, ist unzulässig:

Ein Hyperlink, der aus einem redaktionellen Zusammenhang auf eine Werbeseite führt, muss so gestaltet sein, dass dem Nutzer irgendwie erkennbar wird, dass auf eine Werbeseite verwiesen wird (…)

Andernfalls verstößt das Angebot gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und das Teledienstgesetz. Auch wenn auf der nächsten Seite, auf die der Nutzer nach dem Klicken kommt, das Wort “Anzeige” auftaucht, ändert das nichts an der Pflicht, den Nutzer schon vorher korrekt über den Werbecharakter eines Teasers zu informieren, denn:

Auch wenn der typische Internetnutzer generell damit rechnet, mit Werbung konfrontiert zu werden, so wird er, wenn er einen Link verwendet, der darauf hindeutet, zu redaktionellen Inhalten zu gelangen, Werbung dennoch nicht erwarten. Die Gefahr, den zweiten Link zu benutzen, ohne den Hinweis auf den werblichen Charakter zu erkennen, ist daher groß.

Das Urteil betrifft unmittelbar nur den konkreten verhandelten Fall. Wenn Bild.de in diesem Fall erneut so werben würde wie geschehen, würde ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro fällig. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen, der das Verfahren angestrengt hat, ist allerdings der Meinung, dass nach diesem Urteil auch andere, ähnliche Verstöße von Bild.de für das Unternehmen sehr teuer werden könnten. “Bild”-Sprecher Tobias Fröhlich sagt, Bild.de werde “weiterhin gemäß der journalistischen Leitlinien von Axel Springer großen Wert darauf legen, daß Werbung auch als solche klar erkennbar ist”.

Na, dann schauen wir uns das doch mal an.

Im Ressort “Auto” stehen diese drei Teaser nebeneinander:

Der linke Teaser ist als Anzeige gekennzeichnet und führt zu einer ebenfalls als “Anzeige” markierten Bild.de-Seite, die zu einem kostenpflichtigen Angebot von “Janolaw” führt. Aber auch der mittlere führt zu einem kostenpflichtigen Angebot von “Janolaw”. Hier enthalten weder der Teaser, noch die Folgeseite das Wort Anzeige. Und auch der rechte Teaser führt nicht zu einem redaktionellen Text, sondern direkt auf Seiten, die von der EurotaxSchwacke GmbH betrieben werden und deren Dienste kostenpflichtig sind.

Das Seitenmenu im Ressort “Reise” sieht bei Bild.de so aus:

Frage: Welcher dieser Menupunkte führt zu redaktionellen und welcher zu werblichen Inhalten? Nein, die Fettung ist kein Hinweis. Nur die Punkte “Reise” und “Reisekasse & Recht” führen zu redaktionellen Angeboten. Alle anderen sind Werbung für Unternehmen wie Tui oder Condor, die — um die Verwirrung komplett zu machen — auf den Folgeseiten teils als “Anzeige” (Ausriss links) gekennzeichnet sind, teils als “powered by” (Ausriss rechts).

Aber auch in der überwiegend redaktionellen Hauptseite “Reise” hat Bild.de einige Überraschungen versteckt. Zum Beispiel hier:

Wer sich auf den Teaser links unten klickt, um sich über die Sparmöglichkeiten bei Tui zu “informieren”, kommt zu einem Artikel, der scheinbar unabhängig und journalistisch, aber erstaunlich detailliert über die Sparmöglichkeiten informiert — ausschließlich bei der Tui, die ein Partner von Bild.de ist. Mitten im vermeintlich redaktionellen Text ist ein Link untergebracht, der direkt zum gemeinsamen Werbeangebot führt:

Im Reiseressort finden sich in der rechten Spalte auch folgende Teaser:

Sie sehen aus, als würden sie auf eine Verbraucherberatung durch die Bild.de-Redaktion hinweisen. Tatsächlich führen sie zu Seiten der Creditplus-Bank, die dort für ihren Online-Kredit wirbt, in einem Fall sogar fast vollständig verkleidet als unabhängige Beratung.

Und im Ressort “Gesund & Fit” sieht das Seitenmenu so aus:

In diesem Fall soll wohl das Deutschlandfähnchen signalisieren: Hier geht es auf eine Werbeseite (für das Maggi-Kochbuch).

Danke auch an Christoph H. für die Recherche!

  

Alte Produkte, neu verpackt

Wie “Bild” zunehmend Einfluss darauf gewinnt, was in Deutschland zum Verkaufsschlager wird

(Mai 2005) Das Jahr hat gut begonnen für den Autohersteller Seat. Im Januar und Februar verzeichnete die VW-Tochter im Vergleich zum Vorjahr das Dreifache an Aufträgen für ihren Kleinwagen “Ibiza”, meldete Seat Deutschland im März. Dass das Modell urplötzlich so beliebt war, lag nicht etwa daran, dass der schon etwas betagte “Ibiza” mit exklusiven Extras angeboten oder mit einer besonders flotten Kampagne beworben wurde – sondern vor allem an einer Kooperation mit der “Bild”-Zeitung. Zwei Monate bot Seat das Sondermodell “Ibiza Sport Edition” als “Volks-Seat” an. “Bild” und Bild.T-Online warben kräftig für die Aktion – und erzielten offenbar den erwünschten Erfolg.

Längst nutzt “Bild” den eigenen Namen nicht mehr nur für Zeitschriften-Ableger wie “Computer-Bild” oder “Audio-Video-Foto-Bild”. Mit den “Volks”-Produkten will das Boulevardblatt von der Spülmaschine über die Zahnbürste bis hin zur Bettdecke nun auch allerlei Gebrauchsgegenstände verkaufen.

Deutschlandweit bekannt

Die produziert “Bild” natürlich nicht selbst. Die Zeitung, genauer: deren Internet-Ableger Bild.T-Online, kooperiert lediglich mit den Herstellern der Waren, die es in der Regel auch ohne “Volks”-Label längst im Handel zu kaufen gibt. Die Unternehmen profitieren davon, dass “Bild” ihr “Volks”-Produkt innerhalb kürzester Zeit deutschlandweit bekannt macht. Entsprechend gut verkaufen sich viele der angebotenen Waren.

Begonnen hat alles mit dem Volks-PC im September 2002. Mit der Handelskette Plus brachte “Bild” einen PC in die Läden, der von jedem Nutzer einfach zu bedienen und auch für jeden erschwinglich sein sollte. Die Aktion lief so gut, dass man sich entschied, sie fortzuführen. Inzwischen gibt es über 25 “Volks”-Produkte. Partner waren oder sind Unternehmen wie Seat, Quelle, Deichmann, Talkline und Deutsche Bank. Bild.T-Online verkauft den Herstellern Werbe-“Packages”, die prominent platzierte Online-Beiträge auf Bild.de, Sonderbeilagen in der Printausgabe sowie Anzeigen in “Bild” und “Bild am Sonntag” beinhalten. Als Eye-Catcher werben Promis für die Angebote (manchmal sogar ohne ihr Wissen). Die Kooperationen machen bei Bild.T-Online schon jetzt 30 bis 40 Prozent des Umsatzes aus, der laut “FAZ” im Dezember 2004 bei rund 30 Millionen Euro lag.

Keine “Stiftung Warentest”

Im Prinzip ist gegen eine solche Vermarktungsstrategie nichts einzuwenden. Nicht nur “Bild”, sondern auch viele andere Zeitungen mussten sich in den vergangenen Jahren überlegen, wie sie sich zukünftig finanzieren würden. In der Medienkrise waren den Verlagen die Einnahmen weggebrochen, die sie bisher mit Rubrikenanzeigen und Werbebuchungen erzielten.

Problematisch ist jedoch, dass die “Volks”-Produkte leicht als Empfehlung der “Bild”-Redaktion missverstanden werden können. Die “Volks-Waschmaschine” “hat ordentlich Wasch-Power in der Trommel” und zahlreiche “Finessen”, sie “geht dem Schmutz gehörig an den Kragen”, ist einfach “Spitzenklasse”. Das “Volks-Fahrrad” “rostet nicht (…), es ist sicher (…) und hat tolle Extras”, “das Licht ist besonders hell” und “mit dem aktiven Bremssystem (ABS) brauchen Sie weniger Kraft zum Bremsen”. So steht es bei Bild.de.

Die rein werblichen Beiträge sind inzwischen zwar korrekt als “Anzeige” gekennzeichnet, suggerieren aber dennoch, dass es sich um ein besonderes Schnäppchen oder ein besonders hochwertiges Produkt handelt, das die Redaktion womöglich ganz besonders schätzt.

Schlechter als die Basisversion

Das muss nicht immer auch der Fall sein. Hanno S. Ritter vom Online-Portal Autokiste.de nennt das kürzlich von “Bild” und Blaupunkt angebotene “Volks-Navi” als Beispiel: “Das beworbene Gerät war schlechter als die ihm zu Grunde liegende Basisversion, etwa weil ein Tacho-Anschluss fehlte.” In der Produktbeschreibung von Blaupunkt sei darauf verwiesen worden, dieser wäre nicht nötig. Das stimmt zwar. Ritter meint aber: “Richtig wäre gewesen: Ein Tacho-Anschluss ist bei diesem Gerät nicht möglich.” Zudem sei das bessere Basisgerät mit Tacho-Anschluss im Handel bereits für denselben Preis wie das “Volks-Navi” angeboten worden.

Nicht alles, was aggressiv als Schnäppchen beworben wird, ist automatisch auch eins. Die “Volks”-Produkte-Strategie ist dennoch so erfolgreich, weil sie Vertrauen aufbaut – das Vertrauen der Leser in “Bild”, einer Zeitung, die immerzu von sich behauptet, für den kleinen Mann zu kämpfen. Wieso sollte man deren Empfehlungen nicht trauen? Ob die Kunden mit dem gekauften Produkt zufrieden sind, muss “Bild” erst einmal nicht weiter interessieren. Die Sache ist erledigt, sobald der Kunde das Produkt bestellt hat – es sei denn, Beschwerden häufen sich und der eigene Name könnte beschädigt werden. Damit das gar nicht erst passiere, würden sämtliche Produkte intensiv überprüft und von externen Experten bewertet, bevor sie beworben werden, heißt es bei Bild.T-Online. (Hier ein interessantes Gegenbeispiel.)

Zweifelhafte Markenmacht

Verbraucher können oft nur schwer nachprüfen, ob die angebotenen Waren tatsächlich so günstig sind, wie die “Volks”-Werbung suggeriert – zumindest, wenn es dabei um Produkte mit zahlreichen Funktionen geht, die nicht so einfach zu überblicken sind. Mag sein, dass das ein oder andere Angebot tatsächlich einige Euro günstiger ist als im Handel.

Viel wichtiger ist jedoch, dass “Bild” nicht mehr nur Einfluss darauf nimmt, was in Politik und Gesellschaft diskussionswürdig erscheint, sondern mit zunehmendem Erfolg der “Volks”-Produkte auch darauf, welche Waren welches Herstellers die Verkaufsschlager von morgen werden – egal ob Waschmaschine, Fahrrad oder Computer. Ob eine solche Markenmacht auf Dauer tatsächlich im Sinne von Herstellern und Verbrauchern sein kann?

Datum Produkt Partner
September 2002 Volks-PC Plus
November 2002 Volks-Notebook Plus
Dezember 2002 Volks-PC Plus
Februar 2003 Volks-PC Plus
April 2003 Volks-Notebook Plus
Mai 2003 Volks-Spüler Media-Markt
Juni 2003 Volks-Kamera Media-Markt
September 2003 Kaffee-Vol(l)ks-Automat Media-Markt
September 2003 Volks-PC Plus
November 2003 Volks-Notebook Plus
November 2003 Volks-Dekoder More TV
November 2003 Volks-Navigator T-Mobile
Dezember 2003 Volks-PC Plus
März 2004 Volks-Notebook Media-Markt
März 2004 Volks-LCD-Fernseher Media-Markt
April 2004 Volks-DVD-Rekorder Media-Markt
Mai 2004 Volks-Fahrrad Otto
Mai 2004 Volks-Kamera Media-Markt
Juni 2004 Volks-Handy Talkline
Juni 2004 Volks-Schuh Otto
Juli 2004 Volks-Fotodrucker Media-Markt
Juli 2004 Volks-Notebook Media-Markt
August 2004 Volks-Fernseher Media-Markt
August 2004 Volks-PC Media-Markt
August 2004 Volks-Sparkonto Diba
September 2004 Volks-Matratze Otto
September 2004 Volks-Zahnbürste Media-Markt
Oktober 2004 Volks-Notebook Media-Markt
Oktober 2004 Volks-Fonds DWS
November 2004 Volks-Trainer Otto
November 2004 Volks-Kamera Media-Markt
Dezember 2004 Volks-Rekorder Media-Markt
Januar 2005 Volks-Seat Seat
Februar 2005 Volks-Zinssparen Deutsche Bank
Februar 2005 Volks-Handy Talkline
März 2005 Volks-Laufschuh Deichmann
April 2005 Volks-Bett Quelle
April 2005 Volks-Kredit Creditplus
April 2005 Volks-Navi Blaupunkt
Mai 2005 Volks-Fahrrad Quelle
Mai 2005 Volks-Waschmaschine Quelle
Mai 2005 Volks-Tarif Payback/Vodafone
Mai 2005 Volks-Bausparen BHW
Mai 2005 Volks-Caddy VW
Juni 2005 Volks-Notebook Fujitsu-Siemens
Juni 2005 Volks-Seat Seat
Juni 2005 Volks-Kamera Panasonic
Juni 2005 Volks-Gefrierschrank Quelle
August 2005 Volks-Kredit Creditplus
September 2005 Volks-Rente Dresdner/Allianz
September 2005 Volks-Bus Volkswagen
September 2005 Volks-Burger Burger King
Oktober 2005 Volks-Handy Talkline
Oktober 2005 Volks-Notebook Fujitsu-Siemens
November 2005 Volks-Fonds Union Investment
Februar 2006 Volks-Tigra Opel
März 2006 Volks-Handy Talkline
April 2006 Volks-Laufschuh Deichmann

Was fehlt? Mail schicken.

Außer Konkurrenz: die Volks-Bibel (Oktober 2004, direkte Verlagskooperation mit Weltbild, neu aufgelegt als “Goldbibel” im Dezember 2005).

Verbraucherzentrale verklagt Bild.de

Anzeige / Volks-Laufschuh / Diesen Schuh sollten Sie sich anziehen

Diese Anzeige heute auf der Homepage von Bild.de ist verblüffend. Es steht “Anzeige” darüber, sie ist farblich ein bisschen von den redaktionellen Beiträgen abgesetzt und auch über der Seite, auf die man beim Klicken kommt, steht in lesbarer Größe “Anzeige”. Und wie unerhört das ist, dass bei Bild.de Redaktion und Werbung getrennt werden, kann man u. a. hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier nachlesen.

Vielleicht (aber auch nur vielleicht) hat diese kleine Revolution etwas damit zu tun, dass Bild.de gerade wegen Schleichwerbung verklagt wurde. Es geht um einen Artikel im Januar unter der Überschrift “Flitzer für 11.900 Euro: Volks-SEAT — und der Asphalt wird glühen”, der — wie üblich — wie ein Artikel aussah, aber Werbung darstellte. Der Verbraucherzentrale Bundesverband hatte Bild.de nach eigenen Angaben aufgefordert, diese Werbung zu unterlassen. Nachdem das Unternehmen dazu nicht bereit gewesen sei, habe man Klage beim Landgericht Berlin eingereicht, heißt es in einer Pressemitteilung der Verbraucherzentrale:

Nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb müssen Medien Werbung und redaktionelle Texte deutlich voneinander trennen. Auch der Mediendienstestaatsvertrag fordert diese Trennung. Genau diese Trennlinie wird bei BILD.de überschritten. “Die Werbepraktiken bei dem Portal haben mit professionellem Journalismus nichts mehr zu tun,” so vzbv-Chefin Edda Müller.

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