Trump unbeschämbar, Untergang interessiert nicht, Insta-Repeat

1. “Journalisten werden die Öffentlichkeit selbst verteidigen müssen”
(zeit.de, Tobias Haberkorn & Dirk Peitz)
Jay Rosen ist einer der führenden Medienwissenschaftler der Vereinigten Staaten und derzeit im Rahmen seiner Arbeit in Deutschland. Die “Zeit” hat mit ihm über die “Washington Post”, Trump und die AfD gesprochen. In Bezug auf den medialen Umgang mit Rechts sieht Rosen die USA als mahnendes Beispiel: “Eine Lehre ist: Wer über Rechtspopulismus einfach nur berichtet, wird ein Teil von ihm. Es reicht nicht aus zu sagen: “Das ist passiert, also berichten wir darüber.” Eine andere Mahnung lautet: Weil Trump ein völlig schamloser Politiker ist, ist es unmöglich, ihn mit irgendetwas zu beschämen. Es bringt nichts, ihm vorzuhalten, wie viel negatives Feedback er für diese oder jene politische Maßnahme bekommen würde. Denn Trump lebt von der Kontroverse. Gewissermaßen lebt er sogar vom Hass gegen ihn, denn der hilft ihm, das Land weiter zu polarisieren. Wenn ein Medium nicht zu einem Teil der rechtspopulistischen Agenda werden möchte, dann muss es eine eigene reporting agenda entwickeln und öffentlich machen.”

2. Amazon nimmt Nazi-Symbole aus dem Sortiment
(wired.de)
Auf Druck von Anti-Rassismus-Vereinigungen dürfen Drittanbieter bei Amazon keine Produkte mehr verkaufen, die Symbole der Nazis und anderer Hassgruppen aufweisen. Amazon hat seine Regeln überarbeitet und will derlei Produkte zukünftig aus dem Angebot entfernen. Das wurde aber auch höchste Zeit, möchte man der Meldung hinterherseufzen.

3. Die Katastrophe hätte verhindert werden können
(spiegel.de, Georg Diez)
Georg Diez fragt sich in seiner aktuellen Kolumne über die Folgen des Klimawandels, wie es sein kann, “dass der Untergang der Menschheit so wenig Interesse erweckt und die Titelseiten sich in dieser Woche, wie in den Wochen und Jahren zuvor, eher mit der Partymetropole Berlin oder dem Elend der Patchwork-Familie beschäftigen als mit der im Grunde einzigen und überwölbenden und schrecklichen Realität unserer Zerstörung des Planeten”.

4. Zahlen, bitte!
(taz.de, Daniel Bouhs)
Google arbeitet schon seit Jahren intensiv mit Medien zusammen, unterstützt Verlage und Start-ups mit Millionensummen und spendiert Stipendien für DatenjournalistInnen. Natürlich nicht uneigennützig: JournalistInnen sollen ihre Datenbanken so aufbereiten, dass Google sie versteht. Wie es zum Beispiel bei der Zusammenarbeit mit dem deutschen Recherchebüro “Correctiv” geschah.

5. Feindselig
(faz.net, Ursula Scheer)
Ursula Scheer beschäftigt sich in der “FAZ” mit Trumps gebetsmühlenartig vorgetragener Medienschelte: “Fake News sind für Trump, was Trump zu Fake News erklärt. Die immer neuen Runden, in denen er mit solch tautologischen Manövern das Publikum und die Medienschaffenden wie am Nasenring durch die Manege führt, dienen seinem Zweck: Sie ermüden, sie verwirren, sie lassen es am Ende so aussehen, als wüsste wirklich niemand, was Fakt und was Fake ist, oder als wäre das letztlich ohnehin egal, weil der große Volkstribun immer recht hat. Dafür gibt es auch eine Bezeichnung, eine ganz sachliche. Sie lautet: “demokratiefeindlich”.”
Weiterer Lesehinweis: Horst Seehofer will künftig twittern — weil die Medien so gemein zu ihm sind (vice.com, Christina Hertel)

6. Das Bild kenn ich doch
(sz-magazin.sueddeutsche.de, Marc Baumann)
Viele Motive und Bildkompositionen auf Instagram wiederholen sich auf geradezu ernüchternde Weise: Ob die baumelnde Füße über der Schlucht, der Schuss aus dem Zelt oder der nachgestellte Caspar David Friedrich. Der Account “insta_repeat” stellt besonders beliebte Motive als Bildreihungen vor, was, wie Marc Baumann zu Recht anmerkt, zugleich traurig und sehr witzig ist.

“Kontext”-Maulkorb, Rechtsdrehende Soundcloud, Fotografierverbot nötig?

1. Magazin “Kontext” wehrt sich gegen Maulkorb
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz)
Die “Kontext Wochenzeitung” ist von einem Mitarbeiter eines AfD-Landtagsabgeordneten verklagt worden, über den das Magazin berichtet hatte, weil er in einem Chat rechtsradikale Nachrichten geschrieben haben soll. Nun will der AfD-ler erreichen, dass entsprechende Berichte anonymisiert oder aus dem Netz genommen werden. Der “Deutschlandfunk” hat mit “Kontext”-Anwalt Markus Köhler über den Prozess gesprochen. Seine Erwartung an das Urteil: “Nun ja, das Gericht wird aus unserer Sicht klarstellen, dass Menschen, die im Landtag politisch arbeiten, sich der öffentlichen Diskussion stellen müssen.”
Weiterer Lesetipp zum Thema: Verdacht im Chat (SZ.de, Wolfgang Janisch) mit einer Prognose des zuständigen Richters, der es für möglich hält, dass es nach dem heute erwarteten Urteil noch lange weitergehen könnte. Eine mögliche BGH-Entscheidung prognostiziert er für das Jahr 2025.

2. Soundcloud ist voll von rechtsextremer Musik und verfassungsfeindlichen Symbolen
(motherboard.vice.com, Nico Schmidt)
“Motherboard” hat auf Soundcloud massenhaft rechtsextreme Musik und verfassungsfeindliche Symbole entdeckt. Der Vorwurf an den Musikstreamingdienst: Er entferne zwar gesetzeswidrige Inhalte, gehe aber nicht proaktiv gegen sie vor. Man habe Soundcloud gefragt, warum dort nicht Filter dafür sorgen, dass zweifelsfrei verbotene, indizierte Lieder wie das Horst-Wessel-Lied gar nicht erst hochgeladen werden können, jedoch keine Antwort erhalten.
Dazu thematisch passend: Bann gegen Hassrede: Spotify nimmt Alex Jones aus dem Programm (faz.de).

3. Gefährliche kremlkritische Recherchen
(taz.de, Simone Schlindwein)
Im Auftrag des vom kremlkritischen Oligarchen Chodorkowski finanzierten Zentrums für Recherchemanagement (ZUR) reisten drei erfahrene russische Reporter in die Zentralafrikanische Republik. Ihr Vorhaben: Material über die dubiose russische Sicherheitsfirma PMC Wagner sammeln, die unter anderem eine Söldnerarmee unterhält. Bei einer nächtlichen Autofahrt gerieten die Reporter in einen Hinterhalt und wurden erschossen. Zentralafrikanische Quellen nennen Raub als Motiv, kremlkritische russische Journalisten spekulieren über andere Gründe.

4. Migration: So will das Auswärtige Amt Menschen von der Flucht nach Deutschland abbringen
(netzpolitik.org, Chris Köver)
Mit der Website “Rumours about Germany” will die Bundesregierung Migranten aufklären und die Gerüchte der Schlepper richtigstellen. Um Abschreckung ginge es dabei ausdrücklich nicht, so die Bundesregierung. Netzpolitik.org berichtet nun von internen Konzepten, die Gegenteiliges vermuten lassen: Die Kampagne verfolge sehr wohl das Ziel, Menschen von der Flucht abzubringen oder zur Rückreise zu bewegen — auch mit Hilfe von Influencern.

5. Universalcast #10: Warum Radio manchmal doch besser ist als Spotify
(soundcloud.com/cjakubetzuser, Christian Jakubetz, Audio, 30:46 Minuten)
Im Rahmen seines “Universalcasts” hat sich Christian Jakubetz mit zwei Radio-Profis unterhalten: der Radio-Legende Werner Reinke (HR1) und Marion Kuchenny, einer der bekanntesten Frauen der aktuellen HR-Moderatorinnen-Riege. Es geht um das Radio von heute und das der Zukunft. Und die Frage, warum Radio manchmal doch besser ist als Spotify.

6. Fordert der Datenschutz ein Fotografierverbot auf Schulfesten?
(internet-law.de, Thomas Stadler)
Berufen sich Schulen und Kindergärten zu Recht auf die DSGVO, wenn sie zum Beispiel ein Fotografierverbot auf Schulfesten aussprechen, wie jüngst geschehen? IT-Rechtler Thomas Stadler erklärt in einem kurzen Blogbeitrag die Rechtslage.

Wie “Bild” mit Ausländern Rekorde knackt – ein Beispiel

Bei “Bild” haben sie neulich einen Rekord geknackt: Im Juni erreichte die Redaktion mit ihren Artikeln als erste deutschsprachige Website mehr als 5 Millionen Interaktionen in den Sozialen Netzwerken, also zusammengerechnete Likes und Kommentare bei Facebook, Retweets bei Twitter und so weiter. Der Chef dankte dem “ganzen NP-Team”, was wohl “New Platforms” heißen soll:

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt - Dank an Andreas Rickmann, Jakob Wais, Marc Biskup und das ganze NP-Team. Ihr habt es einfach drauf!

Nun ist 5.000.000 erst mal eine (große) Zahl, die nicht zwingend etwas über die Qualität der kommentierten, geliketen und retweeteten Artikel aussagt. Und dass ein Lügenportal wie “jouwatch” im selben Ranking auf Platz 11 liegt oder die Islamhasser von “Politically Incorret” auf Platz 31 oder “RT Deutsch” auf Platz 19 oder “Promiflash” auf Platz 10 oder “Epoch Times” auf Platz 6 oder “Focus Online” auf Platz 4, spricht auch dafür, dass es dort ausschließlich um Quantität geht.

Wie die “Bild”-Redaktion auch zu ihrem Rekord kommt, mit welcher Art von Inhalten sie viele Interaktionen erzielt, und wie diese Inhalte aufbereitet sind, kann man zum Beispiel an diesem Text über Freibäder in Chemnitz und Zwickau beobachten, der am 24. Juli bei Bild.de erschienen ist:

Screenshot Bild.de - Stell dir vor es ist Sommer und ... Keiner geht ins Freibad

Ausgangspunkt des Artikels ist ein Facebook-Post des Betreibervereins des Freibads Crossen in Zwickau. Carol Forster, der Vorsitzende des Vereins, schreibt darin unter anderem:

Hallo Zusammen…

aus aktuellem Anlass hier auf der Facebook Seite des Freibades Crossen ein mehr oder weniger Hilferuf und / oder die Frage: Was können wir noch verändern und/ oder verbessern.

Hintergrund ist jener, dass wie vielleicht Einige von Euch gelesen haben, die derzeitige Besuchersituation in allen Freibädern der Stadt Zwickau, so auch bei uns recht Verhalten ist.

Obwohl wir ja nun schon seit einigen Wochen mehr als nur schönes Badewetter haben.

Woran liegt es:
An den Ferien ?
An den Eintrittspreisen ?
Am Umfeld ?
Am Service ?
Oder hat jetzt jeder einen Mini Pool im Garten ?

Eure Meinung zählt…..

Wir wissen es eben nicht und machen uns nun berechtigte Sorgen wie es weiter gehen soll.

“Bild” und Bild.de griffen die Sache auf. Forster kommt im Artikel zu Wort und sagt, dass “das Freibad als soziokultureller Treffpunkt” verlorengehe:

“Heute verabredet man sich in der WhatsApp-Gruppe, bequatscht so alles — früher war der Treffpunkt das Freibad.”

Roland Mehlhorn, Schwimmmeister aus Annaberg, nennt einen anderen Grund, warum vornehmlich Jugendliche nicht mehr ins Freibad kämen:

“Wenn ihre komischen Wetter-Apps Regen anzeigen, kommen sie nicht. Dabei stimmen die Vorhersagen oft gar nicht!”

Und dann taucht noch ein “Bad-Betreiber aus dem Vogtland” auf, der seinen Namen aber offenbar nicht nennen möchte, jedenfalls bleibt er anonym:

Weiterer Grund für den Besucherschwund: “Es sind andere Gäste da als früher. Jugendliche, auch aus anderen Kulturkreisen, die oft sehr laut sind”, so ein Bad-Betreiber aus dem Vogtland zu BILD.

Jaja, die lärmenden Ausländer wieder.

Das Argument ist allein schon deswegen interessant, weil es auch recht schnell unter dem Facebook-Post des Freibads Crossen auftauchte

Schon einmal darüber nachgedacht, dass es vielen “Einheimischen” unbehaglich ist, von unseren zugereisten Neubürgern begafft zu werden?

… und Vereinschef Forster darauf antwortete, dass es so gut wie keine “zugereisten Neubürger” als Badegäste bei ihnen gebe:

Das ist aber weit weit hergeholt als Argument. Sorry. Erstens haben wir noch fast keine, wie sagtet ihr, Neudeutschen, bei uns gehabt und zweitens ist es immer möglich, gegenüber evtl. Daneben Benehmen einzuschreiten.

All die Leute, die unter dem zum Artikel gehörenden Facebook-Post der “Bild”-Redaktion ihren Ärger, ihre Wut, ihren Hass hinterlassen, juckt so ein Argument natürlich nicht. Sie wollen eben nur ihren Ärger, ihre Wut, ihren Hass hinterlassen:

Screenshot eines Facebook-Kommentars - Es sind andere Gäste da als früher. Jugendliche, auch aus anderen Kulturkreisen, die oft sehr laut sind... mehr Begründung braucht es nicht!
Screenshot eines Facebook-Kommentars - wieso gehen wir nicht ins Freibad? Weil wir keine Lust haben mit 500 anderen Menschen in einem kleinem Becken eingepfercht zu sein. Weil wir keine Lust haben, dass den Kindern ohne Rücksicht auf den Kopf gesprungen wird.
Weil wir keine Lust haben, angepöbelt zu werden. Weil wir keinen gefühlten Auslandsurlaub machen wollen
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Ein neuer Bürger hat im Bad gemeint, meine Frau an Stellen begrabschen zu dürfen, wo er es für richtig hält! Hat er nur einmal gemacht, jetzt geht's nicht mehr! Leider ist das, mal vom Eintritt abgesehen, die Realität... Nein, ich bin kein Rassist, da selbst andere Wurzeln, aber irgendwo gibt's Grenzen!
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Meine Kinder gehen nur aus einem einzigen Grund nicht mehr ins Freibad, wegen der sexuellen Belästigungen, die sie durch kulturfremde Menschen erfahren haben.
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Das Freibad ist nicht mehr das was es war...ein erholungsort eine Oase zum Abkühlen.Respekt und Anstand herrschte mal und die Kinder und Frauen waren sicher.
Das war einmal ....die Gäste haben sich geändert und das ist der Preis der Toleranz
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Komisch das es in wirklich JEDEM Bereich Probleme mit den Bereicherern gibt und wir aber offiziell kein Problem haben. Schließt die Bäder und gut ist, so wie im Moment nutzen sie zumindest keinem Einheimischen etwas. Und das sind die welche den Spass finanzieren.
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Wenn ich mit meinem Mann ins Freibad gehen würde, würde mein Mann im 10 Minütigen Takt dort Backpfeifen verteilen bei dem Volk das dort teilweise rum läuft und meinen die dürften hier alles! Ne , da sind wir sowas von raus. und mit dem Handy hat es rein garnichts zu tun
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Ja, auch ich habe einmal sehr schlechte Erfahrungen in einem Städtischen Bad gemacht. Jugendliche aus anderen Kulturkreisen, ach es ist problematisch
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Nun ja, im Freibad darf man das nicht und jenes nicht. Dann weiß man nicht wer als Handtuch Nachbar auftaucht. Ich kenne viele Frauen und Mädels die da nicht mehr hingehen weil Horden von Neubürger meinen sie sind da Freiwild.

Noch mal: Im Zwickauer Freibad Crossen, um das es im Beitrag geht, sind Menschen mit Migrationshintergrund laut Betreiberverein kein Problem, allein schon, weil kaum da. Eine anonyme Quelle hat diesen Aspekt ins Spiel gebracht, und “Bild” hat ihn in den Artikel gepackt.

Dass es daraufhin im Kommentarbereich der “Bild”-Facebookseite so wirkt, als traue sich kaum noch jemand ins Freibad, weil dort “Bereicherer”, “neue Bürger”, “Jugendliche aus anderen Kulturkreisen” lauern, ist umso erstaunlicher, wenn man sich aktuelle Meldungen zu Besucherzahlen von Freibädern im Rest Deutschlands anschaut:

Aachen — Rekord!
Elmshorn — Rekord!
Grevesmühlen — Rekord!
Unna — Rekord!
Wermelskirchen — Rekord!
Ganderkesee — Rekord!
Saarlouis — Rekord!
Rastede — Rekord!
Siegburg — Rekord!
Leipzig — Rekord!
Ratingen — Rekord!
Tarp — Rekord!
Hannover — Rekord!

Das ließe sich noch eine ganze Weile fortführen.

Apropos Rekord: Bis jetzt hat die “Bild”-Redaktion mit ihrem Artikel zum Freibad in Crossen nur bei Facebook über 10.700 Interaktionen erzielt. Allein der Facebook-Post des “Bild”-“NP-Teams” wurde 2197 Mal kommentiert, 936 Mal geteilt, 1725 Mal geliket. Dazu kommen zahlreiche Interaktionen durch AfD-Accounts und -Politiker. Es braucht eben nur Ausländer, schon läuft das mit dem Rekord in den Sozialen Netzwerken.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Jens Schröder hat den Fall bei “Meedia” ebenfalls schön aufgedröselt:

Wörterbuch der Hetze, Tele 5 und der Youtube-Abschieds-Diss, Abofalle NYT

1. Dem Verschwinden entgehen
(blogs.taz.de, Andreas Bull)
Die Auflage der gedruckten “taz” ist derzeit erschreckend niedrig: Die Rede ist von gerade einmal 26.500 Abos zu regulären Preisen. Geschäftsführer Andreas Bull erklärt im “taz Hausblog”, warum er trotz dieser Zahlen keinen Grund für Panik sieht.

2. Tele 5 kehrt Youtube mit bitterbösem Diss-Rap den Rücken
(horizont.net, David Hein)
Tele-5-Boss Kai Blasberg kehrt Youtube den Rücken und lässt alle sender-eigenen Inhalte bei der Videoplattform löschen. Alle bis auf einen bitterbösen Abschiedsgruß in Form eines Musikvideos … In einem Sprechpart (ab Minute 3:00) erklärt Blasberg dem Netzwerk seine Beweggründe, die er mit allerlei Rapper-Freundlichkeiten anreichert: “Bist Du doch, Badewanne des Rechtsbruchs, ein Meer der Schändlichkeit und des Verrats, die Pissnelke unter allen elektronischen Medienwegen.”

3. Deutsch-Rechts/Rechts-Deutsch
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Rechte und Rechtsextreme bedienen sich eines besonderen Empörungsvokabulars, das gelegentlich nicht auf Anhieb zu verstehen ist. Sascha Lobo erklärt im Übersetzungsleitfaden “Deutsch-Rechts/Rechts-Deutsch” die wichtigsten Begriffe. Es geht dabei auch um Hetzvokabeln wie “Goldstücke”, “Remigration” und “Umvolkung”.

4. Auslandsberichterstattung: “Den Satz ‘Davon habe ich keine Ahnung’ braucht man gar nicht erst in den Mund zu nehmen”
(fachjournalist.de, Ulrike Bremm)
Im Interview mit dem “Fachjournalist” erzählt der Auslandskorrespondent Christian F. Trippe über seinen Alltag, welche Voraussetzungen man für den Job mitbringen sollte und wie es um die Zukunft seiner Zunft bestellt ist. Trippe empfindet seine Auslandsjahre als Bereicherung. Schwierig werde es jedoch gelegentlich bei der Rückkehr: “Zurückgehen ist schwerer als rausgehen. Du musst dich wieder einfädeln, du selbst hast dich verändert, die handelnden Personen und die Redaktionsstrukturen haben sich verändert. Das ist eine Herausforderung. Du bist quasi ein Redakteur mit Migrationshintergrund.”

5. Erzählt mir nix über großartigen Journalismus
(facebook.com, Michael Praetorius)
Der Publizist Michael Praetorius ist vom Umgang der “New York Times” mit ihren Lesern und Leserinnen enttäuscht. Der Abschluss eines Abos der vielgerühmten überregionalen Tageszeitung sei online binnen weniger Sekunden vonstatten gegangen. Die Hürden bei einer Kündigung seien jedoch ungleich höher. Diese erfordert nämlich den umständlichen Anruf bei einer Hotline und das persönliche Aussprechen der Kündigung. “Das ist kein sehr hohes Vertrauen in ein gutes Produkt. Wichtigste Kennzahl digitaler Geschäftsmodelle ist das Wissen darüber, ob Nutzer oft und gerne wiederkommen. Dazu gehört auch das Verständnis, dass man einen Dienst jederzeit kündigen oder pausieren kann. So zerstört man Kundenvertrauen. Erzählt mir nicht, dass man mit Digitaljournalismus kein Geld verdient, solange Verlage nicht die Basics verstehen.”

6. John Oliver zertrümmert den Wiedergutmach-Werbespot von Facebook
(rollingstone.de)
In einer groß angelegten Werbe-Kampagne will Facebook verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen und sich von den Fehlern der Vergangenheit reinwaschen, unter anderem auch über ein Mea-Culpa-Filmchen. Der Satiriker John Oliver hat den Facebook-Spot für seine Late-Night-Show “Last Week Tonight” nachproduziert.

Journalistische Rechtslust, Igel an den Orgeln, Herr des Türenzischens

1. Populismus und Appeasement
(journalist-magazin.de, Michael Kraske)
Der “journalist” hat seine aktuelle Titelgeschichte online gestellt. Michael Kraske führt in dem längeren Lesestück aus, wie der Rechtspopulismus auch den Journalismus erreicht: “Magazine entdecken die Lust an Krisen- und Untergangstiteln. Bild schürt wieder Ängste gegen Minderheiten. Polit-Talker treten als Volkes rechte Stimme auf, und Redakteure werben für einen verständnisvollen Umgang mit der AfD. Derweil geht das Sterben im Mittelmeer weiter. Journalisten sind dabei, Grundwerte preiszugeben. Das dürfen wir nicht zulassen.”

2. „Ohne Igel an den Orgeln“
(taz.de)
Die “taz” startet ihren traditionellen “Unterbringwettbewerb”, bei dem ein vorgegebener Nonsense-Satz in einen Zeitungsartikel, eine Radiosendung, ein Fernsehstück oder einen Internetbeitrag geschmuggelt werden muss. Je ernsthafter, desto besser! Dieses Jahr lautet der Satz: “Ohne Igel an den Orgeln keine Orgien in Georgien.” Einsendeschluss ist der 4. Oktober 2018.

3. Wisch und weg?!?
(spiegel.de, Margarete Stokowski)
Margarete Stokowski knöpft sich in ihrer neuen “Spiegel”-Kolumne die Kritiker der aktuellen Rassismus-Debatte vor: “Die aktuelle Diskussion über Özil und #MeTwo lässt sich auf die doch etwas jämmerliche Frage reduzieren: Gibt es in Deutschland mehr Rassismus als Deutsche wahrnehmen, die von Rassismus nicht betroffen sind? Das ist für diejenigen, die Rassismus erfahren, eine Frage der Sorte “Ist der Papst katholisch?” und für andere ein richtig schönes Debattenthema. Es scheint für einige Leute naheliegender, dass sehr viele Menschen, die ein Ü, Y oder Z im Namen tragen, paranoid sind und sich Diskriminierung einbilden, als dass sie selbst etwas nicht mitgekriegt haben.”

4. “Journalisten leben eben auch in einer Blase”
(ndr.de, Caroline Schmidt, Video, 8:18 Minuten)
Die Moderatorin des Schweizer Fernsehens (SRF) Susanne Wille spricht im “Zapp”-Sommerinterview über journalistische Haltungen, ihr Eintreten für den Schweizer Rundfunk und den Sinn einer emotionalen Debatte.

5. Papierzölle gefährden US-Presse
(deutschlandfunk.de, Sebastian Schreiber)
Eine Papierfabrik im amerikanischen Bundesstaat Washington hat darüber geklagt, dass kanadische Produzenten subventionsbedingt billiger anbieten könnten. Darauf hat die Trump-Regierung höhere Einfuhrzölle für kanadisches Papier verhängt. Was die amerikanische Papierindustrie stärkt, schwächt jedoch eine andere Branche: Die eh schon angeschlagene amerikanische Zeitungsindustrie. Sind die neuen Zölle ein gezielter Angriff auf die US-amerikanische Pressefreiheit?

6. Der Herr des Türenzischens ist tot
(golem.de, Tobias Költzsch)
Der US-amerikanische Sounddesigner Doug Grindstaff ist im Alter von 87 Jahren gestorben. Wenn Sie von Grindstaff noch nie etwas gehört haben, trifft dies wahrscheinlich nur teilweise zu: Er hat die Klangkulisse für die Star-Trek-Serie aus den Sechzigern (“Raumschiff Enterprise”) kreiert. Von ihm stammen unter anderem bekannte Sounds wie das Zischen der Türen, die Sirenen für den roten Alarm, das Piepen der Kommunikatoren sowie das Geräusch, das die Transporter der Enterprise machen.

Deutschlands dümmste Fehlerquote

Mal angenommen, “Bild”-Chefkorrespondent und -Chefzahlenverdreher Dirk Hoeren veröffentlich in einem Jahr 1000 Artikel, und wir schreiben hier im BILDblog, dass 100 davon falsch seien. Hoeren und “Bild” prüfen das dann, mit dem Ergebnis: Ganz so schlimm ist es nicht, aber 50 der 100 von uns kritisierten Texte sind tatsächlich falsch. Dann haben Texte von Dirk Hoeren eine Fehlerquote von 50 Prozent. Jedenfalls laut Dirk Hoeren.

Gestern titelte die “Bild”-Redaktion groß auf Seite 1:

Ausriss Bild-Titelseite - Deutschlands dümmste Job-Center

Was Hoeren und “Bild” mit der Unterzeile “Bis zu 50 Prozent der Hartz-IV-Widersprüche berechtigt” an Vertrauen in ihre Statistik-Kenntnisse aufbauen, zerstören sie auf Seite 2 direkt wieder mit dieser Tabelle:

Ausriss Bild-Zeitung -

Nehmen wir als Beispiel mal das Jobcenter in Weimar. Dort schicken die Mitarbeiter eine bestimmte Anzahl an Bescheiden raus. Wie viele es sind — das verrät uns Dirk Hoeren nicht. Es können ein paar Hundert sein, es können ein paar Tausend sein. Gegen diese Bescheide gibt es dann 374 Widersprüche. Und in 104 Fällen (die allerdings nicht alle aus den 374 Widersprüchen stammen müssen — dazu weiter hinten mehr) erkennt das Jobcenter den jeweiligen Widerspruch wegen eines Rechtsfehlers an. Laut Hoeren eine “Fehlerquote” von 27,8 Prozent. Eben eines von “Deutschlands dümmsten Job-Centern”.

Natürlich liegt die Fehlerquote in Weimar nicht bei 27,8 Prozent. Sie ist deutlich niedriger (wie niedrig sie genau ist, wissen wir nicht, weil Dirk Hoeren nicht die Gesamtzahl aller Bescheide aus Weimar mitliefert). 27,8 Prozent der Bescheide, gegen die Widerspruch eingelegt wurde, mussten in Weimar korrigiert werden. Das ist ein bedeutender Unterschied.

Für Ingolstadt, in Dirk Hoerens Rechnung mit einer “Fehlerquote” von 39,5 Prozent auf Rang 2, sieht dieser Unterschied so aus: Laut Isfried Fischer, Leiter des Ingolstädter Jobcenters, gab es insgesamt rund 9300 Bescheide und 70 Rechtsfehler. Das entspricht einer Fehlerquote von 0,75 Prozent.

So ähnlich sieht es auch auf übergeordneter Ebene aus: Deutschlandweit haben die Jobcenter der Bundesagentur für Arbeit 2017 20,8 Millionen Bescheide verschickt. Gegen 528.200 davon gab es Widersprüche, also rund 2,5 Prozent. Von diesen Widersprüchen wurden rund 39 Prozent teilweise oder komplett anerkannt, wie uns eine Sprecherin der Bundesagentur auf Nachfrage sagte — also etwa 206.000 korrigierte Bescheide beziehungsweise rund 1 Prozent aller Bescheide. Wobei es sich dabei nicht nur um Fälle handelt, denen wegen Rechtsfehlern stattgegeben wurde, sondern beispielsweise auch, weil Unterlagen nachgereicht wurden, was laut Statistiken der häufigste Grund für die Anerkennung eines Widerspruchs ist.

Völlig exakt dürften unsere Rechnungen übrigens auch nicht sein. Es gibt mindestens zwei Quellen, die Ungenauigkeiten verursachen können: Erstens kann gegen ein und denselben Bescheid mehrfach Widerspruch eingelegt werden. 100 Widersprüche müssen sich also nicht zwingend auf 100 Bescheide beziehen. Und zweitens — das dürfte auch bei Dirk Hoerens Rechnung relevant sein — können sich die Zahlen auf unterschiedliche Zeiträume beziehen: In Ingolstadt zum Beispiel sollen die 177 Widersprüche alle aus dem ersten Halbjahr 2018 stammen, die 70 anerkannten Rechtsfehler aber können auch mit Bescheiden aus dem Jahr 2017 zusammenhängen.

So ärgerlich jeder einzelne falsche Hartz-IV-Bescheid für den jeweiligen Empfänger ist — so heftig, wie Dirk Hoeren es mit seiner “Fehlerquote” behauptet, wird in den Jobcentern nicht “geschlampt”. Die Schlagzeile “Deutschlands dümmste Job-Center” klingt in Anbetracht von tatsächlichen Fehlerquoten aufgrund von Rechtsfehlern im Bereich von 0,75 Prozent vor allem: ganz schön dumm.

Es gibt eine gewissen Tradition für diese fehlerhafte “Fehlerquote” bei “Bild” und in anderen Medien:

Mit Dank an Gabriele H. für den Hinweis!

Nachtrag, 2. August: Mehrere Leserinnen und Leser weisen zu Recht darauf hin, dass es allgemein (und damit auch bei unserer Rechnung) noch eine weitere Quelle für eine Ungenauigkeit bei der Fehlerquote gibt: Es wehrt sich längst nicht jeder, der einen falschen Bescheid bekommen hat, gegen diesen falschen Bescheid — sei es aus Unwissenheit, aus Angst vor Ärger mit dem Jobcenter, aufgrund von Sprachschwierigkeiten, weil der Betroffene meint, dass er eh keine Chance habe, da gibt es sicher viele mögliche Gründe. Wo kein Widerspruch eingelegt wird, kann natürlich auch kein Rechtsfehler entdeckt werden.

Kommt es, nach der Ablehnung von Widersprüchen, zu Klagen gegen die Jobcenter-Bescheide, ist die Erfolgsquote der Klagenden recht hoch: Sie liegt seit Jahren bei rund 40 Prozent.

Mit Trumps Botschafter auf dem CSD, #metwo-Debatte, Teure Merkelfotos

1. Mit Trumps schwulem Botschafter auf dem Christopher Street Day
(vice.com, Matern Boeselager)
Der “Vice”-Journalist Matern Boeselager wird vom neuen amerikanischen Botschafter in Berlin angeschrieben: Richard Grenell fragt ihn, ob er ihn nicht am Christopher Street Day medial begleiten wolle. Hintergrund: Grenell ist schwul und öffnet als langjähriger CSD-Teilnehmer an diesem Tag sogar die US-Botschaft für eine kleine Party. Boeselager sagt zu, der journalistische Erkenntnisgewinn hält sich jedoch in Grenzen: Sobald es um Inhalte geht, mauert der Botschafter und mahnt: “Du bist aber nicht hier, um harte Fragen zu stellen!” Dennoch ist Boeselager ein herrlich unterhaltsamer Text gelungen, der vielleicht mehr über Grenell aussagt als jedes lange Interview.

2. Amazon, der Gatekeeper
(zeit.de, Adrian Lobe)
Adrian Lobe schreibt über Amazons Rolle in der globalen Buchvermarktung. Der Konzern habe mit seinem Publikationswesen einen bizarren Kosmos geschaffen, in dem Patent-Trolling und Nonsensliteratur ihre Blüten treiben.

3. Einfach mal zuhören
(taz.de, Carolina Schwarz)
Unter dem Hashtag #metwo berichten Menschen seit Tagen über ihre Erfahrungen mit Rassismus und diskriminierende Alltagssituationen. Die Debatte hat ein breites Echo ausgelöst, wird jedoch von vielen destruktiven, relativierenden und verharmlosenden Beiträgen vergiftet. Carolina Schwarz dazu: “Auch gerade im Hinblick auf die Debatte um Özils Rücktritt zeigen die zahlreichen Tweets und Kommentare, dass ein großer Teil der Mehrheitsgesellschaft nicht bereit zu sein scheint, sich mit dem Thema Rassismus und den eigenen Privilegien auseinanderzusetzen.”
Weiterer Lesetipp: Der Debattenbeitrag von Hasnain Kazim: Hört uns endlich zu (spiegel.de), in dem er sich für Klartext ausspricht: “Anscheinend ist bei manchen Leuten noch nicht angekommen, dass wir in einer zivilisierten Gesellschaft keine Menschen umbringen, sie nicht in Gaskammern schicken oder am Galgen aufhängen. Wer so denkt, wer so redet, braucht kein Verständnis, kein gutes Zureden — sondern Widerstand.”

4. “Gute Zeit, böse Zeiten”: Spiegel zündelt in der Debatte um die Wochenzeitung und attestiert der Zeit eine Führungskrise
(meedia.de, Stefan Winterbauer)
Das mediale Echo auf die von der “Zeit” angestoßene und vielfach kritisierte Debatte um das Pro&Contra zur privaten Seenotrettung von Flüchtlingen soll die Wochenzeitung ziemlich kalt erwischt haben. Jan Fleischhauer hat im “Spiegel” einen Text geschrieben, der von einem Dissens der Kollegen und von einem Machtkampf innerhalb der Chefredaktion berichtet. Stefan Winterbauer fasst den Vorgang auf “Meedia” zusammen.

5. Journalisten für Recherchen vor Gericht
(deutschlandfunk.de, Christian Buttkereit)
Die Recherchen rund um die “Paradise Papers” nähren den Verdacht, dass die Familie des ehemaligen türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim im großen Stil Steuern vermieden hat. Dafür bestraft werden sollen jetzt jedoch die Übermittler der Botschaft: die Journalisten.

6. Witz des Tages
(twitter.com/LorenzMaroldt)
“Tagesspiegel”-Chefredakteur Lorenz Maroldt berichtet auf Twitter von einer seltsamen Praktik des Bundespresseamts: “Das @Bundespresseamt möchte uns diese PR-Fotos von Merkel, die wir für eine Geschichte über Insta-Accounts von Politikern nutzen wollen, für à 146 Euro verkaufen. Was kommt als nächstes — Pressemitteilungen nur gegen Zeilengeld?“

Die Verbindungen von “Compact” zu Rechtspopulisten und Rechtsradikalen

Eine der obskursten Behauptungen, die die “Compact”-Redaktion immer wieder verteidigt: Ihr Magazin stehe politisch nicht weit rechts. Sie verlinkt in ihrer Selbstbeschreibung auf eine eigens dafür vorgesehene FAQ, in der die Redaktion versucht zu erklären, sie sei weder rechtspopulistisch noch rechtsradikal. Zuletzt empörte sie sich im Mai darüber, in die Sonderausstellung “Nie wieder. Schon wieder. Immer noch. Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945” des NS-Dokumentationszentrums München als Exponat aufgenommen worden zu sein. Geht es nach “Compact”, ist diese Verortung in der rechten Ecke eine bösartige Verleumdung.

Die Münchner Kuratoren nannten das Cover der Oktober-Ausgabe von 2016 “rassistisch”. Hier im BILDblog hatten wir ausführlich über das Heft berichtet. Unter anderem riss die “Compact”-Redaktion darin Bilder aus einer Aufklärungsbroschüre aus dem Zusammenhang und behauptete fälschlicherweise, es handele sich um eine an Geflüchtete gerichtete Anleitung für Vergewaltigungen. Derartige Hetze ist wahrlich keine Ausnahme bei “Compact”.

Neben der inhaltlichen Analyse lässt sich die weit rechte Ausrichtung des Blatts noch auf anderem Wege nachweisen: über personelle Verbindungen. Das Magazin “gilt als AfD- und Pegida-nah”, hieß es unter dem Cover in der Ausstellung in München. “Compact” entgegnete:

Der Kommentar der Kuartoren (sic) lautet lediglich: “Rassistisches Cover des rechtspopulistisches (sic) und verschwörungstheoretischen Magazins ‘COMPACT’, 2016”. Darunter noch der Hinweis, dass es AfD- und “Pegida”-nah gelte. Die üblichen Zuschreibungen also. Nichts weiter. Was für eine erbärmliche Recherche für eine geschichtswissenschaftliche Ausstellung.

Tatsächlich ist die Formulierung “gilt als”, die die Kuratoren gewählt haben, nicht ganz angebracht. Sie ist unnötig vage und defensiv. Mit etwas mehr Platz als nur drei Zeilen Museumstext lässt sie sich aber konkretisieren: “Compact” ist definitiv AfD- und “Pegida”-nah. Das Magazin pflegt enge Verbindungen zu Rechtspopulisten und Rechtsradikalen.

AfD-Mitarbeiterinnen mit Nebenjob

Zu sehen ist das zum Beispiel in der Sendung “Die Woche Compact”, die bei Youtube läuft. Das etwa 20-minütige Format ist eine Werbesendung für “Compact”, die mit einer Studio-Optik und Video-Einspielern zu Themen aus dem Heft wie eine Nachrichtensendung gestaltet ist. Eine von drei Moderatorinnen ist Lisa Lehmann:

Screenshot eines Compact-Videos - Moderatorin laut Bauchbinde: Lisa Lehmann

Dass Lehmann auch stellvertretende Vorsitzende der Jungen Alternative Sachsen-Anhalt ist, könnte Zuschauer interessieren. Sie ist außerdem die Lebensgefährtin von André Poggenburg, Mitbegründer der völkischen AfD-Gruppierung “Der Flügel”, und Tochter von Mario Lehmann, AfD-Landtagsabgeordneter in Sachsen-Anhalt. Dass Poggenburg seine Partnerin als Auszubildende in die Landtagsfraktion holte, hielten selbst Parteikollegen für Vetternwirtschaft.

Lisa Lehmann ist nicht die einzige AfD-Frau mit direkter Verbindung zu “Compact”, deren Parteizugehörigkeit das Magazin nicht transparent macht. Einzelne Folgen von “Die Woche Compact” moderierte Linn Kuppitz, die sich auf Twitter selbstironisch “Frontfrau” der AfD-Landesliste Nordrhein-Westfalen für die Bundestagswahl 2017 nennt. Sie trat, hinter 22 Männern, auf dem vorletzten Listenplatz an und arbeitet als Büroleiterin des AfD-Bundestagsabgeordneten Johannes Huber.

Screenshot eines Compact-Videos - Moderatorin laut Bauchbinde: Linn Kuppitz

Und dann ist da noch die Frau, die in den meisten “Compact”-Videos als Moderatorin auftritt, Katrin Nolte. Auch sie ist mit einem AfD-Politiker liiert, Jan Nolte, Vorsitzender der Jungen Alternative Hessen. Seit der Wahl 2017 sitzt er als Abgeordneter im Bundestag. Und auch seine Frau hat einen Platz in Berlin gefunden, als Mitarbeiterin von Noltes Fraktionskollegen Martin Hohmann.

Screenshot eines Compact-Videos - Moderatorin laut Bauchbinde: Katrin Nolte

Somit arbeiten alle drei “Compact”-Moderatorinnen für die AfD. Sie sind selbst AfD-Politikerinnen, mit AfD-Politikern familiär verbandelt oder beides gleichzeitig. Mehr Nähe zur Partei geht kaum. “Compact” aber nennt die Videos “unabhängige Nachrichten”. 57.000 Youtube-User haben den Kanal, in dem die Sendung läuft, abonniert.

Die AfD hat sich mit “Compact” bestens arrangiert — und umgekehrt.

“Compact” betreibt gewissermaßen Content-Marketing für AfD-Inhalte und nutzt selbst wiederum Parteiveranstaltungen als Werbefläche für sich. Etwa die von der AfD getragene “Merkel muss weg”-Demonstration Ende Mai in Berlin. Stolz kündigte “Compact”-Chefredakteur Jürgen Elsässer vorher an, dass die von seinem Blatt im April zur “Schönen des Monats” gekürte Marie-Thérèse Kaiser eine Rede halten werde. Auch sie ist AfD-Mitglied. Die Demo selbst begleitete Elsässer schließlich mit seinen Moderatorinnen und weiteren Sympathisantinnen in “Compact”-T-Shirts, unter ihnen die AfD-Politikerinnen Jessica Bießmann und Jeannette Auricht. Er nannte sie die “Compact-Frauenbrigade”.

Screenshot Compact-Online - Einsatz für die COMPACT-Frauenbrigade mit „Sieg für Deutschland“-Shirt: Jessica Bießmann und Jeannette Auricht, AfD-Abgeordnete in Berlin

Bei einem von der AfD Falkensee organisierten Public Viewing des WM-Spiels Deutschland gegen Mexiko präsentierte “VIP-Gast” Elsässer sein Magazin. Im Februar sprach er beim politischen Aschermittwoch der AfD ein Grußwort, bevor André Poggenburg dort Türken als “Kümmelhändler” und “Kameltreiber” beleidigte.

Am Abend der Bundestagswahl hatte “Compact” eine Liveübertragung von der Party der AfD organisiert. Wohlgemerkt: Elsässer berichtete ausschließlich von der AfD-Wahlparty. Die Partei war dann auch das zentrale Thema der über drei Stunden langen Sendung. Elsässer sprach mit verschiedenen AfD-Politikerinnen und -Politikern sowie Vertretern des Vereins “Ein Prozent”, den Elsässer persönlich unterstützt und der die AfD auch mit Gruppen rechts von ihr vernetzt. Bei der Übertragungen ebenfalls dabei war Michael Stürzenberger, den “Compact” als Journalisten und “Pegida”-Redner bezeichnete:

Screenshot Compact-Video - Bauchbinde: Michael Stürzenberger, Journalist

Stürzenberger ist Autor des islamfeindlichen Blogs “Politically Incorrect”. Für seine Hetze bei “Pegida”-Veranstaltungen wurde er in Deutschland und in Österreich verurteilt. Auch bei den mitunter rechtsextremen “Hooligans gegen Salafisten” war er zugange. Im bayerischen Verfassungsschutzbericht wird Stürzenberger namentlich erwähnt (PDF, ab Seite 189).

“Compact”-Veranstaltungen als Plattform für Rechtspopulisten

Bei einem solchen Umfeld ist es kein Wunder, dass der völkisch-nationalistische Flügel der AfD die jährlichen “Compact”-Konferenzen gerne als Forum nutzt. Ohne befürchten zu müssen, kritisiert zu werden, konnten dort in den vergangenen Jahren Alexander Gauland (2014), André Poggenburg (2015, 2016) und Björn Höcke (2017) Reden halten. Hinterher werden diese unkommentiert in “Compact” abgedruckt. So lassen sich ohne aufwändige journalistische Arbeit billig Heftseiten füllen.

Aktive Führungsfiguren anderer deutscher Parteien, die in Landtagen oder im Bundestag sitzen, treten bei “Compact”-Konferenzen nicht auf, allenfalls dürfen sich ehemalige Mitglieder als Dissidenten gerieren. Stattdessen lädt “Compact” Vertreter europäischer rechtspopulistischer Parteien ein: Oskar Freysinger von der Schweizer SVP (2014, 2016) beispielsweise oder Susanne Winter, deren Auftritt bei der “Compact”-Konferenz 2015 wohl ihr letzter als Mitglied der FPÖ war. Am Wochenende darauf hieß sie öffentlich einen antisemitischen Facebook-Kommentar, der von Europa bedrohenden “Geldjuden” sprach, mit den Worten “schön, dass Sie mir die Worte aus dem Mund nehmen” gut. Daraufhin wurde sie aus der Partei ausgeschlossen. Heute ist Winter Mitglied der europäischen Neonazi-Partei “Allianz für Frieden und Freiheit”, an der unter anderem die NPD beteiligt ist.

“Pegida”-Gründer Lutz Bachmann sprach 2016 und 2017 auf “Compact”-Konferenzen. Martin Sellner, einer der Köpfe der rechtsextremen “Identitären Bewegung Österreich”, tritt seit 2015 jährlich auf, zudem schreibt er regelmäßig für “Compact” die Kolumne “Sellners Revolution”. Bevor er für die “IBÖ” aktiv wurde, war Sellner Teil der österreichischen Neonazi-Szene. Er leugnet das alles nicht, tut es aber als Jugendsünde ab. Der deutsche und der österreichische Verfassungsschutz (PDF, ab Seite 52) beobachten die “Identitäre Bewegung”.

AfD-Mitglieder als Moderatorinnen. AfD-Politikerinnen als “Compact-Frauenbrigade”. Auftritte des Chefredakteurs bei AfD-Veranstaltungen. Anti-Islam-Hetzer als Studiogäste. Gastredner, die heute in Neonazi-Parteien aktiv sind. Ein Mitglied der “Identitären Bewegung” als Kolumnist. Aber rechtspopulistisch oder rechtsradikal wollen sie bei “Compact” nicht sein.

“Bild” und Rassismus, Ausgebamft, Seehofers Framing zum (Ab)Würgen

1. “Bild” weiß: Rassismus in Deutschland kein Problem
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
In den letzten Tagen ging es in den Medien oftmals um Diskriminierung: Unter dem Hashtag #metwo berichteten unzählige Migranten und Migrantenkinder von ihren negativen Alltagserfahrungen. Boris Rosenkranz hat sich angeschaut, auf welche Weise “Bild” die Debatte aufgenommen hat und konstatiert: “”Bild” wehrt sich nicht gegen den Rassismus, sondern gegen den Vorwurf, dass es Rassismus gebe.”
Weiterer Lesehinweis: In seinem Beitrag Was Özil empfand, haben viele erlebt schreibt “SZ”-Autor Jan Bielicki über herkunfts- und religionsbezogene Diskriminierung als Massenphänomen. Studien würden zeigen: Die Benachteiligung sei keineswegs nur gefühlt.
Und ein weiterer Lesetipp: “Was sich unter dem Hashtag #MeTwo an Rassismuserfahrungen ansammelt, darf nicht ignoriert werden — auch wenn die “Bild” mit aller Wucht gegen Einfühlung und Menschlichkeit ankämpft”: Diese Geschichten werden unser Land verändern (spiegel.de, Georg Diez)
Und zu guter Letzt: Auf Facebook stellt sich Michel Abdollahi der “Bild”-Redaktion entgegen: “Wenn jemand als Sprachrohr der AfD jeden Tag spaltet und hetzt, dann seid ihr das. Ihr seid das prominenteste Gesicht des Rassismus in diesem Land. Ihr könnt außer Hetze und Lüge nichts anderes. Wir lassen uns nicht mehr ausgrenzen. Wir lassen uns nicht mehr einschüchtern. Wir lassen uns nicht länger von alten, weißen Männern erzählen, wann was Rassismus ist und wann nicht.”

2. Ausgebamft
(taz.de, Gareth Joswig)
Mitte April berichteten verschiedene Medien von einem angeblichen Skandal beim Bremer Bamf (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Der Vorwurf: In mindestens 1200 Fällen soll die ehemalige Leiterin Ulrike B. in Zusammenarbeit mit drei Anwälten unrechtmäßig Asyl erteilt haben. Nach Bekanntwerden der “Affäre” wurde die Bremer Außenstelle geschlossen. Auf Veranlassung des Innenministeriums überprüfen Ermittler nun die dort ausgestellten positiven Asylbescheide seit dem Jahr 2000. Mit ernüchterndem (Zwischen-)Ergebnis: Von den in Rede stehenden 1200 Fällen sind bisher gerade mal 17 übrig geblieben. Wer also weiterhin von einem Skandal sprechen will, sollte damit den Skandal hinter dem “Skandal” meinen.
Weiterer Lesehinweis: Eine ausgezeichnete Aufarbeitung mit juristischer Expertise und zudem ständig aktualisiert: Der eigentliche BAMF-Skandal — erst der Rufmord, dann die Recherche? (beck.de, Henning Ernst Müller)

3. “New York Times”-Verleger warnt Trump
(spiegel.de)
“New York Times”-Herausgeber A.G. Sulzberger hat sich mit US-Präsident Trump getroffen. Das Gespräch sollte auf Wunsch des Weißen Hauses vertraulich bleiben, doch diesen Wunsch konnte Trump seinen Mitarbeitern fast erwartungsgemäß nicht erfüllen und twitterte munter drauf los. Daraufhin sah sich auch der “NYT”-Herausgeber nicht mehr an die zugesagte Verschwiegenheit gebunden und berichtete vom Gespräch.
Hier gibt es Sulzbergers Stellungnahme im Wortlaut: Statement of A.G. Sulzberger, Publisher, The New York Times, in Response to President Trump’s Tweet About Their Meeting (nytco.com, New York Times)

4. Wer von “Sprachpolizei” spricht, will die Debatte abwürgen
(sueddeutsche.de, Luise Checchin)
In einer losen Serie analysiert die “SZ” das Framing politisch oder gesellschaftlich relevanter Begriffe. In der aktuellen Folge geht es um das Wort “Sprachpolizei”, mit dem Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) den Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle belegt hat. Luise Checchin befindet: “Mit seiner pauschalen Kritik am Verfassungsgerichtspräsidenten schürt Seehofer das Misstrauen in den Rechtsstaat. Und macht genau das, was er Voßkuhle vorwirft.”

5. Braucht die DSGVO ein Medienprivileg auch für Blogger, Fotografen und Pressesprecher?
(telemedicus.info, Simon Assion)
Der Deutsche Anwaltsverein empfiehlt, das Bundesdatenschutzgesetz um eine Regelung zu ergänzen, die sich auf Blogger, Podcaster, Youtuber, Twitter-Nutzer, Fotografen, Künstler, Pressesprecher und Politiker bezieht. Telemedicus-Autor und Jurist Simon Assion erklärt die Hintergründe des empfohlenen “Medienprivilegs”. (Besonders für Nicht-Juristen nicht zum schnellen Drüberfliegen geeignet, da einige Details.)
Weiterer Hinweis: Bei “Legal Tribune Online” kannst Du im DSGVO-Quiz zeigen, wie gut Du Dich mit dem neuen Datenschutzrecht auskennst.

6. Weniger Deutsche in Dresden
(twitter.com/emtiu, Michael Büker)
Michael Büker kommentiert eine Meldung der “Dresdner Neuesten Nachrichten”: “Wenn Du aus einer statistisch bedeutungslosen Schwankung von 0,15% so eine Schlagzeile baust, um Deine Leserschaft zu begeistern, bist Du wohl Journalist in Sachsen.”

Maaslos verkürzt

Bei Bild.de berichten sie heute schon mal vorab von einem Interview mit Außenminister Heiko Maas, das offenbar morgen erscheinen soll:

Maas sagte im Interview mit BILD (Montag): “Es schadet dem Bild Deutschlands, wenn der Eindruck entsteht, dass Rassismus bei uns wieder salonfähig wird. Dass sich Menschen mit Migrationshintergrund bedroht fühlen, dürfen wir nicht zulassen. Wir müssen gemeinsam sehr entschlossen für Vielfalt und Toleranz eintreten.”

Für ihre Startseite bastelt die Redaktion daraus:

Screenshot Bild.de - Maas im Bild-Interview - Özil-Debatte schadet unserem Ansehen

Wohlgemerkt: als Zitat gekennzeichnet!

Am Montag berichtete Bild.de über ein anderes Zitat von Heiko Maas. In dessen Aussage ging es um Fußballspieler Mesut Özil:

“Ich glaube auch nicht, dass der Fall eines in England lebenden und arbeitenden Multimillionärs Auskunft gibt über die Integrationsfähigkeit in Deutschland.”

Auf der Startseite klang das etwas anders:

Screenshot Bild.de - SPD-Minister Maas über Özil - Dieser Multi-Millionär hat nichts mit Integration zu tun

Auch hier wohlgemerkt: als Zitat gekennzeichnet!

Immerhin: In diesem Fall reagierte “Bild”-Chef Julian Reichelt auf Kritik und ließ die Zeile ändern:

Screenshot Bild.de - SPD-Minister Maas über Özil - Der Fall eines in England lebenden und arbeitenden Multimillionärs gibt keine Auskunft über die Integrationsfähigkeit in Deutschland

Mit Dank an @SandraKortig für den Hinweis!

Nachtrag, 30. Juli: Auf unsere Nachfrage, ob er und sein Team nicht auch im aktuellen Fall aktiv werden wollen, reagierte Julian Reichelt nicht. Aber: Seine Bild.de-Redaktion hat die Artikelüberschrift inzwischen geändert. Sie lautet nun:

Screenshot Bild.de - Heiko Maas im Bild-Interview über die Özil-Debatte - Es schadet uns, wenn Rassismus wieder salonfähig wird

Und auch auf der Startseite hat sie die Zeile angepasst.

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