ORF-Maulkorb, Vier-Augen-Delikte, AfDler als Journalistenbedroher

1. ORF-Mitarbeiter sollen Politik “auch privat” auf Twitter nicht kritisieren
(derstandard.at, Harald Fidler)
Der österreichische Sender ORF arbeitet an neuen Social-Media-Regeln, nach denen Mitarbeiter auf Meinungsäußerungen verzichten sollen und zwar auf: “öffentliche Äußerungen und Kommentare in sozialen Medien, die als Zustimmung, Ablehnung oder Wertung von Äußerungen, Sympathie, Antipathie, Kritik und ‘Polemik’ gegenüber politischen Institutionen, deren Vertreter/innen oder Mitgliedern zu interpretieren sind”. Der Betriebsratschef wertet dies als “Kniefall” vor ÖVP und FPÖ.
Weiterer Lesehinweis: ORF-Chef will Mitarbeitern politische Kritik verbieten (zeit.de)

2. „Kommunikations-GAU“ im Funkhaus
(taz.de, Anne Fromm)
Bei “Deutschlandfunk Kultur” sorgt die Meldung über ein Finanzloch für Unruhe in der Belegschaft: Von einschneidenden Sparmaßnahmen bei Programm und Personal ist die Rede. Die innerbetriebliche Kommunikation darüber hätte besser laufen können, wie “taz”-Redakteurin Anne Fromm berichtet. Als die Senderchefs die Redakteure/innen über die neue Reform informieren wollten, hätten die Chefs dem Personalrat und dem Redakteursausschuss den Zutritt zu der Versammlung verweigert. Ein “klarer Verstoß gegen das Bundespersonalvertretungsgesetz”, wie die Angestellten in einer Stellungnahme schreiben würden.

3. Warum es so schwierig ist, zu “Me Too” zu recherchieren
(sueddeutsche.de, Charlotte Theile)
Charlotte Theile berichtet von der Schwierigkeit, zu #MeToo zu recherchieren: “Sexuelle Übergriffe sind oft Vier-Augen-Delikte. Zwei Menschen wissen, was wirklich passiert ist. Gleichzeitig gibt es überall da, wo es um Sex geht, schnell Gerüchte. Eine unübersichtliche Mischung, in der Journalisten schnell in einen Rollenkonflikt geraten. Mit Nachforschungen laufen sie Gefahr, Teil des Hörensagens zu werden.”

4. Nach Merkel-Kommentar: Malte Pieper verwundert über Reaktionen
(swr3.de, Amelie Heß)
Der ARD-Korrespondent Malte Pieper forderte in einem Kommentar den Rücktritt von Angela Merkel, was im Netz eine breite Diskussion auslöste. Einige Medien, wie “Bild”, stellten die Meinung des Korrespondenten fälschlicherweise als die Meinung der “Tagesschau” dar, was die Stimmung zusätzlich anheizte. BILDblog berichtete. Auf SWR3 zeigt sich Malte Pieper verwundert über die Reaktionen. Er habe sachlich argumentiert. Sein Kommentar sei lediglich ein Angebot zur Diskussion gewesen. Zum Vorwurf des “Staatsfunks” sagt Pieper: “Viele glauben offenbar, wir hier beim SWR oder in den ganzen ARD kriegen morgens ein Fax aus dem Bundeskanzleramt und da steht drin, was wir senden sollen. Ich kann nur sagen: So ist es definitiv nicht. Wir denken schon noch selbst.“

5. AfD-Treffen: Teilnehmer bedrohen und attackieren Journalisten
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Beim “Kyffhäusertreffen” in Sachsen-Anhalt hat sich der rechtsnationale Flügel der AfD zusammengefunden. Teilnehmer der Veranstaltung haben Journalisten angegriffen und bedroht, die sie beim Verlassen des Versammlungsgeländes gefilmt haben. Einige Besucher der Veranstaltung hätten sich gegenüber den Journalisten auf den Datenschutz berufen und verboten, sie zu filmen. Dies sei “Unsinn”, wie Medienrechtler Thorsten Feldmann bei “Übermedien” zitiert wird: “Mit Datenschutz hat das nichts zu tun. Es gilt das Medienprivileg.”

6. “Bild”-Redaktion evakuiert, weil Flüchtling an Axel-Springer-Hochhaus vorbeiging
(der-postillon.com)
Der “Postillon” berichtet: “Zu chaotischen Szenen ist es heute im Axel-Springer-Hochhaus in Berlin gekommen. Dort wurde am Vormittag die gesamte Bild-Redaktion evakuiert. Zuvor hatte ein Journalist der Zeitung einen Flüchtling entdeckt, der den Gehweg vor dem Gebäude entlang lief.”

“Bild” lässt “Tagesschau” Merkels Rücktritt fordern

Ein Kommentar eines Journalisten oder einer Journalistin, ob nun in der gedruckten Zeitung oder online, im Radio oder im Fernsehen, spiegelt immer die Meinung des Journalisten oder der Journalistin wider. Die im Kommentar geäußerten Ansichten lassen sich nicht automatisch auf eine Redaktion übertragen. Sowas lernen Kommunikationswissenschaftler bereits im ersten Semester an der Uni. Und trotzdem müssen wir es hier noch mal aufschreiben, weil die “Bild”-Zeitung heute diese Schlagzeile auf ihrer Titelseite hat:

Ausriss Bild-Titelseite - Räumen Sie das Kanzleramt - Verbrannte Erde - Tagesschau rechnet mit Merkel ab!

Bei Bild.de war die Sache bereits gestern Abend gut sichtbar auf der Startseite platziert:

Screenshot Bild.de - Offene Rücktrittsforderung - Tagesschau rechnet mit Kanzlerin ab

Grundlage für beide Artikel ist ein Kommentar des ARD-Korrespondenten Malte Pieper über Bundeskanzlerin Angela Merkel. Darin heißt es unter anderem:

Geschätzte Angela Merkel, nach fast 13 Jahren Kanzlerschaft gibt es auf europäischer Ebene für Sie, außer spürbarer Abneigung, nichts mehr zu gewinnen. Das haben alle Treffen der letzten Monate gezeigt. Helfen Sie deshalb mit, den scheinbar unabwendbaren Trend nach europäischer Spaltung statt Einigung endlich aufzuhalten! Räumen Sie das Kanzleramt für einen Nachfolger, dessen Name nicht so belastet ist, wie es der Ihre ist.

Das ist die Meinung von Malte Pieper, nicht die Meinung der “Tagesschau”. Es ist die Rücktrittsforderung von Malte Pieper, nicht die Rücktrittsforderung der “Tagesschau”.

Die “Bild”-Überschrift “Tagesschau rechnet mit Merkel ab” ist also schon mal irreführend. Und auch beim Texteinstieg von “Bild” und Bild.de wird es nicht besser:

“Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Rücktrittsforderung! Ta-ta!-Ta-ta-ta-taaaa!”

Ausgerechnet die öffentlich-rechtliche “Tagesschau” der ARD überraschte gestern — vor allem in Ton und Schärfe — mit einer Rücktrittsforderung an die Kanzlerin.

Das ist gleich in doppelter Hinsicht falsch. Erstens, weil die Rücktrittsforderung eben nicht vom “Ersten Deutschen Fernsehen” beziehungsweise von der “Tagesschau” kommt, sondern — wir schreiben es hier gern noch einmal — von Malte Pieper. Und zweitens ist Piepers Kommentar nie im Fernsehen gelaufen, sondern im Radio und als Text bei Tagesschau.de.

Etwas weiter hinten im “Bild”-Beitrag darf dann doch noch jemand von der “Tagesschau” erklären, dass es sich nicht um einen Kommentar der gesamten Redaktion handelt, sondern um eine Meinung einer Einzelperson:

Ist DAS eine Meinung eines Korrespondenten oder die Haltung der “Tagesschau”?

Auf BILD-Anfrage teilte Chefredakteur Kai Gniffke mit: “Journalistische Kommentare werden grundsätzlich als solche gekennzeichnet und geben immer nur die Meinung des bzw. der Kommentierenden wieder.”

Die “Bild”-Redaktion weiß also, dass es sich nicht um “die Haltung der ‘Tagesschau'” handelt (natürlich wusste sie das auch schon vor Gniffkes Statement). Und trotzdem knallt sie ihre Schlagzeilen auf den “Bild”-Titel und die Bild.de-Startseite. Bei Bild.de erfahren das alles übrigens nur Abonnenten — es handelt sich schließlich um einen “Bild plus”-Text.

“Bild”-Chef Julian Reichelt verbreitete bereits gestern am Vormittag bei Twitter die falsche Behauptung zur Rücktrittsforderung durch die “Tagesschau”:

Screenshot Tweet von Julian Reichelt - Die Tagesschau fordert im Kommentar den Rücktritt von Angela Merkel und wirft ihr vor, verbrannte Erde hinterlassen zu haben.

Das ist ganz interessant: Reichelt twittert über einen Kommentar eines öffentlich-rechtlichen Journalisten, der sich mit einer Rücktrittsforderung an Angela Merkel wendet. Dazu keine Kritik durch den “Bild”-Chef, etwa wegen des belehrenden Tons. So weit, so okay. Vor nicht mal einer Woche twitterte Reichelt über Markus Grill, den Berliner Bürochef des Investigativressorts von NDR und WDR:

Screenshot Tweet von Julian Reichelt - Ich persönlich finde, dass Tweets von öffentlich-rechtlichen Kollegen sich nicht in dieser belehrenden und parteiischen Weise an Parteien wenden sollten. Die Öffentlich-Rechtlichen haben keinen Weltbild-Umerziehungsauftrag.

Für Julian Reichelt ist bei der Frage, wie sich ein “öffentlich-rechtlicher Kollege” äußern sollte, am Ende doch wohl nicht entscheidend, gegen wen dieser schießt?

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Vertraulichkeit als Maulkorb, Wahre Welle, Merkel-Podcast-Finanzierung

1. Für den Podcast der Bundeskanzlerin sind eine Million Euro an eine Firma geflossen, die der Union nahesteht
(buzzfeed.com, Marcus Engert)
Der Podcast der Bundeskanzlerin wirft einige Fragen auf. Da wäre zunächst das üppige Produktionshonorar von (kumuliert) mehr als einer Million Euro, das an eine Firma fließt, die im Wesentlichen dem Politikberater Roland Berger und dem Schwiegersohn von Ex-CSU-Chef Edmund Stoiber gehörte. Außerdem kritisieren Journalisten, dass die Bundeskanzlerin zu wenig mit ihnen spricht, während die Social-Media-Auftritte zunehmen würden. Und dann bleibt da noch die Sache mit der Gesetzeslücke, die von der Bundesregierung bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit geschickt ausgenutzt werde. Marcus Engert ist all diesen Fragen nachgegangen und hat Meinungen von Experten eingeholt.

2. In eigener Sache: Nvidia-NDA als Maulkorb für Journalisten
(heise.de)
Wenn Firmen Testexemplare an Journalisten rausschicken, bestehen sie oft auf eine vorherige Unterzeichnung einer Vertraulichkeitsvereinbarung (Non-Disclosure Agreement/NDA). Auch der “Heise”-Redaktion werden derartige Vereinbarungen vorgelegt, die dann im Einzelfall geprüft und in der Regel unterzeichnet werden. Doch es gibt Ausnahmen: “Manche Firmen setzen NDAs allerdings auch als Waffen ein. Sie wollen Journalisten nicht nur dazu bringen, sich an Veröffentlichungstermine zu halten, sondern auch mit weitgehenden Vereinbarungen und horrenden Strafandrohungen wohlfeile Berichterstattung erzwingen. Wer sich nicht beugt, wird vom Informationsfluss abgeschnitten.” Von eine dieser Ausnahmen handelt der Beitrag: Von einer als Maulkorb empfundenen Vereinbarung aus dem Hause Nvidia, einem der größten Entwickler von Grafikprozessoren und Chipsätzen. Nachtrag, 14:18 Uhr: Die Redaktion von “ComputerBase” hat sich ebenfalls zum Nvidia-NDA und zum “Heise”-Artikel geäußert — und sieht die Sache etwas anders.

3. Tilo Jungs Fragen auf der Bundespressekonferenz
(twitter.com/TiloJung, Video, 3:07 Minuten)
Innenminister Seehofer hat kürzlich behauptet, dass die “meisten Fake News in Deutschland produziert werden”. Tilo Jung hat auf der Bundespressekonferenz bei Regierungssprecher Seibert nachgefragt, ob er das bestätigen kann. Außerdem: Hat Seehofers Innenministerium empirische Belege für dessen kühne Aussagen?
Weiterer Lesehinweis: “Auch die CSU hat schon solche Fake News verbreitet” (Interview von Karoline Meta Beisel mit dem Fake-News-Forscher Alexander Sängerlaub, sueddeutsche.de)

4. Ein bisschen Frieden
(sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Für eine von Google und der Düsseldorfer Landesanstalt für Medien finanzierte Studie haben Wissenschaftler Hasskommentare im Netz untersucht und “Steuerungsstrategien” für Redaktionen entwickelt. Dazu haben sie Diskursverläufe bei Tagesschau.de, “RP Online”, “Deutschlandfunk Kultur” und “RTL aktuell” untersucht. Eines der Ergebnisse: Bei entschiedener Moderation gebe es in Sachen Hasskommentare sofort einen reduzierenden Effekt.

5. „Facebook löschen? Würde ich nicht machen!“
(universal-code.de, Christian Jakubetz, Audio, 15:47 Minuten)
Christian Jakubetz hat sich mit dem ARD-Digitalexperten Dennis Horn über soziale Netzwerke unterhalten. Als Einstieg ins Gespräch diente das neue Buch des amerikanischen Informatikers und Autors Jaron Lanier. Darin fordert Lanier seine Leser auf, ihre Social-Media-Accounts zu löschen.

6. Wirbel um Wahre Welle TV
(br.de, Stefanie Wagner)
Ein neuer Online-TV-Sender sorgte mit allerlei Social-Media-Tamtam für reichlich Wirbel und heftige Diskussionen im Netz. Dafür war auch die Ankündigung im Verschwörungsstil verantwortlich: “Sehen Sie die Wahrheit hinter der Wahrheit, auf dem weltweit ersten unabhängigen 24h-Online-Sender Wahrewelle.TV. Hier erwarten Sie Nachrichten, Reportagen, Serien und Spielfilme, garantiert unzensiert und zwangsgebührenfrei. Unabhängig, schonungslos, kritisch — das ist Wahrewelle.TV”.
Doch Sorgen sind unangebracht: Was sich wie die Selbstbeschreibung eines Machwerks aus dem Kopp Verlag anhört, ist ein satirisches Projekt der Bundeszentrale für politische Bildung zur Stärkung der Medienkompetenz.

Bild.de rechnet nicht beim Biertrinken am Ballermann

Grundsätzlich ist es ja eine gute Sache, wenn die Leute bei Bild.de sich eher um Themen kümmern, mit denen sie sich auskennen, und bei denen sie ihre Kernkompetenzen einsetzen können. Zum Beispiel bei so einem Beitrag:

Screenshot Bild.de - Bild checkt 99 Läden - Wo gibt es das billigste Bier am Ballermann?

BILD hat eine Kneipentour gemacht zwischen Balneario 5 und Balneario 8 und genau nachgeguckt. Wer hat das günstigste Bier?

Doch nicht mal das kriegen sie unfallfrei hin: Sie mögen vielleicht “genau nachgeguckt” haben. Sie haben aber nicht genau nachgedacht und nachgerechnet.

Auf Platz eins im “Bild”-Ballermann-Bier-Ranking:

Das wirklich günstigste Bier am Ballermann bekommt man zwischen den Balnearios sieben und acht, zwischen Kirche und Bierstraße. Ein unscheinbarer, kaum bekannter Laden namens “Usual” bietet ein spanisches Mahou 0,2 für genau 1,20 Euro an.

… und auf Platz vier:

Platz vier geht an einen Geheimtipp: Das “Cel Blau” neben dem Megapark ist ein mallorquinischer Familienbetrieb mit freundlichen Kellnern und mit gutem, günstigen Essen. Hier kostet das 0,3-Liter-Mahou 1,50 Euro. Nebenbei kann man hier wunderbar alle Megapark-Künstler treffen, die sich hier für ihren Auftritt bereitmachen.

Wir haben auch einen Geheimtipp für die Bild.de-Redaktion: Um bei einem Preisvergleich Preise wirklich vergleichen zu können, sollte man sich nicht nur die Preise anschauen, sondern auch gucken, was man für den Preis bekommt. Oder anders gesagt: Das Bier im “Cel Blau” (hochgerechnet 5 Euro für einen Liter) ist günstiger als um “Usual” (6 Euro für einen Liter).

“Klicken sie sich durch die große BILD-Ballermann-Kneipen-Karte. Sie legt noch keinen Wert auf Vollständigkeit”, schreibt Bild.de in dem “Bild plus”-Artikel. Es würde ja schon reichen, wenn die Redaktion Wert auf Richtigkeit legen würde.

Mit Dank an Tobias R. für den Hinweis!

Angstmacher Seehofer, Wahlumfrage, Das Quaken der toten Ente

1. “Seehofer befeuert Misstrauen und Ängste”
(donaukurier.de, Klaus Meier)
Innenminister Horst Seehofer hat in einem Interview behauptet, es gäbe immer mehr Falschmeldungen. Die meisten Fake News würden seiner Ansicht nach in Deutschland produziert werden. Dem widerspricht der Eichstätter Journalismus-Professor Klaus Meier: “Horst Seehofer befeuert das Misstrauen und die Ängste von etwa 15 bis 20 Prozent der Menschen in Deutschland, die der Propaganda der Rechten aufsitzen und denken, sie würden permanent manipuliert. Das ist für eine informierte und diskursive Öffentlichkeit nicht hilfreich, ohne die die Demokratie nicht atmen kann.”
Weiterer Lesehinweis: Auch der Vorsitzende des “Deutschen Journalisten Verbands” ist über die Aussagen Seehofers empört: “Ausgerechnet der Minister, der kraft seines Amtes die Grundwerte der Verfassung schützen soll, stellt die Pressefreiheit auf den Kopf, indem er uns Journalisten vorsätzliche Falschmeldungen unterstellt — unglaublich!” (djv.de, Hendrik Zörner)

2. „Heute“ und die Tiefen des „guten Boulevards“
(kobuk.at, Hans Kirchmeyr)
Das österreichische Gratisblatt “Heute” machte mit der Aufsehen erregenden Meldung auf, nach der eine 91-jährige “Oma” von einem Flüchtling vergewaltigt worden sei. Dabei handelte es sich jedoch um eine Falschmeldung, wie das Blatt in einem Anhang eingestehen musste. Hans Kirchmeyer lobt das Blatt für seine transparente Dokumentation, es sei jedoch ein erheblicher Schaden angerichtet worden: “Kaum ein Leser kehrt zurück und liest die kleine Korrektur ganz am Ende des Artikels. Und in den “sozialen” Medien quakt die Ente untot weiter.”

3. Muss man bei der WM zu viele bittere Pillen schlucken, Frau Freitag?
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
“Planet Interview”-Macher Jakob Buhre hat sich mit der Vorsitzenden des Sportausschusses Dagmar Freitag (SPD) unterhalten. In dem Gespräch geht es u.a. über die laufende WM, den Zwang, die FIFA zu finanzieren, die Verbindung von Coca-Cola und Sport und den Umgang des DFB mit der Trikot-Affäre.
Weiterer Lesehinweis, ebenfalls bei “Planet Interview”: das Gespräch mit Markus Harm, dem Sportpolitik- und FIFA-Experten des ZDF: Die Fußball-WM ist ein Corporate Event, es geht fast nur noch um Geld.

4. CSU bundesweit bei 18 Prozent?
(faktenfinder.tagesschau.de, Konstantin Kumpfmüller)
Würde die CSU bei bundesweiten Neuwahlen wirklich bei 18 Prozent liegen, wie “Bild” unter Berufung auf eine Umfrage des INSA-Instituts berichtete? Daran bestehen Zweifel, auch weil die Fragestellung problematisch ist. Heiko Gothe vom Meinungsforschungsinstitut Infratest kritisiert die Frage nicht nur wegen ihres Framings, sondern auch ganz grundsätzlich: “Mit der Abfrage von Parteien, die bisher im jeweiligen Wahlgebiet gar nicht wählbar sind und mit denen die befragten Personen gar keine Erfahrung haben, wird der hypothetische Charakter massiv gesteigert und die Befragten letztlich überfordert.”
Weiterer Lesehinweis: Keine eindeutige Mehrheit für CSU-Politik – Spiegel online interpretiert das aber anders (stefan-fries.com)

5. 18 Wege, über die dich Facebook trackt und verfolgt
(basicthinking.de, Christian Erxleben)
Vielen ist bekannt, dass Facebook seine Nutzer trackt, analysiert und verfolgt. Wie ausgeklügelt Facebooks Tracking-Verhalten funktioniert, zeigt ein 225-seitiges PDF-Dokument mit Antworten an den US-Kongress. Danach gebe es 18 Methoden und Verhaltensweisen, über die das Netzwerk seine Nutzer ausspäht. Das reicht von technischen Daten, wie dem Batteriestand des Geräts und den installierten Plugins, bis hin zu Mausbewegungen und Einkäufen.

6. “Guten Tag, bin ich da in der Sportredaktion?”
(spiegel.de)
Als ZDF-Redakteurin Claudia Neumann im deutschen Fernsehen ein WM-Spiel kommentierte, gab es wütende Reaktionen in den sozialen Medien. Einige (männliche) Zuschauer können es anscheinend nicht ertragen, wenn eine Frau als Sportreporterin arbeitet. Das ZDF berichtete von “Hass, Häme und Beleidigungen”. Ein Einzelfall? “Spiegel Online” hat Sportjournalistinnen nach ihren Erfahrungen gefragt. Und die erzählen u.a. von Vorhaltungen, Vorurteilen und blöden Kommentaren.

7. Leserbrief an den FAZ-Herausgeber Holger Steltzner
(facebook.com, Lorenz Meyer)
Außerhalb der 6-vor-9-Zählweise, weil aus der Feder des Kurators: Ein Leserbrief an den “FAZ”-Herausgeber Holger Steltzner wegen dessen Behauptungen zur Asyl- und Flüchtlingspolitik. “Ich ärgere mich gerade über Ihren Beitrag, weil er verzerrt, mit Unwahrheiten operiert und das gesellschaftliche Klima vergiftet.”

“Bild” weiß kaum etwas und schreit “Asyl-Skandal” (2)

Bei “Bild” und Bild.de gibt es heute die nächste Runde Stimmungsmache. Während es gestern um Asylanträge von (angeblichen oder tatsächlichen) “Mördern, Drogenhändlern, Vergewaltigern und anderen Schwerverbrechern” ging, hat die Redaktion heute “die schlimmsten Drohungen beim Asyl-Amt” zusammengetragen:

Ausriss Bild-Titelseite - Terrorpläne, Mord, Christenhetze - Die schlimmsten Drohungen beim Asyl-Amt

Wie gestern gilt auch heute: Die “Bild”-Autoren haben keine Ahnung, was aus den Leuten geworden ist, die bei ihren Anhörungen im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge diese Drohungen von sich gegeben haben sollen; ob die Anträge abgelehnt oder angenommen wurden, ob diese Personen zurückgeschickt wurden oder bleiben durften. Nichts wissen sie darüber. Und dennoch schreien sie laut: “neuer Irrsinn im Flüchtlingsamt BAMF”.

Und sie stellen solche Behauptungen auf:

Es geht um Menschen, die sich selbst als ausgebildete Selbstmord-Attentäter, ISIS-Kämpfer und religiöse Fanatiker darstellen. Sie alle finden im Schutz des Asylrechts Zuflucht in Deutschland.

Für die Aussage, dass “sie alle”, diese selbsternannten Selbstmord-Attentäter, ISIS-Kämpfer und religiösen Fanatiker, “im Schutz des Asylrechts Zuflucht in Deutschland” finden, hat “Bild” keinen einzigen Beleg.

Im Gegenteil: In einem der sechs Fälle, die das “Bild”-Autorenteam heute im Blatt präsentiert, klingt es stark nach Ablehnung des Asylantrags:

Ausriss Bild-Zeitung - Aktenzeichen 6921XXX - Bombendrohung - Vorgestern nach meiner Anhörung (Minderjähriger, straffällig) hat mir die Dolmetscherin berichtet, der Antragssteller habe dreimal gesagt, dass er mir, der Entscheiderin, eine reinhauen will. Und dass er auch eine Bombe legen könnte. Meine Entscheidungstendenz geht dahin, dass er eine Vollablehnung bekommen wird.

Bei den anderen fünf Fällen ist die Faktenlage noch dünner:

BILD dokumentiert erneut skandalöse Fälle. Und wieder will das Flüchtlingsamt nicht sagen, was aus diesen Menschen wurde und wo sie bei uns leben.

Interessant: Für “Bild” ist es gar keine Frage mehr, ob diese Menschen noch in Deutschland sind, sondern wo. Dabei müsste erstmal das Ob geklärt werden.

Damit könnte man der Leserschaft aber natürlich nicht so viel Angst machen:

Auch in Deutschland könnte von vielen Asylbewerbern offenbar noch große Gefahr ausgehen. Das zeigen BAMF-Dokumente, die BILD vorliegen.

Die “BAMF-Dokumente, die BILD vorliegen” zeigen erstmal nur, dass sechs Personen Drohungen bei ihren Anhörungen ausgesprochen haben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Es kann durchaus sein, dass alle sechs längst nicht mehr in Deutschland sind.

Diskursvergifter, Auf Vivasehen!, Google befeuert Podcasts

1. “Echt guter Auftritt”
(zeit.de, Christopher Lauer)
Sind politische Talkshows ein Segen oder ein Fluch für die Demokratie? Muss man sie gar einstellen? Gegen die letzte Forderung wandte sich letzte Woche Sandra Maischberger in der “Zeit” und verteidigte, nicht ganz uneigennützig, das Format. Darauf antwortet nun Christopher Lauer, der Talkshows als Zuschauer, aber auch als Teilnehmer kennt. Lauer ruft zu einer Diskussion über die demokratische Kontrolle der Plauderrunden auf: “Einer solchen Debatte müssen sich auch die Macherinnen und Macher von Talkshows stellen. Es sei denn, um bei Sandra Maischberger zu bleiben, sie haben Angst vor Streit.”

2. Warum Googles neue App mehr ist als ein Podcast-Programm
(t-online.de, Marc Krüger)
Marc Krüger hat für “T-Online” aufgeschrieben, warum Googles neue Podcast-App eigentlich keine richtige App ist, sondern eine neue Strategie: “Google hat nicht nur eine neue App veröffentlicht, sondern eine neue Chance geschaffen, Podcasts und Audios im Internet zu finden. Damit wird die Dominanz von Text und Video vielleicht nicht beendet, aber es gibt eine neue Bühne für alle, die Podcasts hören, entdecken oder machen wollen. Dass Google dabei das Quasi-Monopol von Konkurrent Apple angreift, könnte ein willkommener Nebeneffekt sein.”

3. Wir sagen auf Vivasehen!
(faz.net)
25 Jahre nach seiner Gründung stellt der Musiksender Viva sein Programm ein: Zum Jahresende ist Schluss! Bei der “FAZ” verabschieden sich einige Redakteure und Redakteurinnen mit persönlichen Erinnerungen an den Musiksender. Und auch Anne Fromm von der “taz” erinnert mit einem persönlichen Nachruf an den Musiksender.
Weiterer Lesetipp: “Horizont” hat mit dem Viacom-Manager Mark Specht darüber gesprochen, warum und wie es ohne Viva weitergeht: Viacom stellt Viva ein (Juliane Paperlein)

4. 800 Millionen Twitter-Beiträge analysiert: Abends wirds emotional und impulsiv
(heise.de)
Forscher der Universität Bristol haben 800 Millionen Tweets mit insgesamt sieben Milliarden Worten ausgewertet und kategorisiert. Dabei sind ihnen zeitliche Zusammenhänge aufgefallen: So gehe es morgens rationaler und gesitteter und abends emotionaler und impulsiver zu.

5. Face­book und die Toten
(lto.de, Bastian Biermann)
Seit Jahren streitet eine Mutter mit Facebook um den Zugang zum Facebook-Account ihrer verstorbenen Tochter. Nun bahnt sich die Entscheidung an: Am 12. Juli spricht der BGH sein Urteil. Es geht dabei auch um den Konflikt zwischen Erbrecht und Telekommunikationsrecht. Der Autor und Jurist Bastian Biermann hat am Ende seiner Einordnung einen wichtigen Tipp parat: “Solange es nur bei der Rechtsprechung des BGH bleiben sollte und sich Provider ohne ausdrücklicher gesetzlicher Regelung weiterhin zur Herausgabe von Daten des Erblassers weigern sollten, ist es unvermeidbar, sich zu Lebzeiten zu überlegen, ob und wem die eigenen Daten — sowohl im Falle des Eintritts einer Geschäftsunfähigkeit als auch im Falle des Todes — zur Verfügung stehen sollen.”

6. Roseanne soll ohne Roseanne weitergehen
(sueddeutsche.de)
Roseanne soll ohne Roseanne weitergehen? Nicht ganz, aber der amerikanische TV-Sender ABC plant einen Spinoff, der sich um den Rest der fiktiven Familie Conner drehen soll. Die ehemalige Hauptdarstellerin habe dem Projekt unter Verzicht etwaiger finanzieller Ansprüche zugestimmt, um die Jobs der rund 200 Ensemble- und Crewmitglieder zu retten.

“Bild” weiß kaum etwas und schreit “Asyl-Skandal”

Auf der “Bild”-Titelseite herrscht heute wieder Alarmstufe Wut:

Ausriss Bild-Titelseite - Ich habe 40 Menschen umgebracht und will Asyl - Bild dokumentiert die skandalösesten Anträge beim BAMF

Genauso bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Asyl-Wahnsinn in Deutschland - Ich habe 40 Menschen ermordet und will Asyl

Dabei ist es wie so oft bei “Bild” und Bild.de: Die Redaktion verkauft die Geschichte mindestens fünf Nummern zu groß.

Schon auf dem Weg von der Schlagzeile auf Seite 1 bis zur Überschrift auf Seite 3 fällt sie ein gutes Stück in sich zusammen. Denn niemand bei “Bild” scheint zu wissen, welche Auswirkungen “die skandalösesten Anträge beim BAMF” überhaupt gehabt haben:

Ausriss Bild-Zeitung - Mörder, Vergewaltiger, Drogenhändler - Keiner will sagen, ob die noch bei uns sind

Sind die Leute, die hinter den zwölf von “Bild” dokumentierten Fällen stecken, aktuell noch in Deutschland? Wurden ihre Asylanträge angenommen? Wurden sie abgelehnt? Die Redaktion hat keine Ahnung, aber viel Lust auf Alarm.

Im Artikel steht:

BILD dokumentiert die schlimmsten Fälle. Und fragte: Sind diese Mörder und Vergewaltiger heute noch unter uns? Das wollte das Bundesamt gestern nicht aufklären.

Die lapidare Antwort eines Sprechers: “Grundsätzlich kann ich Ihnen aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Auskünfte zu Asyleinzelfällen erteilen.”

Die vier Autoren wissen also genau nichts über den Verbleib der Leute und beginnen ihren Text dennoch so:

Neuer, unfassbarer Asyl-Skandal: Mörder, Drogenhändler, Vergewaltiger und andere Schwerverbrecher finden im Schutz des Asylrechts in Deutschland Zuflucht!

Noch mal: Die vier Autoren wissen genau nichts darüber, ob die Asyl-Anträge der “Mörder, Drogenhändler, Vergewaltiger” angenommen oder abgelehnt wurden, und schreiben dennoch, dass diese “im Schutz des Asylrechts in Deutschland Zuflucht” gefunden hätten. Einen Beleg dafür liefern sie nicht.

Lediglich in einem der zwölf Fälle, die “Bild” aufführt, gibt es etwas genauere Informationen zum Verlauf des Asylantrags: Ein Russe, der im April 2011 nach Asyl gefragt haben soll, habe erzählt, dass er den Innenminister Dagestans getötet habe und deswegen verfolgt werde. Ein Verwaltungsgericht habe daraufhin verfügt, dass der Mann zwar kein Asyl bekommen, aber einen Schutz vor Abschiebung erhalten solle.

Die anderen elf Fälle sind ein ziemlich wildes Gemisch, für “Bild” aber irgendwie alle gleich skandalös: hier ein Mann, der als Gefängniswärter gefoltert habe, daneben einer, der als Kindersoldat Menschen getötet haben soll, dort jemand, der einen Mord androht, sollte er zurückgeschickt werden, mittendrin ein selbsternannter Massenmörder. Dass nicht sicher ist, ob es diese Taten tatsächlich gab oder nur für das Asylverfahren erfunden wurden, schreibt auch das Vierer-Autorenteam. Und in keinem Fall scheint klar, was aus den Leuten geworden ist. Und dennoch schreien die “Bild”-Medien: “ASYL-WAHNSINN”.

Dabei kann es sehr gut sein, dass einige der Personen oder alle nicht mehr in Deutschland sind. Das Asylgesetz lässt es zu, Verbrechern den Flüchtlingsstatus zu verweigern. In Paragraph 3, Absatz 2 steht:

Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1. ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,

2. vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder

3. den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.

Was ist also der “unfassbare Asyl-Skandal”? Dass mögliche “Mörder, Vergewaltiger, Drogenhändler” in Deutschland Asyl beantragen? Das Grundrecht auf Asyl, das im Grundgesetz festgeschrieben ist, beinhaltet auch, dass so gut wie jeder einen Antrag auf Asyl stellen kann. Plädiert “Bild” dafür, dieses Grundrecht abzuschaffen?

Das Stellen an sich kann also noch kein Skandal sein, egal wer da was stellt. Der entscheidende Punkt ist nicht, ob jemand Asyl fordert, sondern ob er oder sie es zugesprochen bekommt. Dazu gibt es von “Bild” keine Informationen.

Und dann ist da noch das Zitat auf Seite 1. Wir haben versucht herauszufinden, ob es dieses Zitat in dieser Form wirklich gibt, etwa in den Dokumenten, die “Bild” vorliegen sollen. Im Blatt taucht es nicht wieder auf. Es wirkt so, als hätte die Redaktion es sich aus einem der zwölf Fälle zusammengebastelt: Da gibt es einen Mann, der behauptet, er habe 40 Menschen umgebracht, und dieser Mann fordert Asyl in Deutschland — also macht “Bild” daraus das konkrete, empörende Zitat “Ich habe 40 Menschen umgebracht und will Asyl”. Wir haben bei einem der Autoren und beim “Bild”-Sprecher nachgefragt, ob diese Aussage jemals so gefallen ist. Bisher kam keine Antwort.

So eine Detailfrage interessiert die wütenden Kommentatoren in den sozialen Netzwerken natürlich überhaupt nicht. Und von denen hat die “Bild”-Redaktion mit ihrer dünnen Geschichte eine ganze Menge in Erregung versetzt:

Screenshot
Screenshot
Screenshot
Screenshot
Screenshot

Das war jetzt wahrlich nur ein sehr kleiner Ausschnitt aus der ganzen rechten Empörungsecke.

Nachtrag, 22. Juni: Es geht weiter mit der Stimmungsmache bei “Bild” und Bild.de.

Offene Grenzen oder Sozialstaat? Was Milton Friedman wirklich meinte

“Bild”-Chef Julian Reichelt hat sich am Dienstag in einer Art Leitartikel an eine große Frage gewagt:

Ausriss Bild-Zeitung - Autos, Fußball, Politik - Was ist in diesem Sommer nur mit Deutschland los?

Die “drei Säulen Deutschlands” seien: Autos, Fußball und Stabilität. Und nun das: Autobosse landen im Knast. Die deutsche Fußballnationalmannschaft wirke bei der Weltmeisterschaft in Russland “zu satt zum Gewinnen”. Und unsere Regierung …

Und unsere Regierung steht am Rande des Zusammenbruchs, weil man sich nicht einigen kann, wie wir die Grenzen sichern, die unseren weltweit einzigartigen Sozialstaat umgeben und beschützen sollen. Man könne nur eines haben, offene Grenzen oder Sozialstaat, hat der legendäre Ökonom Milton Friedman dazu gesagt. Beides zusammen sei auf Dauer unmöglich.

Ein Wirtschaftsnobelpreisträger (also: Friedman, nicht Reichelt), der uns vor die Wahl stellt: offene Grenzen oder Sozialstaat? Wer würde sich da schon für offene Grenzen und gegen “unseren weltweit einzigartigen Sozialstaat” entscheiden? Julian Reichelt wohl nicht. Ein anderer vermutlich aber schon: Milton Friedman.

Der Ökonom hat bei verschiedenen Gelegenheit über die angebliche Unvereinbarkeit von Sozialstaat und offenen Grenzen gesprochen; immer in leicht anderer Form (mal: “It’s just obviuos that you can’t have free immigration and a welfare state”, mal: “It is one thing to have free immigration to jobs. It is another thing to have free immigration to welfare. And you cannot have both.”), im Kern aber stets mit derselben Aussage. Das Zitat wird gern als Argument gegen offene Grenzen und gegen illegale Migration angeführt. Dabei war Friedman vor allem gegen eins: den Sozialstaat. In seinem Werk “Chancen, die ich meine” schrieb er, dass der “welfare state” einer der größten Feinde der Wirtschaft sei.

Illegale Migration hingegen könnte unter bestimmten Voraussetzungen für alle etwas Gutes haben, so Friedman. In einem Vortrag vor Studenten sagte er:

Why is it that free immigration was a good thing before 1914 and free immigration is a bad thing today? […] There’s a sense in which free immigration, in the same sense as we had it before 1914 is not possible today. Why not?

Because it is one thing to have free immigration to jobs. It is another thing to have free immigration to welfare. And you cannot have both. If you have a welfare state, if you have a state in which every resident is promised a certain minimal level of income, or a minimum level of subsistence, regardless of whether he works or not, produces it or not, then it really is an impossible thing. […]

Nobody would come unless he or his family thought he would do better here than he would elsewhere. And, the new immigrants provided additional resources, provided additional possibilities for the people already here. So everybody can mutually benefit. […]

Look, for example, at the obvious, immediate, practical case of illegal Mexican immigration. Now, that Mexican immigration over the border is a good thing. It’s a good thing for the illegal immigrants. It’s a good thing for the United States. It’s a good thing for the citizens of the country. But it’s only good so long as it’s illegal.

That’s an interesting paradox to think about. Make it legal and it’s no good. Why? Because as long as it’s illegal the people who come in do not qualify for welfare, they don’t qualify for social security, they don’t qualify for all the other myriads of benefits we pour out from our left pocket to our right pocket. So long as they don’t qualify they migrate to jobs. They take jobs that most residents of this country are unwilling to take. They provide employers with workers of a kind that they cannot get. They’re hard workers, they’re good workers, and they are clearly better off.

Für diesen ganzen Kontext war in “Bild” leider kein Platz.

Dunkle Mächte, Flüchtlingsforschung gegen Mythen, 78-Millionen-Klage

1. Die dunkle Macht, die beim „Stern“ Regie führt
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Das Titelbild der aktuellen Ausgabe des „Stern“ über das angeblich „zerrissene Land“ („Der Mordfall Susanna F. und das Ende von Merkels Flüchtlingspolitik“) hat in der vergangenen Woche viel Kritik ausgelöst. Stefan Niggemeier hat sich die dazugehörige Geschichte durchgelesen, und sagen wir es mal so: Das Ganze wird nicht unbedingt besser.

2. Flüchtlingsforschung gegen Mythen 6
(fluechtlingsforschung.net, Ulrike Krause)
Beim „Netzwerk Flüchtlingsforschung“ werden regelmäßig Behauptungen aus der Flüchtlingsdebatte auf den Prüfstand gestellt, ob Talkshow-Äußerungen, Tweets oder Stammtischparolen. Das Besondere an dieser Form des Faktenchecks: Es sind keine Journalisten, sondern Experten und Expertinnen aus der Wissenschaft, die dort Stellung beziehen. Auch in der sechsten Ausgabe kümmert sich das Wissenschaftlerteam unter der Redaktion von Prof. Dr. Ulrike Krause um typische Aussagen der letzten Zeit, wie der Forderung nach der Beendigung des „Asyltourismus“.

3. Mitarbeiter empören sich über Fox-Berichterstattung
(zeit.de)
Die tendenziöse Berichterstattung des Senders „Fox News“ über Donald Trump und seine Migrationspolitik stößt immer mehr Leute ab, darunter auch dem Sender eigentlich verbundene Personen. So verkündete „Modern Family”-Produzent Steve Levitan seinen Abschied. Auch der Schauspieler und Kreative Seth MacFarlane (u.a. Schöpfer der Zeichentrick-Serien “Family Guy”, “American Dad” und “The Cleveland Show”) ließ auf Twitter seiner Empörung freien Lauf: Er schäme sich, für das Unternehmen zu arbeiten.

4. “Lasst uns jeden Morgen vors Werkstor ziehen”
(kontextwochenzeitung.de, Josef-Otto Freudenreich)
Es gab einmal einen Betriebsrat, der den längsten Journalistenstreik der Nachkriegsgeschichte angeführt hat (96 Tage). Das war 2011 beim “Schwarzwälder Boten”. Der Mann heißt Thomas Ducks und war bis jetzt Betriebsrats-Vorsitzender der Medienholding Süd (u.a. „Süddeutsche Zeitung“). Doch nun schmeißt Ducks hin, weil er die “extreme seelische Belastung” nicht mehr erträgt.

5. Kläger fordert 78 Millionen Euro von “Süddeutscher Zeitung”
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers im Gespräch mit Sebastian Wellendorf)
Stolze 78 Millionen Euro Schadenersatz verlangt ein Unternehmer von der “Süddeutschen Zeitung”. Der Vorwurf: Ein Bericht der Zeitung habe dazu geführt, dass ein millionenschweres Geschäft geplatzt sei. Der Leiter der „SZ“-Wirtschaftsredaktion Marc Beise warnt vor “amerikanischen Verhältnissen”. Wenn in dieser Form solch ein ungeheurer Druck auf Medien aufgebaut würde, sei das der Anfang vom Ende der Pressefreiheit.

6. Versucht’s doch mal mit Mohammed – TITANIC-Sommerhit
(youtube.com)
Die Satirezeitschrift „Titanic“ bekommt aus einer bestimmten Richtung seit Jahrzehnten immer die gleichen Vorwürfe zu hören. Da es schade wäre, wenn nicht mehr Menschen davon erfahren würden, haben die „Titanic“-Popstars aus den beliebtesten Blasphemie-Stereotypen einen Song gebastelt.

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