Neues armes Deutschland, Sein Name: Yannic Hendricks, Netflix-Codes

1. So kann es nicht weitergehen
(spiegel.de, Sascha Lobo)
“Spiegel Online”-Kolumnist Sascha Lobo macht es wütend, auf welche Weise viele Medien über Themen wie Brexit, Donald Trump oder die AfD berichteten: “Der Aufstieg der autoritären Kräfte weltweit wäre ohne Medien nicht möglich gewesen, und zwar sowohl sozialer wie redaktioneller Medien. Die Verantwortung für eine weitere Stärkung der Rechten, Rechtsextremen, Autoritären liegt zum guten Teil bei ebendiesen Medien.” Diese tappten in immer die gleichen Fallen: False Balance, Agenda Cutting und strukturelle Verharmlosung.

2. Armes Deutschland
(taz.de, Anne Fromm)
Um die linke Tageszeitung “neues deutschland” steht es bereits seit vielen Jahren schlecht, doch jetzt scheint die Lage ernst wie nie zuvor. Anne Fromm nimmt sich in der “taz” Raum und Zeit, um etwas von der Geschichte und der komplizierte Struktur des “nd” zu erzählen und die aktuellen Schwierigkeiten zu erklären.

3. BuzzFeed News darf den Namen von Abtreibungsgegner Yannic Hendricks weiterhin nennen
(buzzfeed.com, Juliane Loeffler)
Das Landgericht Düsseldorf hat eine Klage des Abtreibungsgegners Yannic Hendricks gegen “BuzzFeed News Deutschland” zurückgewiesen. Das Internetportal hatte den Namen des Mannes genannt, der viele Ärztinnen und Ärzte angezeigt hat, die auf ihrer Website angeben, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Hendricks wollte anonym bleiben und ging mit einer Unterlassungserklärung gegen die Namensnennung vor. Nun wurde der Antrag abgelehnt. “BuzzFeed News” hat die gesamte Urteilsbegründung in den Beitrag eingebettet. Ob es zu einem Berufungsverfahren kommt, sei derzeit noch offen.

4. Facebook investiert 300 Millionen Dollar in Journalismus
(heise.de, Andreas Wilkens)
300 Millionen US-Dollar will Facebook in den kommenden drei Jahren in Nachrichtenprogramme, Partnerschaften und Inhalte investieren, “mit einem großen Schwerpunkt auf Lokalnachrichten”. Dazu werde man mit Nachrichtenorganisationen zusammenarbeiten und diese mit Produkt- und Technikteams vernetzen, um bereits in einer frühen Phase der Produktentwicklung “den Bedürfnissen der Menschen auf Facebook besser gerecht zu werden”. Schließlich wolle man Verleger “nicht von uns abhängig machen, sondern unterstützen”.

5. Islamismus-Experte auf Abwegen
(faktenfinder.tagesschau.de, Volker Siefert)
Hat der Frankfurter Journalist Shams Ul-Haq, wie von ihm behauptet, undercover in mehr als 100 Moscheen die Radikalisierung von Muslimen aufgedeckt? Der ARD-“Faktenfinder” ist skeptisch und verweist auf die Widersprüche, in die sich Shams Ul-Haq verstrickt habe.

6. Ich will doch nur einen Film sehen!
(faz.net, Julia Bähr)
Die “FAZ”-Redakteurin Julia Bähr spricht vielen Netflix-Zuschauern aus dem Herzen, wenn sie die Nutzerführung des Streamingportals als “katastrophal” bezeichnet. Doch sie hat ein Gegenmittel parat: Die im Internet kursierenden Listen, mit deren Hilfe man das System überlisten kann.

Bild.de bringt veraltetes Zeug in Umlauf

Achtung, Gefahr!

Screenshot Bild.de - Jugendliche in Gefahr - Schon ein paar Joints verändern das Gehirn

Cannabis ist eine der beliebtesten, illegalen Drogen in Deutschland. Oft verharmlost, ist sie viel gefährlicher, als die meisten denken.

… schrieb Bild.de gestern. Denn:

Schon ein oder zwei Joints verändern das Gehirn eines Jugendlichen merkbar, hat jetzt eine internationale Forschergruppe mit deutscher Beteiligung herausgefunden und ihre Ergebnisse im “Journal of Neuroscience” veröffentlicht.

Das “jetzt” ist an dieser Stelle recht großzügig ausgelegt: Die Studie, auf die sich Bild.de bezieht und die das Portal im Artikel verlinkt*, ist bereits am 28. Januar 2015 im “Journal of Neuroscience” erschienen — und damit geschmeidige vier Jahre alt. Noch interessanter aber ist die Überschrift, die die “internationale Forschergruppe mit deutscher Beteiligung” ihrer Untersuchung damals gab:

Screenshot der Überschrift der Studie - Daily marijuana use is not associated with brain morphometric measures in adolescents or adults

“Is Not Associated”.

Schon im “Abstract” steht:

No statistically significant differences were found between daily users and nonusers on volume or shape in the regions of interest. Effect sizes suggest that the failure to find differences was not due to a lack of statistical power, but rather was due to the lack of even a modest effect. In sum, the results indicate that, when carefully controlling for alcohol use, gender, age, and other variables, there is no association between marijuana use and standard volumetric or shape measurements of subcortical structures.

Das übersetzt Bild.de ins Gegenteil:

Die Wissenschaftler beobachteten bei 14-Jährigen, die nur ein- oder zweimal Cannabis konsumiert hatten, mithilfe eines modernen Bildgebungsverfahrens, der sogenannten Voxel-basierten Morphometrie, eine Zunahme der grauen Hirnsubstanz. Bedeutet: Ein Ungleichgewicht zwischen weißer und grauer Hirnsubstanz entsteht.

Dazu steht in der “Discussion” der Studie:

The lack of significant differences between marijuana users and control subjects in the present study is consistent with the observation that the mean effect size across previously published studies suggests no clear effect of marijuana on gray matter volumes.

Bei Twitter haben einige User die “Bild”-Redaktion auf den Fehler hingewiesen. Die juckt das aber ganz offensichtlich nicht.

Mit Dank an @Goettergattin42 für den Hinweis!

*Nachtrag, 19:13 Uhr: Bei FAZ.net ist ein Artikel zum selben Thema mit recht ähnlicher Überschrift erschienen. Im Gegensatz zu Bild.de verlinkt Autor Joachim Müller-Jung dort auf eine aktuelle Studie aus dem “Journal of Neuroscience” (erschienen am 14. Januar 2019). Es gibt die aktuellen Erkenntnisse, von denen Bild.de berichtet, also tatsächlich. Allerdings nennt und verlinkt die Bild.de-Redaktion die falsche, veraltete Studie.

Wir haben daher unsere Überschrift von “Bild.de bringt falsches Zeug in Umlauf” in “Bild.de bringt veraltetes Zeug in Umlauf” geändert.

Einer schrieb über die Sexualität

Zum Film “Einer flog über das Kuckucksnest” soll es bei Netflix bald ein Pre­quel geben, also eine Fortsetzung, die zeitlich allerdings vor den Ereignissen des Films spielt. Nun ist die Besetzung dafür bekannt gegeben worden, und Bild.de schreibt dazu:

Screenshot Bild.de - Vorgeschichte zum Kultfilm - Mega-Besetzung für neue Netflix-Serie

Und wer ist so alles dabei?

Auch die heterosexuelle Judy Davis (63, “Feud”), der heterosexuelle Finn Wittrock (34, “American Horror Story”) , die heterosexuelle Amanda Plummer (61, “Pulp Fiction”) und der heterosexuelle Corey Stoll (42, “House of Cards”) stehen für die neue Netflix-Serie vor der Kamera.

Ja, gut, so steht das nicht bei Bild.de. Die merkwürdigen, unerheblichen Zusätze zur Sexualität der Schauspielerinnen und Schauspieler haben wir eingefügt. Am folgenden Absatz aber haben wir nicht herumgedoktert — der steht eins zu eins so im Artikel von Bild.de-Autor Roman Scheck:

Mit dabei sind Stars, die so manchen Fan begeistern dürften: Die offen lesbische Schauspielerin Cynthia Nixon (52, “Sex and the City”), die bekennende bisexuelle Kult-Schauspielerin Sharon Stone (60, “Basic Instinct”) und der offen schwule Schauspieler Charlie Carver (30, “Desperate Housewives”).

Mal abgesehen davon, dass das alles völlig unwichtig ist: Die sind also nicht nur lesbisch, bisexuell und schwul, sondern das auch noch “offen”, “bekennend” und “offen”.

Mit Dank an @WayneSchlegel_ für den Hinweis!

Nachtrag, 15:36 Uhr: “Bild”-Redakteur Timo Lokoschat weist bei Twitter darauf hin, dass der Artikel “im LGBT-Bereich von Bild.de” erschienen ist. So ganz verstehen wir aber nicht, warum aufgrund der Sexualität einiger beteiligter Schauspielerinnen und Schauspieler über die neue Serie im LGBT-Bereich berichtet wird (und warum deshalb die Sexualität eine solche Rolle spielt, dass sie genannt werden muss). Inhaltlich hat “Einer flog über das Kuckucksnest” nichts mit LGBT zu tun.

Das Wort “bekennend” findet auch Lokoschat unangebracht.

Ende der Drohbriefe, AfD-Maier muss zahlen, Reporter gegen die Mafia

1. Keine Drohbriefe mehr
(faz.net, Constantin von Lijnden)
Medienrechtsanwälte haben eine pfiffige Strategie entwickelt, um ihre prominenten Mandanten vor Erwähnungen in der Presse zu schützen: Vorauseilende Drohbriefe, die sie euphemistisch als “presserechtliche Informationsschreiben” bezeichnen. Allein bei der “FAZ” seien von der bekannten Medienrechtskanzlei Schertz Bergmann zwischen Ende 2012 und Mitte 2016 mehrere Dutzend solcher Schreiben eingegangen, ungefragt und zuletzt ausdrücklich unerwünscht. Die “FAZ” hat sich gegen diese Praxis juristisch gewehrt — bis zum Bundesgerichtshof (BGH), der die “Informationsschreiben” grundsätzlich für zulässig hält. Anders sieht es der BGH, wenn ein solches Schreiben “keine Informationen enthält, die dem Presseunternehmen die Beurteilung erlauben, ob Persönlichkeitsrechte durch eine etwaige Berichterstattung verletzt werden.” Das Faxen derartiger Schreiben ist mit dem Urteil des BGH nun untersagt.

2. AfD-Rechtsaußen muss Noah Becker Schmerzensgeld zahlen
(spiegel.de, Ansgar Siemens)
Vor einem Jahr erschien auf dem Twitter-Profil des AfD-Bundestagsabgeordneten Jens Maier ein Tweet, in dem der Künstler Noah Becker wegen dessen dunkler Hautfarbe rassistisch beleidigt wurde. Maier, selbst gelernter Richter, gab sich unschuldig: Ein Mitarbeiter habe den Tweet ohne Absprache veröffentlicht, was der Mitarbeiter auch offiziell zugab. Becker verklagte den AfD-Politiker daraufhin auf 15.000 Euro Schmerzensgeld. Sein vorheriges Angebot, 7.500 Euro an eine karitative Organisation zu spenden und den Streit damit zu beenden, hatte Maier abgelehnt. Nun hat das Landgericht Berlin Becker Recht gegeben und Maier zur Zahlung der vollen 15.000 Euro plus Zinsen verurteilt.

3. Re: Der Tod im Auge – Reporter gegen die Mafia
(arte.tv, Chiara Sambuchi, Video: 30 Minuten)
Wer in Italien über die Mafia berichtet, muss sehr mutig sein und setzt unter Umständen sein Leben aufs Spiel. Die Arte-Reportage “Re: Der Tod im Auge” begleitet den unter permanenter Bewachung stehenden Journalisten Paolo Borrometi bei dessen Arbeit für den Fernsehsender TV2000, bei dem er mit Staatsanwälten, Richtern und Kronzeugen Interviews über die Mafia führt.

4. „Politik setzt gezielt auf Framing“
(fr.de, Ruth Herberg)
Die “Frankfurter Rundschau” hat sich mit den beiden “Floskelwolke”-Betreibern Sebastian Pertsch und Udo Stiehl über Wortmacht, Medienkompetenz und politisches Framing unterhalten.

5. Hoher Anspruch, rote Zahlen
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz, Audio: 5:32 Minuten)
Unglaubliche 3,5 Millionen Franken sammelten der Journalist Constantin Seibt und seine Kollegen an Spendengeldern ein, um vor etwa einem Jahr mit dem Schweizer Online-Magazin “Republik” starten zu können. Die Medienjournalistin Brigitte Baetz gibt dem Startup durchwegs gute Noten. Allein finanziell laufe es nicht so gut: Laut Geschäftsbericht sei das Online-Magazin im ersten Jahr auf ein Minus von rund 2,5 Millionen Euro gekommen.

6. Wann Ihr einen Blogbeitrag als Werbung kennzeichnen müsst
(fitfuerjournalismus.de, Bettina Blaß)
Viele Youtuber, Instagrammer, Facebooker und Blogger sind verunsichert, ob sie ihre Beiträge als Werbung kennzeichnen müssen, wenn sie dort zum Beispiel mit Markenware zu sehen sind oder ein Produkt empfehlen. Zum Glück gibt es die Kennzeichnungsmatrix der Landesmedienanstalten und Bettina Blaß, die Licht ins Kennzeichnungsdunkel bringen.

Bild  

Heiligabend im Wandel der Zeit

2003, Heiligabend unter Kai Diekmann:

Ausriss Bild-Titelseite - Heute nur gute Nachrichten!

2005, Heiligabend unter Kai Diekmann:

Ausriss Bild-Titelseite - Heute nur gute Nachrichten

2008, Heiligabend unter Kai Diekmann:

Ausriss Bild-Titelseite - Bild schenkt Ihnen nur gute Nachrichten!

2009, Heiligabend unter Kai Diekmann:

Ausriss Bild-Titelseite - Heute gibt es nur gute Nachrichten

2011, Heiligabend unter Kai Diekmann:

Ausriss Bild-Titelseite - Heute gibt es nur gute Nachrichten

2012, Heiligabend unter Kai Diekmann:

Ausriss Bild-Titelseite - Heute nur gute Nachrichten

2015, Heiligabend unter Kai Diekmann:

Ausriss Bild-Titelseite - Heute nur gute Nachrichten

2018, Heiligabend unter Julian Reichelt:

Ausriss Bild-Titelseite - Vorwurf versuchter Totschlag - DSDS-Star prügelt Fan in Klinik

Identitäre Plakate, Erfolgsfaktor Niveaumangel, Marktplatz Instagram

1. taz-Mitarbeiterin bei Aktion von Identitären angegriffen
(blogs.taz.de)
Die rechtsgerichtete “Identitäre Bewegung” hat gestern Aktionen bei unterschiedlichen Redaktionen und Organisationen in verschiedenen Städten Deutschlands durchgeführt, unter anderem bei der “Frankfurter Rundschau”, am ARD-Hauptstadtstudio und bei den Grünen. Auch das “taz”-Verlagsgebäude war Ziel der Aktion. Als eine Gruppe von etwa sechs Personen der “Identitären Bewegung” mit Pflastersteinen, Plakaten und Flugblättern anrückte, kam es zu Tätlichkeiten gegen eine couragierte “taz”-Mitarbeiterin.

2. Wenn Männer über Männer schreiben
(deutschlandfunk.de, Anne Baier)
Beim Medienforum des Journalistinnenbundes wurde auch nach Abschluss der Veranstaltung fleißig weiterdiskutiert. Dabei ging es vorwiegend um das Ungleichgewicht der Geschlechter im Politikjournalismus, Denkfallen, typische Stereotype und Rollenzuschreibungen sowie das sich daraus entwickelnde Framing.

3. Journalisten im Visier
(djv.de, Hendrik Zörner)
Hendrik Zörner kommentiert die Wut der französischen Gelbwesten gegen Journalistinnen und Journalisten, die angeblich nicht im Sinne der Protestbewegung berichten würden: “Ach, wirklich? Französische Zeitungen und Rundfunksender als verlängerter Arm von Emmanuel Macron? Wahrscheinlicher dürfte sein, dass im Zuge der Radikalisierung der Gelbwesten jegliches Verständnis für Ausgewogenheit in den Medien auf der Strecke geblieben ist. In Deutschland kennen wir das von Pegida.”

4. Die Kommentare sind tot, lang leben eure inhaltlichen Ergänzungen!
(netzpolitik.org)
netzpolitik.org steht vor einem Problem, vor dem auch viele Nachrichtenseiten stehen: Wie der wachsenden Zahl von beleidigenden und unsachlichen Kommentaren Herr werden? Mit gewaltigem Aufwand moderieren oder den Kommentarbereich ganz abschalten? Man hat sich für einen Mittelweg entschieden: In Zukunft werden nur noch Anmerkungen, Fragen, Korrekturen und inhaltliche Ergänzungen zu den Artikeln stehen gelassen.

5. Blaulicht, Flutlicht, Rotlicht: Mit Niveaumangel zum Online-Spitzenplatz
(journalismus.online, Hektor Haarkötter)
Der Online-Chef der Münchner Tageszeitungen “tz” und “Merkur” hat Grund zum Feiern: Die Zugriffszahlen steigen beständig. Wenig feierlich ist jedoch die Methode, die auf Niveaumangel und Stillosigkeit beruht. Hektor Haarkötter hat einige typische Clickbaiting-Beispiele herausgesucht, bei denen man sich fragt, wie diese Masche immer noch so gut ziehen kann.

6. Wie sich Instagram zum Marktplatz wandelt – und wer schon jetzt auf der Plattform verkauft
(omr.com, Roland Eisenbrand)
Viele sehen in Instagram nur die Bilder-Abwurfhalde der Generation Selfie, doch die Plattform wird zunehmend für Verkaufszwecke genutzt. Instagram könnte sich gar zur echten Handelsplattform entwickeln. Roland Eisenbrand in seiner spannenden Analyse: “Weil die Plattform durch ihren visuellen Charakter deutlich produktfixierter ist als Facebook selbst, ist es durchaus vorstellbar, dass eine Erweiterung um einen Marktplatz von Erfolg gekrönt sein könnte. Facebook würde mit diesem Schritt eine komplett neue Erlösquelle erschließen. Als potenzieller “Man in the Middle” bei allen Käufen könnte das Unternehmen dann nicht nur wie bisher durch Werbeeinnahmen einen Anteil am gesamten Business, dass über die Plattform läuft, für sich abzuzwacken, sondern auch durch Provisionen.”

Das “meistzitierte Medium Deutschlands” zitiert nicht

Bescheidenheit ist nicht gerade die Sache der “Bild”-Redaktion. Am vergangenen Montag schlagzeilte sie auf der eigenen Titelseite:

Ausriss Bild-Titelseite - Bild ist das meistzitierte Medium Deutschlands!

Das Korkenknallen ging im Text weiter:

Es ist die härteste Währung im politischen Journalismus: mit Exklusiv-Nachrichten von der Konkurrenz zitiert zu werden. Niemandem gelang dies 2018 so häufig wie BILD.

1203-mal wurde BILD laut des angesehenen Zitate-Rankings von “Media Tenor” im vergangenen Jahr mit Nachrichten, Berichten, Interviews etc. von anderen Medien zitiert. Eine klare Meinungsführerschaft: vor “Spiegel” (1098), “New York Times” (907) und BILD am SONNTAG (895 Zitate). “Süddeutsche Zeitung” und “Handelsblatt” belegten die Plätze 5 und 6.

In der “taz” wies Steffen Grimberg darauf hin, dass es “schon mehr als etwas verräterisch” sei, “wenn man die Quelle des Freudentaumels selbst mit Attributen wie ‘angesehen’ aufpeppen muss. Denn bei Media Tenor handelt es sich um einen Laden, der mit der Kneifzange anzufassen ist.” Aber das nur nebenbei.

Schauen wir doch mal, wie “Bild” und Bild.de selbst so mit dem Zitieren umgehen. Am Dienstag, da war der “Bild”-Jubel in eigener Sache gerade mal einen Tag alt, erschien dieser Artikel:

Screenshot Bild.de - Facebook-Fotos entlarvten ihn als Betrüger - Motz-Urlauber muss TUI 22000 Euro zahlen

Ein Brite forderte von TUI Schadensersatz, da er bei seinem Urlaub auf den Kapverdischen Inseln wegen der vermeintlich mangelnden Hygiene und des vermeintlich schlechten Essens vermeintlich krank geworden sei. Allerdings zeigten Facebook-Posts des Mannes, was für eine gute Zeit er in dem Fünf-Sterne-Hotel hatte und wie begeistert er vom angebotenen Essen war. TUI ging gegen ihn wegen Betrugs vor, der Mann soll dem Reiseveranstalter nun 20.000 Pfund zahlen.

Mirror.co.uk hatte die Geschichte exklusiv. Doch von dieser Quelle ist bei Bild.de, wo sie so stolz aufs Zitiertwerden sind, kein Wort zu lesen (anders als zum Beispiel bei “Focus Online”). Zugegeben, die Story vom betrügenden Briten ist kein politischer Journalismus. Aber nur weil die Politik fehlt, wird “die härteste Währung” doch nicht dramatisch an Wert verlieren.

Autorin des Bild.de-Artikels ist Silke Hümmer, die bereits im vergangenen September im BILDblog auftauchte, nachdem sie, ohne Nennung der Quelle, bei einem anderen Portal abgeschrieben hatte.

Mit Dank an anonym für den Hinweis!

Ziemlich billig, Bild.de

Bild.de gestern auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - Brasilien, Schweden, Sri Lanka - Billig reisen dank Wechselkurs - dazu ein Foto, das zwei Frauen, vermutlich brasilianische Samba-Tänzerinnen, von hinten zeigt

Wie, wenn nicht mit zwei Frauen-Hintern, sollte man das Thema “Billig reisen dank Wechselkurs” auch sonst bebildern?

Kretzschmar-Diskussion, Klassik-Pop-et cetera, Identitäre Vollpfosten

1. Warum die Diskussion, ob Stefan Kretzschmar plötzlich rechts ist, nur der AfD hilft
(bento.de, Jan Petter)
Auf Twitter und Facebook sorgt ein isolierter Interviewausschnitt mit dem Ex-Handballer Stefan Kretzschmar für viel Kritik und wird besonders in rechten Kreisen gerne und oft geteilt. Jan Petter stellt dazu fest: “Kretzschmar beklagt nicht, dass man für rechte Parolen Gegenwind erhalte, so wie es manche Kritiker nun weismachen wollen. Sondern nur, dass es polarisierende Meinungen heute schwerer hätten und es bequem geworden sei, einfach unpolitisch zu bleiben.”

2. Gute Zuwanderer, schlechte Zuwanderung: So unausgewogen waren die Flüchtlings-Berichte
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
War die Berichterstattung der Medien über die “Flüchtlingskrise” so einseitig und irreführend, wie ein größerer Teil der Bevölkerung meint? Eine Inhaltsanalyse räumt mit einigen Vorurteilen auf und zeigt: Es ist komplizierter. Und schon gar nicht stimme es, so Stefan Niggemeier, dass die Berichte von “Bild” über das Thema “ausgewogen” waren, wie das Blatt heute stolz auf Seite 1 behauptet.

3. “Die digitale Viertelstunde” mit Martin Fuchs
(lead-digital.de, Christian Jakubetz, Audio: 17:13 Minuten)
Christian Jakubetz hat sich in der “digitalen Viertelstunde” mit dem Politikberater Martin Fuchs über den Rückzug des Grünen-Politikers Robert Habeck aus den sozialen Medien unterhalten. Fuchs kann Habeck zwar verstehen, wäre aber dennoch zu einer anderen Entscheidung gekommen.

4. «Am liebsten würde ich ein Porträt von Erwin Koch oder Margrit Sprecher über Relotius lesen.»
(medienwoche.ch, Nick Lüthi)
Daniel Puntas Bernet ist der Chefredakteur des Magazins “Reportagen”, bei dem Claas Relotius als “Hausautor” geschrieben hat. Im Interview mit der “Medienwoche” spricht Bernet über seinen ersten Kontakt mit Relotius, seinen Zweifeln und seiner Einschätzung der Person Relotius: “Ich habe das Gefühl, dass er in Wirklichkeit ein scheuer Typ ist und gar kein klassischer Reporter. Ein Reporter muss neugierig sein, muss frech sein, muss vorwärts gehen, muss Menschen anreden können, auf sie zu- und eingehen wollen und sie auch mal fair kritisieren. Auch muss er seine These über den Haufen werfen können und in eine neue Richtung recherchieren, wenn es mal nicht läuft. Diese Grundelemente der Reporter-DNA fehlen Relotius offensichtlich. Ihm scheint es an Empathie zu fehlen, mit Menschen in Verbindung zu treten und wirklich etwas aus ihnen herauszuholen. Deshalb, so meine Vermutung, begann er zu erfinden.”

5. Vollpfosten sind Vollpfosten
(taz.de, Christian Rath)
Eine Facebook-Nutzerin hatte das Verhalten der Identitären Bewegung mit “Vollpfosten sind Vollpfosten und basta” kommentiert und war dafür vom Netzwerk für 30 Tage gesperrt worden. Zu Unrecht, wie nun das Amtsgericht Tübingen entschieden hat.

6. Für dieses Programm lohnt sich jeder Gebührencent
(welt.de, Timo Feldhaus)
Timo Feldhaus hat ein Loblied auf “Klassik-Pop-et cetera” (“Deutschlandfunk”) verfasst. In der seiner Meinung nach schönsten Radiosendung der Welt stellen die unterschiedlichsten Personen eine Stunde lang ihre Lieblingsmusik vor. Ganz altmodisch und frei von jeden Algorithmen: “Die Musik kommt uns entgegen, gerade nicht, weil ich vorher diese und jene Musik gehört habe, gerade nicht aufgrund eines genialen technischen Codes, gerade nicht, weil ich vorher irgendetwas getan habe, aufgrund dessen mich ein System erkannt und kategorisiert hat — sondern weil es Lieder sind, die einem anderen Menschen übrig geblieben sind.”

Bringt Julian Reichelt Fußball-Manager-Familien in Gefahr?

Julian Reichelt will ja bekanntermaßen nicht, dass man sein Gehalt öffentlich schätzt. Das könne schließlich seine Familie in Gefahr bringen, so der “Bild”-Chef. Aber was laut Julian Reichelt für Julian Reichelt gilt, gilt bei “Bild” längst nicht für alle Menschen.

Screenshot Bild.de - Top-Verdiener kommt nicht aus Bayern - Die Manager-Gehälter der Bundesliga

Reichelts Redaktion kündigt in ihrer Überschrift an: “Das kassieren die Manager der 18 Bundesliga-Klubs”. Im Artikel folgen recht konkrete Angaben zu den Gehältern von Michael Zorc (BVB), Jörg Schmadtke (VfL Wolfsburg), Ralf Rangnick (RB Leipzig), Hasan Salihamidzic (FC Bayern München), Christian Heidel (FC Schalke 04), Rudi Völler (Bayer 04 Leverkusen), Horst Heldt (Hannover 96), Max Eberl (Borussia Mönchengladbach), Frank Baumann (Werder Bremen), Fredi Bobic (Eintracht Frankfurt), Stefan Reuter (FC Augsburg), Michael Preetz (Hertha BSC), Rouven Schröder (Mainz 05), Alexander Rosen (TSG Hoffenheim), Michael Reschke (VfB Stuttgart), Andreas Bornemann (1. FC Nürnberg), Jochen Saier (SC Freiburg) sowie Lutz Pfannenstiel (Fortuna Düsseldorf).

Spricht man Julian Reichelt auf die Diskrepanz zwischen dem, was er für sich selbst beansprucht, und seinem Handeln an, antwortet er, dass die Bundeskanzlerin zum Beispiel “eine Angestellte der Menschen in diesem Staat” ist, und es daher selbstverständlich sei, dass ihr Gehalt öffentlich ist:

In der Privatwirtschaft ist das eben nicht so, weil da kein zwingendes öffentliches Interesse besteht. Denn die Öffentlichkeit bezahlt mein Gehalt ja nicht.

Dass die Öffentlichkeit auch nicht das Gehalt von Michael Zorc, Jörg Schmadtke und all den anderen oben Genannten zahlt, muss Reichelt übersehen haben.

Und wer will am In-Gefahr-bringen-von-Fußball-Manager-Familien auch noch etwas verdienen? Julian Reichelts Bild.de — es handelt sich schließlich um einen “Bild plus”-Artikel.

Wen Julian Reichelt nach Julian-Reichelt-Logik sonst noch in Gefahr gebracht haben könnte:

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