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“Spiegel”-Gate(s), Namen nennen?, Die Asche des Großvaters

1. Name des Beschuldigten tausendfach bei Twitter
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz & Annika Schneider, Audio: 5:32 Minuten)
Vor Silvester soll ein betrunkener Kölner Lokalpolitiker nach einem kurzen Streit auf einen 20-Jährigen geschossen haben. In der Berichterstattung zum Fall hätten die meisten Medien darauf verzichtet, den Namen des Beschuldigten zu nennen. Auf Twitter habe dessen Name zeitweise jedoch auf Platz 1 der am häufigsten verwendeten Hashtags gestanden. Helmut Frangenberg vom “Kölner Stadtanzeiger” sagt im Gespräch mit Brigite Baetz, dass er eine Namensnennung aus journalistischer Sicht nicht für wichtig halte. Die rechtliche Bewertung könne sich bei neuen Erkenntnissen jedoch ändern. Und das hat sie offensichtlich prompt getan: Wie der Deutschlandfunk in einem Update hinzufügt, habe sich der “Kölner Stadtanzeiger” nun entschieden, den Namen des Verdächtigen doch zu nennen.

2. Spiegel-Gate(s)
(mmm.verdi.de, Oliver Neß)
Oliver Neß berichtet von einer möglichen Befangenheit des “Spiegel” in Sachen Atomkraftberichterstattung: Der Software-Milliardär und Nuklearinvestor Bill Gates habe den “Spiegel” mit einer millionenschweren Zuwendung bedacht. In zeitlichem Zusammenhang seien auffällig atompositive Berichte wie zuletzt der Titel “Atomkraft? Ja bitte” (Ausgabe 51/2019) erschienen.
Nachtrag, 13. Januar: Laut “Süddeutsche” halte der “Spiegel” die Vorwürfe für “absurd”: Magazin erklärt Details zur Kooperation.

3. “Ich bin sicherlich nicht der übliche Sportfan”
(sueddeutsche.de, Christopher Gerards)
Der ARD-Sportreporter Hajo Seppelt ist mit seinen investigativen Reportagen bekannt geworden. So deckte er beispielsweise das russsische Staatsdoping auf. Im Interview mit der “Süddeutschen Zeitung” kritisiert Seppelt den organisierten Sport in seiner derzeitigen Ausprägung: “Der organisierte Sport ist aus meiner Sicht anachronistisch aufgestellt. Er wird teils aus öffentlichen Kassen subventioniert, pocht aber immer auf seine Autonomie und lässt sich ungern in die Karten schauen. Es sind mitunter feudale Strukturen. Man denke allein ans Internationale Olympische Komitee, wo ja nach wie vor ein großer Teil der Mitglieder ernannt wird wie damals am Hofe und man sich die Frage stellt: Ist das zeitgemäß, sind das demokratische Strukturen, wie wir sie heutzutage für selbstverständlich halten? Zudem hat sich gezeigt: Die oft zitierten Selbstreinigungskräfte des Sports — gerade in Sachen Doping und Korruption — sind eine Illusion.”

4. Die Asche meines Großvaters
(juedische-allgemeine.de, Eliyah Havemann)
Als der in Israel lebende Eliyah Havemann davon hört, dass das Zentrum für Politische Schönheit angeblich Asche von Holocaustopfern in einem Mahnmal vor dem Reichstagsgebäude ausstellt, ist seine erste Reaktion eine Mischung aus Ekel und tiefer Betroffenheit: “Mir war natürlich klar, dass rein mathematisch die Wahrscheinlichkeit dafür gegen null geht, aber sie war da: Darin könnte auch die Asche meines Großvaters Dagobert Biermann enthalten sein.” Havemann beschließt, dem Fall nachzugehen und nach Berlin zu reisen. Wieder in Israel fasst er seine Rechercheergebnisse und Gedanken zusammen: “Dieses ‘Kunstwerk’ ist offenbar nicht reparabel. Es hat die Schoa missbraucht, die Totenruhe verletzt, sein politisches Ziel verfehlt, und es ist künstlerisch wertlos. Es muss weg.”

5. Viktor Orban und die Auslandspresse
(ard-wien.de, Christian Limpert)
Christian Limpert ist seit dem 1. August 2019 Auslandskorrespondent im ARD-Studio Wien/Südosteuropa. Damit fällt auch der ungarische Regierungschef Viktor Orbán in seinen Zuständigkeitsbereich. Doch einen Termin bei Orbán zu bekommen, sei schwer bis unmöglich. Und auch bei offiziellen Presseterminen müssten die Fragen vorher eingereicht werden. Limpert berichtet, wie es auf einem derartigen Pressetermin zugeht und zu welchen Themen sich Ungarns Ministerpräsident zuletzt geäußert hat.

6. “Als Mitglied des Königshauses darf man sich nicht die Rosinen herauspicken”
(spiegel.de, Julia Smirnova)
Der “Spiegel” hat sich mit dem früheren BBC-“Royal Correspondent” Michael Cole über Prinz Harrys und Herzogin Meghans Rückzug von ihren royalen Pflichten unterhalten. Im Interview äußert Cole sein Unverständnis über diesen Schritt. Beim Lesen seiner Antworten könnte man gar den Eindruck bekommen, dass Cole der Ansicht sei, Medien und Öffentlichkeit hätten ein allumfassendes Anrecht auf das Paar — was den Entschluss von Meghan und Harry nochmal verständlicher macht.

Nein, Fridays for Future hat sich nicht zu Brandanschlägen bekannt

Mal rein hypothetisch: Wenn eine Gruppe von Aktivisten einen Brandanschlag beginge und sich anschließend in einem angeblichen Bekennerschreiben auf Texte aus dem “Cicero” beriefe, dann wäre es ja irgendwas zwischen völlig verzerrend und diffamierend, sowas zu schreiben wie: Die “Cicero”-Redaktion hat sich gerade zu Brandanschlägen bekannt.

Nun.

Bei Cicero.de schreibt Antje Hildebrandt heute in einem Artikel über Greta Thunberg und deren Rede beim UN-Klimagipfel:

Aktivisten von Fridays for Future wollen jetzt Flughäfen blockieren, um Bürger daran zu hindern, von A nach B zu gelangen. Sie haben sich gerade zu Brandanschlägen auf die S-Bahn in Berlin bekannt und damit den öffentlichen Naheverkehr lahmgelegt.

Tatsächlich brannte es gestern in den frühen Morgenstunden in Kabelschächten der Berliner S-Bahn. Der S-Bahn-Verkehr kam im Osten der Hauptstadt zeitweise zum Erliegen. Noch am selben Tag bekannte sich die offenbar militant-autonome “Vulkangruppe Ok” auf der Onlineplattform “Indymedia” zu dem Anschlag (wobei Bekennerschreiben bei “Indymedia” immer mit Vorsicht zu genießen sind). Dabei verweist sie auf den Generalstreik von Fridays for Future:

Unmissverständlich hat “Fridays for Future” zu einem Generalstreik aufgerufen. (…)

Zu einem richtigen Generalstreik gehören auch Blockaden und feurige Sabotageaktionen.

Das wäre dann auch schon die ganze Verbindung zwischen Vulkangruppe Ok und Fridays for Future. Dass Gruppe A, die vermutlich für den Brandanschlag verantwortlich ist, nicht mehr mit Gruppe B zu tun hat, als dass sie sich auf deren Generalstreik bezogen hat, und dass man zu diesem Zeitpunkt noch gar keine gesicherten Erkenntnisse hat, wer tatsächlich hinter dem Anschlag steckt — das kümmert die “Cicero”-Redaktion offensichtlich nicht.

Sie hat in der oben zitierten Passage auch einen “Tagesspiegel”-Artikel verlinkt, quasi als Beleg. Doch auch darin steht direkt im ersten Absatz:

Militante Linksextremisten versuchen offenbar, die Fridays-for-Future-Bewegung zu instrumentalisieren. Am Montag bekannte sich die “Vulkangruppe Ok” auf der linksextremen Internetplattform “indymedia.org” zum Brandanschlag auf die Berliner S-Bahn.

Wenn Antje Hildebrandt einfach behauptet, die “Aktivisten von Fridays for Future” hätten “sich gerade zu Brandanschlägen auf die S-Bahn in Berlin bekannt”, dann schiebt sie der Bewegung einen Extremismus unter, den derzeit manch einer dort vielleicht gern finden möchte, der dort aber nicht existiert. Greta Thunberg würde bei so einer Form von Diskreditierung wohl nur schnauben: “How dare you?”

Die “Cicero”-Redaktion hat den Beitrag inzwischen hinter die Paywall gestellt und, ohne irgendeinen Hinweis, eine wesentliche Einschränkung in den Artikel geschummelt:

Aktivisten von Fridays for Future (FFF) wollen jetzt Flughäfen blockieren, um Bürger daran zu hindern, von A nach B zu gelangen. Sie haben sich gerade zu Brandanschlägen auf die S-Bahn in Berlin bekannt und damit den öffentlichen Naheverkehr lahmgelegt. Oder Trittbrettfahrer, die sich auf FF beziehen.

Ja, nun, tüdelü, dann waren es halt doch vielleicht nur “Trittbrettfahrer”. Aber wen interessieren schon solche Details?

Gesehen bei @abususu.

Nachtrag, 18:11 Uhr: Die “Cicero”-Redaktion hat auf unsere Kritik reagiert, die entscheidende Stelle noch einmal überarbeitet …

Aktivisten von Fridays for Future (FFF) wollen jetzt Flughäfen blockieren, um Bürger daran zu hindern, von A nach B zu gelangen. Linksextreme, die sich “Vulkangruppe Ok” nennen und sich auf den Generalstreik von Fridays for Future beziehen, haben sich gerade zu Brandanschlägen auf die S-Bahn in Berlin bekannt und damit vorübergehend den öffentlichen Naheverkehr lahmgelegt.

… und am Ende des Artikels nun diesen Hinweis veröffentlicht:

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes war davon die Rede, die Bewegung “Fridays for Future” habe sich zu einem Brandanschlag auf die Berliner S-Bahn bekannt. Das ist nicht korrekt. Wir bitten, das nicht beabsichtigte Versehen zu entschuldigen. Wir danken einem Leser für den Hinweis.

Falscher als die Polizei erlaubt

Am morgigen Samstag findet in Dresden die “Unteilbar”-Demo für eine offene und freie Gesellschaft statt. Laut Bild.de könnte es dort nicht nur die Demonstration und ein Konzert geben — die Polizei, so behauptet es die Redaktion, fürchte “Autonomen-Krawalle”:

Screenshot Bild.de - Nach Toleranz-Konzert - Polizei fürchten Autonomen-Krawalle in Dresden

Diese Überschrift ist nicht nur grammatikalisch bemerkenswert. Die Polizei sagt uns auf Nachfrage, sie sei auch inhaltlich falsch.

Im Artikel schreibt Bild.de:

Doch wie BILD aus Sicherheitskreisen erfuhr, rechnet man bei der Polizei neben tausenden friedlichen Demonstranten auch mit rund 500 gewaltbereiten Autonomen aus Hamburg und Berlin, die bereits mobilisieren. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Nacht zum Sonntag.

Und:

Das Bündnis selbst hat 25 000 Teilnehmer angemeldet, will eine Woche vor der Wahl für mehr Toleranz, gegen Rechtspopulismus aber auch gegen das neue Polizeigesetz mobil machen.

Doch reisen alle Teilnehmer nach dem Konzert gegen 22 Uhr auch wieder ab? Es gibt Befürchtungen, es könnte Angriffe u.a. auf die Einsatzkräfte geben.

Die Redaktion zitiert sogar “Polizeisprecher Marko Lasko”, der allerdings gar nicht “Marko Lasko” heißt, sondern Marko Laske:

“Wir schauen uns die Mobilisierung genau an und sind entsprechend vorbereitet.”

Fragt man bei Marko Laske von der Polizeidirektion Dresden nach, sagt einem dieser, dass er zwar mit der “Bild”-Redaktion gesprochen habe, die Darstellung bei Bild.de aber nicht stimme. Er könne sich auch nicht erklären, warum Bild.de so etwas schreibt.

Uns sagt Laske, dass die Dresdener Polizei, die den Einsatz morgen auch führen werde, von einem “friedlichen Versammlungsgeschehen ausgeht”. Es gebe “keine Hinweise auf Störungsaktionen”. Das habe er “Bild” auch so gesagt. Natürlich seien er und seine Kolleginnen und Kollegen auf den Einsatz vorbereitet. Er meint damit aber vor allem die Absicherung der Versammlung.

Bereits gestern behauptete die AfD Sachsen, dass die Polizei “intern bereits vor Ausschreitungen, die aus dem Umfeld dieser Demonstration erwartet werden”, warne. Dem widersprach die Polizei Sachsen. Heute wiederholt dann also Bild.de die AfD-Behauptung. Und wieder widerspricht die Polizei Sachsen:

Screenshot eines Tweets der Polizei Sachsen - Auf Anfrage der Zeitung konnte die Polizeidirektion klar widersprechen, warum diese nun trotzdem so titelt, wissen wir nciht, zumal die Aussage schlicht falsch ist.

Mit Dank an @matschuessler und @MoniqueFreude für die Hinweise!

Tichys Fehlblick, Geh sterben!, 100.000 erfundene Rehkitze

1. Wie „Tichys Einblick“ fast einen Skandal beim ZDF-“Politbarometer” aufdeckte
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Ein Stamm-Autor des rechten Online-Magazins “Tichys Einblick” meint einen Skandal um das ZDF-Politbarometer aufgedeckt zu haben, doch der eigentliche Skandal ist, dass es keiner ist. Oder um Stefan Niggemeier zu zitieren: “Es handelt sich dabei, freundlich formuliert, um ein Missverständnis.”
Weiterer Lesehinweis: Der Ex-CDU-Politiker Friedrich Merz lehnt die Annahme des Ludwig-Erhard-Preises ab (turi2.de). Er wolle nicht mit dem Stiftungsvorsitzenden Roland Tichy auf einer Bühne stehen. Nach der Absage von Merz seien die Journalisten Rainer Hank, Ursula Weidenfeld, Ulric Papendick und Nikolaus Piper aus der Jury des Preises zurückgetreten, denen nach der Absage von Merz anscheinend aufgefallen ist, für wen sie da in der Jury sitzen.

2. Beliebt, bedroht, beschossen – Leben mit Morddrohungen
(ennolenze.de)
Enno Lenze ist Verleger, Autor und Journalist, aber auch Museumsdirektor und politischer Aktivist. Und er zahlt für sein Engagement einen hohen Preis: Derzeit hätten 581 Personen angekündigt, ihn töten zu wollen. (“Wie sie die Reihenfolge festlegen wollen, ist mir unklar — aber wäre für mich dann ja auch das gleiche.”) In einem Blogbeitrag beschreibt Lenze, was das für ihn im Alltag bedeutet, ob in Berlin oder in Kriegsgebieten wie der Autonomen Region Kurdistan.

3. Twitter sperrt meinen Account für zwölf Stunden
(internet-law.de, Thomas Stadler)
Rechtsanwalt Thomas Stadler ist wegen eines Tweets zu Horst Seehofer (“Geh endlich sterben, menschenverachtender Zyniker”, verbunden mit einem Link) mit einer zwölfstündigen Twitter-Sperre belegt worden. Zu Unrecht wie er findet: “Mein Tweet bewegt sich äußerungsrechtlich ganz klar im zulässigen Bereich. Mit dem Tweet habe ich Seehofer keinesfalls den Tod gewünscht. Es handelt sich vielmehr um eine drastische Aufforderung endlich zu verschwinden, ähnlich einer Formulierung wie “Fahr zur Hölle”. Der Tweet setzt sich mit kontroversen politischen Aussagen des Innenminsters auseinander und stellt somit eine Kritik an öffentlichen Äußerungen eines Spitzenpolitikers dar.” Stadler hat seinen Beitrag mittlerweile zweimal aktualisiert und um Bemerkungen zu Debattenkultur und Meinungsfreiheit ergänzt.

4. David Berger: Ein Theologe im Kampf gegen „Islamisierung” und „Nanny-Medien”
(correctiv.org, Caroline Schmüser)
Der Blog “Philosophia Perennis” ist ein Leitmedium der rechten Szene und in Kreisen der sogenannten “alternativen Medien”. Im Mai habe es die Seite auf Platz 18 der Seiten mit den meisten Social-Media-Interaktionen geschafft, noch vor n-tv.de, taz.de oder Tagesspiegel.de. Die Plattform fällt besonders durch spekulative Berichterstattung, Falschmeldungen und AfD-Nähe auf. Hinter der Seite steckt David Berger, ein katholischer Theologe, der gewissermaßen zum Islamhasser konvertiert ist. “Correctiv” hat die Hintergründe um Person und Seite recherchiert.

5. Drei Pressemitteilungen und eine Abschiebung
(keienborg.de)
Der Jurist Marcel Keienborg ist Spezialist für Asyl- und Aufenthaltsrecht und hat deshalb besonders aufmerksam registriert, dass vergangene Woche ein Tunesier abgeschoben wurde, obwohl ein Gericht die Abschiebung untersagt hatte. In einem Blogbeitrag widmet er sich den Pressemitteilungen, die zu diesem Thema vom Verwaltungsgericht veröffentlich wurden. Der Vorgang sei in jeder Beziehung ungeheuerlich: “Wenn Behörden sich nicht mehr verpflichtet fühlen, Gerichten gegenüber vollständige und wahre Angaben zu machen, was eben auch eine gewisse Sorgfalt bei der Lektüre der eigenen Akten voraussetzt, ist letztlich die Effektivität der gerichtlichen Kontrolle der Behörden insgesamt in Frage gestellt.”

6. Unser Hospitant ist Landwirt. Und er hat sich gefragt, ob eigentlich die immer wieder genannte Zahl stimmt, dass jedes Jahr 100 000 Bambis gekillt werden.
(twitter.com/vierzueinser, Jonas Jansen)
Erik Hecht ist für die “FAZ” der Frage nachgegangen, woher die jährlich in den Medien auftauchende Zahl von 100.000 von Mähdreschern getöteten Rehkitzen stammt. Die Antwort ist verblüffend: Die “Deutsche Wildtier Stiftung” habe sie nach eigenen Angaben irgendwann mal erfunden. Der Wert sei viel zu hoch. Die Hälfte sei wohl wahrscheinlicher, “wenn überhaupt”.

Verstärker für AfD-Unsinn

Die Redaktion von “MDR Aktuell” twitterte heute diese joar, also, ähm Nachricht:

Screenshot eines Tweets von MDR Aktuell - AfD-Abgeordnete fordern Verbot der Antifa: Die Antifa müsse als terroristische Vereinigung eingestuft werden.

Ohne Link zu einem weiterführenden Artikel. Ohne Hintergrundinfo. Nicht mal ein Hashtag, das irgendwas einordnet. Nix. Nur die pure AfD-Forderung.

Etwa zwei Stunden später folgte immerhin ein zweiter Tweet der Redaktion:

Screenshot eines Tweets von MDR Aktuell - Quelle des Tweets ist folgende Agenturmeldung des Evangelischen Pressedienstes epd von heute Vormittag: Fünf AfD-Abgeordnete aus verschiedenen Bundesländern haben ein Verbot der Antifa gefordert. Die Antifa müsse als terroristische Vereinigung eingestuft werden, erklärten die an der Kontrolle der Verfassungsschutzbehörden ihrer Bundesländer beteiligten Parlamentarier nach einem am Montag zu Ende gegangenen gemeinsamen Treffen in Potsdam. Straftaten der Antifa richteten sich in schwerwiegender Weise gegen die innere Sicherheit der Bundesländer und gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Zur Begründung benannten die fünf AfD-Abgeordneten eine Antifa-Broschüre aus Augsburg, die Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels in Hamburg im vergangenen Jahr und einen Angriff auf einen Bus mit AfD-Demonstrationsteilnehmern in Stuttgart.

Diese epd-Meldung hat auch die Online-Redaktion der “Thüringer Allgemeinen” übernommen.

Was sowohl beim epd als auch bei der “Thüringer Allgemeinen” und im Tweet von “MDR Aktuell” fehlt: Es gibt nicht “die Antifa”. Es gibt keinen Antifa e.V. mit Mitgliedsausweisen, Satzung und Vereinslokal, den man nun verbieten und als “terroristische Vereinigung” einstufen könnte. Es gibt Antifaschistinnen und Antifaschisten. Und die haben verschiedenste Hintergründe: einen bürgerlichen, einen kirchlichen, einen autonomen, einen anarchistischen, einen radikalen. Manche von ihnen akzeptieren Gewalt, manche wenden sie an, manche sind komplett gegen Gewalt. Hinter ihnen allen steht keine homogene Vereinigung. Wen oder was genau wollen die fünf AfD-Abgeordneten also verbieten?

Wenigstens das müssten Redaktionen, Journalistinnen und Journalisten doch hinbekommen: Kurz mal überlegen, ob das, was eine Partei fordert, zumindest ansatzweise Sinn ergibt; ob eine Umsetzung überhaupt möglich ist; ob die damit verbundene Grundaussage — Antifaschismus ist per se Terrorismus — richtig ist. Und die Forderung einordnen, wenn sie keinen Sinn ergibt, statt sich zum willfährigen Verstärker für Unsinn machen zu lassen.

Hitzacker: Polizei-Nachplapperei und Steineschmeißer aus dem Archiv

Schaut man sich dieses Bild an …

Screenshot eines Tweets der Welt - Niedersachsen: 60 Vermummte stürmen Privatgrundstück eines Polizisten - dazu ein Foto von sieben Vermummten, die Steine und einen Baumstamm werfen
(“Welt”-Tweet)

… oder dieses …

Screenshot shz.de - Innenminister Pistorius entsetzt über Aufmarsch von Vermummten - dazu ein Foto mit vielen Vermummten, im Hintergrund eine auf dem Boden liegende Mülltonne
(shz.de)

… oder dieses …

Screenshot Politically Incorrect - Hitzacker: Linke vermummte Terrorgruppe bedroht Polizistenfamilie - dazu ein Foto eines Steine werfenden Vermummten
(“Politically Incorrect”)

… könnte man denken, dass am vergangenen Freitag vermummte Linke und Autonome und Antifa-Aktivisten in Hitzacker Steine geschmissen und Bäume durch die Gegend geworfen, Mülltonnen umgetreten und Randale gemacht haben. Nun ist nicht ganz klar, was in dem Ort in Niedersachsen vor knapp einer Woche genau passiert ist — es steht Aussage (der Polizei) gegen Aussage (der Aktivisten). Aber dennoch ist recht sicher, dass es solche Szenen, wie sie auf den Fotos von Welt.de, shz.de und “Politically Incorrect” zu sehen sind, in Hitzacker nicht gegeben hat. Dennoch verwenden die drei Redaktionen derartige Symbolfotos.

Was ist bislang bekannt? Am frühen Freitagabend ist eine Gruppe linker Aktivisten zum privaten Wohnhaus eines Polizisten gezogen, um dort gegen dessen Arbeits- und Vorgehensweise zu demonstrieren. Es gibt verschiedene Angaben, wie viele Personen es genau waren: wohl irgendwas zwischen 55 und 80. Einige waren vermummt, laut Demo-Teilnehmern rund ein Viertel von ihnen. Am Ende gab es einen Polizeikessel, mehrere Festnahmen und verletzte Demonstranten. Was dazwischen geschah — da gehen die Versionen sehr weit auseinander: Die Polizei spricht in einer Pressemitteilung, die sie noch in der Nacht zu Samstag veröffentlichte, von einer “neuen Qualität der Gewalt” seitens der Aktivisten. Diese wiederum beklagen in einer Pressemitteilung einen “brutalen Polizeiübergriff” während ihres Rückzugs, den sich nach einer guten halben Stunde angetreten seien (auf einen Link verzichten wir, da in der Mitteilung der komplette Name des Polizeibeamten genannt wird). Einig sind sich beide Seiten, dass die Demonstranten Fahnen und Banner der kurdischen YPG am Carport des Beamten befestigt (wohl eine Revanche für eine Polizeiaktion im Februar) und vor dem Haus gesungen haben. Während die Polizei allerdings von “lautstarker Stimmungsmache” spricht, nennen es die Aktivisten “fröhliches” Singen.

Kurzum: Auch eine Woche später lässt sich von außen nicht exakt beurteilen, was vergangenen Freitag in Hitzacker passiert ist. Dennoch haben sich viele Redaktion schon sehr früh festgelegt — und dabei fast ausschließlich die Version der Beamten verbreitet. “60 Vermummte stürmen Grundstück eines Polizisten”, titelt etwa Bild.de, obwohl von “stürmen” und “60 Vermummten” nicht mal die Polizei spricht. Welt.de schreibt, dass “rund 60 zum überwiegenden Teil vermummte Personen das Grundstück und private Wohnhaus eines Polizisten im niedersächsischen Hitzacker gestürmt” hätten.

Die Gegenseite kam in den ersten Tagen — und kommt teilweise bis heute — nicht zu Wort, die Angaben der Polizei wurden nicht hinterfragt. Dabei gibt es durchaus Punkte in der Pressemitteilung, die fragwürdig erscheinen: Was meinen die Beamten beispielsweise mit der Aussage, es handele sich um eine “neue Qualität der Gewalt”? Diese Behauptung wurde von vielen Medien kommentarlos zitiert, sicher auch, weil sie verkaufs- und klickträchtig klingt.

Natürlich heißt das alles nicht, dass die Aktion der Aktivisten, das Aufsuchen eines privaten Wohnhauses mit mehreren Dutzend Personen, nicht kritikwürdig ist. Manche von ihnen haben nach eigener Angabe die Frau und Kinder des Polizisten auch schon um Entschuldigung gebeten. Und natürlich heißt das auch nicht, dass die Version der Polizei auf keinen Fall stimmen kann. Aber es reicht für Redaktionen einfach nicht, nur auf Grundlage einer Polizeimeldung zu berichten, erst recht nicht, wenn die Polizei nicht mehr nur neutrale Behörde ist, sondern wie in Hitzacker auch Beschuldigter und Akteur. Das hat vor Kurzem erst ein Beispiel aus Hessen gezeigt. Gleiches gilt selbstverständlich für die Erzählung der Aktivisten: Das 2:10 Minuten lange Video zum Beispiel mit dem Titel “Hitzacker 18.05.2018 — Was wirklich geschah”, in dem das “Medienkollektiv Wendland” das friedliche Singen zeigt, beweist erstmal nur, was in den im Video zu sehenden Szenen “wirklich geschah” (auf einen Link verzichten wir, da in dem Video der Name der Straße, in der der Polizist wohnt, sowie dessen Haus gezeigt werden).

Mit den eingangs gezeigten Fotos gehen manche Redaktionen dann noch einen Schritt weiter: Sie plappern nicht nur willfährig die Pressemitteilung der Polizei nach, sondern bebildern das Ganze auch noch passend. In diesem Fall und bei der derzeitigen Informationslage ist ein solches Symbolbild dann nicht mehr nur Symbolbild, sondern eine gewagte Festlegung: Wenn nicht genau so, dann war es jedenfalls so ähnlich.

Es ist etwas erschreckend, dass wir Redaktionen, die eigentlich ernst genommen werden wollen (hier: “Welt” und shz.de), in diesem Fall problemlos in eine Reihe stellen können mit den Hetzern von “Politically Incorrect”, von denen man keine sauberere Arbeit erwartet. Und es ist noch erschreckender, dass von diesen drei Portalen lediglich “Politically Incorrect” das verwendete Foto überhaupt als “Symbolbild” deklariert hat. Im “Welt”-Tweet sowie im Artikel bei shz.de fehlt ein solcher Hinweis. Twitter-Follower beziehungsweise Leserinnen und Leser könnten ohne Weiteres denken, dass die Aufnahmen die Geschehnisse in Hitzacker zeigen, vor allem in Kombination mit dem Text im “Welt”-Tweet respektive der Bildunterschrift bei shz.de (“60 teils vermummte Personen haben in Hitzacker das Privatgelände eines Polizeibeamten gestürmt”). Dabei ist auf dem Foto im Tweet der “Welt”-Redaktion etwa ein Anti-Atom-Protest im November 2011 zu sehen.

Andere Redaktionen haben sich ebenfalls für Symbolbilder entschieden. Die mögen etwas zurückhaltender sein, die Wahrnehmung drücken aber auch sie in Richtung “vermummter Mob”:

Screenshot RTL.de - Hitzacker: Vermummte bedrohen Familie eines Polizisten - dazu ein Foto mehrere Vermummter bei einem Aufmarsch
(RTL.de)

Screenshot Augsburger Allgemeine - Vermummte aus der linken Szene belagern Wohnhaus eines Polizisten - dazu ein Foto mehrere Vermummter bei einem Aufmarsch
(Augsburger-Allgemeine.de)

Screenshot Focus Online - Kritik an Wohnhaus-Belagerung reißt nicht ab - dazu ein Foto mehrere Vermummter bei einem Aufmarsch
(“Focus Online”)

Screenshot Deutschlandfunk - Linke Gruppe bedrängt Polizistenfamilie - dazu ein Foto eines Vermummten bei einem Aufmarsch
(“Deutschlandfunk”)

Screenshot Deutschlandfunk - Dutzende Linke belagern das Haus eines Polizisten - dazu ein Foto eines Vermummten bei einem Aufmarsch
(“Bento”)

Dazu auch:

Mit Dank an Michael L. und Katrin für die Hinweise!

“Bild” lässt Angst wachsen

Die Menschen in Deutschland haben weniger Angst. Das zeigt eine repräsentative Umfrage, die die “R+V”-Versicherung jedes Jahr durchführen lässt und die den Namen “Die Ängste der Deutschen” trägt. Nach 20 Sorgen fragt die Studie regelmäßig — bei 18 von ihnen sind die aktuellen Werte niedriger als im vergangenen Jahr. Nur in den Kategorien “Schadstoffe in Nahrungsmitteln” und “Naturkatastrophen” gab es jeweils einen Zuwachs.

Ganz vorne liegen die Ängste vor Terrorismus (71 Prozent), politischem Extremismus (62), Spannungen durch Zuzug von Ausländern (61), finanziellen Folgen der EU-Schuldenkrise für die Steuerzahler (58) und den bereits erwähnten Schadstoffen in Nahrungsmitteln (58). Der Durchschnittswert aller Ängste beträgt 46 Prozent und damit sechs Prozentpunkte weniger als im vergangenen Jahr.

Die “Bild”-Zeitung, die seit jeher Angst verkauft, hat die Ergebnisse der Ängste-Umfrage genommen und heute eine Extra-Seite zum Thema veröffentlicht:

Übersicht über Bild-Seite mit sechs Artikel - BILD-Report - Innere (Un-)Sicherheit

Im Teaser steht:

Anschläge, Wohnungseinbrüche, rechtsfreie Räume — die innere Un-Sicherheit in Deutschland wächst! Erst gestern wurde bekannt: Vor nichts haben die Bürger mehr Angst als vor Terrorismus! BILD sagt, welche Missstände es gibt.

Egal, dass in der “R+V”-Studie vornehmlich sinkende Werte zu finden sind — “Bild” lässt “die innere Un-Sicherheit” und die Angst der Menschen wachsen.

Die Redaktion nennt in den einzelnen Artikeln auf der Seite Personen, die für die angebliche “Un-Sicherheit” verantwortlich seien: neben Ausländern, Linksautonomen und Drogendealern auch Richter:

Ausriss Bild-Zeitung - Gerichte denken zuerst an Täter

Unter dieser Populismus-Überschrift geht es ähnlich weiter:

Beide Fälle erschütterten Deutschland: Frank S. (46) stach Kölns heutiger Oberbürgermeisterin Henriette Reker mit einem Messer in den Hals. Hussein K. (laut Gutachten älter als 22) ermordete die Studentin Maria L.

Trotz des breiten öffentlichen Interesses ordneten Strafgerichte an: Medien müssen auf Fotos der Angeklagten “die Gesichtszüge unkenntlich” machen. Aus Sorge um die Prangerwirkung, um die Persönlichkeitsrechte …

Die Informationsfreiheit der Bürger? Kommt erst an zweiter Stelle …

In “Die Ängste der Deutschen” wurde nicht nach der Angst vor in Boulevardzeitungen unkenntlich gemachten Angeklagten gefragt. Daher gibt es auch keine Zahlen, wie viele Menschen in Deutschland eine “innere Un-Sicherheit” verspüren, weil Redaktionen von Richtern dazu aufgefordert werden, einer bisher nicht verurteilte Person Persönlichkeitsrechte zuzugestehen. Die Verpixelung von Gesichtern dürfte jedenfalls nicht zu den Ur-Ängsten zählen.

Was die “Bild”-Redaktion in ihrem Ärger über richterliche Anordnungen zur Unkenntlichmachung der “Gesichtszüge” ständig vergisst: Das Zeigen eines Angeklagten, der ganze mediale Rummel rund um einen Prozess kann zu milderen Urteilen führen, weil Richter die Verletzungen von Persönlichkeitsrechten und die Vorverurteilungen bei der Wahl des Strafmaßes manchmal einberechnen. Sie könnten die Anordnungen in den beiden genannten Fällen also auch im Interesse der Prozesse und angemessener Strafen erlassen haben.

Doch mit solchen Überlegungen beschäftigen sich die “Bild”-Mitarbeiter gar nicht erst, schließlich haben sie ein Zitat vom Bundesverfassungsgericht gefunden, das ihre Position vermeintlich stärkt:

Dabei entschied das Bundesverfassungsgericht: “Bei schweren Gewaltverbrechen ist ein über bloße Neugier und Sensationslust hinausgehendes Informationsinteresse an näherer Information über die Tat und ihren Hergang, über die Person des Täters (…) anzuerkennen.”

Nun steht dort erstmal nichts über Fotos von Angeklagten. Und auch sonst passt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, aus dem die Aussage stammt, sensationell schlecht in die “Bild”-Argumentation. Denn in der Begründung, die die Redaktion zitiert, steht zwei Absätze später:

Handelt es sich im Übrigen um ein noch laufendes Ermittlungsverfahren, so ist im Rahmen der Abwägung auch die zugunsten des Betroffenen streitende, aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Unschuldsvermutung zu berücksichtigen (…). Bis zu einem erstinstanzlichen Schuldspruch wird insoweit oftmals das Gewicht des Persönlichkeitsrechts gegenüber der Freiheit der Berichterstattung überwiegen. Eine individualisierende Bildberichterstattung über den Angeklagten eines Strafverfahrens kann allerdings dann gerechtfertigt sein, wenn sich der Betreffende nicht beziehungsweise nicht mehr mit Gewicht auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen kann, etwa wenn er sich in eigenverantwortlicher Weise den ihm gegenüber erhobenen Vorwürfen in der medialen Öffentlichkeit auch im Wege der individualisierenden Berichterstattung gestellt hat (…).

… was weder der eine Angeklagte noch der andere Angeklagte, die “Bild” als Beispiele nennt, getan hat.

“Bild” wählt ein Zitat aus einem Urteil, um Richtern zu zeigen, dass das Bundesverfassungsgericht etwas ganz anderes sagt als diese, dabei sagt das Bundesverfassungsgericht in dem Urteil das, was die Richter sagen.

Erpresserin Merkel, Indymedia-Verbot, Trumps Lügenbilanz

1a. BILDblog braucht Deine Hilfe — unterstütze uns bei Steady
(bildblog.de)
Hier beim BILDblog sieht es finanziell nicht gut inzwischen etwas besser aus. Dank Eurer Unterstützung sind 2000 Euro pro Monat zusammengekommen. Das ist großartig, aber immer noch knapp kalkuliert — wir können uns dadurch gerade so den Mindestlohn zahlen. Um BILDblog eine solidere Basis zu geben, machen wir bei Steady weiter. Du kannst also auch jetzt noch ganz einfach helfen und uns bei Steady monatlich oder jährlich per Lastschrift, Paypal oder Kreditkarte unterstützen.
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1b. Ex-ZDF-Chefredakteur Brender wirft Merkel Erpressung vor
(spiegel.de)
Der ehemalige ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender erhebt laut „Spiegel“ schwere Vorwürfe gegen Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Diese habe das TV-Duell am 3. September durch massiven Druck ihrer Vertrauten zu einem reinen Kanzlerformat gemacht. “Das Kanzleramt verlangt ein Korsett für die Kanzlerin, in dem sie sich nicht bewegen muss. Und zugleich eines für Schulz, in dem er sich nicht bewegen darf”, so Brender: “Als Fernsehformat ist das eine Missgeburt.” Merkel mache einen Wahlkampf “im Schlafmodus”. Ein Fernsehduell, “das Funken schlägt, würde dabei nur stören”.

2. Durchsuchungen wegen Linksunten: Doch keine Waffen bei Journalisten gefunden
(netzpolitik.org, Matthias Monroy)
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte auf einer Pressekonferenz zum Verbot der linken Plattform “linksunten.indymedia.org” erklärt, bei den Betroffenen seien Waffen beschlagnahmt worden. Viele Medien übernahmen diese Aussage ungeprüft. Nach hartnäckigem Nachfragen von „Netzpolitik.org“ musste das Bundesinnenministerium nun einräumen, dass bei den angeblichen Betreibern keine gefährlichen Gegenstände gefunden wurden. Die beschlagnahmten Gegenstände stammten aus dem Freiburger autonomen Kulturzentrum KTS. Ihr Besitz dürfte zudem in den allermeisten Fällen nicht strafbar sein.
(Zum Indymedia-Verbot siehe auch den „Vice“-Kommentar: Mit dem Indymedia-Verbot haben sich die Behörden selbst ins Bein geschossen und den taz-Kommentar Keine Sorge, der Feind steht links)

3. Zeitungslandschaft im Umbruch
(dumontschauberg.wordpress.com)
Sei April 2009 gehört die Boulevard-Zeitung „Hamburger Morgenpost“ zur DuMont Mediengruppe. Die erste Ausgabe der „Mopo“ erschien 1949. Heute hat das Blatt eine Auflage von knapp über 70.000. Für Unruhe sorgen derzeit die Abbau-Pläne des Mopo-Chefredakteurs, der die Lokalredaktion ausdünnen und unter anderem die Rathausreporterin entlassen will. Ein Vorhaben, das von Hamburger Politikern stark kritisiert wird.

4. Wie wäre es mit Lokaljournalismus?
(taz.de, Daniel Bouhs)
Momentan geben sich viele Redaktionen volksnah und schicken ihre Reporter in die Außenwelt: Sie sollen mit „echten Menschen“ über „echte Probleme“ reden. Ob innerhalb eines Sonderprojekts, einer Arbeitsgruppe, einer Taskforce oder eines „Pop-up-Ressorts“. Daniel Bouhs stellt einige der Vorgehensweisen vor, von „Zeit Online“ bis zu „RTL“ und „Bild“.

5. 1.057 Falschaussagen und Lügen – das ist Trumps Bilanz
(blog.zeit.de, Sybille Klormann)
Redakteure der „Washington Post“ haben nachgezählt: Seit seinem Amtsantritt im Januar hat Donald Trump mehr als 1.000 Falschaussagen und Lügen verbreitet. Ein Video (2:55 Minuten) sorgt für den schnellen Überblick. Wer es detaillierter und aktueller haben will, kann eine Datenbank mit einer Lügen-Chronologie der Trump-Regentschaft aufrufen, die nach Themen und Stichworten gefiltert werden kann.
Weiterer Lesetipp: Der „Infosperber“-Beitrag: Wie Donald Trump mit Twitter regiert

6. Wem gehört ein Tattoo? Kann man damit Marken- oder Urheberrecht verletzen?
(tattoo-recht.de, Lars Rieck)
Gehören Tattoos rechtlich gesehen dem Träger, dem Tätowierer oder gar einem Konzern als Markenrechtsinhaber? Und worauf müssen Fotografen achten, wenn sie tätowierte Models ablichten und nicht in die Haftungsfalle tappen wollen? Rechtsanwalt und Medienrechtler Lars Rieck beschreibt das Spannungsfeld zwischen Körperkunst und der Rechtslage in Deutschland und gibt konkrete Praxistipps.

Youtube-Wahlkampf, Nachrichten-Negierer, Duden-Willkür

1. Es gibt ein Problem mit dem YouTube-Interview der Kanzlerin
(motherboard.vice.com, Richard Diesing)
Angela Merkel wird heute im Rahmen des Bundestagswahlkampfs von vier Youtubern interviewt. Nach Recherchen von “Motherboard” soll die Organisation des Termins über das Bundeskanzleramt gelaufen sein. Das sei kritisch zu bewerten: “Das Vorgehen widerspricht einer wichtigen, moralischen Grundregel, an der sich die meisten deutschen Parteien im Wahlkampf orientieren. Es geht um die Trennung zwischen Parteien auf der einen Seite und Staat bzw. Regierungsstellen wie dem Kanzleramt und dem Bundespresseamt auf der anderen Seite: Wahlkampf sollte über das Wahlkampfteam der Partei laufen, die normale Regierungsarbeit der Kanzlerin übers Kanzleramt. Schließlich soll niemand, der an der Macht ist, Ressourcen seines Amtes benutzen, um erneut gewählt zu werden.”
Weiterer Lesetipp zum Merkel-Interview mit anderen Aspekten: Boris Rosenkranz bei “Übermedien”: “Youtube-Wahlkampf: Angela Merkel freut sich auf die ‘Netzgemeinde'”

2. Der größte Rückschritt seit 20 Jahren
(taz.de, Mohammed Daraghmeh)
Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas erließ ohne parlamentarische Beteiligung ein Gesetz gegen soziale Medien und Nachrichten-Websites im Westjordanland. Menschenrechtler bezeichnen dies als den größten Rückschritt in Sachen Meinungsfreiheit seit Gründung der palästinensischen Autonomiebehörde 1994. Abbas’ neuestes Gesetz stoße vor allem wegen seiner Unschärfe auf Kritik und öffne nach Ansicht von Kritikern die Tür für weitere Verletzungen der Meinungsfreiheit.

3. Nachrichten? Brauche ich nicht!
(ennolenze.de)
Enno Lenze ist frustriert über die vielen Nachrichten-Negierer und Nachrichten-Umschiffer: “Mir fällt auf, wie die Gesellschaft da immer weiter auseinander driftet. Ich finde mit solchen Leuten kaum noch Gesprächsthemen, da für mich die Welt um mich herum extrem wichtig ist. Ich finde auch keinen Weg den Leuten zu erklären, was Wahlen, Politik, andere Länder, Wirtschaft usw. mit uns zu tun haben.” Er belässt es jedoch nicht bei seinem Frust, sondern hat ein Plädoyer für Nachrichten verfasst: “Das häufigste Argument gegen Nachrichten gucken ist: „Da kommt so viel Negatives! Das will ich nicht sehen!“ – Das ist auch ein Luxus, den man sich nur in der ersten Welt erlauben kann. Die Augen verschließen vor den rund 90%der Welt, denen es schlechter geht. Und klar: Wenn man das alles ausblendet, dann bleiben wieder nur Konzerte, Gossip und Katzenbilder. Mein Ansatz ist da einfach ein anderer: Ich gucke mir das Leid an und versuche es zu verbessern. Das erscheint mir einfach sinnvoller.”

4. Weil die Redaktion sich ändern muss: 6 Vorschläge für eine andere Medienwelt
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Thomas Knüwer findet, dass sich etwas ändern muss in der Medienwelt. Die Stimmung in Redaktionen sei an einem neuen Tiefpunkt, der Medienwandel hätte eine neue Ebene erreicht, neue Player würden auftauchen, die großen Medienmarken seien qualitativ dünn und beliebig. Knüwer hat einige Denkanstöße formuliert und macht konkrete Vorschläge, was Redaktionen in Zukunft anders machen sollten.

5. Fakten richtigstellen – klappt das eigentlich?
(deutschlandfunk.de, Vera Linß)
Faktenchecker-Websites erfreuen sich derzeit großer Beliebtheit, doch was können diese Internetportale tatsächlich bewirken? Vera Linß hat sich mit einigen Faktencheckern unterhalten wie Patrick Gensing vom “ARD Faktenfinder” und Karolin Schwarz vom stiftungsfinanzierten Recherchezentrum “Correctiv”.

6. Willkür im Duden
(spektrum.de, Ekkehard Felder)
Die neue, 27. Ausgabe des Rechtschreibdudens enthält 5.000 neue Wörter. Doch nach welchen Kriterien wurden die Neuaufnahmen ausgesucht? Über manche der neuen Wörter ließe sich streiten, wie über das 2013 neu hinzugekommene, stigmatisierende “Saftschubse”, so der Linguist Ekkehard Felder von der Universität Heidelberg: “Der Verlag steckt viel Geld in hippe und schicke Anzeigenwerbung. Er sollte auch etwas Geld in die Vermittlung seiner Kriterien investieren, die dem Werk zu Grunde liegen. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, schließlich genießt die Marke DUDEN Renommee. Dieses resultiert noch aus dem besonderen Status, der dem Duden in den 1950er Jahren von der Kultusministerkonferenz eingeräumt wurde.”

“Bild” probt den Aufstand gegen die Rote Flora

“Bild” will gern eine richtige Zeitung sein. Also eine mit Journalisten, die recherchieren und besondere Dinge rausfinden und diese dann exklusiv veröffentlichen. Nicht mehr nur dieses ekelige Revolverblatt, das einfach mal Geschichten erfindet oder Leute fertigmacht. Und wenn man sich schon kampagnenhaft auf Leute einschießt, dann soll auch das wenigstens “EXKLUSIV” sein. So zum Beispiel:

Ausriss Bild-Zeitung - Bild exklusiv - Millionen-Gläubiger packt aus - Boris Becker verpfändete auch das Haus seiner Mutter!

Die Hamburg-Ausgabe der “Bild”-Zeitung brachte am Freitag auch eine Geschichte ganz exklusiv, nirgendwo anders war sie so zu finden:

Ausriss Bild-Zeitung - Händler und Wirte haben genug vom Links-Terror - Aufstand der Nachbarn gegen Rote Flora

Nach den Krawallen rund um den G20-Gipfel in Hamburg, durch die es auch an und in vielen Läden, Restaurants, Cafés Schäden gab, organisierte die Handelskammer ein Treffen direkt neben der Roten Flora. “Bild” war da, Mitarbeiter anderer Redaktionen kamen ebenfalls. Aber so genau wie “Bild”-Autor Jörg Köhnemann hat sonst niemand hingehört und -geschaut:

Die Rote Flora als Rückzugsort für Chaoten und Brutstätte linker Gewalt — nach den verheerenden G20-Krawallen haben die Geschäftsleute aus dem Schanzen- und Karoviertel genug.

Mehr als 50 Unternehmer kamen zum Gipfel-Forum der Handelskammer. Unterstützt von Präses Tobias Bergmann (46) machten sie im Haus 73 neben dem autonomen Zentrum ihrer Empörung Luft.

Der Aufstand der Flora-Nachbarn!

► Gegen die G20-Gewalttäter, die von der Roten Flora eingeladen, koordiniert und toleriert wurden.

► Gegen den Vandalismus, der besonders verängstigte Anwohner und Ladenbetreiber im Schulterblatt traf.

Zwei Belege hat Köhnemann für die “Empörung” über die Rote Flora und den Vandalismus:

Katharina Roedelius (36), Möbelladen “Lokaldesign” am Schulterblatt: “Schon im Vorfeld von G20 blieben Kunden weg. Und seit einer Woche habe ich gar keinen Umsatz mehr, musste meine acht Mitarbeiter in bezahlten Urlaub schicken. Der Gipfel bedroht meine Existenz!”

Und:

Hotel-Direktorin Julia Knieschewski (27), Hotel “St. Annen”: “Der Sachschaden liegt im fünfstelligen Bereich. Aber schlimmer ist der Imageverlust.”

Joar, klingt nun nicht zwingend nur nach großer Wut auf “die G20-Gewalttäter”, sondern eher auf den G20-Gipfel im Allgemeinen und auch auf die Krawalle, aus denen die Schäden resultierten. Und auf die Rote Flora?

Schauen wir doch mal, was die anderen Redaktionen, die die Handelskammer-Veranstaltung besuchten, so zu diesem “Aufstand der Flora-Nachbarn” schreiben:

Abendblatt.de: nichts.

Welt.de: nichts.

shz.de: nichts.

mopo.de: nichts.

Und bei mopo.de steht nicht nur nichts dazu. Dort, wo ebenfalls Katharina Roedelius von “LokalDesign” und Julia Knieschewski vom Hotel “St. Annen” zitiert werden, steht auch:

Dass es in Schanze, Karoviertel und St. Pauli Nord “wild, alternativ und anders als in Steilshoop” sei, so Falk Hocquél von der Schmidt & Schmidtchen GmbH, das soll unbedingt so bleiben. Aber Julia Knieschewski wünscht sich genauso, “dass hier der Polizist den Kindern erklärt, wie sie über den Zebrastreifen gehen”. Und so ein positives Bild könne man nur gemeinsam vermitteln, so die Einzelhändler.

Auch mit der Flora? Ja, die gehört unbedingt zum Viertel dazu, da sind sich die Gewerbetreibenden einig. Allerdings müsse sie sich dann auch klar zu den Ereignissen positionieren und weiterhin auf Anwohner und Einzelhändler zugehen.

Diese durchaus positive Einstellung gegenüber der Roten Flora deckt sich mit einem lesenswerten, bis heute mehr als 15.500 Mal geteilten Facebook-Post der am Schulterblatt ansässigen “Cantina Popular”. Dort steht unter anderem:

Wir leben seit vielen Jahren in friedlicher, oft auch freundschaftlich-solidarischer Nachbarschaft mit allen Formen des Protestes, die hier im Viertel beheimatet sind, wozu für uns selbstverständlich und nicht-verhandelbar auch die Rote Flora gehört.

Unterschrieben haben den Beitrag “einige Geschäftstreibende aus dem Schanzenviertel”:

BISTRO CARMAGNOLE
CANTINA POPULAR
DIE DRUCKEREI – SPIELZEUGLADEN SCHANZENVIERTEL
ZARDOZ SCHALLPLATTEN
EIS SCHMIDT
JIM BURRITO’S
TIP TOP KIOSK
JEWELBERRY
SPIELPLATZ BASCHU e.V.
MONO CONCEPT STORE
BLUME 1000 & EINE ART
JUNGBLUTH PIERCING & TATTOO
SCHMITT FOXY FOOD
BUCHHANDLUNG IM SCHANZENVIERTEL
WEIN & BOULES

Den “Aufstand der Nachbarn gegen (die) Rote Flora” hat die “Bild”-Zeitung ganz exklusiv. Sie bleibt damit das alte ekelige Revolverblatt.

Mit Dank an Martin T. für den Hinweis!

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