Rezo-Interview, Endstation für “Endstation”, Warnstreik bei dpa

1. A!386 – Rezo-Folge
(aufwachen-podcast.de, Tilo Jung & Stefan Schulz, Audio/Video: 5:40 Stunden)
Die “Aufwachen”-Podcaster Stefan Schulz und Tilo Jung warten in der neuesten Ausgabe mit einem prominenten Gast auf: Dem Youtuber Rezo, dessen “Zerstörung der CDU” mittlerweile mehr als 15 Millionen mal angeschaut wurde. In der insgesamt mehr als fünfstündigen Podcast-Produktion geht es volle 90 Minuten um Rezos Werk, seine Entstehungsgeschichte, die Produktion und die Zeit danach.

2. «Die New York Times versetzte der Meinungsäusserungsfreiheit einen herben Schlag»
(medienwoche.ch, Eva Hirschi)
Die “New York Times” hat am 10. Juni verkündet, in ihrer internationalen Ausgabe keine täglichen politischen Karikaturen mehr zu veröffentlichen. Vorausgegangen war eine vielfach kritisierte Karikatur eines portugiesischen Pressezeichners, für das das Blatt um Entschuldigung bitten musste. Von der grundsätzlichen Abkehr vom Genre Karikatur unmittelbar betroffen: Der Schweizer Pressezeichner Patrick Chappatte, der am selben Tag mit einer Art von Manifest antwortete. Im Interview mit der “Medienwoche” erzählt er, warum er die Entscheidung nicht nachvollziehen kann: “Mit den Pressezeichnungen verstummt eine der Stimmen der Meinungsäusserungsfreiheit. Eine Pressezeichnung ist die direkteste, ehrlichste und kritischste Stimme. Dass die New York Times nun wegen einer einzelnen Zeichnung ein ganzes Genre aus der Zeitung verbannt, ist für mich nicht nachvollziehbar. Sie hat doch auch schon Artikel publiziert, für die sie sich später geschämt und deren Publikation sie bereut hat. Zum Beispiel hat die New York Times die These, dass es Massenvernichtungswaffen im Irak gibt, während langer Zeit in ihrer Berichterstattung bestätigt. Und was ist passiert, als sich dies als Fehler herausgestellt hat? Hat man deswegen die gesamte Auslandberichterstattung verbannt? Natürlich nicht.”
Weiterer Lesetipp: Illustrator Christoph Niemann: “Ich bin hin- und hergerissen” (monopol-magazin.de).

3. Youtube sperrt bayerische Info-Seite gegen Rechtsextremismus
(br.de, Christian Schiffer)
Es scheint sich um einen typischen Fall von Overblocking zu handeln, bei dem eine Plattform etwas sperrt, was sie eigentlich nicht sperren müsste: Youtube hat das Konto von “Endstation Rechts Bayern” gekündigt, einem Informationsportal über Rechtsextremismus. Damit sind die Beobachtungsvideos über die rechtsextreme Szene nicht mehr auf Youtube verfügbar. Die Twitter– und Facebook-Konten existieren jedoch weiterhin.

4. Der Boom der Audios steht gerade erst am Anfang
(universal-code.de, Christian Jakubetz, Audio: 26:55 Minuten)
Christian Bollert ist Geschäftsführer des Internetradios und Podcastlabels detektor.fm und kann auf nahezu zehn Jahre Erfahrung auf diesem Gebiet zurückblicken. Im Interview mit Christian Jakubetz redet Bollert unter anderem über personalisiertes Radio und das Problem der Reichweitenmessung, singt das Loblied auf die Nische und verrät, warum Podcasts kein vorübergehender Hype sind.

5. Warnstreik für mehr Einkommen
(djv.de, Hendrik Zörner & Cornelia Berger)
Bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa) kam es gestern zu einem Warnstreik: Rund 100 Beschäftigte des Berliner Newsrooms legten in einer “aktiven Mittagspause” die Arbeit nieder. Gewerkschaft und Journalistenverband fordern Lohnerhöhungen von mindestens zwei Prozent für die bundesweit rund 800 Beschäftigten. Die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (ver.di) Cornelia Berger kommentiert: “Es ist der erste Warnstreik in der langen Geschichte der dpa und er zeigt, wie wütend und entschlossen die Beschäftigten sind, ein Angebot zurückzuweisen, das für viele Reallohnverluste bedeuten würde.”

6. Wenn der Chefredakteur 200 mal klingelt
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 5:36 Minuten)
Lokaljournalismus heißt, zu den Menschen zu gehen. Der Chefredakteur des “Mindener Tageblatts”, Benjamin Piel, beherzigt dies auf eine besonders eindrückliche Art: Er kann auf mittlerweile 200 Interviews mit in der Region lebenden Menschen zurückblicken. Beim 199. Besuch hat Piel einen Landwirt besucht und sich dabei vom “Deutschlandfunk” begleiten lassen.

Für Tatsachen braucht Bild.de keine Belege

Im Nahen Osten ist sowieso immer und zurzeit besonders größere Vorsicht geboten. Jeder Fehltritt kann zu einer weiteren Eskalation führen, etwa im Konflikt zwischen den USA und dem Iran. Da sollte man genau arbeiten, auch und gerade Redaktionen, und nicht noch zündeln. Und schon sind wir bei Bild.de.

Am vergangenen Sonntag veröffentlichte das United States Central Command, kurz Centcom, ein Statement, in dem es hieß, eine iranische SA-7-Rakete habe eine amerikanische MQ-9-Drohne verfehlt. Eine Analyse der Vorfälle deute darauf hin, dass es ein Versuch gewesen sei, die Drohne abzuschießen oder die Überwachung des Angriffs der Iranischen Revolutionsgarde auf zwei Tanker zu stören. Beweise führte das Centcom dafür bislang nicht an.

Interessant ist, wie Medien anschließend mit so einem Statement des Centcom, also einer der beteiligten Parteien, umgehen.

In der “Süddeutschen Zeitung” von gestern etwa hieß es:

Das US-Zentralkommando Centcom brachte indes neue Vorwürfe gegen Iran vor. So hätten iranische Revolutionsgarden erfolglos versucht, eine US-Drohne über dem Golf von Oman abzuschießen. Belege dafür gab es zunächst keine.

Auch CNN ordnete den Vorgang mit einfachen rhetorischen Mitteln im Titel so ein, wie man es eben macht, wenn eine Behauptung nicht belegt ist: “Iranians fired missile at US drone prior to tanker attack, US official says”, heißt es in der Überschrift des Online-Artikels. Ein Komma und drei Worte, die einen großen Unterschied machen.

Anders sieht es bei Bild.de aus. Die Redaktion titelte am Sonntag:

Screenshot Bild.de - Neue Vorwürfe gegen Teheran - Iraner schossen Rakete auf US-Drohne

Kein “sollen”, kein “angeblich”. Nur die vollendete Tatsache.

Nun wird man in den nächsten Tagen oder Wochen wohl sehen, ob die USA Beweise für die Anschuldigung vorlegen können. Und natürlich kann am Ende rauskommen, dass die Vorwürfe tatsächlich so stimmen. Aktuell weiß das aber auch die Bild.de-Redaktion nicht so sicher, wie sie in der Überschrift tut. Und auch wenn sie die Situation im Artikel differenzierter darstellt — wer, wenn nicht “Bild”, weiß, welche Wirkung Überschriften haben?

Auch rechtsextreme Tatverdächtige sind Tatverdächtige

Im Fall des getöteten CDU-Politikers und früheren Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke gibt es einen Tatverdächten: Stephan E., ein Neonazi, der für verschiedene rassistische Verbrechen verurteilt wurde, seit 2010 allerdings auch nicht mehr durch Straftaten aufgefallen ist. Eine DNA-Spur auf der Leiche führte zu ihm.

So gut wie alle Medien, die über die Festnahme von E. und die Ermittlungen gegen ihn berichten und Fotos oder Videos von ihm zeigen, verpixeln das Gesicht oder setzen einen Balken über die Augen. Die “Bild”-Medien tun das nicht. Auf der Titelseite der “Bild”-Zeitung, im Blatt und auf der Startseite von Bild.de ist Stephan E. heute unverpixelt zu sehen:

Ausriss Bild-Titelseite - Kopfschuss-Mord an CDU-Politiker Walter Lübcke - Die Terrorakte des verhafteten Neonazis - schon mit 20 legte Stephan E. eine Bombe am Asylheim
Ausriss Bild-Zeitung - So lebte Neonazi Stephan E.
Screenshot Bild.de - Die Terror-Akte des verhafteten Neonazis
Screenshot Bild.de - Kopschuss-Mord an CDU-Politiker Walter Lübcke - Sol lebte Neonazi Stephan E. Der Rasen ist sattgrün und akkurat gestutzt, Hecken und Büsche sauber geschnitten
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

So beunruhigend der Fall und so schrecklich die Tat und so eklig der Hass ist: Solange E.s Schuld nicht geklärt ist, finden wir das unverpixelte Zeigen der Aufnahmen nicht in Ordnung. Sollte es ein Geständnis geben oder eine Verurteilung, könnte das schon wieder anders aussehen: Durch die immense Bedeutung des Falls könnte Stephan E. dann eine Person der Zeitgeschichte sein. Aber aktuell ist Stephan E. nur Verdächtiger.

Das soll Medien natürlich nicht davon abhalten, groß und auf Titelseiten über den Fall und mögliche Hintergründe und Rechtsterrorismus zu berichten. Aber wenn wir hier im BILDblog immer wieder betonen, dass Tatverdächtige eben genau das sind: Tatverdächtige, dann gilt das auch für Menschen, deren Gesinnung wir verachten. Oder kurz gesagt, so schwer es auch fallen mag: Auch Neonazis haben Rechte.

Dazu auch:

Das rechte Auge, Mit “Bento” auf Kaffeefahrt, Heiles Kunstwerk

1. “Eine gewisse Sprachlosigkeit”
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers)
Es ist schwierig: Journalismus soll nicht vorverurteilen, entsprechend umsichtig und verantwortungsvoll muss in Fällen von Verdachtsberichterstattung vorgegangen werden. Medien täten sich mit Berichten über Rechtsextremismus jedoch besonders schwer, so der ehemalige “Spiegel”-Kolumnist Georg Diez: “Das ist eine deutsche Pathologie, denke ich: Es darf nicht sein, was ist.”
Weiterer Lesetipp: Kritik am Verfassungsschutz: Warum bleibt die NSU-Akte 120 Jahre unter Verschluss? (t-online.de, Lars Wienand).

2. Sagt mal, @bento_de, meint ihr das eigentlich ernst?
(twitter.com/PaulBartmuss)
Der Journalist Paul Bartmuss ist über einen “Bento”-Beitrag gestolpert, der einer Art digitaler Kaffeefahrt gleicht: “Sagt mal, @bento_de, meint ihr das eigentlich ernst? Einen “Artikel” mit 29 (!) Affiliate-Links zu @amazonDE zuzuklatschen und das am Ende als Journalismus zu verkaufen? Geht es @SPIEGELONLINE wirklich finanziell so schlecht?”

3. Nach Berichterstattung: Donald Trump wirft New York Times Landesverrat vor
(netzpolitik.org, Markus Beckedahl)
Donald Trump hat die “New York Times” auf gewohnt trumpeske Weise beschimpft und ihr Landesverrat vorgeworfen. Das ist insofern bemerkenswert, als dass in den USA auf Landesverrat die Todesstrafe steht. Markus Beckedahl kommentiert den Fall und erinnert an ein ähnliches Geschehen in Deutschland. Vor gar nicht so langer Zeit hatte nämlich der damalige Verfassungsschutzpräsident, Hans-Georg Maaßen, versucht, mit ähnlicher Argumentation die netzpolitik.org-Macher mundtot zu machen.
Weiterer Lesetipp: Auf der CNN-Website reagiert Chefredakteur Chris Cillizza auf Donald Trumps jüngstes Interview beim Fernsehsender ABC. Er hat sich dazu 78 besonders bemerkenswerte Aussagen herausgesucht, die er mit viel Süffisanz und Galgenhumor kommentiert: The 78 wildest lines in Donald Trump’s epic ABC interview .

4. Mit Podcasts die eigene Bibliothek bereichern
(inkladde.blog, Nicola Wessinghage)
Es gibt mittlerweile einige Podcasts zum Thema Lesen und Literatur. Nicola Wessinghage hat sich durch das Angebot gehört und stellt ihre fünf Favoriten vor.

5. WhatsApp will Newsletter kicken
(taz.de, Lilly Schlagnitweit)
WhatsApp wird nicht nur zum Austausch von privaten Nachrichten, sondern auch zum Versand von Newslettern benutzt. Doch mit Letzterem könnte bald Schluss sein: Das Unternehmen will den massenhaften Versand von Nachrichten unterbinden und begründet dies unter anderem mit der Verbreitung von Fehlinformationen zu politischen Zwecken. Die Entscheidung hat aber auch einen wirtschaftlichen Aspekt: WhatsApp will Unternehmen zur “WhatsApp Business App” rüberlotsen.

6. Kunstmesse dementiert Zerstörung von Kunstwerk durch Dreijährige
(spiegel.de)
Es war eine Meldung ganz nach dem Geschmack von “Bild”: “So schnell kann es passieren: Auf der “Art Basel”, wo bis zu 20 Millionen Dollar teure Gemälde verkauft werden, wo angesichts Tausender Kunstwerke höchste Sicherheitsstufe gilt, hat am Wochenende ein Kleinkind ein 50 000 Euro teures Kunstwerk zerstört!” Auch “Spiegel Online” berichtet darüber (und bezog sich dabei auf “Bild”). Das Problem: An der Geschichte scheint wenig bis gar nichts dran zu sein.

“Nicht von Deutschland aus betrieben oder verwaltet”

Diese “Bild”-Titelschlagzeile vom vergangenen Freitag …

Ausriss Bild-Titelseite - Granaten auf deutschen Öl-Tanker

… klingt ja so, als wären bei den Angriffen auf zwei Schiffe im Golf von Oman “GRANATEN” auf einen “deutschen Öl-Tanker” geschossen worden.

Nun ist es schon nicht wirklich sicher, ob es sich tatsächlich um Granaten handelte oder um Torpedos oder um Haftminen oder um wasauchimmer, das zu den Explosionen führte. Aber eigentlich soll es hier sowieso um was anderes gehen: War das wirklich ein “deutscher Öl-Tanker”? Das behaupten ja auch andere Medien.

Zwei Schiffe wurden vergangenen Donnerstag circa 26 Kilometer vor der iranischen Küste angegriffen. Das eine heißt “Front Altair”, fährt unter der Flagge der Marshallinseln, gehört zur norwegischen Reederei Frontline und war vergangenen Freitag brennend auf der “Bild”-Titelseite zu sehen. Mit dem “deutschen Öl-Tanker” meint die Redaktion allerdings das andere angegriffene Schiff namens “Kokuka Courageous”. So richtig deutsch ist es aber nicht: Die Reederei Kokuka Sangyo ist ein japanisches Unternehmen, das Schiff fährt unter der Flagge Panamas, die Besatzung kommt von den Philippinen, die Klassifikationsgesellschaft ist aus Frankreich, die Hauptmaschine aus Japan, es wurde in China gebaut. Die einzige Verbindung zu Deutschland: Der Vertragsreeder, der die Bereederung des Schiffs (das ihm aber nicht gehört) als Dienstleistung übernimmt, also den Betrieb managt, sitzt in Singapur und ist, oha!, eine Tochtergesellschaft der Hamburger Reedereigruppe Schulte Group.

Auch die Hamburger Staatsanwaltschaft sagt: “Das Schiff wird nicht von Deutschland aus betrieben oder verwaltet”. Und sogar Welt.de widerspricht indirekt den Springer-Kollegen von “Bild” und deren Titelschlagzeile:

Bei der “Kokuka Courageous” von einem deutschen Schiff zu sprechen trifft nicht zu.

Mit Dank an Niclas für den Hinweis!

RTLs langjähriger Fälscher, Versagen von Hitzacker, Bildundtonfabrik

1. Mut zur Aufklärung
(taz.de, Anne Fromm & Peter Weißenburger)
Bei RTL hat ein Reporter über Jahre Fernsehbeiträge manipuliert, gefälscht oder in einen falschen Kontext gesetzt. Der Sender hat sich von dem Mitarbeiter getrennt und sich mit einer Erklärung an die Zuschauer gewandt. Die “taz” kommentiert: “In der Sendung “Punkt 12” am Freitag entschuldigte sich Moderatorin Katja Burkard im Namen des Senders “für die mangelnde Sorgfaltspflicht” des Mitarbeiters. Gemeint war gewiss “mangelnde Sorgfalt”. Obwohl.” Weiterer Lesetipp: RTLs offizielle Pressemitteilung mit der Schilderung eines typischen Ablaufs: “In einem weiteren Fall wurde Rohmaterial aus einem RTL Nord-Dreh mit der Musikerin Melanie C. für einen Beitrag über Desinfektionsmittel genutzt. Darin behauptete der Reporter, bei einem Interview bemerkt zu haben, dass auch Melanie C. sich die Hände desinfiziert. Tatsächlich aber cremt sich die Musikerin die Hände und Unterarme nur mit Feuchtigkeitscreme ein und sagt dies auch selbst so.”

2. Fernsehrevolten und Verleih von Flugsauriern
(sueddeutsche.de, Kathrin Hollmer)
Die Produktionsfirma Bildundtonfabrik ist vor allem bekannt durch Jan Böhmermanns Late-Night-Show “Neo Magazin Royale”, aber auch als Lieferant der Netflix-Serie “How To Sell Drugs Online (Fast)”. Kathrin Hollmer stellt die Firma und ihre umtriebigen Gründer in einem Porträt vor.
Weiterer Lesetipp: Die TV-Kritik der vergangenen Böhmermann-Sendung: Erst mit Rezo wird es fad (sueddeutsche.de, Theresa Hein).

3. Ein Jahr nach Hitzacker – Das Schweigen über ein journalistisches Versagen
(spiegelkritik.de, Timo Rieg)
Pfingsten 2018 kam es zu einer Spontandemo vor dem Hause eines Polizisten im Wendland. Viele Medien plusterten sich auf und skandalisierten den Vorgang als linken Terrorakt (wir berichteten). Juristisch schrumpfte der Elefant bereits zur Mücke: Die Ermittlungsverfahren gegen alle 50 Demonstranten wurden eingestellt. Das Problem: So laut das Geschrei der Medien damals war, so laut ist nun ihr Schweigen.

4. Wie junge Abgeordnete Social Media (nicht) nutzen
(wdr.de)
Anfang 2018 sorgten die im NRW-Landtag vertretenen CDU, FDP, SPD und Grüne für eine satte Erhöhung der Mitarbeiterpauschalen für Abgeordnete, indem sie die bisherigen 4.417 Euro nahezu verdoppelten. Der üppige Aufschlag sollte der Social-Media-Arbeit zugutekommen. Die “Westpol”-Redaktion (WDR) hat sich umgeschaut, inwieweit das auch tatsächlich umgesetzt wurde. Mit teilweise ernüchternden Ergebnissen: “Die junge Grüne Verena Schäffer beispielsweise, die die Budgeterhöhung mit gefordert hatte, sucht man bei Instagram und Youtube vergeblich, auf Facebook hat Schäffer zuletzt 2018 gepostet — genau ein Mal.”

5. Die Nerds, denen Apple zuhört
(zeit.de, Hannes Schrader)
Hannes Schrader stellt einen Blogger und Podcaster vor, der in der Apple-Szene ein großes Publikum hat: John Grubers Tech-Blog “Daring Fireball” werde 2,5 Millionen Mal im Monat aufgerufen, sein Podcast von 75.000 Leuten gehört. Mittlerweile hören sich auch die Apple-Manager an, was der Influencer zu sagen hat.

6. Vom Winde umweht
(faz.net, Johannes Nichelmann)
Wusstet ihr, dass die teilweise poppigen Mikrofonwindschützer, die Interviewten vor den Mund gehalten werden, in Handarbeit hergestellt werden, von einer deutschen Firma, die sich in dem Bereich Weltmarktführer nennt? Die “FAZ” hat mit Firmenchef Archibald Schulze-Cleven gesprochen, der die Mikrofonüberzieher im ostwestfälischen Ort Brakel für Radio- und Fernsehsender aus aller Welt produziert.

“Sex-Mobbing, Nazi-Sprüche, Sauf-Exzesse, Ekel-Attacken”: Axel Springer muss 110.000 Euro zahlen

Die Zerstörung kam in vier Akten. Im September 2016 veröffentlichte die Frankfurt-Ausgabe der „Bild“-Zeitung eine Artikelserie über einen Mann, der in der Stadtverwaltung einer hessischen Gemeinde arbeitet. Innerhalb weniger Tage entlud die Zeitung dabei ihre geballte, existenzzerschmetternde Kraft und machte aus dem Fachbereichsleiter ein alkoholsüchtiges, perverses, menschenverachtendes Scheusal.

In vier aufeinanderfolgenden Ausgaben präsentierte „Bild“ den Mann groß auf der Aufmacherseite des Regionalteils – zusammen mit den unfassbaren Vorwürfen, die gegen ihn erhoben wurden: Dinge, die er gesagt und getan haben soll, die, so „Bild“, „an Menschenverachtung kaum noch zu überbieten sind“. Seine Untergebenen soll er „bis zum Zusammenbruch gequält haben“, schrieb „Bild“, es gehe um „SEX-MOBBING, NAZI-SPRÜCHE, SAUF-EXZESSE, EKEL-ATTACKEN!“ Womöglich sei der Mann „der schlimmste Vorgesetzte Deutschlands“. Was aber noch schlimmer ist: Inzwischen wurde gerichtlich festgestellt, dass nichts davon stimmte.

Den ersten Teil der Anschuldigungen veröffentlichten „Bild Frankfurt“ und Bild.de am 16. September. Der Vorwurf: Sex-Mobbing.

Große Schlagzeile auf der Aufmacherseite des Frankfurter Regionalteils: SEX-MOBBING-VORWÜRFE gegen [von uns unkenntlich gemacht]
(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

Unter anderem, heißt es dort, soll der Mann durch die Büroräume gebrüllt haben, die Mitarbeiterinnen seien „blöde Fotzen und Schlampen“ bzw. „dreckige Nutten“, die ihm „mal einen blasen“ sollen oder „eine Drecksau im Bett“ seien. Über fremde Frauen habe er gesagt, sie seien „schwarze, fette Schlampen, die beim Vögeln stinken“.

Am Tag darauf der nächste Teil: „Erschreckende Alkohol-Exzesse“.

Große Schlagzeile auf der Aufmacherseite des Frankfurter Regionalteils: Schlimme Vorwürfe gegen [...] - SUFF-EXZESSE im [...] Rathaus

Der Mann habe im Büro bereits vormittags Portwein getrunken und sei gegen 15 Uhr „nur noch schwankend über den Flur“ getreten. Offenbar habe er sich „alkoholbedingt nicht mehr unter Kontrolle“, bisweilen sei er so betrunken gewesen, „dass er gestützt und sogar mindestens einmal getragen werden musste“.

In der nächsten Ausgabe: „Nazi-Vorwürfe“.

Große Schlagzeile auf der Aufmacherseite des Frankfurter Regionalteils: Schlimme NAZI-VORWÜRFE gegen [...]

Der Mann habe unter anderem gesagt, dass es ihn „ankotzt, dass er sich um die Scheiß-Integrationskinder in den Kitas kümmern muss, früher wären die alle ins KZ gekommen, da hätte sich das alles von alleine erledigt.“ Eine kleinwüchsige Mitarbeiterin soll er als „Mongo“ bezeichnet und gesagt haben, dass „diese Krüppel im KZ vergast werden sollen“. Er habe der Frau geraten, sie solle ihr Kind doch „in ein Heim geben oder noch besser an die Zigeuner verkaufen, die suchten Kinder“. Mindestens dreimal wöchentlich habe er durch den Flur gebrüllt: „Hätte der Alte beim Ficken mal auf den Herd gespritzt, dann würde es diesen Krüppel nicht geben“.

In der nächsten Ausgabe: „Ekel-Vorwürfe“.

Große Schlagzeile im Frankfurter Regionalteil: EKEL-VORWÜRFE gegen [...]

Der Mann habe „immer wieder von ‘Blasen’ und ‘Lecken’“ erzählt und gesagt, „ihm gehe gleich einer ab“. Am Tisch einer Mitarbeiterin habe er eine Salami gegessen, und weil er mit vollem Mund sprach, sei sie herausgefallen, da habe er sie wieder aufgehoben und erneut gegessen. Er habe eine Mitarbeiterin angerülpst und gefragt, was er gegessen hätte. Er habe von „Sauffreunden“ erzählt, die sich „in die Hose geschissen“ oder „über den Tresen gekotzt“ hätten. Er habe von einem anstehenden Swinger-Wochenende erzählt, „bei dem er das ganze Wochenende ‘vögeln’ würde“. Immer wieder habe er sich „Grind von seinem Hinterkopf“ gekratzt und sich „diesen in seinen Mund“ gesteckt.

Wahnsinn.

Nun müsste man angesichts der Schwere dieser Vorwürfe eigentlich erwarten, dass Journalisten, die sie verbreiten, die Sache gründlichst recherchieren. Dass sie verschiedene Zeugen befragen, dass sie Beweise sammeln, dass sie wenigstens den Beschuldigten zu Wort kommen lassen. Doch „Bild“ tat nichts davon.

Für alle vier Artikel, für all die furchtbaren Vorwürfe gab es nur eine einzige Quelle: das „Mobbingtagebuch“ einer ehemaligen Mitarbeiterin des Mannes. Die hatte die Stadt wenige Wochen zuvor auf Schmerzensgeld verklagt und behauptet, der Fachbereichsleiter habe sie gedemütigt und gemobbt. Die angeblichen Übergriffe des Mannes hatte sie in jenem „Mobbingtagebuch“ festgehalten. Die “Bild”-Redaktion bekam Wind davon und machte daraus kurzerhand eine vierteilige Artikelserie, in der sie weite Teile des Tagebuchs ungeprüft abschrieb. Das „Sex-Mobbing“, die „Suff-Exzesse“, die „Nazi-Sprüche“, die „Ekel-Attacken“ – sie alle beruhten allein auf den Behauptungen der ehemaligen Mitarbeiterin. Der beschuldigte Mann selbst sei „nicht zu erreichen“ gewesen, schrieb „Bild“ damals.

Fast drei Jahre ist das nun her.

Vor Kurzem hat das Landgericht Frankfurt den Axel-Springer-Verlag wegen der Berichterstattung in vier separaten Verfahren verurteilt: Insgesamt muss der Verlag dem Mann bemerkenswerte 110.000 Euro Geldentschädigung zahlen. Die „Bild“-Medien hätten mit ihren Artikeln „in schwerwiegender Art und Weise gegen die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung“ und die ihnen „obliegenden journalistischen Sorgfaltspflichten verstoßen“, stellte das Gericht fest.

Während der Prozesse hatten die Richter noch viele weitere Zeugen befragt und kamen zu dem Schluss, dass die Behauptungen der ehemaligen Mitarbeiterin unwahr seien: Ihre Vorwürfe seien „durch eine Vielzahl von Zeugen glaubhaft widerlegt worden“. Die Kammer sei von der „Unglaubwürdigkeit“ der Mitarbeiterin und der „Unglaubhaftigkeit ihrer gesamten Aussage“ überzeugt.

Die Beweislast lag in diesen Fällen bei „Bild“, das heißt, die Zeitung hätte belegen müssen, dass die Vorwürfe wahr sind. Doch das konnte sie nicht. Sönke Schulenburg, einer der beiden Autoren, räumte vor Gericht sogar ein, dass er vor der Veröffentlichung weder mit der Mitarbeiterin noch mit dem Beschuldigten gesprochen habe. Er habe versucht, den Mann telefonisch zu erreichen und sei zu seinem Wohnhaus gefahren, jedoch erfolglos. Allerdings war der Mann zu dieser Zeit im Urlaub, was Schulenburg, so das Gericht, auch wusste. Seine Bemühungen seien demnach „nicht ausreichend“ gewesen. Außerdem sei er „nur wenige Stunden vor der Veröffentlichung“ des ersten Artikels zum Haus des Mannes gefahren, darum sei fraglich, ob diese Frist überhaupt ausgereicht hätte.

Bemerkenswert übrigens auch die Argumentation der Springer-Anwälte: Das Schweigen des Mannes sei ein gewichtiges Indiz dafür, dass die Vorwürfe zutreffend seien.

In ihrem Urteil folgten die Richter jedoch größtenteils der Argumentation von Felix Damm, dem Anwalt des Mannes. Der spricht auf unsere Anfrage von einem „vernichtenden Feldzug“ der „Bild“-Medien:

An vier aufeinanderfolgenden Werktagen wurde unser Mandant in der Region, in der er lebt und arbeitet, ungeprüft und nicht im Ansatz verifiziert, durch Axel Springer als saufendes, pöbelndes Sex- und Nazi-Ekelpaket diffamiert und wie eine Sau durchs Dorf getrieben. Sein Name wurde genannt, sein Bildnis wurde gezeigt. Diese Rücksichtslosigkeit war schon erschreckend.

Der Verlag hat nun die Möglichkeit, Berufung einzulegen.

Bei Bild.de sind die vier Artikel nach wie vor online.

Pressemitteilungen (inklusive der Urteile) der Kanzlei Damm Ettig:

RWE und die Meinungsfreiheit, Phantom-Telefonat, Düstere Honorare

1. RWE fordert 50.000 Euro für Aufruf per Tweet
(deutschlandfunk.de, Henning Hübert)
Der Energieversorgungskonzern RWE verlangt vom 24-jährigen Pressesprecher des Aktionsbündnisses “Ende Gelände” die stolze Summe von 50.000 Euro. Der Sprecher habe auf Twitter und bei einer Veranstaltung zu “massenhaft zivilem Ungehorsam” aufgerufen. Der WDR-Journalist Jürgen Döschner sieht in der Forderung einen massiven Eingriff in die Meinungsfreiheit: “Man muss das ja nicht nur auf Pressesprecher beschränken. Ich bin öfter in der Gegend und berichte über Aktionen — wenn ich dann dort aufgegriffen werde, vielleicht von RWE auch eine solche Unterlassungserklärung zugeschickt bekomme, und dann äußere ich mich in einem Kommentar, wie ich das 2015 gemacht habe, mit Verständnis für Aktionen wie zum Beispiel eine Tagebaus — schon hätte ich potenziell auch eine Erklärung auf dem Tisch, eine solche Androhung von 50.000 Euro Strafe.”

2. Hanseat von Stil
(sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Der ehemalige “Tagesschau”-Sprecher Wilhelm Wieben ist gestern im Alter von 84 Jahren gestorben. Hans Hoff erinnert in seinem Nachruf an die Fernsehlegende.

3. Das Telefonat, das nie geführt wurde
(wienerzeitung.at, Heinz Fischer)
Als der ehemalige österreichische Bundespräsident Heinz Fischer im Rahmen der Regierungskrise gefragt wurde, ob er bereit wäre, vorübergehend das Amt des Bundeskanzlers zu übernehmen, verneinte er unter Hinweis auf sein Alter. Trotzdem machten einige Medien (unter anderem der “Spiegel”) mit der Behauptung auf, er würde sich um das Amt bemühen und verwiesen auf Telefonate und SMS-Nachrichten, die es laut Fischer jedoch nie gab. Seinen Gastbeitrag mit der Schilderung der Vorgänge will Fischer auch an den Presserat schicken. Ohne sich all zu viel davon zu versprechen: “Er wird voraussichtlich nichts tun, aber sich vielleicht wenigstens wundern, was in Qualitätsmedien alles möglich ist.”

4. Freischreiber-Report 2019: Wer verdient was?
(wasjournalistenverdienen.de, Katharina Jakob & Michel Penke)
Der Berufsverband Freischreiber hat bei freien Journalistinnen und Journalisten rumgefragt, wie hoch ihr Honorar bei verschiedenen Medien ist. Herausgekommen sind der Honorarreport 2019 und die Erkenntnis, dass “das gemittelte Zeichenhonorar aller Medien” derzeit “bei 40 Euro pro 1000 Zeichen” liege. Ein Fazit der Freischreiber: “Guter Journalismus sollte überall ähnlich viel wert sein. Ist er aber nicht. Und es ist vielerorts ziemlich düster.”

5. Jetzt ist Schluss!
(spiegel.de, Jan Fleischhauer)
“Spiegel”-Kolumnist Jan Fleischhauer verabschiedet sich mit seiner letzten Kolumne bei den “Spiegel”-Lesern. Auf stolze 438 Kolumnen hat er es insgesamt gebracht. “Haben mich alle im SPIEGEL geliebt? Ganz sicher nicht, aber darauf kommt es auch nicht an. Meine Chefs haben alles gedruckt, was ich am Kolumnentag an sie geliefert habe, selbst wenn ich damit quer zur Mehrheit der Redaktion lag. Mehr kann man als Journalist nicht erwarten.” Ab August wird man Fleischhauer beim “Focus” lesen können: “Solange sich Zweidrittel der in Deutschland tätigen Journalisten politisch links der Mitte verorten, bleibt für jemanden wie mich genug zu tun.”

6. 10 Tipps, wie du deine Podcast-Reichweite noch heute verbessern kannst
(podigee.com, Mati Sojka)
Als Podcast-Hoster kennt sich Mati Sojka von Podigee naturgemäß gut mit den technischen Aspekten von Podcasts aus. In seinem Beitrag verrät er Podcast-Anbietern zehn bewährte Methoden zur Reichweitensteigerung.

Noch so’n Spruch – doch kein Kieferbruch!

“Bild” hat ihn gefunden:

Screenshot Bild.de - Rammstein-Rocker schlägt Hotelgast - Diesen Anwalt hat Lindemann vermöbelt

In einem Münchner Hotel soll Rammstein-Sänger Till Lindemann einen Mann (“DIESEN Anwalt”) angegriffen und verletzt haben. Die Schilderungen, wie es dazu kam, gehen auseinander: Die eine Seite sagt, der später Verletzte habe eine Frau, die mit Lindemann in der Hotelbar saß, zumindest indirekt als Prostituierte bezeichnet, woraufhin Lindemann eine Entschuldigung forderte, woraufhin das spätere Opfer mit geballten Fäusten vorschlug, nach draußen zu gehen, woraufhin Lindemann ihm mit dem Ellenbogen ins Gesicht geschlagen haben soll. “DIESER Anwalt” namens Bernd Roloff sagt hingegen, dass es von ihm keine Beleidigung, keine geballten Fäuste und auch keine Aufforderung, nach draußen zu gehen, gegeben habe. Aber wie das auch immer gewesen sein mag — eines steht laut “Bild”-Autor Stephan Kürthy fest: Einen Kieferbruch, neenee, den hat’s nicht gegeben:

Die Behauptung, Roloff hätte einen Kieferbruch erlitten, stimmte nicht. Roloff: “Ich habe eine Lippe, die genäht werden musste, ein Hämatom am Kopf, ein Hämatom am rechten Arm und am rechten Bein.”

Ja, diese “Behauptung” mit dem Kieferbruch hat ja wirklich gut die Runde gemacht. Von wem stammte die eigentlich? Ah, hier, von Stephan Kürthy und zwei “Bild”-Kollegen:

Laut BILD-Informationen erlitt er einen Kieferbruch.

Und damit diese exklusive “BILD-Informationen” auch jeder mitbekommt, hat die Redaktion das Ganze noch als Tatsache auf der Bild.de-Startseite …

Screenshot Bild.de - Nachts im Hotel in München - Rammstein-Sänger bricht Hotelgast den Kiefer

… und groß in “Bild” präsentiert:

Ausriss Bild-Zeitung - Es ging um eine Frau: Rammstein-Sänger schlägt Hotelgast nieder - Kieferbruch nach Ellbogencheck

Da sie sich bei Bild.de offenbar nicht dafür interessieren, was so auf ihrer Seite steht, ist der “Bild plus”-Artikel zum vermeintlichen Kieferbruch selbstverständlich weiter unverändert online.

Mit Dank an MS4 für den Hinweis!

Nachtrag, 17. Juni: Die Bild.de-Redaktion hat reagiert und ihren Artikel gleich an mehreren Stellen geändert. Die Überschrift lautet nun:

Rammstein-Sänger prügelt Hotel-Gast nieder

Der Satz “Laut BILD-Informationen erlitt er einen Kieferbruch.” ist komplett verschwunden. Dafür findet man am Ende des Textes jetzt folgenden Absatz:

In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, dass Lindemann dem Hotel-Gast den Kiefer brach. Diese Behauptungen stimmten nicht. Der Hotel-Gast musste nach eigenen Angaben an der Lippe genäht werden und erlitt mehrere Hämatome am Kopf, Arm und Bein.

Stimmung ohne Limit

Wie könnte die Bild.de-Redaktion über das Ergebnis einer Forsa-Umfrage berichten, nach dem sich eine Mehrheit der Befragten (57 Prozent) für ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ausspricht, ohne dabei ihre Stimmungsmache gegen ein generelles Tempolimit auf Autobahnen aus den Augen zu verlieren?

Sie probiert es mal so:

Selbst vor dem Auto macht der Klima-Wahn nicht halt!

Jetzt will der “Klima-Wahn” uns schon das Rasen wegnehmen! Es kommt im Moment aber auch eine ganze Menge für die “Bild”-Leute zusammen: Im Insa-Meinungstrend “verdrängen die Grünen die Union vom ersten Platz, Supermärkte schmeißen Plastik aus ihren Regalen und jeden Freitag trommeln Schüler für den Klimaschutz.” Und “plötzlich”:

Screenshot Bild.de - Umfrage-Hammer - Mehrheit der Deutschen plötzlich für ein Tempolimit

Ganz so überraschend, wie Bild.de hier tut, ist dieser “UMFRAGE-HAMMER” dann aber doch nicht. Erstmal: Die Forsa-Umfrage fand nicht etwa vor ein paar Tagen oder vor einer Woche statt, sondern schon vor zwei Monaten, zwischen dem 5. und 15. April. Da lagen beispielsweise die Grünen noch in keinem bundesweiten Meinungstrend vor der Union. Außerdem gab es bereits im Januar dieses Jahres mehrere Umfragen zum Thema Tempolimit, bei der sich eine Mehrheit für eine generelle Beschränkung ausgesprochen hat (bei Welt.de sogar “eine klare Mehrheit von 63 Prozent”). 2012 gab es eine Umfrage von infratest dimap, bei der 53 Prozent für eine “Einführung eines generellen Tempolimits von 120 oder 130 km/h auf den deutschen Autobahnen” waren. Und bereits 2007, als ein generelles Tempolimit ebenfalls diskutiert wurde, war in verschiedenen Umfragen eine Mehrheit “zwischen 54 und 60 Prozent” für eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 km/h.

Diese Mehrheiten, die es also seit mindestens zwölf Jahren gibt, versucht die Bild.de-Redaktion heute als neueste Auswüchse des “Klima-Wahns” abzutun.

Mit Dank an David M. für den Hinweis!

Nachtrag, 17. Juni: Vom “Klima-Wahn”, der “selbst vor dem Auto” nicht halt mache, ist bei Bild.de inzwischen nicht mehr die Rede. Stattdessen:

Selbst vor dem Auto macht das Klima-Bewusstsein nicht halt!

Mit Dank an @MeiersKaettche für den Hinweis!

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