TikToks gute Laune und Zensur, “Mini-mini-Episode”, Borat vs. Mark

1. Gute Laune und Zensur
(netzpolitik.org, Markus Reuter & Chris Köver)
Die Videosharing-Plattform TikTok wächst rasant und wurde bereits über eine Milliarde Mal heruntergeladen. Was von den chinesischen Betreibern gern gesehen wird, sind vor allem lustige, kreative und harmlose Filmchen. Kritische und politische Inhalte hätten es nach Aussagen vieler Kritiker weitaus schwerer. Netzplitik.org hat mit einem TikTok-Insider gesprochen und einen Einblick in die internen Moderationsregeln gewinnen können, die teilweise Zensurregeln gleichen. Auch Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen habe das chinesische Unternehmen bereits kritisiert. TikTok sei Teil der Medienstrategie Pekings, seine totalitäre Vision handzahmer, gelenkter Medien auch international durchzusetzen.

2. “Spiegel”-Gesichts­unterricht mit Angela Merkel
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Dirk Kurbjuweit ist preisgekrönter Journalist und Leiter des Hauptstadtbüros des “Spiegel” und beherrscht die Kunst, das Nichts in viele Worte zu kleiden. Das hat er jedenfalls eindrucksvoll bewiesen, als er am Freitag den CDU-Parteitag “aus der Perspektive der Kanzlerin” beschrieb und dabei mit Beobachtungen punktete wie “Als Handy-Nutzerin bevorzugt Merkel einen Winkel von 45 Grad” sowie mit fragwürdigen Interpretationen ihres Mienenspiels. Medienkritiker Stefan Niggemeier kommentiert: “Diesen Luxus können sich nicht mehr viele Medien leisten: Einen leitenden Mitarbeiter einen ganzen Parteitag-Tag dafür abstellen, jede Gesichts-Regung und vor allem alle Gesichts-Nicht-Regungen im Gesicht der Kanzlerin zu notieren, um daraus schließen zu können, dass man daraus nichts schließen kann.”

3. Warum der Datenhunger der politischen Parteien weiter wachsen wird
(medienwoche.ch, André Haller)
Wahlkämpfe wandern verstärkt in die reichweitenstarken Social-Media-Plattformen wie Facebook. Zu verlockend sind die riesigen Datenbestände und die vielfältigen Möglichkeiten der gezielten Wähleransprache (“Microtargeting”). André Haller beschreibt Entwicklungen und Status quo in den USA und in Europa. Dass es in Europa noch nicht so social-media-aggressiv zugehe wie in den USA, liege am strengeren Datenschutz, aber auch an “einer mangelnden Professionalisierung der Kampagnenzentralen, die den Schwerpunkt immer noch auf Offline-Instrumente wie Wahlplakate und Informationsveranstaltungen legen.”

4. Mehr als 7.000 demonstrieren gegen NPD-Aufmarsch
(ndr.de)
Als rund 120 Neonazis in Hannover bei einer Kundgebung gegen drei namentlich genannte kritische Journalisten protestierten, stellten sich dem mehr als 7.000 Gegendemonstranten entgegen. Zuvor hatte das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg die Rechtmäßigkeit der Nazi-Demo festgestellt. Die Polizei habe einem angemeldeten Redner jedoch die Redeerlaubnis entzogen, “um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren”.

5. “Berliner Zeitung”-Herausgeber Michael Maier: “Die Stasi war nur eine Mini-mini-Episode”
(derstandard.at, Birgit Baumann)
Der österreichische “Standard” hat mit Michael Maier gesprochen, dem aus Österreich stammenden Herausgeber der “Berliner Zeitung”. Maier war in den 90er-Jahren selbst Chefredakteur der “Berliner Zeitung” und will sich in der Berichterstattung künftig nicht auf den Großraum Berlin beschränken. Auf die Stasi-Vergangenheit seines Verlegers Holger Friedrich angesprochen, verteidigt er ihn mit den Worten: “Friedrich hat länger im neuen Deutschland gelebt als in der DDR. Die Stasi war nur eine Mini-mini-Episode, nicht einmal zwei Jahre.”
Weiterer Lesehinweis: Verleger Holger Friedrich lässt Aufsichtsratsposten bei Centogene ruhen (tagesspiegel.de).

6. Sacha Baron Cohen rechnet mit Facebook ab
(spiegel.de)
Der britische Comedian Sacha Baron Cohen (bekannt unter seinen Rollennamen “Ali G”, “Borat” oder “Brüno“) hielt eine vielbeachtete Rede zur Verantwortung der Sozialen Netzwerke, die vor allem eine Abrechnung mit Facebook und Mark Zuckerberg wurde. Meinungsfreiheit heiße nicht, dass man ein Recht auf Reichweite habe: “Leider wird es immer Rassisten, Misogynisten, Antisemiten und Kinderschänder geben”, so Cohen. “Aber ich denke, wir sind uns alle einig, dass wir Fanatikern und Pädophilen keine kostenlose Plattform bieten sollten, um ihre Ansichten zu verbreiten und ihre Opfer zu erreichen.”

Perfekter Tabubruch, Twittern aus dem Panzer, Sandmännchen

1. Perfekter Tabubruch
(taz.de, Steffen Grimberg)
Nachdem bekannt wurde, dass die Verlage ihren Zeitungszustellerinnen und Zeitungszustellern neuerdings Mindestlohn zahlen müssen, setzte in den Chefbüros das große Jammern ein. Ein Jammern, auf das die Bundesregierung mit einer Subvention von immerhin 40 Millionen Euro reagierte. Das Wehgeschrei der Verlegerinnen und Verleger hält jedoch an: Sie halten die Summe für viel zu niedrig. Steffen Grimberg kommentiert: “Die Verödung vor allem der Lokal- und Regionalberichterstattung nun aber dem Mindestlohn für die bislang unterirdisch bezahlten Zu­stel­le­r*innen in die Schuhe zu schieben, lenkt ab vom seit Jahren praktizierten Sparkurs in Redaktionen und von der nach wie vor mangelhaften Innova­tionsbereitschaft oder -fähigkeit vieler Verlagshäuser.”

2. Welchen Medien die Deutschen vertrauen
(de.statista.com, Frauke Suhr)
Der WDR hat eine Studie zur Glaubwürdigkeit der Medien in Auftrag gegeben (PDF). Statista hat die wichtigsten Zahlen in eine Grafik gepackt. Glaubwürdigkeitsgewinner sind die öffentlich-rechtlichen Radiosender, auf der Verliererseite stehen Facebook, Boulevardpresse und Instagram.

3. Twittern aus dem Panzer
(deutschlandfunk.de, Isabelle Klein, Audio: 5:40 Minuten)
Soldaten und Soldatinnen dürfen Eindrücke ihrer Arbeit in den Sozialen Medien teilen, solange sie sich an bestimmte Spielregeln halten. Die Bundeswehr hat einen neuen Leitfaden für die Nutzung Sozialer Medien veröffentlicht. Dort geht es zum Beispiel um Sicherheitshinweise, die etwa dem Schutz bei Auslandseinsätzen dienen. Vorsicht sei aber auch beim Posten von Verschlusssachen, Namen, Zeitangaben und Kfz-Kennzeichen geboten. Insgesamt scheint die Bundeswehr zu erkennen, dass sie auch über ein Heer von Markenbotschaftern verfügt: “Stehen Sie zu Ihrem Beruf, Ihrer Einheit und zur Bundeswehr”, heiße es in den Richtlinien.

4. Zwischen Gestrigkeit und Peinlichkeit
(sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Hans Hoff kommentiert die gestrige “Bambi”-Verleihung im Ersten: “Es ist nicht nur diese unglaubliche Gestrigkeit im Ausdruck, die dem Preis das Genick bricht, es ist vor allem die Unfähigkeit, die Diskrepanz zwischen ehrlichen Anliegen und dem ganzen Total-Egal-Glitzerkram aus TV und Tralala zu überbrücken. Also zwischen Menschen, die sich wirklich einsetzen für ein Anliegen und solchen, die meinen, ihr Job sei getan, wenn sie “Penis” sagen.”

5. Google schränkt gezielte Platzierung von Wahlwerbung ein
(spiegel.de)
Nachdem Twitter politische Werbung verbannt hat, reagiert nun auch Google: Der Suchmaschinenriese mag sich nicht von dem lukrativen Geschäft trennen, schränkt jedoch die Möglichkeiten zur gezielten Platzierung von Wahlwerbung ein. Die neuen Regeln sollen zuerst in Großbritannien gelten, wo am 12. Dezember gewählt wird, und werden danach bis spätestens Anfang 2020 weltweit eingeführt.

6. “Für uns Ostkinder war der Sandmann quasi Familienmitglied”
(rbb24.de, Judith Kochendörfer)
Das (Ost-)Sandmännchen wird 60. Es war bereits zu DDR-Zeiten ein Star und gewann nach der Wende viele weitere kleine und große Fans hinzu. Judith Kochendörfer erinnert sich an ihre Kindheit mit dem reiselustigen, bärtigen Sympathieträger.

G20-Urteil, Appell ans ZDF, Zum Abschuss freigegeben

1. G20-Aufarbeitung: Urteil gibt Journalisten recht
(ndr.de, Caroline Schmidt)
Das Berliner Verwaltungsgericht hat zwei Journalisten Recht gegeben, denen 2017 beim G20-Gipfel in Hamburg plötzlich die Presseakkreditierung entzogen worden war. Der Verwaltungsakt sei rechtswidrig gewesen, es habe keine Voraussetzung für einen Widerruf der Akkreditierungen vorgelegen. Caroline Schmidt hat den bedenklichen Verstoß gegen die Pressefreiheit in einem Beitrag für das Medienmagazin “Zapp” zusammengefasst.
Weiterer Lesehinweis: Die geheimnisvolle Festnahme: “Die Bundesregierung entzog »nd«-Redakteur Simon Poelchau die G20-Akkreditierung — auf falscher Grundlage” (neues-deutschland.de, Sebastian Bähr).

2. Pressemitteilung: Deutsche Bildungslandschaft fordert Umdenken beim ZDF
(wikimedia.de)
Öffentlich-rechtliche Bildungssendungen und -inhalte sollten länger als fünf Jahre im Netz bleiben. Dies fordern die Bildungsgewerkschaft GEW, der Deutsche Bibliotheksverband und Wikimedia Deutschland in einem gemeinsamen offenen Brief an das ZDF (PDF): “Die Wissenschaft und freie Wissenssammlungen wie Wikipedia setzen auf Belege, die dauerhaft online sind. Bibliotheken bieten kostenfreien Zugang zu Wissen und Informationen. Ihre Nutzerinnen und Nutzer erwarten, dass Inhaltsangebote in Bibliotheken auf Dauer und nicht zeitlich begrenzt zur Verfügung stehen.“

3. Auf Twitter zum Abschuss freigegeben
(dw.com, Ines Eisele)
Ines Eisele greift für die Deutsche Welle die Causa des “Welt”-Kolumnisten Don Alphonso auf, dem unter anderem vorgeworfen wird, seine Follower gezielt gegen Andersdenkende aufzuwiegeln. Dabei kommt auch Matthias Quent zu Wort, der Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft: “Dinge, die vorher eindeutig rechtsradikalen Akteuren wie etwa der Identitären Bewegung zuzuordnen waren und eher im Verborgenen passiert sind, sind heute viel stärker mit einer rechtskonservativen Öffentlichkeit verzahnt. Es gibt die Tendenz, dass jemand, der öffentlich renommiert ist, vorangeht, unerwünschte Personen im Grunde markiert und zum Abschuss freigibt, und sich dann Rechtsradikale darauf stürzen.”
Dazu ein Hörtipp: Im Magazin “Fazit” von Deutschlandfunk Kultur erläutert der Autor und Filmemacher Mario Sixtus, wie der Hass aus dem Internet orchestriert wird (Audio: 8:26 Minuten).

4. Ein junger Mann aus einer Stadt am Niederrhein hat uns geschrieben …
(twitter.com/RainerLeurs)
Rainer Leurs, Redaktionsleiter des Onlineangebots der “Rheinischen Post”, berichtet auf Twitter von einem besorgniserregenden Fall: Ein junger Mann habe um Entfernung seines Namens aus einem harmlosen Artikel gebeten: “Dadurch, dass mein Name auf Ihrer Website erschienen ist, bekomme ich ständig Hass-Botschaften und persönlich angreifende Nachrichten von Rechtsradikalen wie Pegida und AfD”.

5. Glaubwürdigkeit deutscher Medien ist leicht gesunken
(dwdl.de, Alexander Krei)
Der WDR hat bei Infratest dimap eine repräsentative Studie zur Glaubwürdigkeit deutscher Medien in Auftrag gegeben. Das Ergebnis: Nur 61 Prozent der Befragten würden die Informationen in deutschen Medien für glaubwürdig halten. Interessant sind die regionalen Unterschiede: Im Westen Deutschlands sind es 64 Prozent, im Osten nur 48 Prozent. In den ostdeutschen Bundesländern würden rund 50 Prozent der Befragten davon ausgehen, dass es Vorgaben von Staat und Regierung gibt.

6. Twitter verwarnt Johnsons Konservative
(spiegel.de)
Am Dienstag kam es in Großbritannien zum großen TV-Showdown zwischen Premier Boris Johnson und Labour-Chef Jeremy Corbyn. Dies erschien der Pressestelle der britischen Regierungspartei eine gute Gelegenheit, ihren Twitter-Account “CCHQPress” umzubenennen und ihn vorübergehend wie eine neutrale und unabhängige Faktenchecker-Seite aussehen zu lassen. Twitter sanktionierte den Verstoß gegen die Regeln nicht, die eigentlich eine Irreführung von Menschen verbieten. Jeder weitere Verstoß werde jedoch “entschlossene Korrekturmaßnahmen zur Folge haben”.

Clickworker-Suchergebnisse, TikTok-“Tagesschau”, Hintergrundgespräche

1. Der selbstgebaute Algorithmus
(netzpolitik.org, Chris Köver)
Sind Googles Suchmaschinenalgorithmen wirklich objektiv und unbelastet von menschlichen Eingriffen, wie der Konzern gerne behauptet? Das “Wall Street Journal” habe daran seine Zweifel und begründe dies mit einer aktuellen Recherche. Google habe in den vergangenen Jahren immer wieder bewusst Einfluss auf die Suchergebnisse genommen. Teilweise mit Unterstützung von mehr als 10.000 Hilfskräften, sogenannten “Clickworkern”, die mit dazu beitrügen, die Suchergebnisse “sauber” zu halten.

2. Warum muss ich Sendungen bezahlen, wo Menschen in Kreuzfahrtschiffen um die Welt reisen?
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Jakob Buhre hat sich mit René Ketterer, einem der Betreiber des Forums “GEZ-Boykott”, unterhalten. Natürlich geht es um den Rundfunkbeitrag und das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, aber auch um vertrauenswürdige Medien, die derzeitige Rechtsprechung und Ketterers “Intervall-Boykotte”. “Planet Interview”-typisch lesenswert und in die Tiefe gehend.

3. Triff mich ganz seriös auf TikTok
(taz.de, Simon Sales Prado)
Die altehrwürdige “Tagesschau” ist ab heute auch auf der chinesischen Kurzvideoplattform TikTok vertreten und will dort ihre Meldungen an Mann und Frau beziehungsweise ans Kind bringen. TikTok steht seit Längerem wegen seiner Zensurmaßnahmen in der Kritik. Eine Kritik, die aber auch bei anderen Plattformen angebracht sei, wie Simon Sales Prado findet: “Man könnte deshalb auch fragen, was die “Tagesschau” von der Zensur weiblicher Nippel auf Instagram und Facebook hält oder wie sie zum Overblocking unbedenklicher Profile auf Twitter steht. Also, liebe “Tagesschau”?”

4. VoxUp: Das sind die Inhalte des neuen Senders
(wuv.de, Lisa Priller-Gebhardt)
Anfang Dezember startet die Mediengruppe RTL ihren neuen Sender “VoxUp”. Lisa Priller-Gebhardt berichtet, was es mit dem neuen Vox-Spinoff auf sich hat, was es dort zu sehen geben wird, und wen die Senderverantwortlichen erreichen wollen.

5. Exklusiv und informativ
(deutschlandfunk.de, Isabelle Klein, Audio: 5:20 Minuten)
Isabelle Klein hat sich mit dem Hauptstadtkorrespondenten Frank Capellan über Sinn und Zweck von Hintergrundgesprächen unterhalten, zu denen Unternehmer, Politiker, aber auch Behörden gelegentlich einladen. “Man ist immer wieder gut beraten, das Ganze zu hinterfragen und gegenzuchecken”, so Capellan. Trotzdem nutze er die Gesprächsangebote, weil sie oftmals Rechercheanstöße böten.

6. Jung und nicht naiv
(kontextwochenzeitung.de, Josef-Otto Freudenreich)
Die Wochenzeitung “Kontext” hat mit Youtuber und Podcaster Tilo Jung (“Jung und Naiv”, “Aufwachen!”-Podcast) gesprochen. Es geht um die Zukunft des werbefinanzierten Pressemodells, aber auch um die Frage, warum Jung fast alle Polit-Promis vor die Kamera bekommt: “Sahra Wagenknecht hat mir erzählt, dass ein ZDF-Team eineinhalb Stunden gebraucht habe, bis es ein 15-Sekunden-Statement im Kasten hatte. Bei mir kriegt sie eineinhalb Stunden, ungeschnitten, und Fragen gestellt, die auf der Augenhöhe von jungen Leuten liegen.”

Neues von Holger und Silke, Hassangriffe, Schalte im Funkloch

1. Wie eine Aussage über “berlin.de” die Berliner Verwaltung aufschreckte
(tagesspiegel.de, Robert Kiesel)
Die Neu-Verleger Silke und Holger Friedrich (“Berliner Zeitung”) machen erneut von sich reden. In der “Neuen Zürcher Zeitung” ließen sie durchblicken, was sie für den “eigentlichen Schatz” ihrer Firmenübernahme halten: die Mehrheitsrechte am Städteportal berlin.de. Holger Friedrich stellt sich die digitale Zukunft so vor: “Man lädt sich die App der Stadt herunter, scannt seinen Ausweis ein, dann wird in wenigen Sekunden verifiziert, ob das Dokument valide ist oder irgendetwas juristisch vorliegt. Als Nächstes wird die Steueridentifikationsnummer abgeglichen, auch die Rückmeldung erfolgt binnen Sekunden. Fertig.” Friedrichs Aussagen stießen bei Datenschutzexperten und Behörden auf breite Ablehnung. Die Berliner Senatskanzlei reagierte umgehend: “Wir sind weit davon entfernt, einem privaten Unternehmen tiefere Einblicke in die sensiblen Daten der Berlinerinnen und Berliner zu gewähren.”
Weiterer Lesehinweis: Wer das bisherige Geschehen um die Neueigentümer der “Berliner Zeitung” nicht verfolgt hat, sei an den Beitrag von Daniel Bouhs verwiesen, der die Sache bei “Zeit Online” zusammenfasst und kommentiert: Alles in eigener Sache.

2. “Wir sind nicht geschützt”
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz, Audio: 5:37 Minuten)
Brigitte Baetz hat sich für den Deutschlandfunk mit der Publizistin und Kolumnistin Margarete Stokowski über deren Erfahrungen mit Hass im Netz unterhalten. Von der Polizei habe es selbst bei schwersten Bedrohungen wenig Hilfe gegeben: “Ich hatte mal ein Beratungsgespräch, als es sehr konkrete Drohungen gegen mich gab, die man als Vergewaltigungs- oder Morddrohungen interpretieren konnte. Da wurden so Sachen geraten wie: Posten Sie nicht ihren Standort im Internet — das mache ich natürlich ohnehin nicht. Und gehen Sie nicht abends im Dunkeln alleine raus, nicht alleine unterwegs sein, was natürlich faktisch nicht funktioniert. Und wenn doch, dann nehmen Sie am Besten immer eine Taschenlampe mit.” Ein weiterer wichtiger Hinweis von Margarete Stokowski: “Hassangriffe werden auch von Leuten ausgelöst, die publizistisch tätig sind.”
Dazu passend gleich noch ein weiterer Lesetipp: Nicht jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Stephan Anpalagan analysiert mit vielen Quellenangaben die Medienfigur “Don Alphonso”.

3. Mit verknüpfter Suche findet ZDF den “Weltspiegel” der ARD
(netzpolitik.org, Leonhard Dobusch)
ARD und ZDF führen eine Mediatheken-übergreifende Suche ein. Die Lösung ist noch weit weg von perfekt, da es keine gemeinsame Ergebnisliste gibt. Leonhard Dobusch, der den Bereich Internet im ZDF-Fernsehrat vertritt, freut sich dennoch: “Dieser Suchbalken ist ein kleiner Schritt hin zu einer stärkeren Verschränkung der öffentlich-rechtlichen Angebote, aber gleichzeitig ein wichtiger symbolischer Akt: Die hermetisch voneinander abgeschlossenen Sender-Silos werden damit endlich online aufgebrochen.”

4. Geheimhaltung überwiegt nicht, wenn es um Pressefreiheit geht
(sueddeutsche.de, Ronen Steinke)
Hintergrundgespräche des Bundesnachrichtendienstes mit ausgewählten Journalistinnen und Journalisten bilden bereits seit längerer Zeit das Zentrum eines juristischen Streits. Am 18. September gab es dazu ein wegweisendes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, zu dem jetzt die schriftliche Begründung vorliegt. “Süddeutsche”-Redakteur und Jurist Ronen Steinke ordnet das Urteil und seine möglichen Folgen ein.

5. Sagt Ihr eigentlich auch immer “Schrei doch nicht so laut! Das will er doch nur!” …
(twitter.com/sixtus)
Hater seien keine Trolle, deshalb sollten im Umgang mit ihnen nicht die üblichen “Ignorieren”-Ratschläge gelten. Mario Sixtus erklärt, warum es sich für Opfer und Zeugen lohnt, laut zu werden. Auch und gerade bei Angriffen durch eine rechtsextreme Online-Horde: “Diese Meute ist nur so lange mutig, wie sie nicht auf Widerstand trifft, wie sie sich überlegen fühlt. Wenn aber plötzlich Menschen widersprechen, zurückbrüllen, ihre Tweets melden, öffentlich Blocklisten teilen, laut werden, werden sie schnell zu Mimimi-Schneeflöckchen. Das beste, was ein Opfer tun kann, ist also laut zu werden und um Hilfe zu rufen. Das gilt bei rassistischen oder sexistischen Übergriffen in der U-Bahn genauso wie auf Twitter! Und überall gilt: Helft den Opfern und klugscheißt sie nicht voll!”

6. Unsere Schalte …
(twitter.com/tagesschau)
Das Leben hält manchmal die schönsten Pointen bereit: Als die “Tagesschau” zum Anti-Funkloch-Treffen des Bundeskabinetts ins brandenburgische Gransee-Meseberg schaltet, bricht das Interview nach wenigen Sekunden ab. Wahrscheinlich der Grund: ein Funkloch …

Deckname Bernstein, Ökomythen, Böhmermann und die Hohenzollern

1. Deckname Bernstein
(taz.net, Alexander Nabert & Daniel Kretschmar)
Bei der “Berliner Zeitung” überschlagen sich derzeit die Ereignisse: Erst das wirre und umstrittene Manifest der neuen Verlagseigentümer, dann die Aufdeckung der Stasi-Tätigkeit und das Bekanntwerden von Interessenkonflikten von Neu-Eigentümer Holger Friedrich. Die “taz”-Redakteure Alexander Nabert und Daniel Kretschmar fassen den derzeitigen Erkenntnisstand zusammen.
Vertiefende Lesehinweise: Neuer Besitzer des Berliner Verlags spitzelte als IM für die Stasi (welt.de, Uwe Müller & Christian Meier) und “Berliner Zeitung” veröffentlicht Jubelbericht über Firma — an der der Verleger beteiligt ist (spiegel.de, Stefan Berg & Sven Röbel).
Die “Berliner Zeitung” hat auf die Vorwürfe mit einem Statement von Holger Friedrich und einem “In eigener Sache” reagiert.

2. Wir haben uns entschlossen …
(twitter.com/kugelundniere)
Die Medientage in München haben ein Panel zum Thema Podcasts ausschließlich mit Männern besetzt. Ein Umstand, der dem Podcast-Team von “Kugel und Niere” bei der Zusage nicht bekannt gewesen sei und nun zur Absage führte: “Wir haben uns entschlossen am Montag bei diesem Panel nicht dabei zu sein. Wir wussten bei Zusage nicht, dass nur Männer auf der Bühne sitzen werden. Wir haben angeboten, dass Anna oder Elli kommen. Es hieß, man wolle die Zusammensetzung so kurzfristig nicht ändern.”

3. Gemeinsam gegen Angriffe
(taz.de, Peter Weissenburger)
Journalistinnen und Journalisten, die über die rechte Szene berichten, führen ein gefährliches Leben. Das reicht von Beschimpfungen und Bedrohungen bis zu echten Angriffen. Nachdem Neonazis eine Demonstration gegen drei freie Journalisten angekündigt haben, wurde von Medien- und Gewerkschaftsseite der Aufruf “Schützt die Pressefreiheit” gestartet. Dem Aufruf sollen sich bislang bereits 20 Medienverbände, 17 Redaktio­nen und 450 Einzel­per­sonen angeschlossen haben.

4. Was ist schon politisch?
(zeit.de, Lisa Hegemann)
Im Gegensatz zu Facebook soll es auf Twitter laut Netzwerkchef Jack Dorsey keine politische Werbung mehr geben. Ab Ende der Woche sollen die neuen Richtlinien gelten. Lisa Hegemann erklärt die Hintergründe des Werbeverbots, die Schwachstellen und die Abgrenzungsprobleme. Und sie weist auf ein elementares Problem hin: “Das Netzwerk hat sich also zwar Richtlinien überlegt, aber ob die auch Konsequenzen haben, das scheint man je nach Einzelfall entscheiden zu wollen. Transparent ist das nicht.”

5. Die Arbeit an den Ökomythen
(flurfunk-dresden.de, Stephan Zwerenz)
Stephan Zwerenz beschäftigt sich in seiner Kolumne mit der medialen Sicht auf die Klimadebatte, die an vielen Stellen von “falschen Ökomythen” geprägt sei. Und von der, im wahrsten Sinne des Wortes, Fokussierung auf eine einzelne Person: “Aber was will man erwarten, wenn selbst seriös wirkende Nachrichtenmagazine wie Focus online regelrechte Hetzkampagnen starten, um den Hass auf die Fridays-for-Future-Bewegung zu schüren. Im Sommerloch dieses Jahres hatten die zuständigen Redakteure anscheinend nichts besseres zu tun, als fast jeden Tag über Greta Thunberg zu berichten, obwohl es gar keine Neuigkeiten von ihr gab.”

6. Jan Böhmermann, der Aufklärer
(sueddeutsche.de, Jörg Häntzschel)
Der Entertainer Jan Böhmermann übernimmt immer wieder Themen, denen sich eigentlich der Journalismus widmen müsste. Aktuell geht es um die Forderung der Hohenzollern nach Entschädigung, Wohnrecht in einem Schloss und “Rückgabe” von Tausenden von Kunstwerken. Böhmermann habe “für eine breite Öffentlichkeit die milde Haltung des Bundes gegenüber den Hohenzollern zum Thema gemacht. Nun werden alle darüber reden müssen, warum der deutsche Adel nicht schon in der Weimarer Republik vollständig enteignet wurde, welche Rolle die Hohenzollern davor spielten, und warum man nach der Wende wieder so sanft mit ihnen umging. Daran kommt jetzt keiner mehr vorbei.”

Zum Abschied von Marion Horn

Marion Horn war nicht mal ein halbes Jahr im Amt, da zeigten sich selbst hartgesottene Islamhasser beeindruckt. So schrieb das Hetzportal „Politically Incorrect“ im März 2014 verblüfft:

Ja was ist denn in die BILD am SONNTAG (BamS) gefahren? (…) Gleich zwei mal packt das Springer-Blatt das heiße Thema Islam an – und zwar in einer Deutlichkeit, die es in sich hat.

Schon auf dem Titelblatt prangt die unmissverständliche Headline: „Islam-Rabatt für Jolins Mörder“. Ohne Fragezeichen!

Tatsächlich behauptete die „Bild am Sonntag“ gemeinsam mit den anderen “Bild”-Medien ohne Fragezeichen, in Deutschland gebe es einen „Islam-Rabatt“, also mildere Strafen vor Gericht, wenn es sich bei den Straftätern um Muslime handelt.

Titelseite BILD am Sonntag: Islam-Rabatt für Jolns Mörder

In Wahrheit kam eine Studie, die die „Bild“-Medien als vermeintlichen Beleg für den in Deutschland vorherrschenden „Islam-Rabatt“ anführten, sogar zum genau gegenteiligen Schluss: Deutsche Strafgerichte würden sogenannte Ehrenmörder „nicht milder als andere Beziehungstäter“ behandeln, „sondern sogar strenger.“

Der zweite Artikel in der “Bild am Sonntag”, über den sich „Politically Incorrect“ damals so freute, war ein Interview mit einem deutsch-türkischen Schriftsteller – große “BamS”-Überschrift: „‚Islam gehört zu uns wie die Reeperbahn nach Mekka’“.

Fazit der Fremdenfeinde:

„Zum Regieren brauche ich BILD, BamS und Glotze“, sagte Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder vor zehn Jahren. Wenn die oben erwähnten Artikel eine intensive und schnörkellose Debatte über die Gefahren des Islam in Deutschland auslösen, könnte die BamS vom heutigen 30. März 2014 eine nicht zu unterschätzende Katalysator-Funktion gehabt haben.

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So ging sie also los, Marion Horns Karriere als Chefredakteurin der “BamS”. Und nun, gut sechs Jahre später, geht sie zu Ende: Wie der Axel-Springer-Verlag in dieser Woche mitteilte, verlässt Horn die “Bild am Sonntag”.

Mit “Kompetenz und Leidenschaft” habe sie als Chefredakteurin “insbesondere die investigative und politische Relevanz von BILD am SONNTAG geprägt”, sagte Springer-Chef Mathias Döpfner.

Werfen wir zum Abschied also einen Blick zurück auf ihr glorreiches Werk.

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Als erste Frau an der Spitze der “BamS”, als bekennende “schlimme Feministin” ging es ihr immer auch darum, ein Zeichen zu setzen: für Frauen, gegen Sexismus. Klischees und stereotype Rollenbilder seien ihr zuwider, sagte sie mal, und dagegen kämpfe sie an:

Wir versuchen bei “BamS”, andere Frauenbilder zu zeigen.

Zum Beispiel solche:

Ein großes Foto in der

Herzogin Kate war im Mai 2014 “dem Wind sei Dank” das Kleid hochgerutscht, wodurch ihr Po entblößt wurde.

Der Windhauch des royalen Helikopters bei der Landung in den australischen Blue Mountains sorgte für diesen kurzen, aber magischen Moment.

Diesem “magischen Moment” widmete die “Bild am Sonntag” unter Feministin Horn fast die ganze letzte Seite.

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Im Juli 2014 veröffentlichte die “BamS” neben den anderen “Bild”-Medien zahlreiche Fotos und persönliche Informationen von Menschen, die beim Abschuss eines Flugzeuges über der Ukraine ums Leben gekommen waren.

Eine Erlaubnis der Angehörigen hatte die Redaktion nicht eingeholt. Die Veröffentlichung wurde später auch vom Presserat kritisiert.

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Wenige Tage später entschied sich Marion Horn für den Abdruck eines islamfeindlichen Kommentars ihres Stellvertreters Nicolaus Fest. “Der Islam stört mich immer mehr”, schrieb er darin, ihn störe “die weit überproportionale Kriminalität von Jugendlichen mit muslimischem Hintergrund”, “die totschlagbereite Verachtung des Islam für Frauen und Homosexuelle” und vieles mehr. Der Islam sei wohl “ein Integrationshindernis”, was man “bei Asyl und Zuwanderung ausdrücklich berücksichtigen” solle.

Ich brauche keinen importierten Rassismus, und wofür der Islam sonst noch steht, brauche ich auch nicht.

Nach massiver Kritik verließ Fest die “Bild am Sonntag”. Horn entschuldigte sich mehr oder weniger – und blieb.

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Im Monat darauf verkündete die “Bild am Sonntag” exklusiv, Schauspieler Henning Baum habe das Ende seiner Serie “Der letzte Bulle” bestätigt. Noch am selben Tag teilte sein Management mit, das Zitat in der “BamS” sei frei erfunden.

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Zwei Wochen später berichtete die “Bild am Sonntag” über den Mord an einem 14-jährigen Mädchen und druckte im Artikel ein Foto des vermeintlichen Täters, das die Redaktion bei Facebook geklaut hatte:

Tatsächlich hatte der Abgebildete überhaupt nichts mit der Tat zu tun.

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Im Dezember 2014 fragte die “Bild am Sonntag” empört:

Haben wir nicht alle Lichter am Baum?

Denn in Berlin-Kreuzberg, so die Behauptung der “BamS”, müsse der Weihnachtsmarkt neuerdings “Winterfest” heißen. Auf “dem Altar der politischen Korrektheit” werde “die christliche Tradition geopfert”, insinuierte das Blatt.

In Wahrheit stimmte die Geschichte gar nicht: “Wie die Märkte sich nennen, ist uns total egal”, erklärte das zuständige Bezirksamt auf unsere Nachfrage. Die “Bild am Sonntag” hatte sich das Weihnachtsmarktverbot ausgedacht – und lieferte den besorgten Bürgern und Islamhassern einmal mehr neue Munition.

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Im darauffolgenden Frühjahr berichtete die “BamS”, dass die Schweizer Bundesanwaltschaft Franz Beckenbauer wegen der WM-Vergabe an Russland und Katar als Zeugen befragen wolle. Die Schweizer Bundesanwaltschaft teilte auf unsere Nachfrage mit, dass das Quatsch sei. Die Geschichte in der “Bild am Sonntag” sei sogar “mehrfach falsch”. Die Redaktion habe nicht mal bei ihr nachgefragt.

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Im Monat darauf schrieb die “BamS” auf ihrer Titelseite, Angela Merkel habe in Bayreuth einen “Kollaps” erlitten.

Angela Merkel - Kollaps in Bayreuth

Zwei Stunden nach diesen Fotos kippte Merkel um

Die Meldung des angeblichen Schwächeanfalls verbreitete sich rasend schnell, doch kurz darauf brachte die Nachrichtenagentur AFP folgende (wortwörtliche) Breaking News:

Regierungssprecher: Merkel bei Wagner-Festspielen nicht kollabiert – Kein Schwächefall – Stuhl der Kanzlerin brach zusammen

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Im August 2015 wurde in Schleswig-Holstein die Leiche eines Mannes gefunden, der Suizid begangen hatte. Daraufhin bat die Polizei die Medien darum, die Fotos, die sie zur Fahndung veröffentlicht hatte, “aus der Berichterstattung zu nehmen”.

Die “Bild am Sonntag” ignorierte nicht nur die Bitte der Polizei, sondern lieferte möglichen Nachahmern auch gleich noch den genauen Ort des Suizids:

Von dieser Brücke sprang ein Vater in den Tod

(Wenn Ihr selber Probleme habt, depressiv seid oder über Suizid nachdenkt, könnt Ihr Euch jederzeit unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 an die TelefonSeelsorge wenden.)

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Anfang 2016 druckte die “Bild am Sonntag” zahlreiche Fotos und persönliche Informationen von Menschen, die bei einem Zugunglück in Bad Aibling gestorben waren.

Diesen 11 Opfern schuldet ihr die Wahrheit! (dazu 11 Porträtfotos)

Eine Zustimmung der Angehörigen lag wieder nicht vor, und wieder wurde die Veröffentlichung vom Presserat kritisiert.

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Wenige Monate später druckte die “Bild am Sonntag” zahlreiche Fotos und persönliche Informationen von Menschen, die bei einem Anschlag auf ein Einkaufszentrum in München getötet worden waren.

Titelseite der

Eine Zustimmung der Angehörigen lag wieder nicht vor, und wieder wurde die Veröffentlichung vom Presserat kritisiert.

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Im September 2016 druckte die “Bild am Sonntag” einen Gastkommentar des Fußballers Arne Friedrich. Der meldete sich kurz darauf bei Twitter zu Wort und erklärte, die Redaktion habe in seinem Kommentar rumgepfuscht. Als Beweis schickte er einen Screenshot seines Originaltextes mit:

Negative Überschrift eingesetzt, Textteile weggelassen, so wird aus positiv plötzlich negativ. @HerthaBSC @bild Daumen-nach-unten-Emoji

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An Ostern 2017, nachdem ein Mann einen Anschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund verübt hatte, titelte die “Bild am Sonntag”:

Gott sei Dank -BVB-Bomben zündeten eine Sekunde zu spät

Wie sich später herausstellte, war auch diese Geschichte Unsinn. Die Bundesanwaltschaft teilte in einer Pressemitteilung mit, die Sprengsätze seien “zeitlich optimal gezündet” worden.

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Anfang 2018 behauptete die “Bild am Sonntag”:

4 von 5 Flüchtlingen fallen bei Deutsch-Test durch

Doch auch diese Schlagzeile war falsch. Tatsächlich ergab die Statistik, dass nicht „4 von 5 Flüchtlingen“ bei ihrem Deutsch-Test durchfallen, sondern dass vier von fünf Flüchtlingen, die Analphabeten sind, nicht das Sprachniveau B1 erreichen. Insgesamt schafften nicht nur 20 Prozent einen Abschluss, wie von “BamS” behauptet, sondern 76 Prozent.

Auch diese falsche Schlagzeile war eine willkommene Vorlage – nicht nur für andere Medien, sondern vor allem für rechte Hetzer.

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Wenige Wochen später schrie die “Bild am Sonntag”:

Weil Behörde Asylantrag zu spät bearbeitete - 7300 Euro im Monat für Flüchtlingsfamilie

Was in der Überschrift schon mal nicht klar wurde: Dabei handelte es sich nicht um eine drei- oder vierköpfige Familie, sondern um eine Mutter mit neun Kindern. Zudem wurden die 7300 Euro für die zehnköpfige Familie nicht bar ausgezahlt, sondern ein Großteil wurde schon vorher abgezogen, um die Kosten für die Unterbringung in einem Asylwohnheim inklusive aller Nebenkosten zu begleichen. Auch die Dauer der Bearbeitung war entgegen der “BamS”-Behauptung komplett irrelevant. Und auch sonst gab sich die “Bild am Sonntag” große Mühe, in dem Artikel möglichst viel Irreführendes und Falsches unterzubringen.

Tatsächlich hätte jede deutsche Mutter mit neun Kindern im selben Alter als Sozialhilfeempfängerin genauso viel und dieselben Leistungen bekommen wie die Flüchtlingsfamilie. Davon war in der “Bild am Sonntag” allerdings nichts zu lesen.

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Als im Dezember 2018 über die Nachfolge von Angela Merkel an der Spitze der CDU abgestimmt werden sollte, veröffentlichte die “Bild am Sonntag” eine Liste von 1001 Delegierten und verriet, für welchen Kandidaten/welche Kandidatin sie jeweils stimmen würden. Allerdings erklärten daraufhin etliche der angeblich Befragten, sie hätten überhaupt nicht mit der “Bild am Sonntag” gesprochen.



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Sechs Jahre war Marion Horn Chefredakteurin der “Bild am Sonntag”. Sechs Jahre, in denen ihr Blatt Lügen in die Welt setzte, Persönlichkeitsrechte verletzte und den Hass gegen den Islam befeuerte. Die Liste ließe sich noch viel weiter fortsetzen, mit Schleichwerbung, geheuchelter Selbstkritik oder politischen Kampagnen.

Oder wie man beim Axel-Springer-Verlag sagt: “Kompetenz und Leidenschaft”.

Ärger um “Podimo”, Mistiges Verhalten, Aus für “Familientragödie”

1. Podimo
(dervierteoffizielle.de, Axel Goldmann)
Das mit reichlich Start-up-Kapital ausgestattete Podcast-Unternehmen “Podimo” hat weite Teile der deutschen Podcast-Community gegen sich aufgebracht, indem es sich ungefragt Tausende von Podcasts einverleibte. Als Antwort auf die Kritik verwies die sich selbst als “das Netflix für Podcasts” preisende Audio-Plattform darauf, dass man sich ja per Opt-out-Verfahren abmelden könne. Eine Argumentation, die das Verhalten der Plattform in den Augen vieler Podcasterinnen und Podcaster nicht unbedingt besser machte. Podcaster Axel Goldmann hat sich den Fall genau angeschaut: Er erklärt die umstrittene Strategie des Unternehmens und rechnet die Kalkulation nach.
Weiterer Lesehinweis: Der Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht Stephan Dirks geht auf seinem Blog auf die juristischen Aspekte des Falls ein: Aufregung um Podcast-App #Podimo (dirks.legal).
Und wer sich an der Diskussion aktiv beteiligen (oder einfach nur mitlesen) will: Im Forum der Podcasting-Community “Sendegate” wird der Fall, auch unter Beteiligung von “Podimo”, debattiert.

2. Mit Mist vor der Haustür
(taz.de, Jost Maurin)
Weil sie mit seiner Berichterstattung unzufrieden waren, sind niedersächsische Bauern vor dem Privathaus eines Redakteurs der “Braunschweiger Zeitung” vorgefahren. Ein Verhalten, das von der Familie des Journalisten verständlicherweise als bedrohlich und “wie eine Belagerung” empfunden worden sei. Die Aktion sei umso unverständlicher, als der monierte Beitrag mit den Bauern fair umgegangen sei. Wie Jost Maurin in der “taz” berichtet, hätten die Bauern mit ihrer aggressiven Taktik gegen Journalisten bisher jedoch keinen Erfolg.

3. In der Berichterstattung über Gewaltverbrechen …
(twitter.com, Froben Homburger)
Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) wird in ihrer Berichterstattung über Gewaltverbrechen in Familien und Partnerschaften künftig nicht mehr von “Familientragödien” oder “Beziehungsdramen” sprechen. dpa-Nachrichtenchef Froben Homburger erklärt die neue Sprachregelung und schreibt, wann eine Ausnahme davon gemacht werde.

4. Millionen-Subventionen für Zeitungen geplant
(ndr.de, Daniel Bouhs)
Der Haushaltsausschuss des Bundestags will den Verlagen einen staatlichen Zuschuss von 40 Millionen Euro für die Zustellung von Abonnementzeitungen und Anzeigenblättern zukommen lassen. Die Maßnahme wird von verschiedenen Seiten kritisiert: Laut BDZV-Hauptgeschäftsführer Dietmar Wolff löse “eine so geringe Förderung” kein einziges Problem: “Die Fördersumme mag zunächst hoch erscheinen, hätte aber pro ausgeliefertem Zeitungsexemplar weniger als einem Cent entsprochen.” Während Mario Sixtus auf Twitter kommentiert: “Whut!?! Die Verlegerlobby hat wieder zugeschlagen: Unser Steuergeld fließt bald in den klimaschädlichen Transport von bedrucktem Papier, das nach Lektüre im Müll landet. Ganz so als gäbe es kein Internet.”

5. Wef verweigert WOZ den Zutritt
(woz.ch, Yves Wegelin)
Das jährlich in Davos tagende Weltwirtschaftsforum (Wef) hat der Schweizer “Wochenzeitung” (“WOZ”) die Akkreditierung verweigert. Nach Angaben des Weltwirtschaftsforums habe sich die Zeitung nicht rechtzeitig angemeldet; dies wird von der “WOZ” jedoch bestritten. Yves Wegelin sieht in der Verweigerung eher andere Gründe: “Medien wie die NZZ, die das Wef artig protokollieren, werden hofiert, kritischere Stimmen wie die WOZ werden abgestraft. Das Wef behauptet von sich, den Zustand der Welt durch demokratische Debatten verbessern zu wollen. Mit seiner Verweigerung einer Akkreditierung gewinnt diese Behauptung nicht gerade an Glaubwürdigkeit.”

6. Streik macht sich im BR-Programm bemerkbar
(sueddeutsche.de)
Beim Bayrischen Rundfunk (BR) und Norddeutschen Rundfunk (NDR) kam es zu einem Warnstreik, der Folgen für das Programm hatte. Einige Sendungen wurden mit Einschränkungen ausgestrahlt, andere fielen komplett aus. Wie nicht anders zu erwarten, geht es bei der Auseinandersetzung um das liebe Geld. Die beteiligten Parteien sollen sich Ende November erneut an den Verhandlungstisch setzen.

Juristische Keule gegen “Kontext”, Merkwürdiger Satz, NPD-Bedrohung

1. Wir schweigen nicht
(kontextwochenzeitung.de)
Als die “Kontext”-Redaktion aus Facebook-Chats eines Mitarbeiters von zwei AfD-Abgeordneten zitierte, wurde dies vielfach gelobt, weil die Zitate den Rassismus, den Antisemitismus und die Demokratieverachtung dieser Kreise offenlegten. Auch das Oberlandesgericht Karlsruhe habe “Kontext” in dieser Sache vollumfänglich Recht gegeben. Doch nun wird die Redaktion erneut juristisch bedroht, mit einer 60.000-Euro-Schmerzensgeld-Forderung und einem sehr hohen Streitwert: “Wer den Streitwert in einem Presserechtsverfahren gegen eine spendenfinanzierte Zeitung auf 260 000 Euro veranschlagt, hat ein klares Ziel: eine kritische Stimme zum Schweigen zu bringen.” “Kontext” bittet daher um finanzielle Unterstützung durch Spenden: “Lassen Sie uns gemeinsam stark und laut sein gegen den Rechtsruck und dessen juristische Keule. Diesmal zielt sie auf uns. Gemeint sind wir alle.”

2. Kommentar: der wirklich ziemlich merkwürdige Satz des Holger Friedrich
(meedia.de, Matthias Oden)
Nach ihrem langen Aufsatz in der “Berliner Zeitung” haben die Verleger Silke und Holger Friedrich nun der dpa ein Interview gegeben. Darin liefert Holger Friedrich auch eine Erklärung für seinen umstrittenen Dank an den ehemaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR Egon Krenz. Eine Erklärung, die “Meedia”-Chefredakteur Matthias Oden erschreckt aufhorchen lässt: “Man hätte man also auch dieses Thema irgendwie beiseite legen können, wenn nicht Holger Friedrich in diesem Zusammenhang einen anderen Satz hätte fallen lassen: “Ich kann es aber nicht nachvollziehen, wenn jemand, der danach geboren wurde, sich zu einem kräftigen moralischen Urteil aufschwingt, weil er zu der Zeit nicht dabei war.” Und weil die Friedrichs wichtige Themen gerne in Fragen angehen, soll an dieser Stelle auch mit einer geantwortet werden: Meint er das ernst? Wirklich jetzt?”

3. Reflexe der Redaktionen
(journalist-magazin.de, Josef Zens)
Kalkulierte Tabu-Brüche, inszenierte Skandalisierungen, “False Balance”, mangelnde Fehlerkultur, unzureichende Recherchen … In der neuen Folge von “Mein Blick auf den Journalismus” hat sich Josef Zens die Wut über aktuelle Missstände des Journalismus von der Seele geschrieben. Zum Schluss gibt es aber auch Lob, und zwar für neue (und hier auch gelegentlich verlinkte) Journalismusmodelle wie die “RiffReporter” und das deutsche “Science Media Center”.

4. “YouTubers Union” sucht den Streit mit Google
(heise.de, Torsten Kleinz)
Zwischen Youtube und den vom Netzwerk lebenden Videoproduzentinnen und -produzenten besteht ein großes Machtgefälle: Die Youtuber sind dem Netzwerk mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert und müssen sich an das halten, was ihnen Youtube vorschreibt. Der Youtuber Jörg Sprave wollte sich mit diesem Ungleichgewicht nicht abfinden und gründete die Initiative “YouTubers Union”. Mittlerweile hat er einen mächtigen Bündnispartner gewonnen, die IG Metall. Torsten Kleinz erklärt in seinem Beitrag die Streitpunkte der beiden Parteien und sagt, welche Aktionen die Youtube-Gewerkschafter planen.

5. “Ein sehr starker Versuch der Einschüchterung”
(deutschlandfunk.de, Antje Allroggen, Audio: 7:42 Minuten)
Die NPD will in Hannover anscheinend eine Demonstration gegen drei Journalisten durchführen, die im rechtsextremen Milieu recherchieren. Antje Allroggen hat sich im Deutschlandfunk mit dem Rechtsextremismus-Experten Andreas Speit unterhalten, der das Vorgehen für bundesweit einmalig und für einen Teil einer neuen Einschüchterungsstrategie hält. Speit fürchte, “dass manches Mal Kolleginnen und Kollegen dann doch so ein wenig überlegen: ‘Ja, Mensch, muss ich mir das antun, wenn ich über die berichte, wenn das solche Folgen haben könnte?'”
Weiterer Lesehinweis: Die andere Pressefreiheit oder: Wie ich mit der AfD Bekanntschaft machte: “Nach der Abwahl des Rechtsausschuss-Vorsitzenden Stephan Brandner wegen Antisemitismus stellte ich nahe liegende Fragen und bekam unverschämte Antworten. Mir ist das eine Lehre. Sollte die AfD mal regieren, bleibt von der von ihr reklamierten Meinungsfreiheit vermutlich nicht viel übrig.” (rnd.de, Markus Decker).
Und noch ein Lesehinweis: Gericht untersagt NPD Falschbehauptungen gegen NDR Mitarbeiter.

6. Rezo hat ein kleines Meisterwerk geschaffen
(netzpolitik.org, Markus Beckedahl)
Die Deutsche Umwelthilfe hat den Youtuber Rezo mit dem UmweltMedienpreis in der Kategorie Online ausgezeichnet. In seiner Laudatio betont netzpolitik.org-Gründer Markus Beckedahl, wie wichtig Rezos Video für das Entstehen einer gesellschaftlichen Klimadebatte war: “In Kombination mit den aufkommenden Protesten der Fridays-for-Future-Bewegung wurde “Die Zerstörung der CDU” ein weiteres bedeutendes Puzzlestück in der Sensibilisierung und Mobilisierung vieler, vor allem junger Menschen gegen die Klimakrise. Klimafragen waren auf einmal cool, was auch an der Darreichungsform von Rezos Video und seiner Vermittlung lag.”

Ohne Verpixelung, mit Adresse

Vergangene Woche wurde ein Dreijähriger in Detmold erstochen, seine 15-jährige Halbschwester hat die Tat inzwischen gestanden. Die “Bild”-Medien berichten seitdem ausführlich über den Fall — und zeigen dabei ständig ein unverpixeltes Foto des getöteten Jungen. Sogar auf der Titelseite der Printausgabe vom vergangenen Freitag:

Screenshot Bild.de -15-Jährige ersticht ihren kleinen Bruder (3)
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Auch in diversen Bild.de-Artikeln veröffentlichte die Redaktion das Foto ohne Unkenntlichmachung — alles für Klicks und Auflage, keine Spur von Rücksicht auf das Opfer und dessen Angehörige. Am Samstag zitierte “Bild” eine Freundin der Mutter des Opfers: Die Mutter befinde sich derzeit in einer psychiatrischen Klinik. Auch das scheint für das Blatt kein Grund zur Zurückhaltung zu sein.

“Bild” dürfte damit klar gegen den Pressekodex des Deutschen Presserates verstoßen. Kinder und Jugendliche sollen gerade in solchen Fällen geschützt werden, heißt es in Richtlinie 8.3:

Insbesondere in der Berichterstattung über Straftaten und Unglücksfälle dürfen Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in der Regel nicht identifizierbar sein.

Überhaupt, so steht es in der Richtlinie 8.2 zum Opferschutz, sei die Identität von Opfern besonders zu schützen und “das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich”. Mit folgender Einschränkung: “Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben”. Gab es in diesem Fall eine solche Zustimmung? Wir haben bei “Bild” mehrfach nachgefragt, ob die Redaktion eine Erlaubnis der Familie erhalten hat, das Fotos ohne Verpixelung zu verbreiten. “Bild”-Sprecher Christian Senft hat nicht geantwortet. Auch auf die Frage, woher “Bild” das Foto des Jungen hat, gab es keine Antwort.

Die “Bild”-Medien verbreiten aber nicht nur ein unverpixeltes Foto eines Dreijährigen, sie schildern auch exakt, wo sich die schreckliche Tat abgespielt hat: In verschiedenen Bild.de-Artikeln wird das Mehrfamilienhaus von hinten und von vorne gezeigt. Für alle, die es ganz genau wissen möchten, beschreibt die Redaktion in einer Bildunterschrift, um welche Wohnung in welcher Etage es sich handelt. In der gedruckten “Bild” vom Samstag haben sie sogar einen schwarzen Pfeil auf die Wohnung gerichtet, um auch den allerletzten Zweifel auszuräumen. Und sie zeigen ein Foto der Wohnungstür (“Hinter dieser Tür spielte sich ein furchtbares Drama ab”). Den Straßennamen haben die “Bild”-Medien da schon längst genannt, und die Hausnummer ist auf einem Foto ebenfalls zu erkennen.

Damit dürfte die “Bild”-Redaktion auch noch gegen Richtlinie 8.8 des Pressekodex’ verstoßen, in der es heißt: “Der private Wohnsitz sowie andere private Aufenthaltsorte (…) genießen besonderen Schutz.”

Mit Dank an Yvonne für den Hinweis!

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