Angi Baldauf ist “Bild”-Reporterin. 2002 beispielsweise war sie damit beschäftigt, für “Bild” ein gutes Dutzend Artikel über das “Krebsmädchen Anita” zu schreiben und anschließend rund zwei Dutzend Artikel über das “Krebsmädchen Dari”. (Bonustrack: “Anita (…) tröstet die kleine Dari”). Außerdem berichtete Baldauf u.a. über das “Krebs-Drama” bzw. den “Krebs-Fluch” von “Merkels schöner Ministerin” (Ursula von der Leyen), über den “Krebs-Schock” bei “Deutschlands jüngster Bischöfin” (Margot Käßmann) — und natürlich immer mal wieder über Anita (“Jetzt werde ich Mama”) und Dari (“Jetzt ist sie gesund”)…
Mit anderen Worten: Mit Krebsmädchen kennt sich die Angi aus.
Und nicht nur das. So wusste Baldauf am gestrigen Samstag zu berichten, dass ein regionaler Radiosender mit ein paar Politikern einen Wahlwerbesong aufgenommen hat — “zur Melodie des WM-Songs von Sportfreunde Stiller ’54, 74, 90, 2006′” (der während der Fußball-WM 2006 mehrere Wochen lang den ersten Platz in den deutschen Verkaufscharts belegt hatte). Und alle, die bis gestern noch dachten, die Sportfreunde Stiller hätten damals irgendwelche bekloppten Lottozahlen oder Model-Maße eines Seite-1-Mädchens besungen, wurden endlich eines Besseren belehrt, denn:
Jens Weinreich, 42, leitet das Sportressort der “Berliner Zeitung” und ist wegen seiner regelmäßigen Enthüllungen über die Schattenseiten des organisierten und kommerzialisierten Sports vielleicht einer der meistgehassten Sportjournalisten in Deutschland. Er kritisiert den “Fanjournalismus” im Stil Waldemar Hartmanns und das Hochjubeln von “Kirmesboxern” durch die jeweils übertragenden Sender und ist Autor mehrerer Bücher und Filme vor allem über Doping und kriminelle Machenschaften im Sport. 2005 gewann er den “Wächterpreis der Tagespresse” für seine Enthüllungen von Unregelmäßigkeiten bei der missglückten Olympia-Bewerbung Leipzigs und gründete das “Sportnetzwerk”, das kritischen Sportjournalismus fördern will.
Von Jens Weinreich
Oft habe ich den Kollegen verflucht, der mich zu diesem Beitrag überredet hat. Denn ich gestehe: Ich blättere gewöhnlich nicht in der “Bild”-Zeitung, und darauf lege ich Wert. Vielleicht ein oder zwei Mal im Monat schaue ich in dieses Blättchen. Es mag schrecklich unprofessionell klingen für einen Sportjournalisten, doch das ist mir egal. “Bild” ist für mich vor allem eines: irrelevant. Über Bundesliga und Nationalmannschaft erfahre ich auch ohne “Bild” genug, ob ich es will oder nicht. Und es ist wahrlich nicht so, dass “Bild” in diesem Unterhaltungssektor allen anderen voraus marschieren würde. Ganz im Gegenteil.
Ich will nur über die Sportseiten reden. Da habe ich in dieser Woche nichts gesehen, was ich nicht auch woanders gelesen hätte. Allerdings hat vieles gefehlt, journalistische Texte beispielsweise, aber das ist ja nichts Neues. Hintergründe zu den Dopingpraktiken im deutschen Sport, ob nun im Team Telekom oder an der Universitätsklinik Freiburg? Korruptionsskandale in zahlreichen Sportarten, etwa im Handball-Weltverband, wo gerade Olympiaqualifikationsspiele neu angesetzt werden mussten? “Bild” hat da nichts Eigenes zu bieten. Der frisch fertig gestellte Bericht des Bundesinnenministeriums (“Projektgruppe Sonderprüfung Doping”) wird in “Bild” nicht einmal erwähnt. (Ich hoffe, ich habe keine dreizeilige Kurzmeldung übersehen.)
Dennoch hat “Bild” heute wieder einen großen Sport-Tag. Man kapriziert sich auf die übliche Mischung: Helden, Sex und Zwistigkeiten. Der FC Bayern läuft immer: “Hitzfeld geht!” Nacktfotos gehen auch: “Sex-Skandal um schöne Olympia-Königin”. Und wenn ausnahmsweise mal fünf deutsche Fußballteams unter den letzten 32 Vereinen im zweitklassigen Uefa-Pokal stehen, titelt “Bild”, wie einfallsreich: “Wir sind Uefa-Cup!” Mit anderen Worten: Es fehlt dem Blatt an exklusiven Sportmeldungen. Selbst den ewig nörgelnden Fußballtorhüter Jens Lehmann (“Er muss da weg!”) schreibt man von anderen ab. Diesmal hat Lehmann mit dem Fußball-Zentralorgan “kicker” geredet. “Bild” zitiert nur, aber wenigstens mit Quellenangabe.
Lustig wird es allerdings in der Berliner “Bild”-Ausgabe auf der letzten Seite, die dem FC Bayern gewidmet ist. Dass Ottmar Hitzfeld den FC Bayern verlassen will, schreibe man “bereits seit Tagen”, plustert sich “Bild” auf. Ich weiß nicht, wer das in diesem Lande noch nicht geschrieben hätte. Egal, “Bild” nennt potenzielle Nachfolger, aber nur die üblichen Verdächtigen. Wenn mehrfach von “Bayern-Bossen” die Rede ist, wird zwar “Killer-Kalle” Karl-Heinz Rummenigge genannt, auch Uli Hoeneß — nur einen anderen, den Bayern-Präsidenten, sucht man vergebens in der Liste der Schuldigen am Hitzfeld-Drama.
Kein Wunder, denn Franz Beckenbauer ist als Lichtgestalt sakrosankt. Kritik an ihm verbietet sich. Franz ist nicht nur Kaiser, er ist Gott, wenn es sein muss, geht er über Wasser — und Bild macht ihn zur Not zum Bundeskanzler. Stolz präsentiert “Bild” auf dieser Bayern-Seite noch eine krude Rangliste des “Manager-Magazins”. Die Frage lautet: Wer regiert in Deutschland das Sport-Business? Die Antwort hätte man sich fast gedacht. “Auf Platz 1: ‘Bild’-Kolumnist Franz Beckenbauer.” Auf Rang 14, zwar hinter dem IOC-Präsidenten Jacques Rogge (7), aber vor Sportminister Wolfgang Schäuble (17), “noch ein Bild-Mann: Vize-Chefredakteur Alfred Draxler”.
Heißa, da ist die Sportwelt doch wieder in Ordnung, zumindest aus Sicht der “Bild”-Strategen. Wir sind Uefa-Pokal, wir sind Franz und wir sind wichtig. Wir sind übrigens auch ein bisschen unterwürfig: Wie erkundigte sich der “Bild”-Reporter Walter M. Straten vergangene Woche beim “Bild”-Kolumnisten Franz Beckenbauer? “Was ist dran an den Gerüchten, dass Sie ein Franz-Beckenbauer-Museum planen?” Der Springer-Lohnschreiber dementierte, vorerst noch. “Ein Museum mit meinem Namen?”, erwiderte der Kaiser, “definitiv nicht. Da müsste ich mich ja selbst reinstellen.”
“Bild” bleibt dran. Bis zur nächsten Kolumne.
Unsere Reihe BILDblogger für einen Tag beschließen, wenn alles klappt, Judith Holofernes und Max Goldt.
André Krüger, 31, ist BILDblog-Leser. Nach eigenen Angaben schreibt er “bereits seit einigen Jahren ins Internet. Seit nun einem Jahr tut er das auf boschblog.de, einem Weblog mit überwiegend literarisch angehauchten Kleinodversuchen über Alltagskultur, Hamburg, die Medien und was die seine Welt bewegt. Dem aus Krankheitsgründen ausgefallenen Harald Martenstein, den man eigentlich gar nicht ersetzen kann, wünscht er auf diesem Wege gute Besserung. Im richtigen Leben macht er was mit Old Economy. Wir nennen es Finanzplanung.”
Von André Krüger
Mit zitternden Händen legte ich dem Zeitungshändler meines Vertrauens heute abgezählte 60 Cent auf den Tisch, um statt der üblichen Qualitätszeitung das Druckwerk mit den großen Überschriften zu erwerben, das mir sonst ausschließlich als Mitleser bekannt ist.
Dass mir die Übung fehlt, bemerke ich bereits als ich auch nach zweimaligem Komplettdurchblättern noch immer nicht die erwartete und auch ein bißchen ersehnte Post von Wagner gefunden habe. Hat man ihn etwa zur Kompensation des PIN-Desasters vertafelsilbert oder etwa gemeinsam mit Pro7/Sat.1 an Finanzinvestoren veräußert? Was mir jedoch sofort auffällt ist, dass die Liebe zum Automobil — und damit verbunden zu dessen Käufern, Fahrern und Erbauern — in dieser Zeitung besonders ausgeprägt ist, und sich wie ein rotes Abschleppseil durch das Blatt zieht.
Schon auf der Titelseite erfährt der geneigte Leser, dass die EU den Kauf von Neuwagen künftig um 5.000 Euro teurer macht. Den Herstellen drohten Milliarden-Strafen, wenn sie den CO2-Ausstoß nicht deutlich senkten. Auf Seite 2 erklärt uns Oliver Santen in seinem Kommentar sodann, dass es der EU keineswegs darum gehe, die Umwelt zu schützen. Vielmehr handle es sich um einen französisch-italienischen Kleinwagenherstellerangriff auf unsere hochmotorisierten deutschen Premiumhersteller. Von hier aus ist es für denselben Autor auch nur noch ein kleiner Schritt, um gleich nebenan zu erklären, wie Post und Politik mit französisch-italienischer Raffinesse den verlagseigenen Briefdienstleister PIN-Group in die Pleite getrieben haben. Kein Wort verliert er allerdings darüber, wie die grüngekleideten Briefzusteller von ihren Dumpinglöhnen sich hätten eine Premiumkarosse made in Germany leisten sollen, wo doch ihr Hungerlohn noch nicht einmal für einen umweltschonenden ausländischen Gebrauchtkleinwagen gereicht hätte.
Wenigstens Opel profitiert vom Trend zum Kleinwagen und schafft im kommenden Jahr 300 neue Jobs im Stammwerk Rüsselsheim (Nachrichten, Titelseite). “Bild” meint sicherlich: Gut so; aber “Gewinner des Tages” wird trotzdem nur George W. Bush, der für mehr Frieden auf der Welt und weniger Waffen sorgt.
Die Frage, ob man sich wegen der drohenden EU-Strafsteuer jetzt noch schnell ein neues Auto zulegen sollte, dürfte sich den PIN-Mitarbeitern derzeit eher weniger stellen. Sie können höchstens darauf hoffen, im “Bild”-Lidl-Adventskalender eine unbedachte 200-PS-Flunder aus Ingolstadt zu gewinnen. Sollte ihnen, wie bereits bei der Wahl des Arbeitgebers, auch im Spiel das Glück nicht hold sein, könnten sie versuchen, auf dem bewachten Parkplatz eines luxuriösen Hamburger Fischrestaurants vor den Augen des Wagenmeisters einen Porsche zu klauen (Bild-Hamburg, Seite 6). Der Eigentümer des auf diese Weise entwendeten Premiumfahrzeugs dürfte jetzt ähnlich traurig sein wie ein kleiner Junge aus Wuppertal. Einbrecher stiegen nachts in sein Haus ein und entwendeten heimtückisch ein für ihn bestimmtes Weihnachtspaket, das eine Autorennbahn enthielt (Seite 16). “Bild” meint sicherlich: So geht das aber nicht; “Verliererin des Tages” wird allerdings WDR-Intendantin Monika Piel, der nächstes Jahr 12 Millionen Euro in der Kasse fehlen. Wann wird Mathias Döpfner endlich Verlierer des Tages? Setzte er nicht für die PIN-Group 500 Millionen Euro in den Sand?
Wer jetzt denkt, auf das neue Premiumfahrzeug oder die neue Autorennbahn ungestört anstoßen zu können, der sei gewarnt: Es drohen wieder “Glühwein-Kontrollen” (“Bild”-Hamburg, Seite 12). “Weitere Kontrollen folgen”, so ein Polizeisprecher. Dabei werden sicher auch andere Delikte aufgedeckt. Hoffentlich erwischen unsere Freunde und Helfer dabei auch “Raser-Rambos”, die mit 306-PS-starken Premiumfahrzeugen aus deutschen Landen unschuldige Rentner “zerquetschen”.
Die rührendste, fast schon weihnachtlich stimmende Autogeschichte findet sich allerdings ganz unvermutet im Sportteil. Der HSV-Mittelfeldspieler Vincent Komany (21) zeigt nun auch deutlich in der Öffentlichkeit, wie sehr er seine vor sechs Wochen verstorbene Mama geliebt hat. “Wo andere ihre eigenen Initialen, die der Frau oder Kinder auf einem Kennzeichen verewigen, hat sich Vincent ein Schild mit HH-JF für seinen Mercedes besorgt. Das ‘JF’ steht für Joseline Fraselle. Kompany: ‘Es ist in Angedenken an meine Mutter…'” “Bild” meint sicherlich: Das ist wahre Mutterliebe; die entsprechende Rubrik dafür ist allerdings noch nicht erfunden.
Fast zu Tränen gerührt wünsche ich mir nach dieser anstrengenden Lektüre, dass es mir ein bißchen wie der Wunderheilerin Uriella erginge. Sie hat sogar den von ihr vorhergesagten Weltuntergang vergessen. Das sollte mir mit der soeben gelesenen Ausgabe der “Bild” doch bitte ebenso gelingen.
Jürgen Trittin, 53, ist seit 1980 Mitglied der Grünen, seit 1998 Bundestagsabgeordneter. Von 1998 bis 2005 war er Umweltminister und ist derzeit Vize-Chef der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Am 29.1.2001 (kurz nach dem Amtsantritt von Kai Diekmann als “Bild”-Chef) druckte “Bild” das inzwischen legendäre “Bolzenschneider”-Foto mit Jürgen Trittin, das Diekmann auch im Nachhinein nur als “schwerwiegenden handwerklichen Fehler” verstanden wissen will. In den vergangenen Jahren musste “Bild” mehrere Gegendarstellungen Trittins abdrucken, darunter — mitten im Bundestagswahlkampf 2005 — eine, die (angesichts des vorgeblichenSinneswandels der “Bild”-Zeitung in Ökofragen) heute für “Bild” um so peinlicher erscheint.
Von Jürgen Trittin
Am 13. Dezember 2007 geht Liselotte Pulver[1, siehe Abb. u.] mit “dem schönsten Lächeln ins Altersheim”, obwohl sie “mit 76 immer noch jugendlich” wirkt. “Bild” enthüllt [2], dass die Zuschauer die “Tageschau” nicht verstehen — anders als das “Ehe-Aus” bei Oettingers [3]. Deren neuer “Geliebter” hat nämlich bei “Bunte” “ausgepackt” und “Bild” druckt es nach. Vielleicht liegt das Ehe-Aus ja daran, dass — so Roland Koch auf der gleichen Seite — “Politiker zu wenig verdienen”. Weniger als Porsche-Manager auf jeden Fall.
Obwohl eine “Cara” [4] nicht bowlen kann, ist Philipp Mißfelder von der Jungen Union der “Gewinner” des Tages [5], weil er einer Jugendorganisation* der Linkspartei die Förderung durch den Ring Politischer Jugend verweigert hat. “Linksextremisten dürfen keine Staatsknete bekommen”, so Mißfelder. Die sollten der Jungen Union und ihrem Vorsitzenden vorbehalten bleiben, der die Staatsknete schon mal genutzt hat, um zu fordern, alten Menschen keine Hüftoperationen mehr zu bezahlen — wohl im Namen der Generationengerechtigkeit. So sehen bei “Bild” Sieger aus.
Verlierer, wie der bei den Bayern suspendierte “Titan” Olli Kahn[6], müssen sich dagegen auf der ersten “Bild”-Seite nachfragen lassen, ob sie gelogen haben. Da ist “Bild” Expertin. Ich empfehle Olli ein Weißbier samt Waldi Hartmanns Erkenntnis, auf der Bank ist es am schönsten. Und ein kleiner Trost für ihn findet sich auf der letzten Seite: Manchen geht es noch schlechter — Prinz Charles wurden 350 Gänse geklaut. Im Bild über den Gänsen: Paris Hilton [hier ohne Abb., d.Red.]. Die durfte zwar keine Werbung für ihren Dosen-Prosecco im Reichstag machen, aber doch dessen Kuppel besichtigen.
Unten auf Seite 1 kommt “Bild” auch zu einem Herzensanliegen seines Verlages, der Beibehaltung eines — staatlich subventionierten — Niedriglohnsektors [7]. Direkt unter der Nachricht [8] “Normal-Benzin immer öfter so teuer wie Super” (“Bild” konnte das schon mal kürzer) warnt “IFO-Chef Sinn”:
Das erscheint in jenem Springer-Verlag, der es als Miteigentümer der PIN AG gerade geschafft hat, einen privaten Zustelldienst trotz Hungerlöhnen an den Rand der Insolvenz zu führen und nun vor Massenentlassungen steht. Wie schön, dass man das eigene unternehmerische Versagen mit professoraler Hilfe einem noch nicht eingeführten Mindestlohn in die Schuhe schieben kann.
Aber Sinns Ideen zum Mindestlohn geben auch so keinen Sinn. Warum haben fast alle anderen Mitgliedstaaten der EU einen gesetzlichen Mindestlohn und viele trotzdem eine niedrigere Arbeitslosigkeit als Deutschland? Weil sich Niedriglohnjobs eben nicht einfach nach China verlagern lassen. Haare müssen geschnitten, Gebäude gereinigt und bewacht, und Briefe müssen zugestellt werden. Deutschland hingegen subventioniert ausbeuterische Arbeitgeber, in dem Wenigverdienern aus Steuermitteln das Gehalt aufgestockt wird.
Deutschland muss aufpassen, dass es ihnen nicht geht wie Werder Bremen. Die “Werder-Versager” nämlich “vergraulen Diego”. Da war ich mit “Bild” wieder im Reinen. Wenn die Hauspostille des FC Bayern uns grüne Fischköppe als Versager tituliert und Diego neidet, dann kann Thomas Schaaf diese Saison nicht alles falsch gemacht haben.
*) Hier stand zunächst “Jugendmagazin“. Tatsächlich geht es in der “Gewinner”-Meldung von “Bild” aber um Solid, die Jugendorganisation der Linkspartei. Wir bitten um Entschuldigung, d.Red.
Es ist nicht ganz einfach mit dem Zählen. Gerade im Dezember sind viele angehalten, kleine Papptürchen in der richtigen Reihenfolge zu öffnen. Da kann man bei komplexeren Sachverhalten schon mal den Überblick verlieren.
Bereits am Montag meinte “Bild” es ganz genau zu wissen: Der Dortmunder Fußballer Nelson Valdez habe das 1:0 beim Spiel gegen den VfB Stuttgart “nicht selbst geschossen”:
Fernseh-Bilder bewiesen: Der Stürmer stümperte den Ball erst hinter der Linie ins Netz. Das 0:1 war eigentlich ein Eigentor von Stuttgarts Abwehrspieler Delpierre — unter gütiger Mithilfe von Torhüter Schäfer. Die DFL führt trotzdem Valdez als Torschützen.
Und am Dienstag verkündete “Bild”:
Die DFL bestätigte BILD gestern offiziell: Das Tor wird dem kleinen Stürmer aus Paraguay aberkannt und statt dessen als Eigentor des Stuttgarters Delpierre geführt.
Kurioserweise hatte die DFL jedoch “nach dem Studium der TV-Bilder” und am selben Tag, als diese “Bild”-Meldung erschien, entschieden, das Tor doch zugunsten vonValdez zu werten — was “Bild” immerhin einen Tag darauf richtig stellte (“Chaos um Valdez-Tor”).
Darüber, ob die DFL “Bild” am Montag wirklich das Gegenteil “offiziell” bestätigt hatte, wollte man uns bei der DFL keine Auskunft geben.
Falsch ist die “Tor-weg”-Meldung vom Dienstag jedenfalls. Bei Bild.de jedoch findet sie sich auch zwei Tage nach der nun wirklich offiziellen Entscheidung noch immer auf der Startseite der “Borussia Dortmund Klub-News”, und die Korrektur sucht man vergebens*:
Mit Dank an Sebastian L. und Frank für den sachdienlichen Hinweis.
*) Die Korrektur der “Tor-weg”-Meldung wurde zwischenzeitlich über das Sport-Telegramm bei Bild.de verbreitet, wo sie aber nicht mehr zugänglich ist.
Silvana Koch-Mehrin, 37, ist Mitglied im FDP-Präsidium und Vorsitzende der FDP-Gruppe im Europaparlament. Als Vize-Fraktionsvorsitzende der ALDE arbeitet sie im Haushalts- und Haushaltskontrollausschuss und ist u.a. verantwortlich für das Thema Parlamentsreform.
Die “freundin” wählte die Unternehmensberaterin zur “Frau des Jahres 2000”, “Bild” nennt sie, je nach Anlass, “wichtige EU-Abgeordnete” oder “umwerfend schwanger”. 2005 forderte sie “Bild”-Chef Kai Diekmann auf, “zumindest einen Korrespondenten nach Brüssel zu schicken”. Doch als sie im selben Jahr im “Stern” “ihren nackten Babybauch” zeigte, war das auch “Bild” fast eine halbe Zeitungsseite wert — und ein sehr privater Schicksalsschlag im Frühjahr eine Meldung mit großem Foto auf Seite 2. Unter den “50 schönsten Deutschen” belegte sie für “Bild” als “schönstes Gesicht der Europa-Politik” Platz 29.
Koch-Mehrin ist Mitglied des Fördervereins der “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” und bloggt selbst auf ihrer Homepage koch-mehrin.de. Sie erwartet ihr drittes Kind und verabschiedet sich Ende dieser Woche in den Mutterschutz.
Von Silvana Koch-Mehrin
Natürlich kann man es sich einfach machen. Irgendwo was “Völkisches” suchen und finden, Wagner für einen Irren halten und “Bild” generell blöd finden. Damit ist man hier auf der sicheren Seite und findet garantiert haltungsstarke Reflexlacher.
Aber so einfach macht es sich eine Liberale und blonde Karrieretusse nicht. Denn “Bild” ist Teil des deutschen Politikbetriebs — egal, wie man sie findet. Ich gestehe also hiermit und rede mich auch gar nicht raus: Ich lese “Bild” jeden Tag. In Brüssel auf dem Weg zur Arbeit. Bisweilen gern, weil ich zweierlei Nutzen erwarte und manchmal sogar bekomme: Information und Unterhaltung.
Das Blatt von diesem Dienstag bringt leider weder-noch. Wo waren am Montag die Kerle (Frauen gibt’s ja kaum dort), die ein aufregendes, brutales, virtuoses, irres Blatt machen können? Alle in ihrer Männer-Gruppe, um Weihnachtsschmuck aus Salzteig zu backen?
Solche Schlagzeilen sind nur insofern gefährlich, als sie inhaltlich wie sprachlich spontanen Sekundenschlaf auslösen, was im Brüsseler Frühverkehr hochriskant ist.
Genauso schnarchig geht es durch die halbe Zeitung (ich lese immer nur die halbe “Bild”, weil ich den Sportteil seit jeher bestenfalls nutze, um die nassen Schuhe der Kinder auszustopfen): Devote CDU-Schlaffis bejubeln ihre Kanzlerin, Wagner spricht mit dem Jackpot, der Regenwald wird gerodet, ein hässlicher Mann hatte seit sieben Jahren keinen Sex und Herr Blome keine Kommentar-Idee: Dass eine Volkspartei und ihre Anführer wie eine Schiffsschaukel schwingen müssen, um alle Mitglieder zu bedienen, das ist weder bemerkens- noch kritisierenswert, sondern seit 60 Jahren selbstverständlich. Klarheit im Programm können sich (Achtung: Werbeblock!) nur die kleinen Parteien leisten. Steht schon bei Kohl. Der kommt übrigens auch vor, wie eigentlich jeden Tag. Bei Müller-Vogg, dem Altmeister der entertainment-freien Kolumne.
Gibt es denn gar nichts Überraschendes, Originelles, Gemeines, Relevantes?
Doch, aber es ist gut versteckt: Wenn Außenminister Steinmeier und Regierungssprecher Steg, zwei enge Vertraute des Altkanzlers und Putin-Freundes Schröder, die Wahlen in Rußland massiv kritisieren, dann müsste das mehr wert sein als sechs Sätze [und ist nicht mal online, d. Red.]. Den Zwist zwischen Gazprom-Gerd und seinen alten Kumpels könnte “Bild” wunderbar hochziehen.
Letzte Rettung letzte Seite, aber auch da gähnt mich überwiegend unspektakuläres Frauenfleisch an: Entweder eine ernüchternde Kate Moss oder dicke Bäuche oder heulende Elends mit Tattoos. Alternativ ein spektakulärer Typ, der als Augenweide taugt? Auch nicht. Und was ist “in” an diesem Dienstag?
Auweia. Fehlt nur noch: “Im Sitzen pinkeln”. Was ist nur aus den wetterfesten Machos von “Bild” geworden?
Pfeifenbläser, Telefonabspielgeräte, Kolumnenbeamte, kleine böse Brüder.
Wallpaper-Erfinder und Monocle-Herausgeber Tyler Brûlé kritisierte das Blabla, dass Printmedien verschwinden würden, das zeuge von Faulheit und Kurzsichtigkeit. Der Schaden wurde vor langer Zeit angerichtet und man könne nicht das Internet dafür verantwortlich machen: “Viele Fehlentwicklungen hat es gegeben, weil die falschen Leute an der Spitze von Medienunternehmen sitzen. Vor etwa 15 Jahren haben nämlich Geschäftsleute die Redaktionen übernommen. Ich sage: Wenn man ein guter Journalist ist, kann man auch ein guter Geschäftsmann sein, denn gute journalistische Arbeit macht das Medium attraktiv für Werbekunden.”
Schon 11 Leute haben eine Petition gegen die Heute-Kolumne “Zora Off” unterschrieben. Sie wendet sich gegen ihre wiederholte unbedachte Wortwahl. Es sei “nicht sonderlich klug, wenn sich eine Kolumnistin als Kifferin outet und öfters von anderen Drogen wie bspw. Heroin spricht. Jungen Lesern könnte damit der Eindruck erweckt werden, dass Kiffen oder das Konsumieren von Drogen etwas Tolles sei.”
Peter Heinlein, 56, ist so eine Art Söldner der Medienbranche. Er stand unter anderem schon in den Diensten von “Spiegel”, “Welt am Sonntag”, “Handelsblatt”, “Bunte” und “Max” und zeichnete sich immer durch Artikel über die Medien- und Werbebranche aus, die seine jeweiligen Auftraggeber ganz besonders glücklich machte. Er hatte keine Skrupel, seine Kolumnen ganz in den Dienst der Verlagsinteressen zu stellen, egal, ob das bedeutete, besonders gehässig über die Konkurrenz zu lästern, besonders üppig die eigenen Erfolge herauszustellen oder besonders ungeniert den Werbekunden zu schmeicheln.
Für die “Bunte” porträtierte er vor einigen Jahren in einer großen Reihe Werber. Die Artikel hatten programmatische Überschriften wie “Das ist ein wirklich kluger Kopf!”, “Der Hugh Grant der Werbung”, “Dieser Typ ist ‘ne echte Marke”, “Ein Turbo-Werber macht Druck” oder “Der smarte Werbe-Künstler”. Für “Max” schrieb er über die Agentur Crispin Porter + Bogusky (“von der die derzeit beste Werbung der Welt kommt”), die Agentur Jung von Matt (“Deutschlands beste Werbeagentur”), die Agentur Heimat (“der kreativste Werberladen Deutschlands”).
“Viele Websites bieten inzwischen bewegte Bilder an. Aber bei Bild.T-Online gibt’s ab sofort eine eigene Web-TV-Show. BILD live sendet zweimal täglich das Neueste von Stars aus Entertainment und Sport.
Das neue Videoformat wird von meiner Hamburger Kollegin Julia Josten präsentiert. Dazu wählt die Online-Redaktion in Berlin das Interessanteste aus der Fülle des internationalen Themenangebotes aus. (…) Es macht richtig Spaß, [mit dem Videoplayer] durch die aktuellen Newsfilme zu “blättern”, sich Kinotrailer, Musikclips oder Videos der Community auf den Schirm zu holen.”
Quelle: Bild.de
Vor gut drei Jahren ist er mit seiner Medienkolumne zu “Bild” gezogen, und man kann nicht sagen, dass ihn ein Rückgrat bei der Arbeit behindere. Er scheut sich zum Beispiel nicht, Interviews anderer Leute so auf Links zu krempeln, dass sie sich als Lob auf die Zeitung verkaufen lassen, für die Heinlein schreibt (wir berichteten). Wenn er für Bild.de über Probleme bei der Münchner “Abendzeitung” berichtet, flicht er, wie als Erklärung, den Satz ein: “Modernen Boulevard bietet in München die BILD-Zeitung.” Und zur Post und ihrer neuen Konkurrenz durch die PIN-AG fällt ihm zufällig exakt das ein, was auch Linie der Axel-Springer-AG ist, der die PIN-AG gehört, was für Heinlein aber anscheinend keine für die Leser relevante Information darstellt.
Heinlein kann nicht nur positiv. Wenn es um die (auch von Chefredakteur Kai Diekmann nicht geschätzte) “Zeit” geht oder den Verlag Gruner+Jahr, findet er gern ein böses Wort, und den “Geo”-Chef Peter-Matthias Gaede scheint er besonders wenig leiden zu können:
Bevor der gern kritische Journalistik-Papst des Hauses Gruner + Jahr und König der “GEO”-Gruppe, Peter-Matthias Gaede, im Aufsichtsrat seines Verlages neue Weihen erhält, darf er abgeben von seiner Machtfülle.
Aber man täte Peter Heinlein Unrecht, wenn man jedem seiner Texte unterstellte, er habe ein erklärtes publizistisches Ziel. Viele sind auch einfach, sichtlich unredigiert, dahingeworfen. Ein Höhepunkt aus dem Genre “Eh-Egal” findet sich in Heinleins heutiger Bild.de-Kolumne:
Das immer beliebter werdende digitale Aufzeichnen mit automatischem Herausschneiden der Fernsehreklame hat TV-Werber in den USA auf neue Ideen gebracht. Dort gibt’s nämlich schon Fernsehen im Supermarkt. In den Läden der “Wal-Mart”-Kette zum Beispiel, wo sich Leute beim Einkaufen im Schnitt eine Stunde aufhalten. Dort werden sie jetzt zunehmend mit TV-Werbung berieselt. Ausschalten geht nicht, pinkeln auch nicht. Die Werbeerinnerung dort ist mit 56 Prozent deutlich höher als beim Zuhause Gucken (21 Prozent), ergab eine US-Studie.
Nach “Ford Unilever” und “Gilette” will jetzt auch die US-Navy diesen Kanal nutzen und für ihr PC-Spiel “Call of Duty” werben.
Offenbar hat Heinlein diesen Artikel aus der amerikanischen Fachzeitschrift “Brandweek” zum Thema gelesen. Oder besser: flüchtig überflogen. Denn mal abgesehen davon, dass Ford und Unilever zwei verschiedene Unternehmen sind, dass sich Gillette mit Doppel-L schreibt und es vielleicht wichtig gewesen wäre, darauf hinzuweisen, dass die “US-Studie” mit den für das Wal-Mart-Fernsehprogramm so vorteilhaften Ergebnissen von dem Produzenten des Wal-Mart-Fernsehprogramms erstellt wurde… also, mal abgesehen davon ist das PC-Spiel “Call of Duty” natürlich nicht von der US-Navy. Die “Brandweek” hatte nur darauf hingewiesen, dass jugendliche Käufer dieses Kriegsspiels doch die perfekte Zielgruppe wären für die eigene Werbung der US-Navy im Ladenfernsehen (bei GameStop übrigens, nicht Wal-Mart).
Da muss man schon sehr schludrig arbeiten, um all das, wie Heinlein, misszuverstehen. Aber es geht in diesem Fall ja auch nicht um “Bild”, die Axel-Springer-AG oder ihre Konkurrenten.
Nachtrag, 22. November: Bild.de hat die Wal-Mart-Meldung aus Heinleins Kolumne ersatz-, wort- und restlos gelöscht.
Debby Reuter ist neue Stadionsprecherin beim 1. FC Kaiserslautern — was den 1. FCK veranlasste, in einer Pressemeldung deutlich darauf hinzuweisen, dass Reuter die “einzige weibliche Stadionsprecherin” sei. Bei “Bild” wurde daraus heute diese Überschrift:
Das klingt nach einem historischen Moment. Ist es aber nicht. Vor Debby Reuter waren zumindest schon Katja Wunderlich (1. FC Nürnberg) und Steffi Renz (SSV Reutlingen) Stadionsprecherinnen. Deshalb hier ein Alternativvorschlag:
Aber vielleicht wäre den Redakteuren von “Bild” ja womöglich noch eine bessere Überschrift für die einzige Stadionsprecherin Deutschlands eingefallen.
Mit Dank an Alexander W. und usdgzer für den sachdienlichen Hinweis.
Nachtrag, 21.11.2007(mit Dank an Klaus S.): Wie es aussieht, ist Debby Reuter, anders als der 1. FCK in seiner Pressemitteilung behauptet, nicht mal so richtig die einzige Stadionsprecherin in der Bundesliga. Im Millerntor-Stadion beim FC St. Pauli kommt offenbar DagmarGrigoleit zumindest als Ersatzsprecherin zum Einsatz. Insofern ist unser Überschriften-Vorschlag noch schlechter als zunächst angenommen.