“Bild” streicht “Bild” II

Schon seit einiger Zeit berichtet “Bild” immer mal wieder über Rudi Carrells Krebs-Erkrankung. So auch heute. Sehr ausführlich zitiert sie aus einem Interview, das Rudi Carrell dem “SZ-Magazin” gegeben hat. Allerdings ignoriert “Bild” in ihrer Nacherzählung den ersten Teil des Interviews komplett. Und obwohl dieser Teil durchaus interessant ist, überrascht es nicht, dass “Bild” ihn mit keinem Wort erwähnt. Carrell erzählt dort nämlich, dass er wegen der “Bild”-Berichterstattung über seine Krebs-Erkrankung “stinksauer” war. Er habe sich sogar “schriftlich beim Chefredakteur beschwert” deswegen. Das, wie “Bild” sich “entschuldigt” und warum es ungünstig ist, wenn andere Medien bei “Bild” abschreiben, kann man zum Glück hier nachlesen.

Mit Dank an Jens S., Oliver K., Matthias K., Stephan I. und Adrian für den sachdienlichen Hinweis.

“Alles klar”

“Für die Bild-Zeitung ist schon alles klar. ‘Hartz IV zu hoch’, verkündete das Blatt am Dienstag auf Seite eins. Und nennt einen unverdächtigen Kronzeugen für diese Information: Das Statistische Bundesamt habe errechnet, dass das Arbeitslosengeld II (Alg II) für Männer um 2,3 und für Frauen sogar um 4 Prozent zu hoch sei. (…)

[Die] Meldung strotzte (…) nur so von Fehlern. Weder berechnet das Statistische Bundesamt die Regelsätze — das behält sich die Regierung vor. Noch wird das Arbeitslosengeld II nach Geschlechtern differenziert — ganz gleich, ob Mann oder Frau, alle bekommen das Gleiche.”

Dass die “Zeit” in ihrer aktuellen Ausgabe behauptet, die kleine “Bild”-Meldung “strotzte (…) nur so von Fehlern”, ist vielleicht etwas übertrieben, aber naheliegend: Immerhin bestand sie aus gerade mal vier Sätzen. Und wenn man den ersten (“Gibt’s bald weniger Stütze?”) weglässt, lautet sie:

Berechnungen des Stat. Bundesamtes kommen zu dem Ergebnis: Die Regelsätze für das ALG II (…) sind zu hoch. Sie müssten für Männer um 2,3 % und für Frauen um 4 % gekürzt werden, weil sie über dem Existenzminimum liegen.

Und so gesehen ist das, was da am Dienstag auf Seite 1 der “Bild”-Zeitung stand, zumindest äußerst irreführend. In der “FAZ”, die das Thema tags zuvor aufgebracht hatte, hieß es nämlich:

“Die Regelsätze für das Arbeitslosengeld II sind vermutlich zu hoch angesetzt. Darauf deuten nach Aussagen von Fachleuten die Ergebnisse der jüngsten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamtes hin. (…) Die Regelsätze bestimmen sich nach dem soziokulturellen Existenzminimum, das auf Basis der alle fünf Jahre stattfindenden Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ermittelt wird. Die Umfrage unter privaten Haushalten fand zuletzt 2003 statt, ihre Ergebnisse sind dem zuständigen Arbeitsministerium bekannt. Politiker und Verbände fordern von Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD), möglichst schnell die Neuberechnung des soziokulturellen Existenzminimums vorzulegen, die womöglich auf eine Senkung hinauslaufen könne.”
(Hervorhebung und Link von uns.)

Das heißt: In der zitierten “Bild”-Meldung müsste zwischen den Wörtern zu hoch und Sie müssten eigentlich eine Menge erklärt werden, damit sie irgendwie Sinn ergibt.

Andere Medien versuchten das. “Bild” nicht.

Was “Bild” die Renten-Kampagne bringt

Und warum macht “Bild” überhaupt eine Kampagne gegen die gesetzliche Rentenversicherung, lügt, übertreibt, verbreitet Panik und verrechnet sich? Das ARD-Magazin “Monitor” glaubt, um private Rentenversicherungen zu verkaufen. Bild.T-Online bietet gemeinsam mit der Allianz seit September 2005 die “Volks-Rente” an und bewirbt sie mit Sprüchen wie: “Rente sich, wer kann!” 80.000 Verträge wurden nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr abgeschlossen. Das Angebot wird auch aktuell auf Bild.de beworben, allerdings nicht mehr unter dem Namen “Volks-Rente”, sondern als “RiesterRente”.

Eine gemeinsame Volks-Aktion von Allianz und Bild.T-OnlineDie “Bild”-Zeitung sagte gegenüber “Monitor”, dass man nie im redaktionellen Teil für dieses Angebot geworben habe. Das mag man im Hinblick auf die aktuelle Renten-Kampagne anders sehen. Die Aussage steht zudem im Widerspruch zu einer internen Vertreter-Information der Allianz, die “Monitor” präsentierte:

Die Informationen zur VolksRente werden in zwei Formen aufbereitet - als Anzeige und als redaktionelle Artikel

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die berufliche Vorgeschichte des Wirtschaftschefs der “Bild”-Zeitung, Oliver Santen, der auch selbst über die “Schrumpf-Rente” schreibt. Santen war bis Mai 2004 Pressesprecher der Allianz.

Die Renten-Lügen von “Bild”

Wenn die “Bild”-Zeitung von Renten-Lügen redet, weiß sie, wovon sie spricht.

Am 18. Januar war Ilka Hillig auf der ersten Seite der “Bild”-Zeitung. Unter der Überschrift “SCHRUMPF-RENTE – Wovon sollen wir im Alter leben?” stand ihr Foto und das Zitat: “Ich habe Angst, im Alter zu verarmen!” Das ARD-Magazin “Monitor” hat die Frau besucht und gefragt, ob sie Angst habe, im Alter zu verarmen. Ilka Hillig antwortete, sie habe keine Angst, im Alter zu verarmen. Und warum hat “Bild” das dann geschrieben?

“Das weiß ich nicht, warum die das geschrieben haben, das habe ich auf jeden Fall nicht gesagt.”

Am Tag zuvor hatte “Bild” (wie berichtet) ebenfalls auf Seite 1 eine große Tabelle veröffentlicht: “Schrumpf-Rente! So wenig ist sie künftig nur noch wert”. Als Quelle gab “Bild” das “Deutsche Institut für Altersvorsorge” an, einer Lobby-Organisation der privaten Finanz- und Versicherungsbranche (was “Bild” verschwieg). Doch selbst die distanziert sich von den Daten, die sie “Bild” angeblich geliefert hatte. Bernd Katzenstein, Sprecher des DIA, sagte gegenüber “Monitor” auf die Frage, ob er die Zahlen für seriös halte:

“Nein, sie sind eine unnötige Panikmache. Denn es wird nicht so sein, dass wir auf Jahrzehnte überhaupt keine Rentenerhöhung haben und dann noch eine Inflation, die mit zwei Prozent gerechnet wird. Das ist zu pessimistisch.”

Noch einen Tag vorher hatte “Bild” auf Seite 1 getitelt: “Finanzexperte fürchtet: Nur noch Renten-Nullrunden!” Der Finanzexperte war Bernd Raffelhüschen, ebenfalls ein Lobbyist der privaten Altersvorsorge. Und auch er distanzierte sich gegenüber “Monitor” von der Schlagzeile: Wenn man, wie “Bild” es getan hat, die Bedingung für diese Aussage weglasse — dass es nämlich nur dann Nullrunden geben werde, wenn die Bruttolöhne nicht signifikant steigen sollten — dann sei es “eine schlichte Falschmeldung” und insofern “keine wirkliche Meldung und richtige Meldung.”

“Bild” streicht “Bild”

Uli Hoeneß, der Manager von Bayern München, hat dem “Stern” ein Interview zur öffentlichen Debatte um Bundestrainer Jürgen Klinsmann gegeben. Seine Aussagen kann man unterschiedlich interpretieren. Der “Stern” selbst moderierte sie in seiner Vorabmeldung mit den Worten an: “Der Manager des FC Bayern München, Uli Hoeneß, unterstützt den umstrittenen Bundestrainer Jürgen Klinsmann und stellt in Aussicht, dass die Bundesliga sogar weitere Länderspiele vor der WM möglich machen könnte.” “Bild” wählte die Variante: “Hoeneß faltet Klinsi zusammen.”

“Bild” zitiert Hoeneß aus dem “Stern” unter anderem so:

Klinsmann braucht diesen großen Befreiungsschlag. Er muß einsehen, daß Sturheit und Eigensinn keine Chance haben. Da steht ein Volk von knapp 80 Millionen Leuten dagegen, mit all deren Bataillonen, die jetzt aufgefahren werden. Das hält kein Mensch aus. Die Mächte sind gegen ihn.”

Doch das Original-Zitat ist länger. “Bild” hat es u.a. in der Mitte gekürzt. Im “Stern” nennt Hoeneß Namen:

Da steht ein Volk von knapp 80 Millionen Leuten dagegen, mit all den Bataillonen, die jetzt aufgefahren werden. Von der “Bild”-Zeitung bis zur “Süddeutschen”. Alle. Das hält kein Mensch aus.

Ja, die eigene Rolle fand “Bild” da wohl nicht so relevant. Man fährt ja bekanntermaßen keine Kampagne gegen Klinsmann.

PS: “Focus Online” hat Hoeneß’ Zitat auf die gleiche Art gekürzt. Dort tauchte das Thema auch erst heute auf, nachdem “Bild” darüber berichtete — und nicht schon gestern nach der Meldung des “Stern”. “Focus Online” zitiert aus dem langen “Stern”-Gespräch nichts, was nicht in dem viel kürzeren “Bild”-Artikel stand. Grad so, als hätte man die “Stern”-Zitate nicht aus dem “Stern”, sondern aus “Bild” abgeschrieben.

Danke an Michael L. für den Hinweis!

Heute anonym III

Offenbar wurde bei “Bild” mal wieder ausgelost, auf welchen Abbildungen Personen unkenntlich gemacht werden sollen und auf welchen nicht. Und die Auslosung hatte ergeben, dass die Prostituierten, die in einem Bordell arbeiten, das mit Einstiegsgeld von der Arbeitsagentur gefördert wurde, nur in der Druckausgabe und in der Fotogalerie auf Bild.de anonymisiert werden sollen. Auf den Teasern der Einstiegsseiten von Bild.de jedoch lächelten dieselben Frauen seit vergangener Nacht völlig unverpixelt in die Kamera:

Nachdem wir Bild.de auf die Inkonsequenz im Umgang mit dem Persönlichkeitsschutz der abgebildeten Frauen hinwiesen, bekamen wir zwar keine Antwort. Wenig später wurde das Foto jedoch entsprechend bearbeitet und sieht jetzt ungefähr so aus wie auf unserem Ausriss.

Lange Feindschaft

Das NDR-Medienmagazin “Zapp” berichtete gestern in einem ausführlichen Beitrag über “das Geben und Nehmen zwischen Profi-Fußball und “Bild”-Journaille” und die erstaunliche Macht, die die “Bild”-Zeitung in diesem Bereich hat und mit zweifelhaften Methoden aufrecht erhält. Unter anderem ging es dabei auch um die Hintergründe der Kampagne gegen Jürgen Klinsmann, mit dem “Bild” eine jahrelange Feindschaft verbindet.

Freddie Röckenhaus, Sportjournalist: “Die ‘Bild’-Zeitung ist natürlich gewöhnt, dass die wichtigen Figuren im deutschen Fußball mit ihr besonders kooperieren. Das heißt, dass die ‘Bild’-Zeitung Zugang zu besonderen Informationen hat, diese Informationen früher bekommt und so weiter. Das hat sich ja über die Jahrzehnte eingeschliffen, weil eigentlich alle wichtigen Personen im deutschen Fußball immer kooperationsbereit waren. Klinsmann ist das von Anfang nicht gewesen.”

Moritz Müller-Wirth, “Die Zeit”: “Das beste Beispiel ist, dass die ‘Bild’-Zeitung immer schon am Spieltag der Länderspiele die korrekte Mannschaftsaufstellung im Blatt hatte – als einzige Zeitung und als einziges Medium. Klinsmann hat das abgeschafft und hat die Mannschaftsaufstellung seither immer am Spieltag allen Journalisten gleich zur Kenntnis gegeben.”

(Die Sendung wird am Freitag um 15.30 Uhr auf 3sat wiederholt.)

Schock, grob geschätzt

Seit Montag schon druckt “Bild” ja “das brisanteste Buch des Jahres — exklusiv”. Laut “Bild” ist das Buch “eine Liebeserklärung und ein SOS-Ruf an die Familie”.

Und, zugegeben, die Lage ist schlimm — aber doch nicht ganz so schlimm, wie “Bild” sie heute (siehe Ausriss), ihren Vorabdruck flankierend, darstellt:

“Nur 676 000 Kinder kamen 2005 zur Welt, der niedrigste Stand seit dem 2. Weltkrieg, meldet das Bundesamt für Statistik.”

Mit dieser Zahl belegt die “Bild”-Zeitung, dass “wir Deutschen” (“eine bedrohte Spezies”) bis zum Jahr 2300 ausgestorben sein werden. Vom Statistischen Bundesamt allerdings stammt die Zahl nicht. Am 20. Januar erschien die bisher letzte Mitteilung der Behörde zu dem Thema. In dieser ist von “680 000 bis 690 000” Geburten die Rede. Andere Zahlen habe man seitdem nicht herausgegeben, sagte uns die zuständige Sachbearbeiterin. Die 676.000 seien eine Berechnung der Tageszeitung “Die Welt” , einer Schwesterzeitung von “Bild”.

Und so steht es auch in einer Meldung, die die Nachrichtenagentur AP gestern verschickte:

“Einer Schätzung der Tageszeitung ‘Die Welt’ zufolge kamen 2005 sogar nur knapp 676.000 Kinder zur Welt. Die Zeitung hatte die Geburtenzahlen der ersten neun Monate mit den Werten des letzten Quartals 2004 ergänzt.”

Aber auch die übrigen Belege der “Bild” sind weniger “Fakten” als grobe Schätzungen:

“In den nächsten 44 Jahren (bis 2050) wird die Zahl der Deutschen um 12,5 Mio. sinken — von heute knapp 82 auf knapp 70 Mio. Menschen.”

Diese Zahlen stammen tatsächlich vom Statistischen Bundesamt. Sie wurden am 6. Juni 2003 als negativste von neun möglichen Entwicklungen veröffentlicht. Allerdings mit einer deutlichen Warnung:

“Weil die Entwicklung der genannten Bestimmungsgrößen mit zunehmendem Abstand vom Basiszeitpunkt 31.12.2001 immer unsicherer wird, haben solche langfristigen Rechnungen Modellcharakter. Sie sind für den jeweiligen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten keine Prognosen, sondern setzen die oben beschriebenen Annahmen um.”

Daher sagt das Bundesamt, die Bevölkerungszahl werde im Jahr 2050 “zwischen 67 und 81 Millionen” betragen.

Mit Dank an Dominik D. und Nikolai S.

Nachtrag, 16.3.2006: Betrachtet man die Deutschen als aussterbende “Spezies”, wie es “Bild” tut, dann gibt es davon schon jetzt nicht mehr ganz so viele: Von den “rund 82,5 Millionen Einwohnern“, die das Statistische Bundesamt derzeit in Deutschland zählt, haben 75,2 Millionen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Rest sind Ausländer — womit der Satz, dass “die Zahl der Deutschen um 12,5 Mio.” sinken werde, nicht nur grob geschätzt ist, sondern wahrscheinlich auch falsch.

Mit Dank an an Philipp G., Hanno B., Micha O. und Eike F. für die Ergänzung.

“Bild” wird gerügt und nicht gerügt

Der Deutsche Presserat hat die “Bild”-Zeitung für mehrere Artikel über einen Mann gerügt, den sie als “Attentäter” bezeichnete, obwohl er nach allem, was man weiß, kein Attentäter war. Er war zwar in der Türkei in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden — aber nach Erkenntnissen des Presserates nur wegen der Teilnahme an einer Demonstration, an deren Ende es zu einem tödlichen Brandanschlag kam. Wegen eines Tötungsdelikt sei er nicht angeklagt worden. Die Berichterstattung der Rhein-Neckar-Ausgabe von “Bild” sei “falsch und vorverurteilend” gewesen, befand die zweite Beschwerdekammer des Presserates, und habe gegen die Ziffern 2 und 13 des Pressekodex verstoßen.

Presseethisch nicht zu beanstanden war nach Ansicht des Gremiums dagegen die vielfach kritisierte Aufmacher-Schlagzeile “Wird sie geköpft” unter einem Foto der entführten Susanne Osthoff im vergangenen Herbst: “Die Mitglieder äußerten Verständnis für die von Emotionen geprägten Beschwerden beim Presserat, gleichzeitig weist die Kammer jedoch darauf hin, dass die Zeitung hier eine reale Gefahr in Worten abgebildet hat. Auch grausame Realitäten zu schildern und darüber zu berichten, gehört zu den Aufgaben der Presse.”

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