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Das Geständnis-Event (zeit.de)
Nicht die SS-Mitgliedschaft von Günter Grass ist der Skandal, sondern sein Interview in der “FAZ”: eine Beichte, die keine ist.

Verzerrtes Bild vom Krieg (spiegel.de)
“Eingebettete” Reporter haben das Bild des Irak-Kriegs in US-Medien maßgeblich bestimmt. Nach einer amerikanischen Studie kamen Berichte über das Frontleben der US-Soldaten erheblich häufiger auf die Titelseite als das Leid der Zivilbevölkerung.

Vorsicht: Voyeure (welt.de)
Deutschland hält den Atem an. Denn ein Männermagazin hat exklusiv enthüllt: Männer werden am Strand zu Spannern. Doch damit nicht genug. Noch lange nicht.

Geschäftsideen vor ihrer Zeit (bernergazette.ch)
Die Berner Gazette liest “Zeilengeld” von George Gissing und findet ein Zitat zur Sehnsucht des Lesers nach Schnickschnack.

Wohin damit (zitty.de)
Angst vor dem Schulbeginn – Vielleicht sind wir ja alle ein bisschen schizophren.

Sei pünktlich! Spuck nicht auf die Straße! (taz.de)
Die Lehrbücher für die Integrationskurse machen Migranten eher mit kulturellen Vorurteilen vertraut als mit dem Alltagsleben in Deutschland. Die NS-Geschichte kommt in dem neuesten Lehrbuch gar nicht vor. Bundesamt verspricht Nachbesserungen.

Bild.de-Leser haben entschieden — aber wie?

“Unsere Leser haben entschieden” schreibt Bild.de über den Text zum Bild.de-Voting-Ergebnis, wer der oder die tollste Soap- und/oder Telenovela-Darsteller oder Darstellerin sei. Da wäre es natürlich sinnvoll gewesen, wenn man als Grundlage für diesen Text das Votingergebnis genommen hätte, das Bild.de nur einen Klick entfernt präsentiert. Oder — wahlweise — die Präsentation des Voting-Ergebnisses entsprechend angepasst hätte. Nur, um keine Verwirrung aufkommen zu lassen.

Denn, wer vermag nun schon zu beurteilen, ob “Soap-König” Daniel Fehlow 16,8 Prozent der Stimmen bekommen hat, wie im Text steht, oder 16,7, wie auf der Ergebnis-Seite zu lesen ist? Kam Alexander Solti auf 14,4 Prozent der Stimmen (Ergebnis-Seite) oder doch auf 14,9 (Text)? Ist Henriette Richter-Röhl tatsächlich mit 12,6 Prozent die “beliebteste Soap-Lady” (Text) oder ist sie bloß die zweitbeliebteste mit 12,1 Prozent und stattdessen Janin Reinhardt mit 12,3 Prozent die beliebteste Frau (Ergebnis-Seite)? Was wiederum die Frage aufwirft, auf welchem Platz Susanne Gärtner landete: Auf Platz 4 als zweitbeliebteste Frau mit 12,3 Prozent (Text) oder doch eher mit 11,5 Prozent als drittbeliebteste Frau auf Platz fünf (Ergebnis-Seite)? Außerdem: Landete Tanja Szewczenko nun auf dem letzten Platz, wie es im Text heißt, oder auf dem Vorletzten, wie auf der Ergebnis-Seite steht? Und wie egal genau ist den Bild.de-Mitarbeitern eigentlich, wie ihre Leser wirklich entschieden haben?

Mit Dank an Heike W. und Carsten R. für den sachdienlichen Hinweis.

Nachtrag, 15.14 Uhr: Und, schwupps, hat man sich bei Bild.de entschieden, dass die Angaben auf der Ergebnis-Seite richtig sind und den Text entsprechend angepasst.

“Bild”-Experte kennt Uno-Resolution nicht

“Bild” lässt sich heute von Michael Wolffsohn die Frage beantworten, ob Israel den Krieg gewonnen hat. Der Professor für Neuere Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der internationalen Beziehungen kommt zu dem Ergebnis “Gewonnen ja, gesiegt nein!”, und begründet das u.a. so:

Die Hisbollah sollte entwaffnet werden. So hatte es die Uno 2004 beschlossen. Im jetzigen Uno-Beschluss zum Waffenstillstand ist von Entwaffnung der Hisbollah nicht mehr die Rede.

Nun ja: Der jetzige Beschluss des UN-Sicherheitsrates (Resolution 1701) bezieht sich nicht weniger als vier mal auf den Beschluss von 2004 (Resolution 1559), in dem die Entwaffnung aller Milizen im Libanon gefordert wurde. Und der jetzige Beschluss wiederholt die alte Forderung ausdrücklich noch: Grundlage des Waffenstillstands und einer langfristigen Lösung sei u.a. “die Entwaffnung aller bewaffneten Gruppen im Libanon” außer der libanesischen Streitkräfte. Generalsekretär Kofi Annan wird aufgefordert, Vorschläge für die Entwaffnung der Miliz zu erarbeiten.

Kurz gesagt: Das Gegenteil dessen, was in “Bild” steht, ist richtig.

Danke an Simon K. und Erich B.!

“Bild” verläuft sich im Nahen Osten

Es scheint, als hätte die “Bild”-Zeitung den Überblick über die vielen Schauplätze im Nahen Osten verloren. Gestern formulierte sie in Bezug auf die Waffenruhe im Libanon-Konflikt die Überschrift:

Ab heute sollen die Waffen schweigen. Für ihn kommt der Frieden zu spät

Der Pfeil unter dem Wort “ihn” zeigt auf einen Mann, der als angeblicher Kollaborateur von Mitgliedern der Gruppe “Islamischer Jihad” hingerichtet worden sein soll. Im Westjordanland wohlgemerkt, nicht im Libanon.

Danke an Ullrich F. für den Hinweis!

“Bild” verleumdet Sozialarbeiterin (3)

Am 7. Juni dieses Jahres schrieb “Bild” über die Sozialarbeiterin Fatma Celik:

"Sozialarbeiterin verhöhnt verprügelte Lehrerin!"

Das war unwahr. Celik hatte die “verprügelte Lehrerin” nicht verhöhnt, sondern “Bild” hatte sinnentstellend aus einem Interview mit Celik in der “taz” zitiert. Und aus dem sinnentstellenden und verkürzten Zitat schlussfolgerte “Bild” dann die falsche Überschrift und einen “neuen Skandal um Schulhofschläger Mohamed O.”, weil Celik dem “Prügelkind scheinbar recht” gegeben habe. Entsprechend muss “Bild” (wie kürzlich übrigens auch schon der “Tagesspiegel”) heute die bereits angekündigte Gegendarstellung veröffentlichen. Darin heißt es:

In der Bildzeitung (…) verbreiten Sie unter der Überschrift “Sozialarbeiterin verhöhnt verprügelte Lehrerin” auf S. 5 über mich ein unvollständiges und damit sinnentstelltes Zitat: (…)

Das hätte auch “Bild” natürlich schon bei Veröffentlichung des Artikels klar sein müssen. Und insofern haben wir dem nicht mehr hinzuzufügen als “Bild” der Gegendarstellung:

Fatma Celik hat recht,
die Redaktion

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Der Herr der Binse (spiegel.de)
Ein Unglück kommt selten allein. Ullrich war gedopt, Grass war bei der Waffen-SS. Umgekehrt wäre es natürlich noch schlimmer, aber auch so, wie es ist, fällt das Urteil über die gefallenen Helden vernichtend aus. Wie konnten sie nur? Und vor allem: Warum haben sie es uns nicht früher gesagt?

Frühstück in Frieden (taz.de)
Die Medienberichte über die jüngste Eskalation zwischen Israel und der arabischen Welt folgten der üblichen Dramaturgie. Ihr Kern heißt fundamentalistischer Humanismus: Krieg ist böse, Opfer sind unschuldig. Wie entpolitisiert ist unsere Öffentlichkeit?

Man reiche mir einen Kollaps (zeit.de)
Ernsthafter Wald, ernsthafte Kunst, schwere Menschen. Eine Begegnung mit Bayreuth und Wagner, der ja nichts für seine Fans kann.

Digitale Nihilisten (lettre.de)
Die Blogosphäre unterminiert den Medienmainstream.

Terroristische Journalisten? (telepolis.de)
Trotz israelischer Bombardierungen sendet das Hisbollahnahe “Al-Manar TV” seine “antizionistische Propaganda” munter weiter.

Peter, der Video-Rentner (spiegel.de)
Er nennt sich selbst geriatric1927, was auf sein Geburtjahr verweist, sitzt vor Blümchentapete in seinem Sessel und erzählt in Videos, die er bei YouTube veröffentlicht, sein Leben. Und siehe da: Hundertausende sehen und hören ihm begeistert zu.

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Die Verwandlung der höflichen jungen Männer (faz.net)
Die meisten Verdächtigen der vereitelten Londoner Anschläge haben pakistanische Eltern. Sie waren unauffällige Briten mit normalen Jobs und interessierten sich für Fußball und Kricket. Doch dann geschah etwas in ihrem Leben.

“Die Macht der Massen” (ftd.de)
Internet war gestern, heute ist Web 2.0: Wer nicht vom Geldfluss für Onlinewerbung abgeschnitten werden will, muss akzeptieren, dass künftig die Nutzer die Inhalte der Internetangebote bestimmen.

Brüssel will Online-Zeitungen stärker kontrollieren (welt.de)
Verleger und Internet-Wirtschaft protestieren gegen die geplante EU-Fernsehrichtlinie, die auch für redaktionelle Webseiten gelten soll.

Auf Knopfdruck nach rechts oder links (diepresse.at)
Hirnforschung. Mit elektrischen Signalen an den Vestibular-Apparat kann man Menschen fernsteuern.

Werbe-Models auf Abwegen (spiegel.de)
Großflächige Werbebanner sind nicht mehr sicher in Berlin. Unbekannte entführen nachts Models und Produkte von den Plakatplanen. Markenhersteller und Polizei tappen im Dunkeln. Den konsumkritischen Kidnappern geht es um die Rückeroberung des öffentlichen Raumes.

Poesie auf der Parkbank (tagesspiegel.de)
Manuela Mechtel kümmert sich um die Problemkinder vom Neuköllner Reuterplatz. Die Autorin lässt sie Gedichte schreiben.

Kurz korrigiert (253)

Bild.T-Online wird ja durchschnittlich über eine Million Mal täglich angeschaut.

Offenbar jedoch noch immer nicht von den Bild.T-Online-Mitarbeitern, wie der nebenstehende Ausriss aus einem (so bereits seit heute, 13 Uhr, auf Bild.T-Online veröffentlichten) Artikel eindrücklich zeigt.

Mit Dank an Philip S., Julia K. und vic.

Nachtrag, 20.20 Uhr: Sicher ist sicher. Und so hat Bild.de den Fehler zwar nicht korrigiert, aber das Foto samt Bildunterschrift inzwischen komplett aus dem Artikel entfernt…

Wie “Bild” nicht über Carrells Krankheit berichtete

Apropos:

Als Rudi Carrell der “Bild”-Zeitung im vergangenen Dezember vorwarf, ihn mit ihrer Berichterstattung über seine Krebskrankheit “lebendig begraben” zu wollen, reagierte “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann mit Unverständnis. Er antwortete dem Showmaster:

Wie Sie wissen, berichten — im Gegensatz zu BILD — zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften seit vielen Wochen über Ihre Erkrankung. Erst nachdem Sie selbst am 21. November in der niederländischen Illustrierten “Prive” und anschließend mit BUNTE offen über ihre Krebskrankheit sprachen (…ich weiß, daß ich Krebs habe…), hat BILD entsprechend berichtet. Ihre Äußerungen ließen für uns den Schluß zu, daß Sie mit diesem sehr persönlichen Thema nun durchaus öffentlich umgehen wollen.

Kai Diekmann suggeriert also, “Bild” habe vor dem 21. November 2005 nicht über Carrells Krebs berichtet.

Am 15. November 2005 titelte “Bild”:

Abgemagert — Haarausfall — Kaum noch Auftritte

Wie krank ist Rudi Carrell?

Die “Bild”-Autoren Daniel Cremer und Guido Brandenburg zitierten “enge Freunde”, dass es Carrell “sehr schlecht gehe, er ernsthaft erkankt sei”. Sie wiederholten die Sätze, die Carrells Schwiegermutter der Zeitschrift “das neue” gesagt haben soll: “Daß er Krebs hat, ist definitiv. Eine Chemo hat er ja schon hinter sich. Rudi spricht nicht über seine Krankheit.” Und sie stellten fest: “Fragen zu seiner Krankheit möchte Carrell nicht beantworten.”

Am 16. November 2005 berichtete “Bild”:

So tapfer kämpft er gegen seine Krankheit

(…) Entertainer Rudi Carrell (70) kämpft tapfer gegen seine schwere Krankheit an. Nach Auskunft seiner Ex-Schwiegermutter Erna Bobbert (92) ist Carrell an Krebs erkrankt, unterzog sich schon einer ersten Therapie. (…)

Am 18. November 2005 schrieb “Bild” zu einem Foto:

Hier geht Rudi Carrell zur Arbeit — Trotz Krankheit!

Köln — Er hat viel Gewicht verloren. Seine Wangen sind eingefallen. Die einst so fröhlichen Augen haben ihren Glanz verloren. (…)

Diekmann will seinen Brief an Carrell bekanntlich als “Entschuldigung” verstanden wissen.

Wogegen sich Kai Diekmann wehrt V

“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann streitet sich mit dem toten Rudi Carrell.

Carrell hatte Diekmann im “SZ-Magazin” vorgeworfen, er habe seinen Tod “herbeigesehnt” und sich nie für die verletzende Berichterstattung der “Bild”-Zeitung über seine Krebserkrankung entschuldigt. Diekmann ging daraufhin juristisch gegen die Zeitschrift vor. Nach dem Tod Carrells verlangte er eine “Richtigstellung”, die das Blatt heute abdruckt.

Aber der Reihe nach.

Am 17. März erschien im “SZ-Magazin” ein langes Gespräch mit Rudi Carrell, das “Bild” in Auszügen nachdruckte und in dem es auch um die “Bild”-Zeitung ging:

SZ-Magazin: Wie kam Ihre Krankheit an die Öffentlichkeit?

Carrell: Ich hatte der Bunten ein ehrliches Interview gegeben. Na gut, ich habe versucht, den Krebs etwas herunterzuspielen. “Ich habe zwar eine schwere Krankheit”, habe ich gesagt, “aber ich lebe, habe keine Schmerzen, kann arbeiten.” Und was hat die Bild-Zeitung daraus gemacht? Haarausfall, schwer abgenommen! Ich war stinksauer. Und dann diese schlimmen Fotos: Ich fand die ganze Sache nicht fair – mir gegenüber und Hunderttausenden, die Angst vor einer Krebsvorsorge haben oder selbst vor einer Chemotherapie stehen.

Hat sich die Bild-Zeitung bei Ihnen entschuldigt?

Nein, obwohl ich mich schriftlich beim Chefredakteur beschwert habe: “Ich lasse mich von euch nicht lebendig begraben!” (…)

Haben Sie eine Antwort auf Ihren Brief bekommen?

Ja. “Sie wissen doch, wir sind Ihre größten Fans!”, hat Kai Diekmann zurückgeschrieben. Zwei Tage zuvor hatte er noch meinen Tod herbeigesehnt.

Diekmann erwirkte u.a. gegen diese Passagen eine einstweilige Verfügung. Sie sind deshalb aus dem Online-Auftritt des “SZ-Magazins” spurlos verschwunden.

Außerdem verlangte Diekmann vom “SZ-Magazin” den Abdruck einer Gegendarstellung. Zunächst unterlag er mit dieser Forderung vor Gericht. Wenige Tage vor der nächsten Gerichtsverhandlung starb Carrell. Diekmanns Anwälte verzichteten daraufhin auf ihre Forderung — doch der Tod Carrells war für Diekmann offenbar kein Grund, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Einige Tage später ließ er eine neue Forderung stellen: Das “SZ-Magazin” solle nun eine eigene Richtigstellung abdrucken.

Der Verlag kam dieser Forderung heute nach und stellte im “SZ-Magazin” richtig:

(…) dass der Chefredakteur der Bild-Zeitung, Kai Diekmann, sich in einem Schreiben an Rudi Carrell für die Berichterstattung in Bild über seine Krebserkrankung entschuldigt hat.

(…) dass Kai Diekmann niemals den Tod von Rudi Carrell herbeigesehnt hat.

In der Formulierung, die Diekmann veranlasste, steckt eine erstaunliche Behauptung. Denn wie Carrell können auch wir in Diekmanns Brief keine Entschuldigung für die Berichterstattung entdecken. In seinem Fax vom 22. Dezember 2005 an Carrell räumt er keinerlei Fehlverhalten seiner Zeitung ein. Stattdessen schreibt er:

Sehr geehrter Herr Carrell,

ich finde es sehr bedauerlich, daß Sie sich durch unsere Berichterstattung verletzt fühlen. Das war nicht unsere Absicht. (…)

BILD ist seit Jahren einer Ihrer treuesten Fans. Ich bedaure sehr, daß Sie mit unserer Berichterstattung unzufrieden sind (…).

Was Diekmann bedauert, ist nicht die Berichterstattung von “Bild”, sondern Carrells Unzufriedenheit.

So war das also: In der gleichen Woche, in der Diekmann in seiner Zeitung den Tod “des großen Rudi Carrell”, des “TV-Giganten” und “großen Entertainers” betrauern ließ, beauftragte er seine Anwälte, gegen dessen Aussagen vorzugehen.

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