Archiv für Oktober 25th, 2022

Der Muezzin ruft zum Gebet, der “Bild”-Kolumnist zur Klage

Joachim Steinhöfel, Rechtsanwalt und “Bild”-Kolumnist, hat einen ganz großen Wunsch:

Screenshot Bild.de - Alahu Akbar in Köln - Eine Klage gegen den Muezzin-Ruf muss her - Eine Kolumne von Joachim Steinhöfel

Steinhöfel schreibt:

Seit etwa zwei Wochen kommt man in Köln-Ehrenfeld auch ungewollt in den Genuss ganz besonderer religiöser Unterweisung.

“Allahu Akbar” (Allah ist der Größte) schallt es jetzt regelmäßig aus den Lautsprechern der Zentralmoschee.

Tatsächlich läuft derzeit ein “zweijähriges Modellprojekt” der Stadt Köln: Der Adhān, also der Ruf des Muezzin zum Gebet, darf nun auch außerhalb der Moschee hörbar sein – einmal in der Woche, immer freitags zwischen 12 und 15 Uhr, maximal fünf Minuten lang. Momentan nutzt das nur die DİTİB-Zentralmoschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld, erstmals am 14. Oktober, ein zweites Mal am vergangenen Freitag.

Und genau dagegen solle laut Steinhöfel nun “ein betroffener Anwohner zügig vor Gericht gehen”:

Seine Klage hätte Aussicht auf Erfolg. Art. 4 des Grundgesetzes (GG) schützt nicht nur die Religionsfreiheit der Muslime, sondern auch die sogenannte negative Religionsfreiheit der Nicht-Muslime. Niemand darf gezwungen werden, gegen seinen Willen mit religiösen Bekundungen behelligt zu werden. Eine Rolle spielt auch Art. 14 GG, der das Eigentum garantiert.

Denn negative Auswirkungen auf die Immobilienpreise, wenn man sich akustisch nach Mekka versetzt fühlt, sind denkbar.

Ob das alles rechtlich wirklich stringent ist, sei mal dahingestellt. Interessanter ist eh, was Joachim Steinhöfel in seinem Text partout nicht erwähnt: Der Muezzin-Ruf der Kölner Zentralmoschee ist nicht besonders weit zu hören. Die Lautstärke ist vertraglich auf höchstens 60 Dezibel festgelegt, was in etwa einer normalen Unterhaltung mit einem Abstand von einem Meter entspricht.

Einige Redaktionen hatten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den zwei Freitagen, an denen der Muezzin-Ruf bisher zu hören war, zur Moschee in Ehrenfeld geschickt. Darunter auch der “Kölner Stadt-Anzeiger”, wo Redakteur Oliver Görtz berichtet (nur mit Abo lesbar), dass “auf dem Platz vor dem Haupteingang” der Moschee die Stimme des Muezzin “in Zimmerlautstärke vernehmbar” sei, an der Straße davor höre man “fast nichts”:

Eine schnelle Messung mit einer nicht geeichten Smartphone-App ergibt rund 70 Dezibel – inklusive Umgebungsgeräusche.

Auf dem Bürgersteig der Venloer Straße vor der Moschee misst die Smartphone-Anwendung schon bevor der Muezzin beginnt knapp 80 Dezibel. Während er ruft, ändert sich die Amplitude nicht. Jedes vorbeifahrende Auto übertönt den kaum hörbaren Muezzin.

Ähnliches berichtet Tom Hoops bei t-online.de. Er hat unter anderem mit einem Anwohner gesprochen:

Die Religionsfreiheit sei wichtig, doch die Moschee sei zugleich eine staatliche Institution des türkischen Präsidenten, was die Angelegenheit zu etwas Politischem machen würde. Er ergänzt schulterzuckend: “Ich wohne hier um die Ecke und habe letzte Woche nichts vom Ruf gehört. Meine Nachbarn auch nicht”. Deswegen sei er heute ganz nah herangekommen.

Und ein Polizist antwortet auf die Frage, “ob der Ruf lauter oder leiser war als erwartet”:

“Sagen wir mal so, wenn ich mich hier mit Ihnen etwas lauter unterhalte” – er richtet sich auf und erhebt leicht seine Stimme – “dann waren die Lautsprecher sogar etwas leiser”.

An wen richtet sich Joachim Steinhöfels Klage-Appell also? An vielleicht eine Handvoll Leute, die in der Umgebung der Moschee wohnen und die ein leises Stimmchen vernehmen können? An ein Dutzend Personen? Ist das inzwischen die Zielgruppengröße von “Bild”? Oder handelt es sich einfach nur um astreinen Populismus?

Bildblog unterstuetzen

ZDF vs. “Bild TV”, “Anmaßender Quatsch”, Kanye Wests Entgleisungen

1. RBB-Intendantin kündigt Trennung von Verwaltungsdirektor an
(epd.de)
Laut epd medien habe RBB-Interimsintendantin Katrin Vernau weitere personelle Konsequenzen aus der Affäre um mögliche Vetternwirtschaft und Verschwendung beim Rundfunk Berlin-Brandenburg angekündigt. Nach der Freistellung der Juristischen Direktorin sei nun auch geplant, den Vertrag mit dem Verwaltungsdirektor vorzeitig zu beenden und die Stelle neu auszuschreiben.

2. Bild TV durfte Ausschnitte aus “Berliner Runde” nicht live vom ZDF übernehmen
(rsw.beck.de)
Die 13-minütige Übernahme der “Berliner Runde” (ZDF) durch “Bild TV” am Abend der Bundestagswahl war urheberrechtswidrig. Dies habe das Oberlandesgericht Köln im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens entschieden. Auch unter Berücksichtigung des hohen Informationsinteresses der Öffentlichkeit sei diese “Live-Weitersendung” nicht erforderlich gewesen.

3. Wenn man plötzlich den Feind ins Haus lässt: Der Spiegel hat Bild-Chef Johannes Boie porträtiert
(kress.de, Marc Bartl)
Der “Spiegel” hat “Bild”-Chefredakteur Johannes Boie porträtiert. Beim kress.de gibt es eine Zusammenfassung des “Spiegel”-Artikels mit einigen interessanten Hintergrundinformationen aus dem Originalbeitrag, der hiermit ausdrücklich zur Lektüre empfohlen, allerdings nur mit Abo lesbar ist.

Bildblog unterstuetzen

4. Wenn ein “weißer, großer, deutscher” Reporter meint, er hätte Rassismus erlebt
(uebermedien.de, Lisa Kräher)
In einem Kurzbeitrag bei rbb24 Inforadio schildert Reporter und Moderator Hendrik Schröder, wie er bei einem Friseurbesuch in Berlin-Neukölln kurz erlebt habe, “wie es ist, ob seiner Herkunft ausgegrenzt zu werden”. Bei “Übermedien” kommentiert Lisa Kräher die behauptete Diskriminierungserfahrung: “Ich nehme dem rbb-Autor ja ab, dass er sich in dieser Situation nicht wohl oder gar erniedrigt gefühlt hat. Es aber als ‘lupenreinen Rassismus’ zu bezeichnen, wie er dort im Frisörsalon behandelt wurde, und damit zu behaupten, er könne nachempfinden, welche Erfahrungen People Of Color in Deutschland machen, wie es ist, strukturelle Abwertung, Ausgrenzung und Unterdrückung aufgrund bestimmter Merkmale zu erleben – das ist einfach nur anmaßender Quatsch.”

5. Warum ist Factchecking wichtiger denn je für den Journalismus, Stefan Voß?
(newsfluence.podigee.io, Eva-Maria Schmidt, Audio: 38:22 Minuten)
Im Podcast “Newsfluence” ist Stefan Voß zu Gast, der bei der Deutschen Presse-Agentur die Abteilung Verifikation leitet. Voß erklärt, warum journalistische Grundfertigkeiten und Teamarbeit unerlässlich für jede Behauptungsüberprüfung sind, welche Tools dabei nützlich sein können, und inwiefern Factchecking auch ein Stück weit Community Management ist.

6. Zentralrat der Juden: Adidas muss sich von Rapper Kanye West trennen
(zeit.de)
Der Rapper Kanye West, einer der weltweit erfolgreichsten Musiker mit einem geschätzten Vermögen in Milliardenhöhe, fällt bereits seit einigen Jahren durch kontroverse und bizarre Aussagen auf. In letzter Zeit waren es verstärkt antisemitische Entgleisungen. Dagegen wendet sich nun der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, und appelliert an den Sportartikelhersteller Adidas, die Geschäftsbeziehung mit West zu kappen. Auf Twitter und Instagram ist Kanye West bereits gesperrt.