Archiv für Oktober 10th, 2022

Viel Energie fürs Zitateverkürzen

Vergangene Woche meinte die “Bild”-Redaktion, bei ihrer Suche nach Argumenten und Mitstreitern gegen die Energiewende mal wieder fündig geworden zu sein:

Screenshot Bild.de - Chemie-Chef rechnet mit Habecks Strompolitik ab - Vom Industrieland zum Industriemuseum

Die beiden “Bild”-Autoren Jan Schäfer und Carl-Victor Wachs schrieben:

Knallhart-Abrechnung mit der Energiepolitik von Robert Habeck (53, Grüne)!

Der neue Präsident des Chemieverbands VCI, Markus Steilemann (52), warnt den Wirtschaftsminister vor dem Kollaps des Industriestandorts Deutschland. Es drohe gigantischer Strommangel, da der geplante Ausbau der Windkraft nicht zu stemmen sei.

Konkret warnt Steilemann: Um Habecks Energieziele bis 2030 zu erreichen, bräuchte man “jeden Tag zehn Windkraftanlagen. Eine davon braucht 4000 Tonnen Stahl; das ist ein halber Eiffelturm. Das heißt: fünf Eiffeltürme jeden Tag. Und das für die nächsten 8 Jahre.”

Steilemann knallhart: “Das möchte ich mal sehen, wie wir das auf den Weg kriegen.” Deutschland drohe der Absturz “vom Industrieland zum Industriemuseum”.

An dem Eiffelturm-Vergleich von Markus Steilemann ist so ziemlich alles falsch, was falsch sein kann. Der Bundesverband WindEnergie hat das in einem Twitter-Thread wunderbar aufgedröselt: Steilemanns Angabe zum benötigten Stahl ist viel zu hoch (den Fehler hat er selbst auch längst eingeräumt), die Anzahl der täglich neu benötigten Windenergieanlagen soll ebenfalls zu hoch sein, und das Gesamtgewicht des Eiffelturm-Stahls hat Steilemann in seiner Rechnung auch eher grob angegeben. “Wir brauchen also weniger als einen halben Eiffelturm pro Tag – nicht fünf”, so das Fazit des Bundesverbands WindEnergie.

Das alles hätte man mit ein wenig Recherche herausfinden können. Aber darauf haben die zwei “Bild”-Autoren offensichtlich verzichtet.

Interessant ist, wie sie die Stelle zitieren, die es zum Teil auch in die Überschrift bei Bild.de geschafft hat. Schäfer und Wachs schreiben:

Steilemann knallhart: “Das möchte ich mal sehen, wie wir das auf den Weg kriegen.” Deutschland drohe der Absturz “vom Industrieland zum Industriemuseum”.

Das gesamte Steilemann-Zitat ist etwas länger. Es ist in einer Diskussionsrunde des Verbands der Chemischen Industrie zum Thema “Energie und Klima” gefallen, bezieht sich auf die falsche Eiffelturm-Rechnung sowie die Ausbauziele bei den erneuerbaren Energien und lautet:

Das möchte ich mal sehen, wie wir das auf den Weg kriegen. Da müssen wir hin. Weil ansonsten wird alles, was wir hier heute diskutieren, Makulatur bleiben. Und Deutschland wird sich von einer Industrienation in ein Industriemuseum verwandeln, und zwar schneller, als wir uns das vorstellen.

Die Forderung “Da müssen wir hin.” haben die “Bild”-Autoren einfach weggelassen. Stattdessen schreiben sie, Steilemann wäre der Ansicht, dass “der geplante Ausbau der Windkraft nicht zu stemmen sei.” Tatsächlich aber fordert er – selbst unter dem Eindruck seiner viel zu hohen Stahl-Annahme -, die Herausforderung anzunehmen und den Ausbau der Windkraft voranzutreiben. Das passt auch vielmehr zu früheren Aussagen Steilemanns. So sprach er sich beispielsweise 2019 in einem Interview mit dem “Tagesspiegel” für eine Beschleunigung beim Ausbau der Erneuerbaren und der dazugehörigen Infrastruktur aus.

Der Artikel bei Bild.de wurde inzwischen überarbeitet. Nun weist ein “Update” auf den Fehler bei der Stahl-Rechnung hin, eine Aussage des Bundesverbands WindEnergie wurde hinzugefügt. Das verkürzte Zitat wurde kommentarlos gestrichen, dafür steht im Text aber noch immer fälschlicherweise, dass Markus Steilemann der Meinung ist, der geplante Ausbau der Windkraft sei nicht zu stemmen.

Bildblog unterstuetzen

“Cum-Ex”-Meinungsmache, Kauflands rechter Sumpf, RTL in synthetisch?

1. Einflussnahme auf Medien? Wie der Kanzleramtschef zu “Cum Ex” Meinung macht
(tagesspiegel.de, Jost Müller-Neuhof)
Nach Informationen des “Tagesspiegel” soll Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) versucht haben, mit als vertraulich deklarierten Stellungnahmen zum Cum-Ex-Skandal Einfluss auf Medienberichte zu nehmen. “Der Austausch mit Journalistinnen und Journalisten gehört zu meinem Geschäft”, habe Schmidt verlautbaren lassen – und zu konkreten Fragen zu seinen Kontakten geschwiegen. Jost Müller-Neuhof, rechtspolitischer Korrespondent des “Tagesspiegel”, schreibt: “Viel spricht deshalb dafür, dass Schmidt sein Einwirken auf Medien zugunsten des Bundeskanzlers gar nicht als dienstliche Tätigkeit betrachtet, sondern als eine Art Privatsache, bei der er freie Hand und niemandem gegenüber Rechenschaft abzulegen hat.”

2. RBB entbindet Juristische Direktorin vom Dienst
(sueddeutsche.de)
Bei den Untersuchungen zu möglicher Vetternwirtschaft und Verschwendung im RBB rückt nun auch die Juristische Direktorin Susann Lange in den Fokus. Der Sender habe Lange im gegenseitigen Einvernehmen und bis zur Klärung der Vorwürfe vom Dienst entbunden. Dem vorausgegangen waren Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft, die vergangene Woche auf Mitglieder des aktuellen Vorstands ausgeweitet worden seien, zu denen auch Lange zählt. RBB-Interims-Intendantin Katrin Vernau betont, dass es sich bei dem Vorgang nicht um ein Schuldeingeständnis handele, auch bei Susann Lange gelte die Unschuldsvermutung.

3. Das Regime schnürt den Medien die Luft ab
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die Organisation Reporter ohne Grenzen kritisiert die Angriffe des iranischen Regimes auf Journalistinnen und Journalisten: “Der freie Zugang zu Informationen sollte ein grundlegendes Menschenrecht sein, auch im Iran. Gerade in Phasen von Umbrüchen und Protesten ist es wichtig, sich ungehindert informieren zu können. Dass das iranische Regime diese Lebensader einfach durchtrennen will, zeigt seine Brutalität. Es zeigt aber auch, dass die Herrscher mit dem Rücken zur Wand stehen. Denn die Wahrheit lässt sich niemals komplett unterdrücken.”

Bildblog unterstuetzen

4. Kaufland wegen rechtsradikaler Bücher in der Kritik
(spiegel.de)
Auf dem Onlinemarktplatz von Kaufland werden Bücher von Rechtsradikalen und Holocaustleugnern angeboten. Das ist insofern bemerkenswert, als die Supermarktkette zuvor Produkte mit Antifa-Logo aus ihrem Onlineshop verbannt hat. Die Debatte über das Kaufland-Verhalten war durch einen Twitter-Thread von Leo Schneider ausgelöst worden, der sich “mal nach rechten Kram im Onlineshop von @kaufland umgeschaut” hatte. Das Unternehmen habe nun begonnen, einzelne Produkte aus dem Angebot zu werfen, und weitere Prüfungen in Aussicht gestellt: “Wir werden in den kommenden Tagen unsere Prozesse sowie unser Sortiment auf den Prüfstand stellen und entscheiden, ob und welche weiteren Produkte wir aus dem Angebot nehmen werden.”

5. DJV verurteilt RTL-Pläne für synthetische Nachrichtenstimmen
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
RTL arbeite gemeinsam mit Microsoft an einem Projekt zur Erzeugung von synthetischen Nachrichtenstimmen. Das Vorhaben werfe ethische Fragen auf, schreibt Thomas Lückerath bei “DWDL”. “Das geht gegen alle Prinzipien des glaubwürdigen Journalismus, auf die unser Berufsstand aufbaut”, habe der Deutsche Journalisten-Verband Lückerath gegenüber erklärt. Auch RTL-Moderator Maik Meuser, der die stimmliche Vorlage bei dem Projekt liefert, sei skeptisch: “Etwas zu hören, was ich selber nie gesagt habe mit meiner Stimme. Das fühlt sich nicht so besonders gut an”, so Meuser: “Das kann ich schon mal unterschreiben. Weil die Stimme natürlich schon ein bisschen sehr persönlich ist und wenn das genutzt wird, um etwas komplett anderes zu sagen, als es meinem Leben entspricht, dann finde ich das schon sehr bedenklich.”

6. Wie die Kronen Zeitung Leserbriefe missbraucht, um Tassilo Wallentin zu pushen
(kobuk.at, Tobias Kachelmeier)
Bei der österreichischen “Kronen Zeitung” häufen sich auffällig Leserbriefe, die sich für Tassilo Wallentin als zukünftigen Bundespräsidenten aussprechen. Pikant: Bei eben jenem Tassilo Wallentin handelt es sich um einen langjährigen Kolumnisten der Zeitung. Das Medien-Watchblog “Kobuk” hat sich die Sache näher angeschaut und hat einen Verdacht: “Eine offene Kampagne in der regulären Berichterstattung war wohl keine Option, weil zu offensichtlich.”