1. “Gedanke und Tonlage dem Amt eines BDZV-Präsidenten nicht angemessen” (uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Mathias Döpfner ist nicht nur der Vorstandsvorsitzende von Axel Springer, sondern auch Präsident des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), also der oberste Lobbyist der Verlagsbranche. Jüngst ist eine Privatnachricht Döpfners veröffentlicht worden, in der er Deutschland als einen autoritärer Staat beschreibt – mit vielen willfährigen Journalistinnen und Journalisten, die nur dessen Propaganda verbreiten würden. Boris Rosenkranz hat sich bei den Verlegern umgehört, was sie von den Äußerungen ihres Präsidenten halten.
Weiterer Lesehinweis: Beim “Spiegel” stellt Stefan Kuzmany in einer lesenswerten Analyse fest: “Nicht erst seit dem öffentlich gewordenen DDR-Vergleich darf man sich fragen, ob Mathias Döpfner ein politischer Wirrkopf ist. Tatsächlich irrlichtert der Springer-Chef schon lange.”
2. In eigener Sache (merkur.de, Markus Knall)
Im Zusammenhang mit der nicht veröffentlichten Reichelt-Recherche des “Ippen-Investigativ”-Teams nimmt der Ippen-Digital-Chefredakteur Stellung und bittet die Betroffenen um Entschuldigung: “Zahlreiche Frauen haben sich im Zuge der Recherche zum Fall Julian Reichelt an unsere Redaktion gewandt und den Mut gefasst, uns ihre Geschichte zu erzählen. Wir haben zugesagt, unter Wahrung der Anonymität, über ihre persönlichen Schicksale zu berichten. Dieses Versprechen konnten wir nicht einlösen. Das bedauere ich zutiefst.” Anmerkung des “6-vor-9”-Kurators: Es wäre schön gewesen, wenn der Ippen-Verantwortliche in die Bitte um Entschuldigung auch das “Ippen-Investigativ”-Team einbezogen hätte.
3. “Goldene Kartoffel” 2021 für die unterirdische Debatte über “Identitätspolitik” (neuemedienmacher.de)
Seit 2018 verleihen die “Neuen deutschen Medienmacher*innen” die “Goldene Kartoffel”, einen Negativpreis für Medienschaffende, die “ein verzerrtes Bild vom Zusammenleben im Einwanderungsland Deutschland zeichnen, Probleme und Konflikte stark übertreiben, Vorurteile verfestigen und gegen journalistische Standards verstoßen”. 2021 geht diese, nun ja, Auszeichnung an die Debatte über “Identitätspolitik” in bürgerlichen Medien: “Die Debatte über ‘Identitätspolitik’ in deutschen Medien 2021 war überzogen, unsachlich, polarisierend und hat rechtsradikale Erzählungen salonfähig gemacht. Deshalb gebührt ihr die ‘Goldene Kartoffel’ und damit, herzlichen Glückwunsch, so gut wie allen Medien des bürgerlichen Spektrums, von der taz bis zur FAZ, von ARD bis ntv, von Deutschlandfunk bis Radio Energy. Das war wirklich ein Gemeinschaftswerk.”
4. Warum die Mehrheit der Deutschen nicht den Muezzin-Ruf ablehnt (und Civey kein seriöses Umfrageinstitut ist) (schantall-und-scharia.de, Fabian Goldmann)
Jüngst berichteten viele Redaktionen über eine Umfrage, nach der drei Viertel der Menschen in Deutschland den Muezzin-Ruf ablehnen. Fabian Goldmann hat sich die Sache genauer angeschaut und schnell festgestellt, dass nichts an der Geschichte stimmt: “Die Art und Weise, wie viele Redaktionen in den vergangenen Tagen über eine Umfrage zum islamischen Gebetsruf (Adhan) berichteten, übersteigt allerdings das übliche Maß an Inkompetenz und grenzt teils schon an die bewusste Verbreitung von FakeNews.”
5. Rechte bei der Frankfurter Buchmesse – Schwarze Autorin fühlt sich nicht sicher (fr.de, Hanning Voigts)
Auch in diesem Jahr wird über die Präsenz rechtsextremer Kleinverlage auf der Frankfurter Buchmesse gestritten. Anlass sei vor allem, dass die Autorin Jasmina Kuhnke ihren Auftritt mit Verweis auf Sicherheitsbedenken abgesagt hat. “Frankfurter-Rundschau”-Redakteur Hanning Voigts erklärt, worum es geht, und gibt die verschiedenen Positionen wieder.
Gucktipp: Auf Youtube beschäftigt sich der Jurist Chan-jo Jun mit der Frage, ob die Buchnesse rechtsradikale Verlage von Rechts wegen dulden müsse. Seine Antwort: “Nein. Buchmesse sollte sich nicht auf Zwänge berufen.” (Video: 6:10 Minuten)
6. Zeitungen kürzen Seiten und verschieben Beilagen (deutschlandfunk.de, Michael Meyer, Audio: 4:37 Minuten)
Papier ist derzeit knapp und teuer. Das hat zur Folge, dass einige Zeitungen bereits Seiten kürzen und Beilagen verschieben. Der Deutschlandfunk hat sich auf Ursachensuche begeben. Gerade die Zeitungsverlage würden viel Recyclingpapier verarbeiten, und um dieses Material gebe es momentan einen heftigen Kampf, sagt Gregor Andreas Geiger, Pressesprecher des Verbands der Papierindustrie: “Gleichzeitig ist die Nachfrage nach Druckpapier in den letzten 15 Jahren aber kontinuierlich nach unten gegangen, sodass die Hersteller ihre Kapazitäten abgebaut oder zum Teil Maschinen umgebaut haben. Also eine kurzfristig erhöhte Nachfrage trifft auf eine langfristig reduzierte Angebotsmenge.”
1. Der Fall Julian Reichelt (ndr.de, Kim Kristin Mauch, Video: 15:51 Minuten)
Juliane Löfflers Recherche trug maßgeblich dazu bei, dass “Bild”-Chef Julian Reichelt gehen musste. Das Medienmagazin “Zapp” hat mit ihr über die Hintergründe ihrer Arbeit gesprochen. Bemerkenswert ist Löfflers unaufgeregte, sachliche und faire Art, mit der sie den Fragen zu dem schwierigen Komplex begegnet. 15 absolut lohnende Minuten, die in den Schulunterricht und die Journalistenausbildung eingehen könnten.
Weitere Lesehinweise: Die zum Ippen-Konzern gehörende “Frankfurter Rundschau” hat mit dem gesamten Ippen-Investigativ-Team über die Recherche gesprochen und setzt damit auch ein Zeichen. Schließlich hatte Verleger Dirk Ippen die Veröffentlichung der Recherche des Investigativ-Teams gestoppt. Es geht um die Fragen: Sind die Probleme größer als Julian Reichelt? Was riskieren Frauen grundsätzlich, wenn sie öffentlich Missbrauchsvorwürfe schildern? Und was sind die Lehren aus den Recherchen über “Bild”? (fr.de, Valerie Eiseler & Viktor Funk)
Bei der “Süddeutschen Zeitung” geht Caspar Busse der Frage nach, warum Verleger Dirk Ippen die Enthüllungsgeschichte über Springer verhinderte. Ippen habe mit seinem Veto erheblichen Schaden verursacht – für den Journalismus insgesamt, aber auch für seine eigene Mediengruppe.
Laut Medienanwalt Markus Kompa werfe die Recherche zu Julian Reichelt presserechtliche Fragen auf: “Die Beurteilung wird sich nach der Wallraff-Rechtsprechung richten: Ähnlich wie beim Redaktionsgeheimnis und dem Anwaltsgeheimnis muss es bei interner professioneller Kommunikation geschützte Räume geben, in denen man offen sprechen kann. Kann jedoch ein gesellschaftlich erheblicher Missstand nicht anders recherchiert werden, darf bei überwiegendem Berichtsinteresse der Öffentlichkeit ausnahmsweise auch rechtswidrig beschafftes Material verwendet werden.”
2. Warum musste Reichelt gehen und was wird nun aus Döpfner? (uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 41:30 Minuten)
Anlässlich der Vorgänge bei Springer und “Bild” haben sich Holger Klein und Medienkritiker Stefan Niggemeier bei “Übermedien” zu einer Podcast-Sonderausgabe getroffen. Schließlich gibt es einiges zu besprechen über den Rauswurf von “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt, die Taktik von Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner und das Eingreifen von Ippen-Verleger Dirk Ippen.
3. Döpfner und die Propaganda-Assistenten: BDZV duckt sich weg (dwdl.de, Alexander Krei)
Springer-Chef Mathias Döpfner wähnt sich in einem neuen DDR-Staat und hält die meisten Journalstinnen und Journalisten offenbar für “Propaganda-Assistenten”. Ein Weltbild, das sich nach Ansicht vieler nicht mit seiner Funktion als Präsident des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) verträgt. Doch dort will man den Vorgang nicht kommentieren. Alexander Kreis Vermutung: “Es scheint, als wolle sich niemand mit Mathias Döpfner anlegen. Ganz egal, was er über die eigene Branche schreibt oder sagt.”
Weiterer Lesehinweis: Thomas Knüwer stellt eine zunehmende Radikalisierung Döpfners über den Verlauf der vergangenen 15 Jahre fest. Dieser reihe sich ein “in die bemerkenswerte Zahl alter, weißer Männer aus der Printmedien-Welt, die im Alter aus dem Konservatismus heraus abdriften in eine rechte Scheinwelt”.
Auch “Meedia”-Chefredakteur Stefan Winterbauer kritisiert Döpfner. Die Kommunikation sei ein Schlag ins Gesicht für Betroffene und offenbare ein verstörendes Verhältnis zum aufklärerischen Journalismus.
4. Transatlantisch (sueddeutsche.de, Clara Meyer)
Dass die Skandale bei Axel Springer in den USA für Gesprächsstoff sorgen, hat auch damit zu tun, dass der Konzern dort gerade eine Zeitung samt Onlineportal gekauft hat: “Politico”. Was steckt hinter der erfolgreichen Medienmarke und ihrem europäischen Ableger? Clara Meyer stellt das Nachrichtenportal vor, das aktuell durch bemerkenswerte Zurückhaltung auffällt: “Am Dienstag nach den Enthüllungen über den neuen Käufer aus Deutschland, dem Tag nach dem großen Bericht der New York Times, hat Politico nicht über den Fall berichtet. Auch das ist ja eine Entscheidung.”
5. Auf dem Weg Richtung New Work (journalist.de, Christian Sauer)
Auf journalist.de fragt Journalist und Coach Christian Sauer: “Wie verändert sich redaktionelle Führung nach Corona?” Verantwortliche in Redaktionen sollten Verantwortung abgeben und sich in Empathie üben: “Die Verantwortung der redaktionellen Führung liegt vor allem darin, Impulse zu geben, Freiräume zu öffnen, Entwicklungspfade anzubieten.”
6. »Und auf einmal filmen zehn 15-Jährige in mein Auto« (spiegel.de, Markus Böhm)
Die Youtuber “Varion”, “unsympathischTV” und “Trymacs” erreichen mit ihren Videos und Streams Millionen meist junger Menschen. Bei Spotify betreiben sie seit gestern zudem einen gemeinsamen Podcast (“Offline + Ehrlich”). Markus Böhm hat sich mit den erfolgreichen Medienmachern zusammengesetzt und sie zu ihrer Arbeit befragt.
Es dürfte sich herumgesprochen haben: Julian Reichelt ist nicht mehr “Bild”-Chefredakteur. Und es dürfte sich auch herumgesprochen haben, warum: “Nach neuen Erkenntnissen” zum Machtmissbrauch durch Reichelt hat der Springer-Verlag ihn von seinen Aufgaben entbunden:
Die Axel Springer SE hat BILD-Chefredakteur Julian Reichelt mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden. Als Folge von Presserecherchen hatte das Unternehmen in den letzten Tagen neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten von Julian Reichelt gewonnen. Diesen Informationen ist das Unternehmen nachgegangen. Dabei hat der Vorstand erfahren, dass Julian Reichelt auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat.
… steht in einer Pressemitteilung, die Springer gestern veröffentlicht hat. Es geht dabei um Affären, die Reichelt mit Mitarbeiterinnen hatte, darunter deutlich jüngere Berufsanfängerinnen. Eine Affäre soll es auch nach Abschluss des im Frühjahr durchgeführten Compliance-Verfahrens gegeben haben. Das ist offenbar die “neue Erkenntnis”, die zu Reichelts Aus geführt hat.
Die “Bild”-Redaktion wirbt mit Slogans wie “Wir zeigen, was ist” und “Wir zeigen die Wahrheit” für ihre eigene Arbeit. Wer sich bei seiner täglichen Informationsbeschaffung auf diese Versprechen verlässt und nur auf “Bild” und/oder Bild.de zurückgreift, hat von den Gründen für Julian Reichelts Ausscheiden keinen blassen Schimmer. Auch mehr als 24 Stunden nach Verkündung des Reichelt-Aus findet man weder in “Bild” noch bei Bild.de eine genaue Angabe dazu. Lediglich zwei wortgleiche Artikel sind erschienen, gestern Abend bei Bild.de und heute in der gedruckten “Bild”:
Das ist alles. Es war sicherlich nicht damit zu rechnen, dass die “Bild”-Redaktion heute im Blatt eine Doppelseite mit einer gnadenlosen Abrechnung in eigener Sache bringt. Aber wirklich nicht mehr als ein vages “als Folge von Presserecherchen”?
Es gibt einen ulkig gemeinten“Bild”-Werbeclip, in dem Julian Reichelt eine Art Stromberg spielt. Er sagt darin in einer Redaktionskonferenz: “Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.” Großes Gelächter in der Runde. Besser wäre vielleicht: Wer nichts zu verbergen hat, sollte die eigene Leserschaft nicht dumm halten.
1. Ende der Feldbett-Geschichten (taz.de, Erica Zingher)
Der Axel-Springer-Konzern hat sich von “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt getrennt (offizielle Pressemitteilung). Der Entscheidung vorausgegangen war ein Beitrag in der “New York Times” über die zweifelhafte Unternehmenskultur im Hause Springer und der “Bild”-Redaktion. Auch das Investigativteam der Ippen-Verlagsgruppe, zu der unter anderem die “Frankfurter Rundschau” und der “Münchner Merkur” gehören, hatte zu den Vorwürfen gegenüber Reichelt recherchiert. Die Veröffentlichung war jedoch von Verleger Dirk Ippen gestoppt worden (einige der Ergebnisse flossen in einen neuen Beitrag beim “Spiegel” (nur mit Abo lesbar) mit ein). Erica Zingher fasst den Vorgang zusammen, der viele bemerkenswerte Nebenaspekte hat.
2. BDZV-Präsident hält Deutschland für neuen autoritären DDR-Staat (dwdl.de, Thomas Lückerath)
Der Rauswurf Reichelts bei “Bild” dürfe nicht ablenken von dem, was für die “New York Times” der eigentliche Grund für ihre Berichterstattung gewesen sei: Das zwielichtige Bild, das der Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner an der Spitze von Axel Springer abgebe. Von diesem war eine Nachricht bekanntgeworden, in der er Reichelt wie folgt verteidigt hatte: “Er ist halt wirklich der letzte und einzige Journalist in Deutschland der noch mutig gegen den neuen DDR Obrigkeitsstaat aufbegehrt. Fast alle anderen sind zu Propaganda Assistenten geworden.” Lückeraths Kommentar: “Der Kapitän lässt den für ihn wichtigsten Mann über die Planke laufen und alle grölen vor Freude über das Spektakel. Dabei sollte man nicht vergessen, wer auf dem Schiff das Sagen hat.”
3. Offener Brief an die Intendanten, Geschäftsführer und Chefredaktionen von ARD, ZDF, PRO7/SAT1, RTL und N-TV (klimajournalismus.de)
Das “Netzwerk Klimajournalismus” wendet sich mit einem offenen Brief an die Verantwortlichen von ARD, ZDF, ProSieben/Sat.1, RTL und n-tv, in dem es die Trielle kritisiert: “Wir haben die von einem Millionenpublikum verfolgten und vermutlich die Wahlen mitentscheidenden Trielle analytisch ausgewertet und kommen zu dem Schluss, dass kein Moderator und keine Moderatorin den Ernst der Lage adäquat dargestellt hat.”
4. Statement zur Frankfurter Buchmesse 2021 (twitter.com, Jasmina Kuhnke)
Die Autorin und Schriftstellerin Jasmina Kuhnke sieht sich als Schwarze Frau seit Längerem Bedrohungen durch Rechtsextreme ausgesetzt. Bei der Frankfurter Buchmesse 2021 sollte sie, wie sie auf Twitter schreibt, als Überraschungsgästin bei der ARD-Buchnacht und der Diskussionsrunde “Die Streiterinnen” auftreten. Nun habe sie erfahren, dass in unmittelbarer Nähe ein Verlag ausstelle, dessen Leiter bereits verkündet habe, sie “gehöre abgeschoben”. Kuhnke sieht angesichts dieses Umfelds und des möglichen Bedrohungspotenzials keinen anderen Weg, als der Buchmesse fernzubleiben: “Ich möchte den Verantwortlichen damit aufzeigen, dass die hier getroffene Entscheidung, Nazis den Raum zu bieten sich darzustellen, vor allem Konsequenzen für Betroffene wie mich hat.”
5. Mörder endlich zur Rechenschaft ziehen (reporter-ohne-grenzen.de)
Kurz vor dem vierten Jahrestag der Ermordung der Journalistin Daphne Caruana Galizia sind Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Organisationen nach Malta gereist: “Wir fordern umfassende Reformen im Bereich der Pressefreiheit, die Anerkennung des Journalismus als vierte Säule der Demokratie und die Schaffung eines sicheren Umfelds für alle in Malta arbeitenden Journalistinnen und Journalisten – durch Gesetze und in der beruflichen Praxis.”
6. Zweitverwertung (sueddeutsche.de, David Denk)
Am 6. November strahlt das ZDF eine neue Folge der eigentlich lange verabschiedeten Sendung “Wetten, dass..?” mit Thomas Gottschalk aus. In seiner Kolumne kritisiert David Denk: “Wer keine Abos verkaufen muss, sondern sich aus zuverlässig sprudelnden Gebührengeldern bedienen kann, sieht offenbar nicht die Notwendigkeit einer Erneuerung, die diesen Namen auch verdient. So wenig Ehrgeiz kann sich noch nicht mal ein Kommissar im Ruhestand am Bodensee erlauben.”
1. Ippen stoppt Investigativ-Berichte über “Bild”-Chef Reichelt (dwdl.de, Alexander Krei)
Nun beschäftigt sich sogar die “New York Times” mit den Gepflogenheiten bei “Bild” und der Rolle von Springer-CEO Mathias Döpfner. Eines der Details aus dem Compliance-Verfahren gegen “Bild”-Chef Julian Reichelt: Dieser soll laut “New York Times” einer seiner Liebschaften gefälschte Scheidungspapiere vorgelegt haben. Aber auch sonst birgt der Artikel jede Menge Sprengstoff und eine Art Nebenhandlung: Bei der deutschen Ippen-Verlagsgruppe habe zeitgleich zur “NYT”-Veröffentlichung eine aufwändige Investigativrecherche über Reichelts mutmaßlichen Machtmissbrauch erscheinen sollen. Die Veröffentlichung sei jedoch in allerletzter Sekunde vom 81-jährigen Verleger gestoppt worden. Das Investigativ-Team hat daraufhin einen Protestbrief an den Verleger und die Geschäftsführung verschickt.
Tipp: Wer den Artikel der “New York Times” in deutscher Übersetzung lesen möchte, könnte dafür das Übersetzungstool DeepL ausprobieren, das nach subjektiver Empfindung des “6-vor-9”-Kurators die besten Ergebnisse liefert.
2. Schreiben ist nicht umsonst (initiative-fair-lesen.de)
In einem offenen Brief sprechen sich zahlreiche Autorinnen und Autoren, Verlage und Buchhandlungen gegen die angebliche “Zwangslizenzierung” ihrer Inhalte aus und meinen damit die Möglichkeit öffentlicher Bibliotheken, E-Books für ihre Nutzerinnen und Nutzer zu lizenzieren. Das Anliegen der Initiative und die erhobenen Behauptungen werden derzeit kontrovers diskutiert – nur zwei Beispiele: Zu den Kritikern gehört Enno Park (“pure Propaganda von Teilen der Verlagsbranche”), zu den Befürwortern Hanser-Verleger Jo Lendle (“im Kern aber trifft es die Sache”).
3. Ein klares “Nein” zur Einflussnahme (freischreiber.de)
Im Interview mit dem “journalist” verteidigte ein Rechtsanwalt vor einigen Tagen die sogenannten Verschwiegenheitsvereinbarungen und gab zu, dass er diese auch dazu nutzt, um Medienschaffende zu lenken oder zu benutzen beziehungsweise um Berichterstattung zu verhindern. Die Freischreiber finden, das darf nicht sein, und wenden sich mit einem offenen Brief an die Öffentlichkeit: “Die Pressefreiheit, die Unabhängigkeit der Berichterstattung müssen in einer Demokratie für alle heilig sein”.
4. “Bild” findet nach Jahren erstmals Platz im Blatt für Presserats-Rügen (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Eigentlich sollen Rügen des Presserats vom betroffenen Medium zeitnah veröffentlicht werden, doch der “Bild”-Redaktion scheint diese Vorgabe relativ egal zu sein. Über Jahre druckt man dort keine der Rügen ab, die man sich wegen der eigenen Verstöße gegen den Pressekodex eingefangen hat. Und wenn man es dann doch tut, dann so, dass es möglichst keiner mitbekommt. Medienkritiker Stefan Niggemeier ist der Sache auf den Grund gegangen.
5. Einer der Wichtigsten (taz.de, Klaus Hillenbrand)
Am Freitag vergangener Woche ist der Journalist Gerd Ruge im Alter von 93 Jahren gestorben. In seinem Nachruf würdigt Klaus Hillenbrand das Leben des Reporters und schließt mit den Worten: “Gerd Ruge hat den Deutschen beigebracht, sich nicht so wichtig zu nehmen in der Welt. So, wie er selbst sich nicht so wichtig genommen hat. Dabei war er einer der Wichtigsten.” Weitere Nachrufe auf Gerd Ruge finden sich unter anderem beim “Spiegel” und bei der “Tagesschau”.
6. “Drehende”: Verein wettert gegen vermeintliche Gendersprache beim ZDF – und blamiert sich (rnd.de)
Der Verein Deutsche Sprache kämpft seit Jahren gegen genderneutrale Sprache in den Medien. Begriffe wie etwa “die Radfahrenden”, die alle Geschlechter inkludieren sollen, bezeichne der Verein auf seiner Website als “lächerliche Sprachgebilde” und rufe dort zum Widerstand dagegen auf. Nun wettert der Verein gegen die vom ZDF verwendete Formulierung “Drehende”, übersieht dabei aber peinlicherweise, dass es sich um das Wort “Dreh-Ende” handelt.
Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!
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1. Shitstorms für Jugendsünden (wdr.de, Sebastian Sonntag, Audio: 9:31 Minuten)
Die heute 20-jährige Sarah-Lee Heinrich ist seit Kurzem Bundessprecherin der Grünen Jugend und steht wegen Posts, die sie als 14-Jährige bei Twitter verfasst hat, im Zentrum eines Shitstorms. Wie Medien und Betroffene mit derartigen Situationen umgehen sollten, erklärt Martin Fehrensen vom “Social Media Watchblog” im WDR5-Medienmagazin. Die komplette Sendung mit weiteren Medienthemen gibt es hier (40:03 Minuten).
Weitere Lesehinweise: Kampagnen wie die gegen Heinrich zielen auf Unsichtbarmachung und Verdrängung, schreibt Carolina Schwarz in der “taz”: “Wir brauchen die Debatte, welches Verhalten wir als Gesellschaft entschuldbar finden. Und es wird Zeit, dass wir Strategien entwickeln, um das Spiel der Rechten nicht mehr mitzuspielen.” Und bei “Zeit Online” ist ein Interview mit Sarah-Lee Heinrich erschienen, in dem “Zeit”-Redakteur Robert Pausch mit ihr über den Shitstorm spricht.
2. ZDF Magazin Royale vom 15. Oktober 2021 (zdf.de, Video: 31:28 Minuten)
Das Genre True Crime, in dem reale Kriminalfälle nacherzählt werden, scheint seit einigen Jahren zu boomen. Das machen sich selbsternannte “Profiler” und “Profilerinnen” zunutze, die mit viel Selbstbewusstsein und wenig Sachkenntnis durch Medien tingeln und ganze Veranstaltungshallen füllen. Jan Böhmermann und sein Team haben sich drei der erfolgreichsten True-Crime-Expertinnen und -Experten herausgegriffen und zeigen, wie erschütternd wenig übrigbleibt, wenn man genauer auf Lebenslauf und Referenzen schaut.
Weitere Lesehinweise: Bei einer der drei angesprochenen Personen handelt es sich um eine besonders schillernde Figur, die bereits vielfach Gegenstand der Berichterstattung war:
3. Journalismus in Belarus: Tricks gegen Zensur (ndr.de, Video: 16:02 Minuten)
Bei “Zapp” geht es um die besorgniserregenden Zustände im von Alexander Lukaschenko autoritär geführten Belarus: “Mit brutaler Gewalt werden in Belarus alle unabhängigen Medien zerschlagen, sogar der belarussische Journalistenverband. Viele Journalistinnen und Journalisten müssen Hals über Kopf das Land verlassen. Doch die kritische Berichterstattung geht weiter: Mutige Belarussen überlegen sich Tricks, wie sie die Zensur umgehen können.”
4. Meteorologe Özden Terli – Jung & Naiv: Folge 536 (youtube.com, Tilo Jung, Video: 2:23:55 Stunden)
Özden Terli arbeitet als Meteorologe und Wettermoderator beim ZDF. Im Gespräch mit Tilo Jung erzählt er von seinem Werdegang, den Zusammenhängen und Unterschieden von Wetter und Klima, Wettervorhersagen und Klimawandel-Fakten im Wetterbericht.
5. Kampf gegen das Urheberrecht (deutschlandfunknova.de, Sibylle Salewski, Audio: 42:35 Minuten)
Im Vortrag der Literaturwissenschaftlerin Annette Gilbert geht es um das “Manifest zum Urheberrecht” des russischen Dichters und Musikers Kirill Medwedew. Für Gilbert ist Medwedews Manifest “eine Fortführung des Widerstands russischer Autoren gegen ein staatlich reguliertes Verlagswesen”.
6. So gefährlich ist BILD TV wirklich (youtube.com, Philipp Walulis, Video: 15:02 Minuten)
Philipp Walulis widmet sich in seiner neuesten “Story”-Folge dem Sender “Bild TV”. Ist Springers neuer Fernrsehkanal das deutsche Fox News, das mit rechter Propaganda so überaus erfolgreich ist? “Wie gefährlich es wirklich ist, dass Julian Reichelt und Claus Strunz jetzt bei genau denen abschreiben – das ist unsere Story!”
Weiterer Lesehinweis: Auf Twitter gibt ProSieben die aktuellen Einschaltquoten von Mitbewerber “Bild TV” bekannt: “Der TV-Sender BILD hatte am Donnerstag einen Marktanteil von 0,0 Prozent Marktanteil (14-49). In der PrimeTime (20-23 Uhr) kam BILDTV ebenfalls auf einen Marktanteil von 0,0 Prozent (14-49).”
“Wir setzen uns für eine freie und soziale Marktwirtschaft ein”, lautet einer der fünf “Grundsätze und Werte” des Axel-Springer-Konzerns. Und auch die “Bild”-Redaktion vertritt in ihrer Berichterstattung überwiegend die Ansicht: Soll der Markt es regeln. Aber wenn es ums Autofahren geht oder genauer: um die Spritpreise, ja, dann …
Keine Frage: Die Preise für Benzin und Diesel sind in letzter Zeit stark gestiegen. Das stellt viele Menschen, die aufs Autofahren angewiesen sind, vor größere finanzielle Herausforderungen. Aber dass die Spritpreise in Deutschland die höchsten in Europa sind, ist schlicht falsch.
Bei Bild.de steht dazu:
Die Preise an deutschen Tankstellen ziehen weiter an: Diesel und Super E10 erreichen 9-Jahre-Hochs, teilte der ADAC am Mittwoch mit. Und damit gewinnt Deutschland das, was Hansis Jungs zuletzt 1996 packten: Wir sind (Spritpreis-)Europameister! (…)
BILD macht den Check, wie es im europäischen Vergleich an den Zapfsäulen anderer Länder preislich derzeit aussieht.
Die erschütternde Bilanz vorab: Deutschland ist Spitzenreiter! Bei teuerstem Super UND Diesel. Dicht gefolgt von Norwegen.
Die “Bild”-Redaktion präsentiert in ihrem Artikel eine Tabelle mit den Super- und Dieselpreisen aus 15 verschiedenen Ländern: Deutschland, Norwegen, Italien, Dänemark, die Niederlande, Frankreich, Griechenland, Spanien, die Schweiz, Tschechien, Kroatien, Österreich, Polen, die Türkei und Bulgarien. Deutschland steht mit den höchsten Preisen ganz oben. Bild.de beruft sich dabei auf die Seite benzinpreis.de. Die schreibt über sich selbst:
benzinpreis.de ist ein Projekt, in dem Benzin- und Dieselpreise weltweit von Benutzern der Seite eingegeben und vom System statistisch aufbereitet werden.
Die Verlässlichkeit der Zahlen von benzinpreis.de hängt also davon ab, wie oft und wie genau die Nutzer dort Preise eintragen. Und das findet nicht so irre häufig statt: Der aktuellste Eintrag für Norwegen beispielsweise stammt sowohl bei Super als auch bei Diesel vom 20. April 2020. Aus den Niederlanden kam die letzte Super-Meldung am 3. August 2020 rein. Für Italien stammt der neueste Eintrag immerhin vom 15. September 2021 – ist damit aber auch schon einen Monat alt. Die Preise aus Kroatien stammen vom 22. Juni 2020. Die aus der Türkei vom 20. April 2020. Und so weiter. Die Preise für Deutschland stammen laut benzinpreis.de hingegen von der Markttransparenzstelle für Kraftstoffe des Bundeskartellamts.
Die “Bild”-Redaktion vergleicht also aktuelle Zahlen aus Deutschland mit veralteten aus dem Ausland, teilweise von vor eineinhalb Jahren.
Schaut man sich hingegen aktuellere Zahlen an, beispielsweise auf der Seite GlobalPetrolPrices.com, die bei der Preisermittlung laut eigener Angabe auf mehrere voneinander unabhängige Quellen zurückgreift (PDF), sieht man, dass Deutschland bei weitem nicht “Spritpreis-Europameister” ist: Beim Superbenzin lagen am 11. Oktober die Niederlande, Norwegen, Dänemark, Griechenland und Italien mit höheren Preisen vor Deutschland. Nimmt man noch weitere europäische Staaten in den Vergleich mit auf, die, warum auch immer, in der “Bild”-Liste nicht auftauchen, liegen auch noch Schweden, Finnland, Island, Portugal und Monaco vor Deutschland. Beim Diesel waren die Preise in Schweden, Norwegen, Großbritannien, Island, Dänemark, Belgien, Monaco, Finnland, Kroatien, Italien, Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz höher als in Deutschland.
Mit Dank an Marian und Theo für die Hinweise!
Nachtrag, 17. Oktober: Noch ein nachgereichter Gedanke: Was in dem (falschen) “Bild”-Ranking überhaupt keine Rolle spielt, ist die unterschiedliche Kaufkraft in den verschiedenen europäischen Ländern.
1. Medien verbreiten falschen Täternamen (tagesschau.de, Patrick Gensing)
Nach dem möglichen Terroranschlag in Norwegen verbreiteten Medien einen erfundenen Namen des Verdächtigen. Verschiedene italienische, griechische und französische Redaktionen behaupteten, der mutmaßliche Täter von Kongsberg heiße “Rainer Winklarson”. Sie waren auf böswillig gestreute Falschinformationen von Internet-Trollen hereingefallen, die dafür den Namen eines deutschen Youtubers verballhornt hatten.
2. Neutralität gibt es nicht (taz.de, Ulrike Herrmann)
Die “taz”-Wirtschaftsredakteurin Ulrike Herrmann wundert sich: “Seit vielen Jahren schreibe ich für die taz über Wirtschaftsthemen. Meine Mitgliedschaft bei den Grünen war dabei nie ein Problem. Bis jetzt.” Weil sie der Neutralitätsdebatten müde sei, habe sie bei der Partei das Ruhen ihrer Mitgliedschaft beantragt.
Gucktipp: Wer Ulrike Herrmann kennenlernen und noch dazu viel über Wirtschaftsthemen lernen möchte, sollte sich ihr Gespräch mit Tilo Jung anschauen: Jung & Naiv: Folge 451 (youtube.com, Video: 1:25:51 Stunden).
3. Siegfried Borchardt, 67, Kampfname: “SS-Siggi” ist tot. Wir haben eine lange gemeinsame Geschichte. (facebook.com, Gerhard Kromschröder)
Bei Facebook erzählt der Journalist Gerhard Kromschröder, wie er mit einem Kollegen, dem Fotografen Harmut Schwarzbach, 1983 für den “Stern” undercover in der Dortmunder Neonazi-Szene unterwegs war und dabei den jüngst verstorbenen Siegfried Borchardt (Kampfname: “SS-Siggi”) kennenlernte: “Unsere ‘Stern’-Reportage ‘Blut, Blut muss fließen …’ war der erste Beleg für das neue Phänomen [von rechtsradikalen Fußballfans] und erregte Aufsehen. Doch der BVB und Dortmunds Polizei wiegelten ab: Neonazis unter Fußballfans kennen wir nicht, gibt’s nicht, Ende der Durchsage. Statt gegen Borchardt und seine ‘Borussenfront’ wurde erst einmal gegen Schwarzbach und mich ermittelt.” Zudem sei ihm damals in der “Bild am Sonntag” unterstellt worden, er hätte “eine Gruppe Dortmunder Fußballfans als ‘Neo-Nazis’ diffamiert.”
4. Wieso kann Youtube #allesaufdentisch abermals löschen? (faz.net, David Lindenfeld)
Der Streit zwischen Youtube und den Anti-Corona-Maßnahmen-Aktivisten von #allesaufdentisch geht in die nächste Runde: Die Videoplattform habe abermals zwei Beiträge gesperrt, weil sie gegen die Richtlinien zu Fehlinformationen im Zusammenhang mit Covid-19 verstoßen würden. Der Jurist Joachim Steinhöfel, der #allesaufdentisch rechtlich vertritt und in einem der Videos auch selbst zu Wort kommt, habe die neuerliche Löschung als “pure Provokation” gegenüber dem Landgericht Köln bezeichnet.
5. MDR und sächsische Polizei wollen enger zusammenarbeiten (mdr.de)
Der MDR und die sächsische Polizei wollen künftig enger zusammenarbeiten und haben dazu eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Ziel dieser Vereinbarung soll sein, dass Journalistinnen und Journalisten einerseits und Polizistinnen und Polizisten andererseits mehr Verständnis für die Arbeit der jeweils anderen Seite entwickeln. Zudem sollen Medienschaffende von der Polizei besser geschützt werden – etwa vor Übergriffen bei Demonstrationen.
6. Antisemitismus in sozialen Netzen weit verbreitet (netzpolitik.org, Tomas Rudl)
Allen Bemühungen gegen Hate Speech zum Trotz sei Antisemitismus in Sozialen Netzwerken immer noch weit verbreitet, so das Ergebnis einer Studie der Amadeu Antonio Stiftung. Die Stiftungs-Mitarbeiterin Simone Rafael kommentiert: “Dass Antisemitismus im Jahr 2021 immer noch auf jeder Plattform mit wenigen Klicks und den plattesten Vorurteilen als Suchbegriffe zu finden ist, ist ein Armutszeugnis. Jüdinnen und Juden als Betroffene weisen seit über einem Jahrzehnt darauf hin, wie sehr sie online attackiert werden. Es wird Zeit, dass die Netzwerke ihre Verantwortung für die Sicherheit ihrer Nutzer:innen endlich ernst nehmen und Antisemitismus von den Plattformen verbannen.”
In den vergangenen Tagen konnte man gut beobachten, wie die “Bild”-Redaktion manipuliert, um an eine Geschichte zu kommen, und wie sehr sie Aussagen aus dem Zusammenhang reißt und verdreht, um skandalisieren zu können.
Es sei ein “DREISTER SPARTIPP VON KATARINA BARLEY”, empörte sich “Bild” am Dienstag. Die Aussage der SPD-Politikerin in der Talkrunde “Hart aber fair” scheine “mehr als weltfremd”, es handele sich um einen “Arroganz-Anfall”:
In dem Artikel schreibt das “Bild”-Trio Peter Tiede, Sebastian Ahlefeld und Lou Siebert:
Mit einer dreisten Äußerung überraschte SPD-Politikerin und EU-Vizepräsidentin Katarina Barley (52) bei “Hart aber fair” (ARD). Am Montagabend diskutierte sie mit zum Thema Inflation und Energiepreise.
Tanken, Heizen und Lebensmittel sind deutlich teurer geworden – das stieß auch einem Zuschauer übel auf. Barley hielt ihm einen dreisten Tipp entgegen: “Die Kilowattstunde, die ich nicht verbrauche, ist am billigsten.”
Was die Politikerin damit offenbar sagen wollte: Wir sind selbst schuld, wenn wir zu hohe Rechnungen bekommen! Einfach mal die Heizung abdrehen und Licht ausschalten, um unter dem Strich angeblich noch Geld zu sparen?
Oder zusammengefasst in der Artikel-Überschrift:
So viel schon mal jetzt: Katarina Barley hat bei “Hart aber fair” nicht derartige Tipps gegeben.
Aber erstmal weiter mit der großen Empörung. Die “Bild”-Redaktion konnte auch einen Politiker einspannen:
Unions-Fraktionsvize Thorsten Frei (48) zu BILD: “Die Menschen haben begründete Sorge vor steigenden Energiepreisen. Wer diese Sorgen mit einem Aufruf zu mehr Sparsamkeit beantwortet, behandelt die Menschen abfällig und verächtlich. Frau Barley scheint zu glauben, dass die Menschen aus dem Fenster heizen und noch beträchtliche Einsparmöglichkeiten hätten. Wer das annimmt, hat die Bodenhaftung verloren.”
Nikolaus Harbusch, Hans-Jörg Vehlewald und Peter Tiede schrieben dazu:
Deutschland stöhnt unter dramatisch steigenden Strom-, Heiz- und Spritkosten! Rentner, Geringverdiener und Pendler wissen nicht, wie sie über den Winter oder zur Arbeit kommen sollen!
Und was sagt die einstige Arbeiterpartei SPD dazu?
Spitzengenossin Katarina Barley (52) glänzt im WDR-Talk “Hart aber fair” mit Luxus-Ratschlägen: “Die Kilowattstunde, die am billigsten ist, ist die, die man nicht verbraucht.” Wer sich “neue Fenster” einbaut oder “gedämmt hat”, der komme “voll in den Genuss” staatlicher Förderung und könne jubeln: “Hey, jede Stunde, die jetzt teurer ist, habe ich mehr gespart” (…)
Für die Bürger, die sich vor dem teuersten Winter seit Jahrzehnten sorgen, müssen solche Sprüche wie Hohn klingen. Sollen sie sich nach der Corona-Krise noch verschulden für Solartechnik, Heizungssanierung oder Wärmedämmung?
Auch wenn die bis hierher erschienenen Artikel zu dem Thema nicht gerade meinungsschwach waren, veröffentlichte “Bild” zusätzlich auch noch einen Kommentar zu Barleys “Hart-aber-fair”-Auftritt:
Julius Böhm schrieb über die “hochnäsigen Sprüche” der SPD-Politikerin:
Geht’s noch abgehobener? (…)
“Die Kilowattstunde, die am billigsten ist, ist die, die man nicht verbraucht”, empfahl Katarina Barley. Ihre Spar-Tipps: neue Fenster, Wärmedämmung.
Natürlich sparen Modernisierungs-Maßnahmen langfristig Geld. Doch für Millionen Normalverdiener sind solche Tipps der blanke Hohn. Und Rentner kriegen für solche Investitionen ohnehin keinen Kredit von der Bank.
Für alle, die am Monatsende jeden Euro umdrehen müssen und kein Geld für Dämmung, eine neue Heizung oder stromsparende Elektrogeräte haben, heißt Barleys Spar-Tipp übersetzt: Dann heizt weniger und macht das Licht aus!
Es gibt immer mehr, die sagen: “Ist doch gut so. Ist doch genau das, was wir wollten.” Und auch die SPD-Politikerin, frühere Justizministerin Katarina Barley, heute in Europa unterwegs, hat diesen Satz bei den Kollegen von “Hart aber fair”, bei Frank Plasberg gesagt.
Es folgt eine Szene aus der “Hart-aber-fair”-Sendung. Weise im Anschluss:
Also das ist die Haltung von vielen Politikern aktuell. Die sagen: “Genau das wollten wir doch. Und jetzt, wenn’s euer Problem ist, dass ihr es euch nicht leisten könnt, dann verbraucht doch einfach weniger.”
“Bild”-Parlamentsbüro-Leiter Ralf Schuler, der ebenfalls im “Bild-TV”-Studio steht, ergänzt:
Absolut. Und wenn’s kein Brot gibt, kann man Kuchen essen. Also, die Sozialdemokratie an der Seite zu haben, da hat man aber echt ein Pfund. Ich mein’, da spricht wirklich eine Blinde von der Farbe.
Soweit die große “Bild”-Aufregung. Zwei Dinge haben die Empörten gemeinsam: Sie sind ganz doll aufgebracht. Und sie haben sich die “Hart-aber-fair”-Folge, wenn überhaupt, nicht besonders aufmerksam angeschaut (oder noch schlimmer: Sie haben sie sich aufmerksam angeschaut und behaupten bewusst Falsches).
Für die Einordnung von Barleys Aussage zur Kilowattstunde, die am billigsten ist, ist der Kontext wichtig, den man in der “Bild”-Berichterstattung an keiner Stelle korrekt wiedergegeben findet: “Hart-aber-fair”-“Zuschaueranwältin” Brigitte Büscher liest gerade eine Reaktion eines Zuschauers vor (ab Minute 50:07):
Das ist noch eine sehr spannende Geschichte von Joop van Zee. Er hat uns nämlich geschrieben: Er hat versucht, alles richtig zu machen. Er hat mehrere Beispiel genannt. Er hat gesagt, er hat ein Haus, da hat er eine neue Gasheizung eingebaut. Dann hat er mehrere hundert Euro sparen können und, bums, jetzt gehen die Preise hoch, und kommt für sich dann zu diesem Schluss. Er sagt: “Kostenexplosionen mit Einsparungen zu begegnen, ist so das dämlichste Argument, was ich kenne.”
Moderator Frank Plasberg übernimmt:
Haben Sie das eigentlich im Auge, Frau Barley oder Herr Ramsauer oder auch Frau Neubaur als aktive Politiker, dass man tatsächlich, wenn Menschen das begriffen haben und auch in die Energiewende wirklich investiert haben, jetzt gucken und sagen: “Schwupp, ist weg durch gestiegene Preise.” Was macht das mit der Bereitschaft für andere, denen dann auch zu folgen?
Erst antwortet CSU-Politiker Peter Ramsauer:
Es hätte deswegen auch “Schwupp” gemacht, ganz genauso hätte es “Schwupp” gemacht. (…) Deswegen, weil es “Schwupp” gemacht hat, kann es ja im Nachhinein nicht unbedingt falsch sein, dass zum Beispiel der Umstieg von alten Ölheizungen auf moderne Wärmepumpen-Anlagen massiv gefördert wird.
Anschließend rechnet der Finanzjournalist Hermann-Josef Tenhagen vor:
Ich hätte 1500 Euro bezahlen müssen, habe eine Energiesparmaßnahme gemacht, jetzt zahle ich nur 1000. Jetzt bezahle ich [durch die Preissteigerrungen] künftig vielleicht 1200. Wenn ich das nicht gemacht hätte, wäre ich bei 1800 gewesen. Das ist eine Milchmädchenrechnung, wenn man sagt: “Das rechnet sich nicht.” Natürlich rechnet sich das.
Und dann klinkt sich Katarina Barley ein:
Ja, und man muss ja auch sagen: Die Kilowattstunde, die am billigsten ist, ist die, die man nicht verbraucht. Also wenn man zum Beispiel sich neue Fenster hat einbauen lassen. Oder gedämmt hat. Also …
Ramsauer grätscht rein:
Wird auch gefördert.
Wieder Barley:
… wird alles gefördert, genau. Also weniger verbraucht, dann kommt man voll in den Genuss, dann kann man sogar sagen: “Hey, jede Stunde, die jetzt teuerer ist, habe ich mehr gespart.” Klingt jetzt ein bisschen zynisch, ist nicht so gemeint. Aber Investitionen in Energieeinsparen, die sind immer richtig.
Katarina Barley reagiert also auf einen ganz konkreten Fall, in dem ein Mann sagt, dass seine bereits getätigten Energiesparmaßnahmen nichts brächten. Dem entgegenet Barley, dass es sehr wohl etwas gebracht habe, schließlich habe er dadurch Kilowattstunden eingespart, und die kosten nichts und sind dadurch am billigsten. Diese simple Erkenntnis ist eigentlich auch schon alles. Die SPD-Politikerin sagt nicht, dass all jene, denen das Heizen nun zu teuer ist, künftig einfach die Heizung runterdrehen oder groß investieren sollen (sie spricht ja offensichtlich von bereits erfolgten Energiesparmaßnahmen: “… neue Fenster hat einbauen lassen. Oder gedämmt hat.”). “Bild” gibt sie falsch wieder – sowohl im größeren Zusammenhang als auch im Kleinen bei einzelnen wörtlichen Zitaten.
Es gibt aber solche Tipps, die “Bild” Katarina Barley unterzuschieben versucht und die der Redaktion zufolge “weltfremd” und “DREIST” sind, “abgehoben” und “der blanke Hohn” für “Millionen Normalverdiener” – bei “Bild”. Am Dienstag, also am selben Tag wie der “Arroganz-Anfall”-Artikel, veröffentlichte Bild.de diesen Beitrag:
Darin steht:
Der Winter kommt – und die Energiekosten explodieren. Stefan Materne (44), Referent Versorgungstechnik von der Energieberatung des Verbraucherzentralen-Bundesverbandes gibt Tipps, wie man beim Heizen Geld sparen kann.
“Zu den größten Fehlern zählen zu hohe Temperaturen in den Innenräumen. Bei 24 Grad im Raum anstatt 20 Grad kommt es zu einem Mehrverbrauch von fast 25 Prozent Heizenergie”, erklärt der Experte.
Also: weniger heizen. Und:
Ein Problem gerade in älteren Häusern: schlechte Dämmung. “Dicke Vorhänge und Zugluftstopper vor Fenstern und Türen können den Kaltlufteinfall zwar nicht verhindern, aber mindern”, sagt Versorgungstechniker Materne. “Am besten hilft jedoch eine intakte Dichtung bei Fenster und Türen. Sind die Bauteile zu alt, sollte über einen Austausch nachgedacht werden. Dafür gibt es bei der KfW-Förderbank umfangreiche Förderungen.”
Also: kräftig investieren.
“Bild”-Poltiktchef Jan Schäfer spricht in diesem ganzen Zusammenhang von einer “großen Heuchelei, die wir da sehen”. Er meint damit allerdings nicht die Berichterstattung seiner eigenen Redaktion.
1. Wie Journalisten immer noch an Corona-Zahlen scheitern (deutschlandfunk.de, Samira El Ouassil, Audio: 4 Minuten)
Anhand einer irreführenden “Spiegel”-Schlagzeile zu Corona-Impfdurchbrüchen erklärt Samira El Ouassil, wie gefährlich die isolierte Darstellung von Zahlen sein kann: “Wenn uns die Pandemie medial eines vermittelt haben sollte, dann, wie wichtig eine qualitative Einordnung von Zahlen ist. Im abstrakten Raum arithmetischer Größen und absoluter Werte sagen die Ziffern für uns erstmal nichts aus. Wir brauchen Vergleichswerte, Kontext, einen Sinnzusammenhang, der erklärt, was ein Anstieg oder ein Abfall bedeutet – wenn es denn überhaupt eine publizistische Relevanz hat.”
2. Die geheime Liste des Hasses (tagesschau.de, Patrick Gensing)
Auf einer internen Liste hat Facebook Gruppen, Organisationen und Personen aufgeführt, die als gefährlich eingestuft werden und daher nicht auf der Plattform in Erscheinung treten sollen. Das Portal “The Intercept” hat diese Liste nun veröffentlicht, ausgewertet und um einige Anmerkungen zu den Einträgen ergänzt.
Weiterer Lesehinweis: “Facebook ändert seine Regeln für verbale Angriffe auf seinen Online-Plattformen. Fortan genießen ‘unfreiwillige’ Personen des öffentlichen Lebens einen besonderen Schutzstatus” – Facebook erhöht Schutz für Aktivisten und Journalisten (spiegel.de). Eine Nachricht, die der Journalist Richard Gutjahr bei Twitter wie folgt kommentiert: “Facebook will auf seinen Plattformen keine Todesdrohungen mehr gegen Medienschaffende akzeptieren. – Allein diesen Satz zu schreiben, ist grotesk.”
3. Wegen “Knapp verfehlt”-SMS: Verstoß gegen Gewinnspielsatzung im RTL-Programm beanstandet (rnd.de)
Die Niedersächsische Landesmedienanstalt (NLM) hat ein Gewinnspiel des Fernsehsenders RTL beanstandet. Verlierern sei per SMS mitgeteilt worden: “Leider knapp verfehlt. Vielleicht klappt’s beim nächsten Mal”. Nach Paragraf 6 der Gewinnspielsatzung seien der NLM zufolge bei Gewinnspielen falsche, zur Irreführung geeignete oder widersprüchliche Aussagen unzulässig. Die Formulierung “knapp verfehlt” könne als ein “Beinahe-Erreichen” der Auswahl verstanden werden und insofern potenziell irreführend sein. Außerdem könne der SMS-Text dazu verleiten, erneut an dem Gewinnspiel teilzunehmen.
4. Es ist besser, keine Pressekonferenz zu geben, als so eine Pressekonferenz zu geben (uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
SPD, Grüne und FDP treffen sich derzeit zu Sondierungsverhandlungen, zu deren inhaltlichem Verlauf sie sich nicht äußern wollen. Und dieses Nicht-Äußern erfolgt, so sieht es das Ritual vor, auf einer Pressekonferenz. Für Boris Rosenkranz stellt sich da eine Frage: “Pardon. Aber: Wieso gab es noch mal diese Pressekonferenz? Wieso kam Christian Lindner nicht vorbei und sprach: ‘Es ist besser, keine Pressekonferenz zu geben, als so eine Pressekonferenz zu geben’?”
5. Max Schrems vs. Facebook: Konzern muss 36 Mio. Euro Strafe zahlen (futurezone.at, Barbara Wimmer)
Der österreichische Datenschutz-Aktivist Max Schrems hat durch seine Beschwerde erreicht, dass Facebook eine Millionenstrafe wegen der Umgehung von europäischen Datenschutz-Vorschriften zahlen muss. Was sich wie ein Sieg für den Datenschutz anhört, ist es bei näherem Hinsehen allerdings nicht, wie Schrems erläutert: “Die Datenschutzbeauftragte ermöglicht Facebook, die DSGVO zu umgehen, und verlangt nur, das Gesetz transparenter zu umgehen. So kann Facebook weiterhin rechtswidrig Daten verarbeiten und lediglich eine kleine Geldstrafe zahlen, während die irische Behörde vorgeben kann, etwas unternommen zu haben.” Die angedachte Strafe belaufe sich auf 0,048 Prozent des weltweiten Umsatzes des Konzerns und liege damit weit unter dem möglichen Strafrahmen von 4 Prozent.
6. Alkoholisches (noemix.wordpress.com, Michael Nöhrig)
Der Alkoholgehalt im Atem werde in Milligramm pro Liter Atemluft gemessen, der Alkoholgehalt im Blut hingegen in Promille pro Liter Blut. Etwas, das beim “Spiegel” gerne mal durcheinandergeht, wie Michael Nöhrig anhand einiger Beispiele zeigt.