Archiv für Oktober 4th, 2021

“Aber Halt!”

Kann das echt alles “Zufall” sein?

… fragte “Bild”-Redakteur Julian Röpcke vor einem Monat und meinte damit ein kurzes Video des öffentlich-rechtlichen Senders rbb zum Thema Fahrradfahren in Berlin. Röpcke schrieb dazu: “Eine typische Straßenumfrage mit zufällig ausgewählten Protagonisten, so scheint es …”. Im rbb-Clip waren nämlich auch zwei Personen zu sehen, die sich zu ihren Erfahrungen im Berliner Straßenverkehr äußerten. Einer davon: Georg Kössler, der zum damaligen Zeitpunkt für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus saß, vom rbb aber nicht als Grünen-Politiker gekennzeichnet, sondern als ganz normaler Passant präsentiert wurde. Unter anderem lobte Kössler neu entstandene Pop-up-Radwege in der Stadt, die zum Programm der Grünen gehören. Oder wie Röpcke schrieb:

Ein Radler, der den Grünen in Berlin aus der Seele spricht, so scheint es, und ihre begonnene Verkehrswende in der Stadt als Lichtblick aus der Misere sieht.

Aber Halt! Nutzern im sozialen Netzwerk Twitter fällt auf, dass der Mann kein Unbekannter ist.

Der rbb löschte das Video und bat um Entschuldigung.

Am vergangenen Freitag berichteten “Bild” und Bild.de über ein Foto der neuen SPD-Bundestagsfraktion:

Ausriss Bild-Zeitung - Nach SPD-Gruppen-Foto ohne Mundschutz - Warum dürfen sich Politiker über die Maskenpflicht hinwegsetzen Schüler aber nicht?

Dazu befragte die “Bild”-Redaktion auch eine Schülerin und zwei Schüler. Alle drei finden das Verhalten der SPD-Politikerinnen und -Politiker ziemlich daneben. So sagt Adrian Klant, dass das SPD-Foto “der reine Hohn für Lehrer und Schüler” sei. Jan-Luca Schmid fragt: “Wenn sich SPD-Politiker im Bundestag nicht an Hygiene-Regeln halten müssen, warum sollten es dann Kinder und Jugendliche tun?” Und zu Isabell Biersack schreibt “Bild”: “Über das SPD-Fotoshooting schüttelt sie den Kopf.”

Bei Adrian Klant erwähnt die “Bild”-Redaktion, dass er “Bundesvorsitzender der Schüler Union” ist, ohne weiter zu erklären, was die Schüler Union genau ist. Man erfährt nicht, dass es sich bei ihr nicht einfach um irgendeine Schülerorganisation handelt, sondern um eine CDU- und CSU-nahe. Man muss beim Begriff “Union” schon selbst drauf kommen. Aber immerhin wird die Schüler Union überhaupt erwähnt.

Jan-Luca Schmid und Isabell Biersack werden hingegen als ganz normaler Schüler und ganz normale Schülerin von “Bild” präsentiert. Dass der eine Schriftführer im Vorstand der Jungen Union Neckar-Odenwald-Kreis ist, und die andere stellvertretende Vorsitzende der Jungen Union Trier, erwähnt “Bild” mit keinem Wort.

Drei Schülerinnen und Schüler befragt die Redaktion zu einem SPD-Fauxpas. Und alle drei haben einen CDU/CSU-Hintergrund, der bei zweien nicht mal erwähnt wird. Was würde “Bild”-Redakteur Julian Röpcke in so einem Fall wohl fragen?

Kann das echt alles “Zufall” sein?

Mit Dank an die Hinweisgeber!

Nachtrag, 5. Oktober: Mehrere BILDblog-Leserinnen und -Leser weisen darauf hin, dass bei ihren Kindern im laufenden Schuljahr bereits Klassenfotos aufgenommen wurden. Und dass die Kinder bei diesen Fotos, ähnlich wie beim SPD-Foto, ihre Masken abnehmen durften.

Außerdem schreiben einige, dass es in mehreren Bundesländern inzwischen keine Maskenpflicht an Schulen mehr gibt. In Berlin beispielsweise für die Klassenstufen 1 bis 6, im Saarland für alle Jahrgänge. In Bayern müssen Schülerinnen und Schüler im Schulgebäude zwar weiter eine Maske tragen, im Unterricht dürfen sie sie aber abnehmen. Im “Bild”-Artikel liest man von diesen Lockerungen nichts, obwohl die Landesregierungen den Wegfall der Maskenpflicht teilweise schon einige Tage vor Erscheinen des “Bild”-Beitrags publik gemacht haben.

Nachtrag 2, 5. Oktober: Die “Bild”-Redaktion hat auf unsere Kritik reagiert. Im Onlineartikel steht inzwischen bei Jan-Luca Schmid: “Mitglied der Jungen Union” und bei Isabell Biersack: “ist bei der Jungen Union engagiert”. Außerdem ist am Ende des Beitrags nun dieser Hinweis zu finden:

Anmerkung der Redaktion: Jan-Luca Schmid und Isabell Biersack sind Mitglieder der Jungen Union. Diese Angabe war in der ursprünglichen Fassung des Textes nicht enthalten.

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“Verschlossene Auster”, Kroymanns Ohrfeige, Rezo der neue Dutschke?

1. Verschlossene Auster 2021 geht an die Hohenzollern
(netzwerkrecherche.org, Günter Bartsch)
Die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche vergibt jährlich den Negativpreis “Die Verschlossene Auster”. Diesjähriger Preisträger sind die Hohenzollern: “Über Gerichte und Anwaltsschreiben versucht der Sprecher der Hohenzollern, Georg Friedrich Prinz von Preußen, Berichterstattung zu beschneiden, die sich um die historisch bedeutsame Frage dreht, ob seine Vorfahren dem Nationalsozialismus erheblichen Vorschub geleistet haben und ob er damit zu Recht oder zu Unrecht auf Entschädigung für enteignete Immobilien und Kunstwerke streitet”.
Weiterer Lesetipp: “Um Angriffe auf die Freiheit von Wissenschaft und Forschung und die damit verbundene Meinungsfreiheit effektiv zu verteidigen, gründet FragDenStaat einen Rechtshilfefonds”: der Prinzenfonds (fragdenstaat.de).

2. Ohrfeige für die Branche
(sueddeutsche.de, Dennis Müller)
Die Kabarettistin, Schauspielerin und Sängerin Maren Kroymann wurde bei der Verleihung des Deutschen Comedypreises mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet. Sie nutzte die Gelegenheit, Kritik am Umgang mit der Causa Luke Mockridge anzubringen: “Ich hätte gerne gehabt, dass Verantwortliche für diesen Preis – und auch von dem Sender – die Eier gehabt hätten, zu sagen: Wir solidarisieren uns nicht nur mit unserem beliebten Künstler, sondern mit den Frauen, die betroffen sind.”

3. Bitteres Gerichtsurteil für Online-Marketing-Profis: Münchens Online-Portal muss Content abbauen
(czyslansky.net, Michael Kausch)
Das Onlineportal muenchen.de wurde vom Münchner Oberlandesgericht (OLG) dazu verpflichtet, seine Inhalte herunterzufahren. Das Portal sei zu presseähnlich. Geklagt haben die örtlichen Tageszeitungen: die “Süddeutsche Zeitung”, die “Abendzeitung”, die “tz” und der “Münchner Merkur”. Die Stadt München habe bereits angekündigt, gegen das Urteil des OLG Revision beim Bundesgerichtshof einzulegen.

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4. “Facebook interessiert sich mehr für Wachstum als für Menschen”
(zeit.de)
Die jüngste Serie von Enthüllungsberichten über Facebook geht anscheinend zu großen Teilen auf die frühere Facebook-Managerin Frances Haugen zurück. Haugen beantragte bei US-Behörden offiziell Schutz als Whistleblowerin und soll am morgigen Dienstag vor dem Kongress aussagen. Ein Facebook-Sprecher entgegnete zu den aktuellen Vorwürfen, man versuche täglich, “eine Balance zwischen dem Recht von Milliarden Menschen auf freie Meinungsäußerung und einer sicheren Umgebung für die Nutzer” zu finden.

5. Ist Rezo der neue Rudi Dutschke
(br.de, Hans Jessen)
Kann man den Youtuber Rezo mit Rudi Dutschke, der Symbolfigur der 68er-Bewegung, vergleichen? Auf gewisse Weise schon, findet Hans Jessen: “Besonders in der Befragung der älteren Generation über ihre Verantwortung für die Verhältnisse, die Jüngere als Realität vorfanden, ist eine deutliche Parallele zu Rezos Videoanalysen zu erkennen – Parallele auch deswegen, weil beide, Rudi wie Rezo, Reichweite und Wirkung in gesellschaftliche Lager erziel(t)en, weit über das originäre eigene Klientel hinaus. Das verbindet sie, und das macht sie vergleichbar.”

6. Wohnwagen-TV auf allen Kanälen: Die Camping-Chroniken von Germania
(dwdl.de, Peer Schader)
Peer Schader rechnet in seiner “DWDL”-Kolumne mit den “Wirbellosen unter den TV-Sendungen” ab, den Camping-Formaten: “Ein Fernsehen, das nicht nur gänzlich ohne Dramaturgie auskommt – sondern auch vollständig ohne Ambition der verantwortlichen Macherinnen und Macher. Kein TV-Team muss aufwändig nachhelfen, weil sich die nächste kuriose Situation fast immer von selbst ergibt: Camping-Newbies mit der Kamera zu begleiten, ist top – weil die alle Anfängerfehler nochmal von vorn machen (Adapter für den Stromanschluss!); bei den Camping-Profis dabei zu sein, ist aber genauso top – weil die für ihr “Glamping” technisch schon so hochgerüstet haben, dass das fahrende Hightechheim sich anschickt, demnächst die Moderation vom ‘K1 Magazin’ zu übernehmen.”