Archiv für Juni 18th, 2021

Wie “Bild” mit Kritik umgeht

Vergangene Woche hat der Deutsche Presserat mal wieder Rügen verteilt. Traditionell ganz vorne mit dabei: die “Bild”-Medien. Sieben der 17 ausgesprochenen Rügen gingen an “Bild”, Bild.de oder “Bild am Sonntag”, weil die jeweilige Redaktion …

  • … in einem Artikel über angebliche Alkoholprobleme einer Person berichtete, obwohl sich diese Person dazu nicht äußern wollte.
  • … in einem anderen Artikel private Sprachnachrichten derselben Person ohne deren ausdrückliche Einwilligung veröffentlichte.
  • … in einem Artikel unverpixelte Fotos des Täters und der Opfer eines Tötungsdelikts zeigte.
  • … in einem Artikel ein unverpixeltes Foto eines minderjährigen Opfers veröffentlichte, “offensichtlich ohne Einwilligung der Angehörigen”.
  • … in einem Artikel ein unverpixeltes Foto eines anderen minderjährigen Opfers zeigte.
  • … in einem Artikel ein Foto einer getöteten Frau veröffentlichte, das sie von deren Facebook-Seite genommen hatte, ohne Einwilligung der Angehörigen.

Auf die siebte Rüge wollen wir etwas detaillierter eingehen, weil der Vorgang dahinter wunderbar zeigt, wie die “Bild”-Redaktion und Chefredakteur Julian Reichelt mit Kritik umgehen. Und weil das problematische Verhältnis von “Bild” zur Wahrhaftigkeit deutlich wird.

In der März-Ausgabe der “Blätter für deutsche und internationale Politik” schrieb der Publizist Albrecht von Lucke eine lesenswerte ausführliche Analyse des TV-Projekts “Bild live”. Der Beitrag ist ausgesprochen kritisch. Schon im Teaser heißt es:

Die neueste Ideologieproduktion aus dem Hause »Springer«

Und im Text:

Kaum ein Politiker oder eine Politikerin, sieht man einmal von der Kanzlerin ab, der oder die sich den Anfragen von “Bild” entzöge; alle rennen – auch mangels anderer Live-Möglichkeiten im Corona- und Superwahljahr – dem neuen Sender förmlich das Studio ein. So etwa nach dem jüngsten Corona-Gipfel am 10. Februar, als sich Kanzleramtschef Helge Braun den Fragen von “Bild”-Vize Paul Ronzheimer stellte – im Laufband untertitelt nicht, wie sonst üblich, mit “Gespräch” oder “Interview”, sondern mit “Merkels wichtigster Mann im Verhör”. Ebenfalls kurz zuvor “im Bild-Verhör”: Gesundheitsminister Jens Spahn. Hier artikuliert sich die zugrundeliegende aggressive, fast schon inquisitorische Geisteshaltung – “Bild live” als die Stimme des Volkes gegen die Politikerkaste.

Die “Bild”-Redaktion griff Luckes Artikel auf, drehte dessen Aussage aber komplett um. Aus der scharfen Kritik an “Bild live” wurde am 27. Februar in “Bild” ein großes Lob für “Bild live”:

Ausriss Bild-Zeitung - Polit-Experte Albrecht von Lucke - Bild live ist die Stimme des Volkes

Er zählt zu den profiliertesten Politikexperten des Landes: Albrecht von Lucke (54), Autor zahlreicher Bücher (u.a. “Die gefährdete Republik”)!

Jetzt hat Lucke in einem Beitrag in “Blätter für deutsche und internationale Politik” den Erfolg des TV-Formats BILD live auf BILD.de gewürdigt. (…)

BILD Live sei “die Stimme des Volkes gegen die Politikerkaste”, konstatiert von Lucke.

Die von Lucke dargelegte “aggressive, fast schon inquisitorische Geisteshaltung” im “Bild”-TV-Studio lässt “Bild” lieber unerwähnt; das Selbstverständnis von “Bild live”, das Lucke der Redaktion zuschreibt, verdreht diese zu einer Bewertung von Lucke selbst. Und mal abgesehen davon, dass die “Bild”-Redaktion das alles gänzlich aus dem (kritischen) Zusammenhang reißt: Das wörtliche Zitat aus der Überschrift ist in dieser Form frei erfunden.

(Nur nebenbei bemerkt: Wie traurig und klein ist es eigentlich, dass die Redaktion der größten Zeitung Deutschlands es offenbar nötig hat, auf der eigenen Seite 2 einen Artikel darüber zu veröffentlichen, wie toll jemand anderes das eigene TV-Format vermeintlich findet?)

Für die Verfälschung des Zitats von Albrecht von Lucke gab es die bereits erwähnte Rüge vom Presserat. Der sah “einen gravierenden Verstoß gegen das Gebot zur wahrhaftigen Wiedergabe wörtlicher Zitate” und den “Bild”-Artikel generell als “Verstoß gegen das Gebot zur Wahrhaftigkeit nach Ziffer 1 des Pressekodex”.

Es handelt sich dabei nicht um einen einmaligen Ausrutscher. Dass sich die “Bild”-Redaktion aus Kritik ein Lob bastelt, oder dass sie Kritik an der eigenen Berichterstattung aus Zitaten streicht, kommt häufiger vor. Als sich beispielsweise Günter Wallraff mal anerkennend über eine “Bild”-Reportage äußerte, kürzte Bild.de die gleichzeitige “Bild”-Kritik aus dem wörtlichen Zitat Wallraffs einfach raus.


Unser Buch ist überall erhältlich, zum Beispiel bei euren lokalen Buchhändlern, bei GeniaLokal, bei Amazon, bei Thalia, bei Hugendubel, bei buch7, bei Osiander oder bei Apple Books. Es ist auch als eBook und Hörbuch erschienen.

In unserem Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste” geht es in einem ganzen Kapitel um den Umgang von “Bild” mit Kritik. Darin beschreiben wir das generelle Vorgehen der Redaktion und erwähnen unter anderem zwei weitere konkrete Beispiele. Hier ein Auszug:

Für die Macher der “Bild”-Medien ist das keine unbekannte Strategie, mit Kritik umzugehen: löschen, verschweigen, verstecken. Wenn sich zum Beispiel Prominente negativ über “Bild” äußern, gibt sich die Redaktion große Mühe, ihren Lesern diese Kritik vorzuenthalten. Als die Zeitung 2018 behauptet, Helene Fischer könne aufgrund eines Infekts womöglich “nie wieder singen” und habe einen “Wunderheiler aus den USA” einfliegen lassen, veröffentlicht die Sängerin einen langen Facebookpost über ihren Gesundheitszustand, in dem sie unter anderem schreibt, die Wunderheiler-Geschichte sei “totaler Quatsch”. Über diesen Beitrag berichtet auch “Bild”, druckt ihn in der Zeitung ab – setzt dabei eine Bildunterschrift jedoch exakt so, dass ausgerechnet die kritischen Worte von Helene Fischer verdeckt werden.

Ein ähnlicher Fall im Jahr darauf, als der TV-Moderator Walter Freiwald bekannt gibt, dass er unheilbar erkrankt ist. Bei Twitter schreibt er:

Bevor die @BILD oder @RTLde irgendwelche Unwahrheiten über meine Person verbreiten, will ich selbst mitteilen, dass ich unheilbar krank geworden bin und diese Krankheit nicht überleben werde.

“Bild” macht daraus kurzerhand:

“Bevor irgendwelche Unwahrheiten über meine Person verbreitet werden, will ich selbst mitteilen, dass ich unheilbar krank geworden bin und diese Krankheit nicht überleben werde.”

Für “Bild”-Kritik ist in “Bild” eben kaum Platz.

Bildblog unterstuetzen

Eriksen-Bilder nötig?, Festnahmen bei “Apple Daily”, Ronaldos Wasser

1. Medienethikerin zu Eriksen-Berichterstattung: “Bilder dienten der Sensationalisierung”
(rnd.de, Hannah Scheiwe)
Die Berichterstattung über den Zusammenbruch des Fußballers Christian Eriksen während eines EM-Spiels wirft Fragen nach der Verantwortung der Medien auf: Die einen kritisieren die Bilder als sensationslüstern, voyeuristisch und übergriffig, die anderen verteidigen das Zeigen der Aufnahmen mit dem Hinweis auf die Dokumentationspflicht. Die Medienethikerin Petra Grimm ordnet den Fall im Interview ein. Sie kritisiert das Vorgehen einiger Redaktionen, nimmt allerdings eine generelle Sensibilisierung in der Gesellschaft wahr: “Wir sind aber mittlerweile auch im Großen und Ganzen sensibler geworden bezüglich dessen, was als Tabu gilt oder nicht. Livebilder von Unfallsituationen werden weitgehend nicht mehr toleriert. Das ist eine positive Entwicklung.”
Weiterer Lesehinweis aus unserem BILDblog-Archiv: Bild.de zeigt kollabierten Christian Eriksen.

2. Trumpscher Wahlkampf
(kontextwochenzeitung.de, René Martens)
René Martens kommentiert die Anti-Grünen-Medienkampagne der Wirtschaftslobbyisten der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) und führt ein interessantes, bislang wenig gehörtes Argument an: “Ein nicht unmaßgebliches Motiv für die Kampagne dürfte der Wunsch der Akteure gewesen sein, ihre Frauenfeindlichkeit ausleben zu können. Sie kommt unter anderem in der Verkindlichung der 40-jährigen Baerbock (‘Annalena und die zehn Verbote’) zum Ausdruck. Wäre Robert Habeck als Kanzlerkandidat angetreten – hätte die INSM dann die Formulierung ‘Robert und die zehn Verbote’ gewählt? Wohl kaum.”

3. 500 Polizisten gegen Hongkongs freie Stimme
(faz.net, Friederike Böge)
“Apple Daily”, die wichtigste Oppositionszeitung Hongkongs, war das Ziel einer Großrazzia: Etwa 500 Polizisten rückten an, nahmen mehrere Angestellte der Zeitung fest und beschlagnahmten Computer, Mobiltelefone und journalistische Aufzeichnungen. Außerdem sei die Anweisung ergangen, Vermögenswerte des Medienunternehmens im Wert von etwa zwei Millionen Euro einzufrieren. Der Gründer und Besitzer von “Apple Daily”, Jimmy Lai, sitze bereits seit Dezember 2020 im Gefängnis.
Weiterer Lesehinweis: Reporter ohne Grenzen fordert die sofortige Freilassung der festgenommenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und des Verlegers und erklärt: “Die heutigen Festnahmen und die Durchsuchung zeigen, dass die Regierung alles in ihrer Macht Stehende tun wird, um eines der letzten unabhängigen Medien und ein Symbol der Pressefreiheit in Hongkong zum Schweigen zu bringen.”

Bildblog unterstuetzen

4. Facebook drängt auf den Podcast-Markt
(spiegel.de)
Nach Informationen des Magazins “The Verge” wolle Facebook kommende Woche Podcasts auf seiner Plattform integrieren. Bereits diese Woche hat der Konzern den Testlauf eines Clubhouse-Klons gestartet. Auch Spotify will bei den Live-Formaten mitmischen. Dort wurde diese Woche die App Greenroom vorgestellt.

5. Krass: ZDF Sport hat seine Facebook-Seite (>500k Fans) geschlossen
(twitter.com, André Kroll)
Für André Kroll ist nicht nachvollziehbar, warum ZDF Sport seine über zwölf Jahre aufgebaute Facebook-Community mit mehr als 500.000 Followern einfach schließt und sich fortan nur noch auf andere Plattformen konzentrieren will: “Klar, macht Arbeit – aber die anderen Accounts auch. Und richtigen Sportjournalismus mit Diskussionen sehe ich bei TikTok bisher nicht. Sich nur auf die ganz Jungen zu fokussieren, halte ich auch für falsch. Nun ja.”

6. Ronaldo, Coke und der Journalismus, der nur schön sein muss – nicht wahr
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Habt ihr auch die Meldung gesehen, dass der Aktienkurs von Coca Cola eingebrochen sei, weil Portugals Fußball-Star Cristiano Ronaldo bei einer Pressekonferenz die Cola-Flaschen durch Wasser ausgetauscht hat? Dann seid ihr einer Falschinterpretation einiger Medien aufgesessen. Thomas Knüwer erklärt, wie es dazu kam.