Archiv für Januar 26th, 2016

Presserat billigt nacherzählten Terror-Fehlalarm

Im November vergangenen Jahres, eine Woche nach den Anschlägen in Paris, eilmeldete “Focus Online” am späten Abend:

Schon fünf Minuten später wurde die Meldung von der Münchner Polizei dementiert:

Doch statt die Geschichte zu überprüfen, schlugen auch andere Medien lieber erst mal eilig …

Auch zwei Stunden nach der Klarstellung der Polizei schrieb FAZ.net (auch auf der Startseite) immer noch:

“Focus Online” hielt sogar noch bis zum Mittag des darauffolgenden Tages an der “Terror”-Version fest, musste aber (nachdem die Polizei in einer Pressemitteilung erklärt hatte, dass alles ganz anders war) zugeben, dass alles ganz anders war.

Die “verdächtige arabische Gruppe”, die angeblich “offenbar einen Anschlag in der bayerischen Landeshauptstadt” vorbereitete, entpuppte sich als eine Gruppe von Asylbewerbern, die sich in dem Hotel zur “Familienzusammenfindung” traf, wie die Polizei mitteilte. Die “falschen Uniformen” waren in Wahrheit ein “handelsübliches Baseball-Cap mit der Aufschrift ‘Police’ und eine schwarze Weste”. Und die Gasflaschen gehörten zu einem Campingkocher.

Wir haben uns beim Presserat über die Berichterstattung beschwert, weil wir der Ansicht sind, dass die Medien mit der ungeprüften Verbreitung der Falschmeldung gegen den Pressekodex verstoßen und unnötig Panik geschürt haben.

Im Fall von “Focus Online” wurde die Beschwerde an den Beschwerdeausschuss weitergeleitet, der sich im März damit beschäftigen wird.

Bei der “Huffington Post” und FAZ.net kann der Presserat aber keinerlei Verstoß erkennen. Er teilte uns mit:

Grundlage unserer Prüfung war in diesem Zusammenhang Ziffer 2 des Pressekodex. Danach sind zur Veröffentlichung bestimmte Informationen mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen. Ein Verstoß gegen die journalistische Sorgfalt ist bei den vorliegenden Fällen aber nicht ersichtlich. Die Beiträge beschreiben zutreffend, dass die Polizei wegen eines Verdachts auf einen terroristischen Anschlag alarmiert wurde. Sie nennen zudem jeweils die Quelle, auf deren Angaben die Falschmeldung beruhte, und machen diese durch die Verwendung des Konjunktivs und durch “soll”-Formulierungen als unbestätigte Meldungen erkennbar. Zudem haben beide Medien die Beiträge um einen Hinweis auf die Falschmeldung ergänzt bzw. diese in einer Folgeberichterstattung thematisiert.

Insgesamt konnten wir daher keinen Verstoß gegen die presseethischen Grundsätze feststellen.

Die abschreibenden Journalisten hätten nur einmal beim Twitter-Account der Polizei vorbeischauen müssen, um den angeblichen “TERROR-ALARM” zu überprüfen, vermutlich hätte es auch ein kurzer Anruf getan. Schade, dass das zu viel verlangt ist.

Wann ist ein Like ein Like, Hörsaal-Ablenkung, Bordexemplare

1. Vier Thesen zur Zukunft des Digitaljournalismus
(horizont.net, Mathias Müller von Blumencron)
Der Digital-Chef der “FAZ” macht sich Gedanken über die Zukunft des digitalen Journalismus. Neuen Angeboten gibt er keine großen Chancen, das Rennen würden die Qualitätsmarken machen. Gleichwohl werde es “eine Explosion journalistischer Formate” geben. Nichts weniger als eine “Exzellenzoffensive” sei zu erwarten. Angesichts von Angeboten wie “Focus Online” reichlich viel Optimismus, aber ohne den kommt ein “Chefredakteur Digitale Medien” wahrscheinlich nicht aus.

2. Was ist die “ganze Wahrheit”?
(facebook.com/arminwolf.journalist, Armin Wolf)
Facebook wird von manchen als Abraumhalde für industriell abgebaute Katzenfotos geschmäht. Dass dem nicht (immer) so ist, beweist ein längerer Beitrag des österreichischen TV-Journalisten Armin Wolf. In diesem setzt sich der Autor recht ausführlich mit der Frage auseinander, ob und wann Medien bei Verbrechen die Nationalität der Verdächtigen nennen sollen beziehungsweise dürfen.

3. Warum ein “Like” keine politische Meinungsäußerung ist
(derwesten.de, Katrin Figge)
“Der Westen” hat mit dem Medienökonom Prof. Jörg Müller-Lietzkow über das Likewesen auf Facebook gesprochen. Likes oder Hasskommentare seien demnach “weit von politischer Meinungsäußerung entfernt”. Der Medienwissenschaftler vergleicht die Klicks mit einem Ablassbrief: Man fühle sich danach gut, weil man etwas geleistet oder Wut kanalisiert habe. Mit politischer Artikulation habe all dies jedoch nichts zu tun.

4. Google: 25.000 Chromebooks für Flüchtlinge in Deutschland
(heise.de, Andreas Wilkens)
“Project Reconnect” heißt der Zusammenschluss von Google, Telekom und Arbeiter-Samariter-Bund, der für die Verteilung von 25.000 Chromebooks sorgen will. Alle Organisationen, die in der Flüchtlingshilfe tätig sind, könnten sich für die mobilen Computer bewerben (bei Interesse: Link im Artikel). Die Telekom will den kostenlosen WLAN-Zugang ermöglichen. Gute Idee, wobei böse Zungen behaupten, man hätte zunächst die verstaubte IT der deutschen Behörden auffrischen sollen.

5. Aufmerksamkeitskiller Smartphone
(taz.de, Ralf Pauli)
Ein Hochschullehrer zieht nach mehreren Experimenten ein trauriges Resümee: Die Aufmerksamkeit der Studierenden habe in den letzten Jahren massiv abgenommen. Schuld sei der ständige Blick aufs, na was wohl, Smartphone. “Wir schaffen es kaum mehr, die Aufmerksamkeit der jungen Leute für länger als fünf Minuten zu halten”, beklagt der Professor an der Hochschule Hof. “Danach sind sie sofort wieder bei ihren technischen Spielzeugen.”

6. Wie die Lufthansa meine Zeitungen klaut
(bilanz.de, Bernd Ziesemer)
Der frühere Chefredakteur des “Handelsblatts”, Bernd Ziesemer, jammert in seiner Kolumne über das Verschwinden der sogenannten Bordexemplare der Lufthansa. Der Verzicht auf die kostenlosen Zeitungen sei “der traurige Endpunkt einer langen Reihe stetiger Verschlechterungen” mit dramatischen Auswirkungen: “Die Masse der bisherigen Flugzeugleser verliert den letzten Kontakt zu Printmedien.” Warum sich die von Ziesemer angesprochene (gutgestellte) Klientel der treuen Vielflieger ihre Lektüre nicht einfach für ein paar Euro am Kiosk holen kann, bleibt leider offen.