Archiv für November 18th, 2015

Er steht im Tor, im Tor, im Tor – und blick.ch kommt nicht dahinter

Die Geschichte klingt aber auch wirklich gut: James Bittner, seines Zeichens Langzeit-Ersatztorwart bei zahlreichen englischen Fußballklubs, hat nach 13 Jahren des Wartens seine ersten Einsatzminuten in einer Profiliga bekommen.

Das berichtet jedenfalls blick.ch so:

Da ist der zähe Engländer doch schon seit 13 Jahren Fussball-Profi, spielte bei Swindon, Bournemouth, den Queens Park Rangers, Fulham Exeter, Torquay, Woking, Salisbury, Forest Green, Hereford, Newport und seit 2014 bei Plymouth — und stand tatsächlich noch keine Sekunde im Tor!

Dass am vergangenen Wochenende nun 5400 Sekunden plus Nachspielzeit dazugekommen sind, liege vor allem daran, dass der Stammtorhüter von Plymouth eine längere Haftstrafe absitzen müsse und deswegen Ersatzmann Bittner ran dürfe. Noch so ein irrer Aspekt an dieser Story.

Also, zusammengefasst:

Dieser Typ hat Sitzleder! Die Geschichte von James Bittner (33) ist unglaublich — und extrem lang.

“Unglaublich” ist die Geschichte von blick.ch ebenfalls — und extrem verspätet. Denn Bittner hatte schon einmal einen Einsatz als Profi: Im Januar wurde er im Viertligaspiel — die vierte Liga zählt in England zum Profibereich — gegen Morecambe für eine Halbzeit eingewechselt. Und auch die Sache mit dem Gefängnisaufenthalt des Stammtorwarts liegt schon eine Weile zurück: Luke McCormick wurde bereits 2008 wegen fahrlässiger Tötung durch rücksichtsloses Fahren und Fahren unter Alkoholeinfluss zu einer Haftstrafe von sieben Jahren und vier Monaten verurteilt. 2012 kam er wieder frei. Am vergangenen Wochenende fehlte McCormick wegen einer Verletzung.

Zwar berichten auch zahlreiche britische Medien über Bittners besonderen Einsatz am vergangenen Wochenende. Allerdings schreiben sie vom “first league start”, also von seinem ersten Spiel von Beginn an.

Blick.ch beruft sich übrigens auf einen Bild.de-Artikel. Dort steht die Sache mit dem “Startelf-Debüt” immerhin in der Überschrift richtig …

… im Artikel heißt es aber:

Die Zahl seiner Einsätze in einer der vier englischen Profiligen: 0!

Und bei derwesten.de bekommen sie es sogar hin, in einem kurzen Absatz gleich drei vier Fehler (Alter, Vereinsname, Liga, Anzahl Profispiele) einzubauen:

34 Jahre alt ist der Torwart, der mittlerweile für Plymouth Arglye in der dritten englischen Liga das Trikot überstreift. Denn das kann er eigentlich am besten: nur das Trikot überstreifen. Diesen fiesen Gedanken könnte man zumindest haben, wenn man weiß, dass James Bittner vor 13 Jahren erstmals im Match-Kader eines Profiklubs auftauchte und seitdem genau null (!) Profispiele gemacht hat.

Man könnte auch den fiesen Gedanken haben, dass der Autor null (!) recherchiert hat.

Mit Dank an “hsbasel”.

Die AfD und INSA, Matussek, rechtsextreme Gewalt in den Medien

1. AfD drittstärkste Partei? Zweifel an Umfrage
(ndr.de, Andrej Reisin)
Die AfD bei über zehn Prozent? Drittstärkste Partei auf Bundesebene? Doch, doch — hat schließlich das Meinungsforschungsinstitut INSA herausgefunden. Und viele Medien machen daraus eine Nachricht. Andrej Reisin hat bei der Sache allerdings größere Bedenken: “Der Leiter eines Meinungsforschungs-Instituts (das laut Medien gleichzeitig die AfD beraten soll), der in Artikeln einen mehr als wohlwollenden Ton gegenüber der AfD anschlägt, verantwortet Umfragen für die “Bild”-Zeitung, in denen die AfD zur drittstärksten politischen Partei wird: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.”

2. Die “Welt” schmeißt Matthias Matussek raus
(tagesspiegel.de, Joachim Huber und Sonja Álvarez)
“Meistgelesen ist derzeit nicht das Terrorthema, sondern der Rausschmiss Matusseks bei der ‘Welt’.” Das twitterte der Online-Chef des “Tagesspiegels” am frühen Dienstagabend. Der entsprechende Artikel erklärt, wie es zu Matusseks Engagement-Ende kam: erst das umstrittene Facebook-Posting, dann der Konter von Chefredakteur Jan-Eric Peters (“durchgeknallt”), die uneinsichtige Reaktion Matusseks (“Wahrheiten ausgesprochen”), schließlich der angebliche Eklat auf der Redaktionskonferenz der “Welt”, in der Matussek seinen Chef als “durchgeknalltes Arschloch” bezeichnet haben soll. Diesen Vorwurf weist Matusseks Anwalt allerdings als “absurd” zurück. Johannes Kram zieht Parallelen zu Akif Pirinçci, und Christoph Giesa meint: “Egal wohin es allerdings für Matthias Matussek geht, für den politischen Journalismus in Deutschland ist die Entscheidung der Welt eine gute.”

3. Kameradschaft vor der Kamera
(de.ejo-online.eu, Katharina Neumann)
In Deutschland gibt es drei rechtsextreme Gewalttaten pro Tag. Für Journalisten stellt sich die Frage, wie man darüber berichtet, ohne Nachahmer zu informieren oder sogar zu inspirieren. Eine Masterstudentin der LMU München beschäftigte sich in ihrer Abschlussarbeit mit dem Dilemma, sie führte Interviews mit Rechten. Das “European Journalism Observatory” stellt einige ihrer Erkenntnisse vor.

4. Alles wird schlimmer: Wie die News-Medien am falschen Weltbild basteln (müssen)
(pixeloekonom.de, Johannes Eber)
Kieze, in denen es knallt, “Jugendgewalt leicht angestiegen”, Großsiedlungen seien besonders schlimm. Das schreiben Nachrichtenportale über ihre Zusammenfassungen einer aktuellen Jugendgewaltstudie für Berlin (PDF). Dabei zeigt die im Kern: Die Jugendgewalt ist weiter rückläufig. “Jede Wette, dass die Mehrheit der Berliner vom Gegenteil überzeugt ist. Weil die Medien (mit Ausnahmen) das Gegenteil berichten. Weil das Gegenteil mehr Klicks bringt”, schreibt Johannes Eber.

5. Reicht der Hinweis “Sponsored” um Werbung im Netz zu kennzeichnen?
(internet-law.de, Thomas Stadler)
Erlaubt ist es. Aber ist es für die Leserschaft auch verständlich, wenn bezahlte Beiträge auf einer Website mit “Sponsored Post” überschrieben sind? Wird klar, dass es sich letztlich um Werbung handelt? Für einen Großteil nicht, meint Thomas Stadler, der sich auf eine Befragung von “Statista” zum Thema stützt.

6. Der kommende #Winter und der #Journalismus. Ein Drama in bisher 4 Akten.
(twitter.com, Jörg Kachelmann)
Jörg Kachelmann bekommt von der Agentur “Spot on News” ein Anfrage zu Winterwetter und Schneefall. Bei Twitter dokumentiert er seine Antworten.

Eine regelmäßig aktualisierte Linksammlung zur Berichterstattung über die Anschläge in Paris gibt es hier.