Archiv für März 17th, 2015

Presserat rügt Vergewaltiger-Selfie

Vor gut sechs Monaten berichtete „Bild“ über einen Mann, der zwei Frauen vergewaltigt und sich währenddessen mit den Opfern fotografiert hatte. „Selfie-Vergewaltiger“ nannte „Bild“ den Mann — und druckte eines der bei den Taten entstandenen Fotos unfassbarerweise auf der Titelseite ab:


(Verpixelung von uns.)

Für die Veröffentlichung sind „Bild“ und Bild.de am Freitag vom Presserat öffentlich gerügt worden. Obwohl das Gesicht des Opfers unkenntlich gemacht worden war (online soll es, wie uns eine Leserin schrieb, kurzzeitig sogar ohne jede Unkenntlichmachung zu sehen gewesen sein), erkannte der Beschwerdeausschuss einen Verstoß gegen die Ziffern 1 (Achtung der Menschenwürde), 8 (Schutz der Persönlichkeit) und 11 (Sensationsberichterstattung) des Pressekodex.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Als besonders gravierende Verletzung der Würde des Opfers bewertete er den Umstand, dass BILD und BILD Online ein Foto veröffentlichten, welches der Täter während der Tat als „Trophäe“ angefertigt hatte.

… heißt es in der Mitteilung des Presserats.

Es war bei Weitem nicht die einzige „Sanktion“, die der Beschwerdeausschuss gegen die „Bild“-Medien ausgesprochen hat: Insgesamt erhielten sie drei öffentliche Rügen, sechs Missbilligungen und vier Hinweise, also mal wieder mehr als jedes andere Medium.

Die zweite Rüge erhielt Bild.de für die identifizierende Berichterstattung über ein Mordopfer. Das Portal hatte ein unverpixeltes Foto der Frau bei der Arbeit gezeigt und verstieß damit gegen Richtline 8.2 des Pressekodex, nach der die Identität von Opfern besonders zu schützen ist.

Die dritte Rüge ging an die Hamburger “Bild”-Ausgabe, die den Vornamen, den abgekürzten Nachnamen, den Wohnort sowie ein Porträtfoto eines 16-Jährigen veröffentlicht hatte, der wegen Mordverdachts vor Gericht saß.

Über einen jugendlichen Straftäter derart identifizierend zu berichten, wertete der Ausschuss als einen schweren Verstoß gegen den Pressekodex (Ziffer 8, Schutz der Persönlichkeit, Richtlinien 8.1 und 8.3). Die Identität von Kindern und Jugendlichen genießt besonderen Schutz, auch bei schweren Straftaten.

Kritisiert wurde auch dieser Artikel der Dresdner “Bild”-Ausgabe:


(Unkenntlichmachung von uns.)

Im Text behauptete der “Bild”-Reporter:

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) in Bautzen kaufte dem Rettungsdienst stich- und schusssichere Westen. (…) Offenbar geht es vor allem um Einsätze im Spreehotel – der Vier-Sterne-Herberge, wo neuerdings Asylbewerber untergebracht sind.

Allerdings haben die Polizei, das DRK und der Betreiber des Heims schon mehrfach klargestellt, dass diese Darstellung falsch ist. Denn erstens ist das Hotel keine “Vier-Sterne-Herberge” mehr (der Hotelbetrieb wurde vor geraumer Zeit eingestellt), zweitens sind es höchstens stich- und keine schusssicheren Westen, und drittens wurden sie nicht „aus Angst vor Attacken aus dem Asyl-Hotel“ besorgt, wie „Bild“ behauptet, sondern um die Rettungskräfte ganz allgemein und bei allen Einsätzen zu schützen (BILDblog berichtete hier und hier.) Auch der Presserat erkannte in dem Artikel einen Verstoß gegen Ziffer 2 (Sorgfalt) und sprach eine Missbilligung aus.

Ebenfalls beanstandet wurde die Veröffentlichung eines Fotos bei Bild.de, auf dem ein Baby zu sehen ist, das von seinem Vater schwer verletzt worden sein soll. Da das Foto im Krankenhaus entstanden ist, einem laut Pressekodex besonders geschützten Raum, erhielt Bild.de eine Missbilligung.

Missbilligt wurde auch dieser “Bild”-Artikel:


(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

“Bild” hatte die Bilder der Überwachungskamera (auch auf der Titelseite) veröffentlicht, ohne die Staatsanwaltschaft oder die Angehörigen des Opfers um Erlaubnis zu bitten (BILDblog berichtete). Der Presserat wertete die Veröffentlichung als unangemessen sensationelle Darstellung (Verstoß gegen Ziffer 11) und sprach eine Missbilligung aus.

Und dann war da ja noch dieser Artikel:

“Bild” hatte kurz vor Weihnachten suggeriert, dieser Vorschlag sei vom Grünen-Politiker Omid Nouripour eingebracht worden (in der Print-Ausgabe hieß es gar: “Politiker fordern”). Doch tatsächlich stammte er von der Zeitung selbst (BILDblog berichtete): Nouripour erklärte uns, dass ihn eine “Bild”-Reporterin angerufen und gesagt habe:

Wir bringen zu Weihnachten ja immer gute Nachrichten. Und da haben wir uns gefragt, ob es nicht eine schöne Idee wäre, wenn in christlichen Weihnachtsgottesdiensten muslimische Lieder gesungen würden.

Daraufhin habe er geantwortet: Nein, das sei keine gute Idee. Wenn, dann sollte es eine Art Tausch geben: Muslimische Lieder in der Kirche, christliche Lieder in der Moschee.

In einer Pressemitteilung erklärte die “Bild”-Zeitung später, sie habe die Zitate im Artikel korrekt wiedergegeben, was ja auch stimmen mag. Dass die Schlagzeile den Sachverhalt trotzdem falsch zusammenfasst, befand aber auch der Beschwerdeausschuss des Presserats, der deshalb eine weitere Missbilligung gegen “Bild” aussprach.

Einen sogenannten Hinweis bekam Bild.de außerdem wegen der Verwendung der Lach-Wein-Wut-Wow-Staun-Leiste unter einem Artikel über ein Attentat mit mehreren Toten.

Die Möglichkeit, diese Nachricht auf Basis von positiven Emotionen zu bewerten, verstößt aus Sicht des Beschwerdeausschusses gegen das Ansehen der Presse gemäß Ziffer 1 des Pressekodex. Die Redaktion hätte diese Bewertungsmöglichkeit für den Artikel vorab deaktivieren müssen.

Auch unter anderen Artikeln können die Leser bei Bild.de über Tote und Verletzte lachen, was sie auch tun (BILDblog berichtete, andere auch). Dass der Presserat nur diesen einen Fall kritisiert hat, liegt daran, dass nur dazu Beschwerden eingegangen sind. Deaktiviert wird die Leiste im Übrigen nur selten — bei Kommentaren von “Bild”-Chef Kai Diekmann zum Beispiel.

Die “Goslarsche Zeitung”, die Zeitschrift “Welt der Wunder” und die “TV Hören und Sehen” fingen sich jeweils eine Rüge ein, in allen drei Fällen wegen Verstößen gegen Ziffer 7 (Trennung von Werbung und Redaktion).

Eine weitere Rüge ging schließlich an shz.de, das Nachrichtenportal des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags, das im Jahr 2009 in der Berichterstattung über einen laufenden Mordprozess identifizierend über einen Angeklagten und dessen Vater berichtet hatte. Der Ausschuss stellte einen Verstoß gegen Ziffer 8 fest: Die identifizierende Berichterstattung vor Abschluss des Strafverfahrens sei unzulässig.

Siehe auch: Mitteilung des Presserats

Wechselkursvorteile, Muslime, Focus Online

1. “Coop listet ausländische Zeitschriften aus”
(coop.ch)
Weil ausländische Zeitschriften Wechselkursvorteile nicht an die Kunden weitergeben, nimmt sie der Schweizer Einzelhändler Coop aus dem Angebot: “Ab sofort und bis auf weiteres werden folgende Zeitschriften nicht mehr bei Coop verkauft: In der Deutschschweiz Gala, Spiegel, Micky Maus, Neue Post, Freizeit Revue sowie die deutschsprachige Ausgabe der Vogue. In der französischen Schweiz sind es die Titel Grazia, Elle, Paris Match, Point de Vue sowie die französischsprachige Ausgabe der Gala. In der italienischen Schweiz die Titel, Grazia und Chi.” Siehe dazu auch “Heftli-Boykott: Für den Preisüberwacher nur der Anfang” (srf.ch, Philip Kempf).

2. “Der Terrorismus als Kind der Medien”
(tagesanzeiger.ch, Bruno S. Frey)
Bruno S. Frey schlägt vor, Terrorakte nicht mehr konkreten Tätern und Organisationen zuzuordnen: “Journalisten versuchen verzweifelt, herauszufinden, ob sich jemand zu einem Terrorakt bekennt. Sie betteln beinahe darum, dass sich jemand damit brüstet. Sobald dies eine Organisation tut, erreicht sie riesige Aufmerksamkeit. Damit wird der Terrorismus belohnt. Wenn die Medien hingegen auf eine Zuordnung verzichten und vielmehr glaubwürdig berichten, dass viele verschiedene Gruppen und Personen das Verbrechen für sich in Anspruch nehmen, werden die tatsächlichen Täter und deren Organisationen frustriert.”

3. “Why Mail Online is wrong to publish a photograph of a dying woman”
(theguardian.com, Roy Greenslade, englisch)
Roy Greenslade schreibt zur Veröffentlichung eines Bilds einer sterbenden Frau (BILDblog berichtete): “I think my friend is right to say that this woman did have rights of privacy. And her relatives and friends will probably find it very upsetting indeed. It will appeal only to the ghoulish and I cannot see any public interest reason for its publication.”

4. “Dieser böse, böse Islam”
(taz.de, Eren Güvercin)
Muslime in den deutschen Medien: “Extreme dominieren das Islambild, und die breite Mitte der Muslime bleibt erschreckend abwesend. Zumindest auf der medialen Plattform.”

5. “Fair play bei der Tagesschau”
(wahrheitueberwahrheit.blogspot.de, Thomas)
Tagesschau.de zieht im Artikel “Barcelona top – Sotschi Flop” eine “Bilanz bisheriger Olympiastädte”.

6. “Profitieren Sie von der geballten Wissenskompetenz von ‘Focus Online’!”
(stefan-niggemeier.de)
Die “geballte Wissenskompetenz” von “Focus Online” bezüglich Rechtschreibung.