Archiv für August 19th, 2014

B.Z., Bild  

Die düsteren Manga-Fantasien des Boulevards

Im November vergangenen Jahres wurde bei Berlin ein 14-jähriges Mädchen mit mehreren Messerstichen getötet. Der mutmaßliche Täter wurde kurz darauf festgenommen.

“Bild” berichtete damals — wie gewohnt — ohne Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte des Opfers …

… oder die des Verdächtigen:

(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

Die Fotos stammten offensichtlich von Facebook. Dem Verdächtigen spendierte “Bild” zwar einen schwarzen Augenbalken, nannte aber gleichzeitig so viele persönliche Informationen, dass sich an der Identifizierbarkeit kaum etwas geändert haben dürfte.

Beim Durchstöbern des Facebook-Profils des jungen Mannes stießen die Reporter aber noch auf etwas anderes, woraufhin die Berichterstattung (auch in der “B.Z.”) plötzlich eine ganz neue Stoßrichtung bekam — sie fanden nämlich: Manga-Zeichnungen.


“Bild” beschrieb den mutmaßlichen Täter fortan konsequent als “Manga-Killer” oder “Manga-Freak”, als “dicklichen” “Außenseiter”, als “Einzelgänger” und “versponnenen Sonderling”, der in einer “Wahn-Welt” lebe, wie man ja schon an den “brutalen Manga-Bildern” erkennen könne.

Die Freunde, die [M.] (20) zu Hause in seinem Jugendzimmer besuchen, haben riesige Kulleraugen und Kindchen-Gesichter. Sie kämpfen mit Schwertern, es geht um Leidenschaft und Tod. […]

In seiner Internet-Welt ist [M.] so wie seine Manga-Helden. Gut aussehend, groß, bewundert. Verlässt er das Haus seiner Eltern in einer Kleinstadt im [Kreis XY], schrumpft er wieder zum Außenseiter.

Und auf der anderen Seite das “bildschöne und intelligente” Mädchen, das “Kulleraugen-Girl”, das ausgesehen habe, “wie aus der Fantasie-Welt” des mutmaßlichen Täters entsprungen.

Vor allem auf diese angebliche “auffällige Ähnlichkeit” zwischen den Zeichnungen und dem mutmaßlichen Täter bzw. dem Opfer wiesen die Boulevardmedien immer wieder hin:

Das passt natürlich hervorragend: Der “Manga-Killer”, der sein Opfer wenige Wochen vor der Tat als “düstere Comic-Figur” zeichnet — mit Wunden, die später auch bei dem getöteten Mädchen gefunden werden.

Doch so sehr es sich die Medien auch wünschen: Es stimmt nicht. Die Bilder, die den Täter und das Opfer zeigen sollen, stammen aus dem Kunstportal “deviantArt” und wurden von einer Frau gezeichnet, die mit der Tat nicht das Geringste zu tun hat. Die sogenannten Fan-Arts zeigen auch keine realen Personen, sondern Figuren aus den Mangas “Black Rock Shooter” und “Naruto”.

Die Zeichnerin beschwerte sich schon im November darüber, dass ihre Bilder ohne Genehmigung abgedruckt und als “persönliche Mord-Motive” missbraucht worden waren. Sie erstattete auch Strafanzeige gegen “Bild” und “B.Z.”, doch die Staatsanwaltschaft Berlin stellte das Ermittlungsverfahren ein.

In ihrer Begründung verwies die Staasanwaltschaft auf §50 UrhG, wonach in der “Berichterstattung über Tagesereignisse” auch die Vervielfältigung von Werken erlaubt ist, “die im Verlauf dieser Ereignisse wahrnehmbar werden”. Diese Vorschrift trage, so die Staatsanwaltschaft, dem Umstand Rechnung, dass “die rechtzeitige Einholung bei aktuellen Ereignissen kaum möglich” sei und gestatte daher “ausnahmsweise eine zustimmungsfreie Nutzung”.

Eine seltsame Begründung. Denn die Zeichnungen wurden auch mehrere Tage nach dem Mord noch gedruckt; die Redaktionen hätten also durchaus Zeit gehabt, den Ursprung der Bilder zu klären und eine Zustimmung einzuholen. Dass sie später nicht mehr behaupteten, der Mann habe die Figuren selbst gezeichnet, sondern lediglich schrieben, er habe sie “auf sein Internet-Profil geladen”, deutet außerdem darauf hin, dass sie sich im Klaren darüber waren, dass er nicht der Urheber der Zeichnungen ist. Und: Die Staatsanwaltschaft schreibt selbst, dass mit “Berichterstattung” die “sachliche Schilderung tatsächlicher Geschehnisse” gemeint sei. Was an “Die schwarze Kunst des Mädchen-Killers” sachlich sein soll, schreibt sie allerdings nicht.

Wie dem auch sei: Spätestens seit Ende November — damals wandte sich die Mutter der Zeichnerin mit einer Beschwerde direkt an “Bild” und “B.Z.” — wissen die Redaktionen, dass die Zeichnungen nicht vom mutmaßlichen Täter stammen. Sie wissen auch, dass die angeblichen Ähnlichkeiten höchstens Zufall sein können. Und dass die Zeichnerin nicht mit der Verwendung ihrer Bilder einverstanden ist.

Tatsächlich hat die “B.Z.” die Zeichnungen mittlerweile aus ihren Online-Artikeln gelöscht, und auch als vor wenigen Tagen der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter begann, verzichtete die “B.Z.” auf den Abdruck der Manga-Bilder.

Die “Bild am Sonntag” nicht.

Diese Zeichnung hat der Täter auf sein Internet-Profil geladen. Die Manga-Figur sieht [dem Opfer] ähnlich, zeigt ein zierliches Mädchen mit traurigem Blick. Auf seinem Bauch hat es zwei lange Narben

Darüber, dass die Zeichnung von jemand anderem stammt und die Figur — inklusive Narben — ein gängiges Motiv in der Manga-Szene ist, verliert die Redaktion mal wieder: kein Wort.

iPhone 6, Report Mainz, Profimeinungskommentare

1. “SPIEGEL Online und der Phantom-Konvoi – Hysterie, Lügen und Heuchelei”
(nachdenkseiten.de, Jens Berger)
Die “Spiegel-Online”-Schlagzeile “Ukrainische Truppen greifen russischen Konvoi an” in der Analyse: “Man spekuliert munter drauf los, überprüft Nachrichten nicht auf deren Wahrheitsgehalt, verbreitet mutwillig Hysterie und schürt damit das Feuer, aus dem ein Krieg zwischen West und Ost entfachen könnte.”

2. “Angebliche Gerichtsaffäre wird zur Petitesse”
(mainpost.de, Manfred Schweidler)
Ein Blick zurück auf die Auswirkungen des Berichts “Verdacht auf Parteilichkeit und Vetternwirtschaft bei Bußgeldvergabe” des ARD-Politmagazins “Report Mainz”: “Eine Reihe von Opfern blieb zurück – und nicht zuletzt ein Stück journalistischer Glaubwürdigkeit. Nur wenige Schlagzeilen-Formulierer kamen später zu der Einsicht: Der Richter hatte vielleicht ein wenig unbekümmert Bußgelder vergeben, was zu einem falschen Eindruck führen konnte. Aber von Mauschelei konnte nie die Rede sein.”

3. “BILD Plus und das Geschaeft mit ‘exklusiven Fotos’ eines Fakes des iPhone 6”
(mobilegeeks.de, Sascha Pallenberg)
Fotos hinter der “Bild-Plus”-Paywall, die angeblich ein Apple iPhone 6 zeigen: “Es handelt sich bei all diesen vermeintlichen Fotos des echten iPhone 6 um immer wieder die gleichen Modelle eines Fakes auf Android Basis, den man bereits seit Wochen auf Aliexpress.com bestellen kann.”

4. “Bomben auf Gaza: Ohne deutsche Medien – Jung & Naiv in Israel: Folge 192”
(youtube.com, Video, 40:17 Minuten)
Im Interview mit Tilo Jung fragt sich der freie Journalist Martin Lejeune, der die Bombardierungen des Gazastreifens durch die israelische Armee bei einer Familie dort erlebt hatte, warum öffentlich-rechtliche Medien in Deutschland kaum mit ihm zusammenarbeiten wollen. Zur Sprache kommt auch die Frage nach seiner Unabhängigkeit.

5. “Krude, kruder, am krudesten”
(taz.de, Deniz Yücel)
Deniz Yücel gibt Tipps, wie man einen “Profimeinungskommentar” verfasst.

6. “Was für ein Pech mit dem Wetter! Ein PR-Trip des FC Bayern München im Live-Ticker”
(funkkorrespondenz.kim-info.de)