Archiv für Dezember 5th, 2013

Zum Brechen: Tabu-Berichterstattung

  • “BILD bricht das große Tabu, druckt in einer neuen Serie Deutschlands Gehaltslisten.”
    (“Bild”, Mai 2004)
  • “BILD bricht das letzte Geld-Tabu — und sagt, was die Deutschen wirklich verdienen.”
    (“Bild”, Dezember 2005)
  • “BILD bricht ein Tabu und verrät, was die Sachsen-Anhalter verdienen.”
    (“Bild” Halle, November 2011)
  • “BILD bricht ein großes Tabu: Deutschland zeigt seine Gehaltszettel”
    (“Bild”, Dezember 2013)

Das unterscheidet das Tabu vom Krug: Der Krug geht nur solange zum Brunnen, bis er bricht. Das Tabu trabt auch nach dem Brechen immer wieder brav zur “Bild”-Zeitung.

Heute ist es also wieder einmal so weit. Und das Wichtigste an diesen Gehaltsgeschichten scheint zu sein, mit ihnen gleich groß auf dem Titel zu behaupten, ein Tabubrecher zu sein — wie abwegig auch immer das sein mag. Während das Neue an den Zahlen 2005 noch war, dass “Bild” die Monatseinkünfte durch die revolutionäre Anwendung der Division durch 30 auf Tagesverdienste umrechnete, schockt “Bild” nun damit, sich von den Beteiligten sogar ihre Netto-Einkünfte nennen zu lassen.

Weil das Blatt das für zahlende Kunden im Internet nach verschiedenen Kriterien sortierbar gemacht hat, trommelte der Branchendienst “Meedia” dafür sogar schon vorab und lobte den Versuch von Bild.de, mit “multimedial pfiffig (sic!) aufgemachten Arbeiten” zu glänzen.

Online stellt man dann fest, dass Politiker wie der Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil ihre Steuerbescheide längst im Internet veröffentlichen, was die Behauptung, das sei “eines der letzten großen Tabus” in Deutschland, noch schaler wirken lässt. Dass Klingbeil aus einem Ort namens Munster in Niedersachsen kommen könnte, hielt die “Bild”-Redaktion allerdings für so unwahrscheinlich, dass sie ihn sicherheitshalber nach Münster (Nordrhein-Westfalen) umsiedelte.

Ein tatsächliches Tabu traut sich das Blatt aber natürlich auch diesmal nicht zu brechen: die Einnahmen von “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann oder Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner zu veröffentlichen.

Elan Gale, Native Advertising, Seite-1-Girls

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “If You Want Reporters to Check Stories Before They Publish, You’re a Hater”
(slate.com, David Weigel, englisch)
Mehrere Tweets von @theyearofelan (Elan Gale) wurden weitergeleitet und für eine Beschreibung der Realität gehalten, so beispielsweise auch von Sueddeutsche.de. “Elan Gale successfully hoaxed the Internet with a dumb, mean story.”

2. “Why Elan Gale Made Up an Epic ‘Note War’ on a Thanksgiving Flight”
(abcnews.go.com, Joanna Stern, englisch)
In einem Interview sagt Elan Gale, er sei kein Lügner, sondern ein Geschichtenerzähler: “I didn’t see how this was news. I was telling a story, I didn’t feel a particular responsibility to address what other people were making of it. I never claimed it to be true. I never said, ‘this is news, please read it.'”

3. “‘Ich habe stets aufgepasst, dass alles ästhetisch bleibt'”
(persoenlich.com, Marco Lüthi)
Sabine Hoeltschi war während drei Jahren für die Präsentation von rund 1000 “Seite-1-Girls” auf der Titelseite des “Blick” zuständig: “Wir hatten einen männlichen Chefredaktor, mit welchem ich oft Diskussionen hatte. Ich habe den Job aber genau deswegen gemocht, weil er nicht einfach war. Das hat mir persönlich viel gebracht. Als menschlich orientierte Person war es stets eine tolle Erfahrung. Es hat mich immer gestört, wenn die Leute behauptet haben, dass es eine schmutzige und sexistische Rubrik sei. Das ist so eine oberflächliche Beurteilung! Sie wissen ja gar nicht was hinter den Kulissen abgeht. Es war ein Profi-Shooting mit lauter Profis. Wir haben uns auch immer bemüht, den Wünschen der Frauen gerecht zu werden.”

4. “Eine Plattform für Scharlatane”
(vocer.org, Hugo Stamm)
“Immer wieder werden Geistheiler und Hellseher porträtiert, ohne kritische Gegenstimmen einzuholen”, schreibt Hugo Stamm: “Die Versuchung gross, den Publikumsgeschmack mit fragwürdigen Beiträgen zu bedienen.”

5. “Native Advertising – Wenn Werbung zum Inhalt wird, was wird dann aus dem Inhalt?”
(martingiesler.de)
Martin Giesler listet Vorteile und Probleme von Native Advertising auf. Siehe dazu auch “Native Ads: Werbung oder Journalismus?” (ndr.de, Video, 6:05 Minuten).

6. “Die Spulphobie des Mario Barth”
(stefan-niggemeier.de)