Archiv für Oktober 21st, 2013

Beinahe richtig

Im Juni sind über Schottland zwei Flugzeuge kollidiert. Also zumindest beinahe. Inzwischen hat Bild.de die Hintergründe dieses Vorfalls recherchiert. Zumindest beinahe.

1000 Fluggäste zweier Jumbo-Jets in Angst - Beinahe-Crash, weil die Piloten Fehler machten

Der Zwischenfall passierte bereits am 23. Juni 2013. Die Details wurden jetzt aus einem Bericht der zuständigen Behörde UK Airprox Board bekannt, melden britische Zeitungen. […]

Zum Crash kam es nur deshalb nicht, weil die Piloten sich jetzt gegenseitig im Cockpit sahen – und in buchstäblicher letzter Sekunde abdrehen konnten: Einer zog seine Maschine hoch, der zweite ging in den Sinkflug!

Bei dem Manöver befanden sich die Maschinen im kritischsten Moment nur gut 30 Meter voneinander entfernt!

Bild.de schlussfolgert:

Es waren nur Sekunden, die sie vom tödlichen Crash trennten…

Naaja. Also zunächst einmal: Dass zwischen den beiden Flugzeugen nur noch gut 30 Meter lagen, ist korrekt. Allerdings war das nur die vertikale Distanz. Horizontal aber, und das verschweigt Bild.de mal wieder, betrug der Abstand zwischen den beiden Maschinen noch über sieben Kilometer. Von daher ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass sich die Piloten “gegenseitig im Cockpit sahen”. Auch deshalb, weil laut dem Bericht (PDF, Seite 61) mindestens einer der Piloten das andere Flugzeug gar nicht gesehen hat.

Hätten die Leute von Bild.de sich diesen Bericht einfach mal selbst durchgelesen, statt bloß von den britischen Medien abzuschreiben, wären sie auch auf folgenden Satz gestoßen:

[…] das Risiko einer Kollision bestand nicht.

(Übersetzung von uns.)

Aber das hätte aus der Beinahe-Katastrophe eine Beinahe-Beinahe-Katastrophe gemacht — und das hätte wohl nicht mal mehr Bild.de spannend gefunden.

Mit Dank an Uwe S., Gesine, Karstinho, Sebastian S., Leif K., Daniel und Linus V.

Arztbengel, Phobie, Oscar Bronner

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Arztbengel, kichernd”
(faz.net, Lars Weisbrod)
Ein Porträt des scheidenden “Titanic”-Chefredakteurs, Leo Fischer. “Aber selbst wenn sie bei ‘Titanic’ wollten: Sie dürften gar nicht wirtschaftlich denken, sagt Fischer. Denn dann würde fehlen, was es braucht, um dieses Magazin zu machen: Spaß. ‘Wenn wir dauernd überlegen, wie viel ein Text an Honorar kostet, wie viel Geld wir zurückhalten müssen, weil es ein Rechtsrisiko gibt – es macht dann keinen Spaß mehr.'”

2. “Debattenphobie: Die Angst vor echten Kontroversen”
(novo-argumente.com, Frank Furedi)
Frank Furedi warnt vor dem Einsatz des Phobie-Begriffs in der Debatte: “Der Phobie-Begriff entbindet die Leute also von der lästigen Aufgabe ihren Standpunkt in der Diskussion zu verteidigen, indem er sie dazu einlädt ihre Gegner zu medikalisieren und so die Diskussion zu beenden. Die Medikalisierung von politischen Gegnern ist die existenzielle Ausradierung all derer, denen wir nicht zustimmen. Sind sie erst als irrational oder krank eingestuft, können wir sie unbekümmert ignorieren; ihre Auffassungen können dann als Symptome mentaler Verwirrung behandelt werden, die wir nicht ernst nehmen müssen.”

3. “Brauchen wir noch Journalismus?”
(antjeschrupp.com)
Antje Schrupp denkt nach über Journalismus: “Journalist_innen, so könnte man also sagen, sind notwendig, um Wissen googlebar zu machen, das ohne ihre Arbeit nicht googlebar wäre. Sie recherchieren Dinge, die niemand freiwillig ins Netz stellt, die aber dennoch wichtig sind oder vielleicht in einem späteren Kontext einmal wichtig werden könnten.”

4. “Journalismus, Objektivität und die neue Ehrlichkeit”
(doppelpod.com, Sven Hänke)
Sven Hänke hat sich “in der letzten Zeit viel mit der journalistischen Berichterstattung über China beschäftigt. Die Themenauswahl, der Blickwinkel und die Aufbereitung orientieren sich vor allem daran, was die Rezipienten in Deutschland aufnehmen können, was in ihr Weltbild integrierbar ist oder was sie schockierend finden. Mit einer objektiven Abbildung der chinesischen Realität hat diese Informationsselektion und –vermittlung nur sehr wenig zu tun.”

5. “‘Journalistische Macht hat nur, wer sie missbraucht'”
(derstandard.at, Armin Wolf)
Ein ausführliches Interview mit Oscar Bronner, Herausgeber von “Der Standard”: “Wir haben damals übrigens schon versucht, eine Paywall zu etablieren, und den Wirtschaftsteil kostenpflichtig gemacht, in der Annahme, dass man dort am ehesten etwas erlösen kann. Das haben wir aufgegeben, als wir bei einem User gelandet sind.”

6. “Eklat: Korrekt recherchierte Nachricht versehentlich in ‘Bild’-Zeitung veröffentlicht”
(der-postillon.com)