Archiv für Mai 16th, 2013

Sie sehen tote Menschen

Bei großen Gerichtsprozessen zeigt sich in besonderer Weise, auf welch unglaubliche Ideen die Medien in ihrer Sensationsgier kommen können.

Besonders schlimm wird es oft, wenn die Hektik des Auftaktes verflogen ist und sich der Prozess von seiner unspektakulär-bürokratischen Seite zeigt. Es gibt Verhandlungstage, an denen keine grausamen Protokolle vorgelesen und keine tränenreichen Geständnisse abgelegt werden, und an denen auch sonst nichts passiert, was man zu einer knackigen Schlagzeile verarbeiten könnte.

Dann muss man als Boulevardjournalist kreativ sein. So wie die Leute beim Online-Auftritt der “Hamburger Morgenpost”:Neonazi-Prozess - Zschäpe-Bewacherin ähnelt NSU-Opfer Kiesewetter [Bildunterschrift:] Die Polizistin, die die Hauptangeklagte Beate Zschäpe in den Gerichtssaal begleitet, hat Ähnlichkeit mit der in Heilbronn ermordeten Polizistin Michéle Kiesewetter.

(Unkenntlichmachung von uns.)

Mit Dank an den Hinweisgeber.

Nachtrag, 17. Mai: mopo.de hat den Artikel heimlich geändert. Überschrift und Foto wurden ausgetauscht, die Textpassagen gelöscht.

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Eine moralische Pflicht

Heute mal ein kleines Ratespiel. Wir suchen ein Unternehmen, über das gestern in einem Zeitungskommentar berichtet wurde.

Und zwar ein Unternehmen, …

das in der Lage ist, ganze Karrieren, Firmen und Existenzen zu zerstören.

das für manche Menschen ein regelrechter Fluch sein kann.

das immer erklärt, es habe nichts mit Gesetzesverstößen zu tun, was jedoch bereits juristisch widerlegt wurde.

das dafür Sorge tragen muss, dass Persönlichkeitsrechte nicht durch Verleumdung, üble Nachrede oder Beleidigung verletzt werden.

das sich gefälligst an die Gesetze zu halten hat – so wie alle anderen auch.

Und? Haben Sie’s? Genau: Wir suchen … die “Bild”-Zeitung!

Oh, pardon. Stimmt gar nicht. Das alles stand in der “Bild”-Zeitung. Gemeint war ein ganz anderes Unternehmen – Google.

Redakteurin Christin Martens freut sich in ihrem Kommentar nämlich über das BGH-Urteil zu den Google-Suchvorschlägen. Und schreibt darin Sätze, für die man wohl kein ironischeres Umfeld finden könnte als die “Bild”-Zeitung. Der Schluss ist besonders schön:Der Suchmaschinen-Gigant hat eine moralische Pflicht, wenn Persönlichkeitsrechte durch Verleumdung, üble Nachrede oder Beleidigungen verletzt werden. Auch für Google gelten die Gesetze.

Danke, Frau Martens. Wäre das also geklärt. Dann können Sie ja jetzt anfangen, im eigenen Laden aufzuräumen.

Mit Dank auch an Krabbel.

Politmagazin, Sprachautomat, Turi2

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Das typische Politmagazin”
(ndr.de, Video, 3:09 Minuten)
Ein typischer Beitrag eines Politmagazins.

2. “Der Boulevard auf der Anklagebank”
(nzz.ch, Jörg Krummenacher)
Vor dem Kreisgericht in Flawil: “In bemerkenswerter Offenheit hatte sich ‘Blick’-Blattmacher Urs Helbling bei der Vernehmung gegenüber dem Staatsanwalt geäussert. Es spiele beim ‘Blick’ keine Rolle, bestätigte er, ob Bilder illegal besorgt würden, solange sich der eigene Journalist nicht strafbar mache. Amtsgeheimnis- oder Persönlichkeitsverletzungen dritter Personen würden hingegen in Kauf genommen.”

3. “SRG-SRF: Der Einzeltäter und das Establishment”
(infosperber.ch, Robert Ruoff)
Robert Ruoff beschäftigt sich mit den vom Schweizer Fernsehen nachträglich in einen Beitrag eingefügten Fangesängen: “So hat der Einzeltäter in der Sportredaktion des Schweizer Fernsehens doch nur im Interesse der versammelten Obrigkeit gehandelt. Im Interesse des Schweizerischen Fussballverbands und der Vereine, die ihre plakativen Anstrengungen gegen die Fan-Gewalt mit dem neuen Konkordat ungestört über die Bühne ziehen wollen. Im Interesse der Kantonalen Justizdirektoren, die damit politische Handlungsfähigkeit demonstrieren. Vielleicht auch im Interesse von Vermarktungs-Unternehmen, die ebenfalls eine heile, Politik-freie Sportwelt präsentieren wollen (alles andere wäre geschäftsschädigend).”

4. “Digital photography experts confirm the integrity of Paul Hansen’s image files”
(worldpressphoto.org, englisch)
Nach Vorwürfen der Bildmanipulation prüft ein Expertengremium das World Press Photo of the Year 2013: “It is clear that the published photo was retouched with respect to both global and local color and tone. Beyond this, however, we find no evidence of significant photo manipulation or compositing.” Ein ausführlicher Beitrag des Anklägers, Neal Krawetz, findet sich auf hackerfactor.com.

5. “Mensch gegen Maschine: Radioleute, das kommt auf euch zu”
(besser-optimieren.de, Nils Glück)
Nils Glück setzt der Nachrichtensprecherin des Deutschlandfunks die Leistung eines Sprachautomaten entgegen: “Leichte Schwierigkeiten hat die Software noch mit englischen Wörtern, die in deutsche Sprache eingebettet sind. Aber ansonsten: Nicht schlecht!”

6. “Nicht weit gekommen, turi2? Der Mann ist tot!”
(120sekunden.com, Martin Giesler)