Es ist ja nie so, wie es scheint. Bild.de schreibt zum Beispiel:
Eigentlich ist Pop-Sternchen Miley Cyrus (19) für ihre Fan-Nähe bekannt. Doch ein neues Foto beweist das Gegenteil.
Das Foto, so Bild.de, zeige die Schauspielerin und Sängerin am Mittwochabend mit dicken Strickpulli und mit blonder Kurzhaar-Frisur an einem New Yorker Flughafen.
Das allein wäre aber wohl selbst für Bild.de noch zu unspektakulär und würde auch vergleichsweise wenig “beweisen”.
Geht aber noch weiter, bzw. los:
Als ein weiblicher Fan ihr folgt, straft Miss Cyrus das junge Mädchen mit angewiderten Diven-Blick ab. Ihr abwertender Gesichtsausdruck sagt mehr als Tausend Worte! Dazu hebt sie noch die Hand, als wolle sie sagen: “Wage es nicht, mich anzusprechen!”.
Der Teenager, der bestimmt nur ein Autogramm oder ein schnelles Foto wollte, ist sichtlich verstört: Das Mädchen weint, hält sich schützend die Hände vors Gesicht, als könne sie Mileys Reaktion nicht fassen.
Wenn Sie die Szenerie jetzt noch nicht vor Augen haben, zeigt Bild.de sie natürlich auch noch mal gerne — sie sagt ja auch “mehr als tausend Worte”:
Und jetzt schauen wir uns dieses “Beweis”-Foto mal im Kontext und aus einer anderen Perspektive an (die entscheidende Stelle kommt nach etwa 27 Sekunden):
Das Mädchen weint also schon vorher vor lauter Aufregung, “Mileys Reaktion” bezieht sich darauf.
Klar: Als Fan wünscht man sich eine andere Begegnung mit seinem Idol. Aber was Bild.de angeht: Manchmal würden ein paar Dutzend Worte halt doch mehr sagen als ein Blick.
Nanu, was ist denn da los? Bild.de zeigt sich seit gestern Abend von einer völlig neuen Seite:
Nackte Haut? Bild.de meint: “Schlampig”. Knappe Outfits? Ganz und gar “deplatziert”. Nippelblitzer? “Zum Fremdschämen.” Ein hautfarbener String in Kombination mit Netzstrumpfhose? “Das Gegenteil von sexy.”
Der Grund für diese ungewohnten Töne aus der Redaktion ist Sängerin Madonna. Die zeigt sich auf ihrer aktuellen Tour nämlich äußerst freizügig – und Bild.de fragt:
Madonna (54) provoziert gern – das ist nichts Neues. Leider schießen ihre modischen Provokationen in letzter Zeit aber immer wieder übers Ziel und geben Grund zum Fremdschämen (…).
Die Queen of Pop hatte schon immer ein Problem damit, die Klamotten anzubehalten. Knapp und sexy soll es auf der Bühne sein, denn jeder weiß: Sex sells. Bei ihrem Konzert in Miami hätte ein bisschen mehr Stoff aber nicht geschadet.
Slip und die Netzstrumpfhose suchen sich ihren Weg – und ein Cameltoe lässt sogar hartgesottene Madonna-Fans zweifeln, ob die “Queen of Pop” damit wirklich hot ist – auch ihre Kehrseite will in diesem Bühnenoutfit ganz und gar nicht sexy aussehen. In den 80er-Jahren waren solche Auftritte vielleicht noch frech und “shocking”, aber heute wirken sie eher schlampig und deplatziert.(…)
Und nur im BH bekleidet auf der Bühne zu stehen, ist auch keine Lösung.
So verklemmt haben wir die Redakteure von Bild.de wirklich selten erlebt. Aber so ganz kaufen wir ihnen die neue Spießigkeit nicht ab.
Grund 1: In der mitgelieferten Fotostrecke gibt es vier Fotos von Madonnas Hintern, zwei von ihr im BH, eins von ihrer nackten Brust, eins von ihr mit “Cameltoe” und eins, auf dem sie ihr Kleid hochzieht und ihre Unterwäsche zeigt.
Grund 2: Die Fotos tragen Unterschriften wie “Wozu Klamotten? Manchmal reicht auf der Bühne auch nur ein BH” oder “Madonna zeigt ihre knackige Kehrseite” oder “Ups! Madonna lüftet ihren Rock”.
Grund 3: Das Foto mit der Beschriftung “Wenn das Höschen in der Ritze verschwindet, lädt das nicht gerade zum Hinschauen ein” zeigt das Höschen, das in der Ritze verschwindet.
Grund 4: Das “Cameltoe”-Foto wird nicht nur in normaler Größe geliefert, sondern auch in groß und in megagroß.
Grund 5: Bisher fand Bild.de Madonna in ihren knappen Outfits eigentlich ganz geil:
Den begeisterten Zuschauern bot sie dann ein farbenfrohes Musikspektakel mit Videoeinlagen. Madonna schlüpfte in sexy Kostüme, sang im Schulmädchen- und Domina-Look, ließ Tänzer in Nonnen-Kostümen um sich herumwirbeln.
In der Fotostrecke: einmal Madonnas “Popo-Blitzer”, zweimal Madonna im BH.
Madonnamia! Beim Video-Dreh zu ihrer nächsten Single “Turn Up The Radio” in Florenz zeigt Madonna (53) was sie (noch immer) hat: ein ganz schön pralles Dekolletee.
Sexy Ledermini, Netzstrumpfhosen und den Busen ordentlich hochgeschnallt – so kann man einen Song natürlich auch pushen!
In der Fotostrecke: Zweimal Hintern, zweimal BH, einmal Brust.
Madonna (53) lässt in ihrem neuen Video gaaanz tief blicken. “Turn Up The Radio” ist die dritte Singleauskopplung vom ihrem aktuellen Album “MDNA”.
Gedreht wurde der sexy Clip zu dem poppigen Song vor wenigen Wochen in Florenz. BILD.de berichtete schon damals von der sexy quetschy Queen.
Auch mit ihren 53 Lenzen steht Madonnas Busen wie ‘ne Eins – was allerdings an dem supereng geschnürtem Spitzen-BH liegen könnte. (…)
Überzeugen Sie sich selbst – sehen Sie hier die Premiere des heißen Italien-Videos!
In der Fotostrecke: dreimal Hintern (“Hallöchen Popöchen!”), zweimal BH, einmal Brust.
Bei Bild.de geht so was: An einem Tag geilt man sich sabbernd an irgendeinem knappen Höschen auf, und am nächsten Tag findet man dasselbe knappe Höschen ganz schön schlampig. Aber egal, was man macht — Hauptsache man zeigt verdammt nochmal das knappe Höschen.
Es gibt ja quasi nichts, was Journalisten nicht als Rangliste präsentieren könnten:
“Bild” berichtete am Mittwoch jedenfalls ganz aufgeregt:
Sportlich macht Aufsteiger Frankfurt Spaß. Platz 3 in der Liga. Doch auf den Rängen machen die Eintracht-Fans oft Ärger. Platz 1 in der Gewalt-Tabelle des deutschen Profifußballs.
BILD liegt die bisher geheim gehaltene Liste aus dem Bericht der “Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze” der Polizei exklusiv vor.
Anders als angeblich “Bild” liegt uns die Langfassung des Berichts nicht vor und die ZiS hat bisher nicht auf unsere Anfrage reagiert. Deswegen können wir auch nicht beurteilen, ob in dieser andere Zahlen stehen als in der gekürzten Version — oder ob “Bild” sich beim Abschreiben schlicht vertan hat.
Die Zeitung jedenfalls schreibt:
Für die Saison 2011/12 sind dort 10603 Gewalt-Fans für 1. und 2. Liga vermerkt. Davon 7830 sogenannte “Kategorie B-Fans” (gewaltbereit) und 2783 aus der Kategorie C (gewaltsuchend). Ein Anstieg von 918 Personen im Vergleich zur Vorsaison.
Die gekürzte Fassung des Berichts nennt hingegen diese Zahlen:
Der Bericht selbst führt weiter aus:
Gegenüber der vorhergehenden Saison 2010/11 war damit ein Anstieg des Gesamtpotenzials um insgesamt 1.688 Personen (+ 17,5 Prozent) dieser Kategorien zu verzeichnen. Der rechnerische Durchschnitt liegt bei 316 Personen dieser Kategorien je Verein in beiden Bundesligen. Wie bereits in der Zusammenfassung ausgeführt, ist dieser Anstieg der Gesamtzahl der Personen der Kategorien B und C um ca. 1.700 Personen im Vergleich zur Saison 2010/11 im Wesentlichen auf die bereits vor der Saison absehbare brisante Zusammensetzung der 2. BL mit den Absteigern aus der BL (Eintracht Frankfurt und FC St. Pauli) und den Aufsteigern aus der 3. Liga (FC Hansa Rostock, Eintracht Braunschweig, SG Dynamo Dresden) zurückzuführen, die allein in dieser Liga zu einem Anstieg des dort tätigen Gewaltpotenzials um ca. 1.100 Personen geführte (sic!) hatte. Der Anteil dieses Potenzials in der Bundesliga hatte lediglich im Rahmen der Neubewertung einzelner Störergruppen und auch durch auf- /abstiegsbedingte Schwankungen zu einem geringeren Zuwachs geführt.
Doch die ganze Polizeistatistik ist eher mit Vorsicht zu genießen. Wie unscharf und damit wenig aussagekräftig sie ist, dokumentieren vor allem die Antworten auf den Fragenkatalog von “Spiegel Online”. So wird etwa klar, dass Menschen, die “explizit durch den Einsatz von Tränengas geschädigt wurden”, genauso in die Statistik mit einfließen wie die, die von gewaltbereiten “Fans” verletzt wurden. Darüber, wie viele der 7.298 “freiheitsentziehenden Maßnahmen” letztlich zu Strafverfahren, Gerichtsprozessen und Verurteilungen führten, liegen keine Statistiken vor.
Ähnlich wie bei der Zahl der Verletzten verhält es sich mit den 11.373 Personen, die die Behörde als Gewalttäter einstuft. Auch sie bewegt sich im Promillebereich.
Selbst “Bild”-Sportchef Alfred Draxler kommt zu dem Ergebnis, dass die sogenannten “gewaltsuchenden Fans” “nur eine kleine Minderheit” seien. Die Statistik und ihre Interpretation durch Polizei und Politik hinterfragt “Bild” aber an keiner Stelle.
Stattdessen schreibt “Bild” über einen Verein, “der noch mehr Problem-Fans hat als jeder Bundesligist – und der kickt in der 5. Liga (Oberliga Nordost)!”:
Beim Berliner FC Dynamo zählt die Polizei 760 gewaltbereite und gewaltsuchende Fans (zum Teil mit rechtsradikalem Hintergrund). Und das bei einem Zuschauer-Schnitt von 728…
Der gefährlichste Klub in Deutschland!
Der BFC Dynamo widerspricht dieser Darstellung deutlich:
Nach Rücksprache mit den zuständigen Behörden weist der BFC Dynamo die Anschuldigungen im Bericht der BILD-Zeitung vom 21.11.2012 entschieden zurück! Die dort erwähnten Zahlen und Fakten sind falsch und entsprechen nicht den Tatsachen.
Der Vorstand des Vereins hat sich umgehend mit der zuständigen Senatsverwaltung für Inneres und Sport in Verbindung gesetzt. Auch von dort sind die in der Bild-Zeitung veröffentlichten Zahlen nicht bestätigt worden. Auch gab es seitens der BILD-Zeitung keine Anfrage an die Senatsverwaltung, so dass der Bericht nur als populistisch bezeichnet werden kann.
“Bild” war gestern unterdessen beim nächsten Thema angekommen:
Am 11. Spieltag wurden Fans der Frankfurter Eintracht beim Auswärtsspiel in München (0:2) in Nackt-Zelten gefilzt. Bei einem wurde Kokain entdeckt. Kein Zufall?
Kleiner Haken: Das Kokain wurde nicht in den “Nackt-Zelten” entdeckt, mit denen “Bild” sowieso ihre Schwierigkeiten hatte (BILDblog berichtete), sondern ganz woanders.
Weiterhin kam es vor dem Spiel im Bereich des Busparkplatzes zu einer Begegnung von 30 – 50 Frankfurter Fußballfans mit ca. 150 Münchner Ultras. Die beiden Gruppen liefen aufeinander zu und es kam hier zu Auseinandersetzungen. (…) Ein weiterer Frankfurter Fan, der davon gelaufen war, konnte abgesetzt wegen einer weiteren Körperverletzung festgenommen werden. Bei ihm wurde dann auch noch eine Ampulle Kokain aufgefunden.
Mit Dank an Sven P., Moritz N., Benzemama, Olli, Danny W. und Stephan U.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Medienvielfalt selber machen – was die Zeitungskrise mit Blogs zu tun hat” (metronaut.de, John F. Nebel)
John F. Nebel erinnert daran, dass Medienvielfalt nicht nur von Verlagen abhängt, “deren Print-Tageszeitungen abschmieren, sondern der Auswahl diverser, verfügbarer, spannender, lesbarer, hörbarer, konsumierbarer Medien insgesamt. (…) Qualität gibt es, wenn Leute Zeit, Muße und Begeisterung in den Inhalt stecken können. Und dann braucht es Leser, bei denen gute Inhalte Enthusiasmus und den Griff zum Geldbeutel auslösen.”
2. “Auf den Hund gekommen: Der Wärmestuben-Journalismus der ‘Zeit'” (stefan-niggemeier.de)
Stefan Niggemeier liest die aktuelle “Zeit” mit dem Titelthema “Wie guter Journalismus überleben kann”: “Mich hat diese hilflos-verzweifelt-verklärende Flucht ins Pathos unter dem Sinnbild des süßen gephotoshoppten Hundes heute depressiver gemacht als alle aktuellen Untergangs-Nachrichten von Print-Medien.”
3. “Verstöße gegen Gewinnspielsatzung bei Sport1: ZAK verhängt Bußgelder und schöpft Einnahmen ab” (die-medienanstalten.de)
Die ZAK verhängt Bußgelder in der Höhe von insgesamt 28.000 Euro gegen den TV-Sender Sport1: “Sport1 hatte im Januar 2012 in sieben Ausgaben der Sendung Sportquiz irreführende Angaben gemacht, u.a. über den Schwierigkeitsgrad von Spielen und über das Auswahlverfahren für die durchgestellten Nutzerinnen und Nutzer. Außerdem wurde mehrfach gegen die Pflicht zur umfassenden Information verstoßen; das betraf z. B. Spielmodus und Teilnahmebedingungen.”
4. “Bunga-Bunga-Stimmung in Italien ist vorbei” (dradio.de)
Der Börsenwert der von Silvio Berlusconi gegründeten TV-Sendergruppe Mediaset “hat sich in weniger als einem Jahr halbiert”: “Die von Berlusconis Medien propagierte und von ihm vorgelebte unbändige Vergnügungslust kommt immer weniger an. Eine wachsende Zahl der italienischen Fernsehzuschauer schaltet sich lieber bei politischen Talkshows ein. Sie erzielen heute Rekordwerte bei den Einschaltquoten.”
5. “Was für Artikel die Menschen von Journalisten erwarten” (blog.tagesanzeiger.ch/deadline, Constantin Seibt)
Als Constantin Seibt 1989 als Volontär einen Artikel über ein Firmenjubiläum einer Schnellreinigung schreiben sollte, wurde er mit den Worten “Sie müssen hier nichts mehr tun – wir haben den Artikel schon geschrieben” empfangen.