Archiv für April, 2012

Davon geht Morgenpost Online nicht unter

"Bio kann Morgenpost Online nicht retten"

Nein, da ist nicht Alfred Biolek auf seine alten Tage zu “Morgenpost Online” gewechselt. Und “Morgenpost Online” möchte sich auch nicht an dem lustigen Online-Spiel beteiligen, das wir vergangene Woche versehentlich gestartet haben.

Da hatten wir ja über zwei Schiffbrüchige berichtet, die “über Gott und Morgenpost Online” geredet haben sollen. Schuld war offenbar die automatische Bearbeitung eines Textes von “Welt Online”. Da die Zeitungen “Die Welt” und “Berliner Morgenpost” und ihre Online-Ableger von der gleichen Redaktion gemacht werden, wird bei Artikelübernahmen im Internet die Selbstbezeichnung der “Welt” durch “Morgenpost Online” ersetzt — in diesem Fall eben an einer Stelle, an der es gar nicht um die Zeitung “Die Welt” ging, sondern um die Welt als solche.

Daraus entwickelte sich auf Twitter ein Mem, bei dem die Nutzer in Redewendungen, Filmtiteln und anderen Formulierungen das Wort “Welt” durch “Morgenpost Online” ersetzten. “Morgenpost Online” vermerkte den Fehler und seine Korrektur in ihrer Rubrik “Leider falsch — wir korrigieren”.

Doch “Morgenpost Online” tat noch mehr: Offenbar durchforstet die Redaktion seit dem Vorfall ihr eigenes Archiv auf der Suche nach weiteren Fehlern dieser Art.

Der oben abgebildete Artikel jedenfalls sah fast vier Jahre lang so aus, bis er irgendwann nach unserem Eintrag überarbeitet wurde. Heute heißt er “Bio kann die Welt nicht retten”.

Über den Playboy Rolf Eden wusste “Morgenpost Online” zu berichten:

Morgenpost Online des Playboys Rolf Eden bleibt blond

Und diese zauberhafte Verwechslung war nicht auf ein allein stehendes “die Welt” beschränkt:

Das Milliarden-Volk der Chinesen zischt immer mehr Bier. Das lässt Morgenpost Onlineweite Produktion kräftig steigen.

Wie Morgenpost Onlinepresse urteilt.

Die Importe erhöhten sich sogar um 14 Prozent auf 919 Milliarden Euro. "Morgenpost Onlinekonjunktur wird sich insgesamt abschwächen."

Morgenpost Onlineuntergangsstimmung, die in Bezug auf China und die Menschenrechte vor Olympia aufkommt, mag sie trotzdem nicht teilen.

Außerdem findet Google mindestens drei Fälle, in denen es um “Morgenpost Onlineranglisten” geht.

Nach der großen Aufräumaktion ist Morgenpost Online jetzt aber offenbar wieder in Ordnung.

PS: Dass man es bei Axel Springer offenbar für normal und journalistisch zulässig hält, die Quellen von Texten umzudeklarieren, solange beim Suchen und Ersetzen der entsprechenden Angaben keine Fehler passieren, ist natürlich noch einmal ein anderes Thema.

Mit großem Dank an Pascal K.!

Karl May, Georg Schramm, Dilbert

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Karl May und der Wiederholungstäter Franz Josef Wagner”
(unlesbar.de, Christian Ciemalla)
Was “Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner in seinem Brief an Karl May schreibt.

2. “Die Meinungsmacker”
(spiegel.de, Barbara Hans)
Barbara Hans prüft in deutschen Zeitungen, wie viele Leitartikel von Frauen verfasst sind: “Von insgesamt 199 Artikeln wurden 35 von Autorinnen verfasst, das entspricht 18 Prozent. Die Stichprobe erhebt nicht den Anspruch, repräsentativ zu sein. Sonntagszeitungen wurden nicht berücksichtigt.”

3. “Das Imperium schlägt zurück: Wie die FAS die Piraten versenken will”
(surfguard.wordpress.com)
Surfguard reagiert auf drei, gestern in der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” über die Piratenpartei erschienene Artikel. “Die Piraten sind keine Post-Privacy-Propheten, auch wenn es solche bei ihnen sicherlich gibt, so wie es einen Arbeitnehmerflügel in der CDU gibt. Die Piraten fordern die Transparenz staatlichen Handelns, sprechen sich aber ganz ausdrücklich für das Recht jedes Menschen auf Privatsphäre aus, sogar für dessen Erweiterung, und natürlich für informationelle Selbstbestimmung.”

4. “Indien: Die letzte handgeschriebene Zeitung der Welt”
(de.globalvoicesonline.org, Rezwan)
“The Musalman” aus Chennai ist die womöglich einzige handgeschriebene Tageszeitung der Welt.

5. “Der Pauker-Prophet Georg Schramm”
(boess.welt.de, Gideon Böss)
Gideon Böss glaubt, das Publikum von Kabarettist Georg Schramm (Neues aus der Anstalt) genau zu kennen: “Schramm brüllt auf der Bühne, ist empört und verwünscht die Mächtigen, die Reichen und Erfolgreichen. Das alles für ein verbeamtetes Publikum aus Lehrern, das sich für die Sicherheit einer enorm privilegierten Arbeitsstelle um die Chance gebracht hat, vielleicht selbst einmal richtig mächtig, reich und erfolgreich zu werden (aber auch um das Risiko, dabei pleite zu gehen). Es ist eine Symbiose: Die Lehrer sind die treusten Fans der Kabarettisten und die Kabarettisten schimpfen im Gegenzug über all das, was die Lehrerzimmer der Nation ärgert. Über Dieter Bohlen, die FDP und Josef Ackermann. Aber erstaunlich selten darüber, dass man den Beamtenstatus für Lehrer abschaffen sollte. Wer legt sich schon ohne Not mit seiner Klientel an (zumal, wenn dann und wann ein Preis zu vergeben ist)? Da sind Kabarettisten auch nicht anders als die von ihnen kritisierten Politiker.”

6. “The One that Didn’t Get Published”
(dilbert.com, Scott Adams, englisch)
Ein von der Zeitung zurückgewiesener “Dilbert”-Comic.

Eine Hand wäscht die andere in Unschuld (2)

Die “Welt am Sonntag” und die “Berliner Morgenpost am Sonntag” (zwei Zeitungen, die bekanntlich teilweise den gleichen Inhalt haben) berichten heute über eine “Woche wie in einem Horror-Film”, die die Kleinstadt Emden hinter sich habe. Vergangenen Samstag wurde dort ein 11-jähriges Mädchen ermordet, am Dienstag ein 17-jähriger Tatverdächtiger verhaftet, der von einem Beinahe-Lynchmob bedroht wurde, sich aber am Freitag als unschuldig erwies (BILDblog berichtete).

Der Reporter berichtet von “Journalisten, die Jugendlichen 20 Euro in die Hand drückten, damit sie vor der Kamera ein bisschen traurig guckten” und von solchen, die gleich 50 Euro bezahlten, “damit Jugendliche ihren Facebook-Zugang bereitstellten, um auf das Profil des 17-Jährigen zugreifen zu können.”

Er fährt fort:

Doch nicht deswegen schlug in Emden irgendwann die Stunde der Wichtigtuer und Denunzianten. Die waren schon vorher da, verbreiteten Gerüchte über den später Festgenommenen, dessen Familie, auch über andere, darunter auch die Familie des Opfers. In der Presse war darüber nichts zu lesen, auch die gern zu solchen Anlässen gescholtenen Boulevardmedien hielten sich zurück. Sie wurden ihrer Verantwortung weitgehend gerecht. So wurde der 17-Jährige in den Medien nicht als Täter vorverurteilt, es wurde auch nicht in Zeitungen dazu aufgerufen, ihn zu steinigen, aufzuhängen, ihn zu foltern – und kein Journalist forderte, das Polizeikommissariat zu stürmen, um den Jugendlichen “da rauszuholen”.

Nun könnte man anmerken, dass es ja wohl das Mindeste sei, dass kein Journalist solche Forderungen erhoben habe. Oder dass die “Zurückhaltung” von “Bild”, die wie “Welt am Sonntag” im Axel-Springer-Verlag erscheint, so aussah:

Polizei sicher: ... von Schüler getötet!

Aber lassen wir lieber Bernard Südbeck zu Wort kommen. Der Auricher Oberstaatsanwalt sprach heute auf der Pressekonferenz zur Festnahme einen neuen Tatverdächtigen, der ein Teilgeständnis abgelegt hat.

Nach einigen einführenden Worten wurde er grundsätzlich:

Wir haben in den letzten Tagen vieles lesen und hören können über die Entwicklung der Ermittlungen und ich möchte an dieser Stelle erneut an alle Personen appellieren, die über diese Sache berichten: Wir alle und Sie alle haben eine große Verantwortung, das haben wir anlässlich der Festnahme eines letztendlich Unschuldigen in den letzten Tagen spüren müssen. Wenn ich höre, dass nun schon wieder Fotos von den Gebäuden gemacht werden, wo Eltern des jetzt festgenommenen Tatverdächtigen wohnen, dass man die Familie des ursprünglich Tatverdächtigen angeht, dann sollten wir doch an diesem Punkt zur Vernunft kommen. Ich möchte wirklich darum bitten, dass man diese Personen nicht fotografisch abbildet, dass man sie nicht unbedingt befragt. Die Familie des Opfers, für die gilt das gleiche. Das sind Dinge, ich meine, das muss man bei allem Verständnis für Berichterstattung nicht unbedingt tun.

Das gleiche gilt für Facebook und andere Soziale Netzwerke. Wir haben uns über diese Dinge unterhalten und die Medien haben sich in den letzten Tagen auch mit diesem Thema intensiv beschäftigt. Ich höre allerdings, dass auch jetzt wieder Namen des Tatverdächtigen, des jetzt Festgenommenen, im Internet kursieren. Ich weiß nicht, ob man nicht lernen will oder nicht lernen kann, wir haben gesagt, wir werden diese Dinge beobachten und werden sie auch konsequent verfolgen, wenn dort zu Straftaten aufgerufen wird oder wenn dort verleumdet wird. Das möchte ich an dieser Stelle noch mal klar und deutlich sagen.

Mit Dank auch an Jan J. und Matthias M.

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