Archiv für März 9th, 2012

WAZ  

Ebony And Irony

Die Hälfte der neuen Ärzte in Westfalen-Lippe sind Ausländer.

Die “Westdeutsche Allgemeine Zeitung” (“WAZ”) hat in ihrer Hattinger Lokalausgabe deswegen heute den Gastbeitrag eines Mediziners veröffentlicht, der als Privatdozent an der Ruhr-Universität Bochum lehrt.

Der Text liefert ein paar Hintergründe, stellt ein paar Zahlen zum Vergleich nebeneinander und erklärt, was entscheidend sei: die “Einsicht aller Beteiligten in die Relativität der eigenen Kulturstandards, Werte und Normen”. Er schließt mit den Worten, Hattingen stelle seine Weltoffenheit unter Beweis.

Das unterscheidet Hattingen von den Überschriftenmachern der “WAZ”:

Schwarze Männer in weißen Kitteln

Mit Dank an Sarina S.

Nachtrag, 20.30 Uhr: In ihrem Internetportal “Der Westen” hat die “WAZ” die Überschrift zu einem unverfänglicheren “Ärzte aus aller Welt” abgeändert.

Bild  

Diss-Vorlage

Ich denke, der Chefredakteur von BILD ist verrückt.

Derart deutliche Worte über Kai Diekmann findet heute: Franz Josef Wagner.

Bild schafft Seite-1-Girl abDer Grund dafür: “Bild” hat am gestrigen Weltfrauentag beschlossen, zukünftig auf die leicht bekleidete junge Dame, die wochentags die Titelseite ziert, zu verzichten. Also: auf der Titelseite.

Natürlich will BILD auch künftig sexy sein. Aber moderner, besser verpackt im Inneren des Blattes. So wie es viele Frauen – auch in den BILD-Leserbeiräten – sich immer gewünscht hatten.​

“Bild” nutzt die Gelegenheit, noch einmal auf die jahrzehntelange Geschichte des “Seite-1-Girls”, “Bild-Girls” bzw. der “Mieze” zurückzublicken. Wie die britische “Sun” mit ihren “Page 3 Girls”, so habe “Bild” auch immer wieder Kritik hinnehmen müssen:

Und 2003 wollte dann auch Brüssel Schritte gegen Nackte in Zeitungen und TV einleiten: Die – welch Zufall – griechische EU-Kommissarin Anna Diamantopolou scheiterte jedoch am Einspruch ihrer Kollegen.

Welch Zufall! Diese Griechen: Sie sind nicht nur pleite und “wir” müssen ihnen den Arsch retten — sie wollen auch noch verhindern, dass “Bild” ganz andere Körperteile zeigt!

Dabei stimmt die Geschichte so noch nicht mal: In einem Interview mit der “Zeit” sprach Diamantopoulou im Jahr 2003 von einem “Missverständnis”.

Mich stört es, wie Zeitungen da nackte Frauen und Sexdienste ausbeuten. Das verstößt gegen die Menschenwürde, wir sollten das nicht hinnehmen. Doch juristisch, etwa per EU-Richtlinie, kann man dagegen wenig tun. Deswegen habe ich ja von Anfang an klargemacht, dass hier ein großes Missverständnis vorliegt. Gesetzlich hatte die EU-Kommission da gar nichts geplant. Das hat aber die meisten Journalisten nicht weiter interessiert, nachdem die Financial Times die Geschichte einmal gedruckt hatte. So etwas verkauft sich gut: Die “Große Schwester” aus Brüssel will in unserem Leben herumpfuschen!

Mit Dank auch an den Kölner.

Olivers Reisen

Es ist nicht ohne Fallstricke, das Geschäft, aus irgendwelchen oft viertelseriösen Quellen Klatschnachrichten abzuschreiben und durch freie Improvisation daraus so etwas wie eine eigene Meldung zu machen.

Das Panorama-Ressort von “Spiegel Online” ist voll solcher Geschichten. Heute berichtet es darüber, dass der britische Starkoch Jamie Oliver von einer Reporterin auf sein Gewicht angesprochen wurde:

Auf die Frage nämlich, ob Oliver zugenommen hätte, soll er der britischen “Sun” zufolge gesagt haben: “Sind Sie von einem Boulevardblatt? Vielen Dank für die Feststellung, Sie Schlampe!” Was seine Körpermaße betrifft, versteht Jamie Oliver also nicht allzu viel Spaß.

Allerdings ist dies in Anbetracht der britischen Boulevardpresse fast schon verständlich. Es gibt wohl keine fiesere und menschenverachtendere Darstellung von möglichen Gewichtsproblemen bei Stars. Überflüssige oder neue Pfunde werden gern auch mit riesigen roten Pfeilen versehen.

“Etwa das falsche Schulessen gegessen?”, titelte zum Beispiel die “Daily Mail” hämisch und veräppelte damit Olivers Programm “Jamie’s School Dinners”. Mit dem Projekt setzt sich der Starkoch für gesünderes Essen in Schulkantinen ein.

Kleines Problem: Es ist nicht die britische “Sun”, die über die Frage und Olivers Reaktion berichtet hat. Es ist die australische “Herald Sun”.

Das ist auch kein Wunder, denn Jamie Oliver ist zur Zeit in Australien. Und dort fragte ihn die Reporterin, ob er seit seinem letzten Besuch im Land zugenommen habe …

… was die ganze freie “Spiegel Online”-Interpretation des “Schlampen”-Ausbruchs als Reaktion auf die angebliche Menschenverachtendstität der Boulevardpresse in Großbritannien einigermaßen deplatziert wirken lässt.

Stern TV, TV Sünde, Blogs

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Bild nicht mehr ‘größte Tageszeitung Europas’: Britische Sun hat jetzt mehr Auflage”
(journalistiklehrbuch.wordpress.com, Klaus Meier)
“Sun” (2.751.219 Exemplare “average sale”) überholt “Bild” (2.702.206 Exemplare “verkaufte Auflage”): “es bleibt festzuhalten, dass die Aussage über die ‘größte Tageszeitung Europas’ künftig immer aktuell zu recherchieren ist und dass Lexikoneinträge umgeschrieben oder ergänzt werden sollten.”

2. “Im toten Winkel der Feuilletons”
(juedische-allgemeine.de, Thierry Chervel)
Thierry Chervel fragt, warum in den deutschen Feuilletons kaum über die Neonazimorde diskutiert wurde: “Es könnte an mangelnder Empathie mit den Opfern liegen. Anders als Breiviks Tat zielten die Morde der Zwickauer Nazis nicht auf eine Institution dieser Gesellschaft, sondern auf die ‘anderen’.”

3. “Farewell to Sin: Das Ende der ‘TV Sünde'”
(wortvogel.de, Torsten Dewi)
Torsten Dewi verabschiedet die Fernsehzeitschrift “TV Sünde” aus dem Gong Verlag.

4. “1000 Mal auf dem Boulevard”
(berliner-zeitung.de, Michael G. Meyer)
Stern TV feiert die 1000. Sendung: “Auch die tausendste Sendung konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die allermeisten Geschichten biederster Boulevard waren: Familien mit adoptierten Kindern aus aller Welt und Emotionen, die aus der Tränendrüse kommen, sorgten für gute Quoten. Der Mainstream regiert – kaum eine Geschichte ragt aus dem Tal der Tränen und Träume heraus.”

5. “Und was machten die Blogs im Jahre 2011?”
(maingold.com, Marius Kiesgen)
Marius Kiesgen wirft “einen völlig subjektiven Blick auf das WWW und seine deutschsprachigen Blogs”. “Wenn man die Wortmeldungen der selbst ernannten Netzpolitiker kontinuierlich verfolgt, dann kann man leicht den Eindruck gewinnen, dass das Urheberrecht der Menschheit mit Abstand größte Geisel wäre. Für die Luxusblogger aus geordneten Verhältnissen, die ihre Ärsche im Wohnzimmer an High Speed DSL Modems und überteuerter Apple Hardware wärmen, mag das sogar der Fall sein.”

6. “Gala” vs. “In”
(facebook.com, Foto)
“Bei den People-Magazinen scheint man sich absolut sicher zu sein, wie es um Jennifer Anistons Liebesglück bestellt ist.”