Archiv für November, 2011

Schade, Maskerade

Scheinbar inspiriert durch Halloween fand es “Bild”-Reporterin Angela Wittig angebracht, in der Leipziger Regionalausgabe über dieses Phänomen zu berichten:

Maskenball im Amtsgericht

Dazu zeigt “Bild” fünf verschiedene Angeklagte, die sich wahlweise hinter einer Kindermatratze, der sächsischen Verfassung oder anderen Gegenständen verbergen, und garniert diese Aufnahmen mit Bemerkungen wie:

MODELL MIEZEKATZE
Tarnung: Fellkapuze und Kätzchen-Notizbuch
Dahinter: Bäcker Oliver Q. (42)
Er nahm 19 Geiseln bei “H&M” (…). Galt aber zum Tatzeitpunkt als schuldunfähig, bekam vom Landgericht fünf Monate auf Bewährung.

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Die Zeitung, die regelmäßig vom Presserat gerügt wird, weil sie ebenso regelmäßig darauf pfeift, die Identität von Angeklagten zu schützen, zeigt reihenweise Angeklagte, die versuchen, eben nicht in Zeitungen wie “Bild” zu erscheinen, und verspottet sie auch noch.

Interessanterweise scheint Frau Wittig zwei verschiedene Versionen ihres Artikels verfasst zu haben. So behauptet sie online:

(…) Darf man als Angeklagter kostümiert zum Prozess erscheinen?

Eigentlich nicht, denn man muss vor den ehrwürdigen Richtern aufstehen, wenn sie den Saal betreten, um ihnen Respekt zu zollen.

Das ist so nicht richtig. Laut § 178 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) “kann” gegen “Beschuldigte (…), die sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig machen” zwar “ein Ordnungsgeld bis zu eintausend Euro oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festgesetzt und sofort vollstreckt werden”, dies liegt aber im Ermessen des Richters.

In der gedruckten “Bild” heißt es daher auch korrekterweise:

Ausdrücklich verboten ist die Maskerade übrigens nicht. Laut Prozessordnung müssen die Angeklagten zwar aufstehen, wenn der Richter den Saal betritt. Solange aber die Fotografen und Kameraleute im Prozess sind, toleriert das Gericht die Maskerade. Erst danach müssen die Verkleidungen abgelegt werden.

Übrigens müsste ausgerechnet Angela Wittig am besten wissen, warum es sogar ratsam ist, sich nicht von “Bild” fotografieren zu lassen. Sie selbst war es nämlich, die vor gut zweieinhalb Jahren einen unschuldigen Mann zum Kinderschänder erklärte (BILDblog berichtete). Erst acht Monate später, nachdem BILDblog eine Beschwerde beim Presserat eingereicht hatte, war “Bild” bereit, diesen Fehler einzuräumen (BILDblog berichtete).

Mit Dank an Philipp E.

Bild  

Kein Glück im Wortspiel

Bei “Bild” waren sie so stolz auf ihr Wortspiel, dass sie es gleich zwei Mal bringen mussten:

Jack Black spielt Black Jack. Der US-Schauspieler Jack Black (42, "School Of Rock") nimmt hier an einem Charity-Glücksspiel teil — und schenkt uns damit dieses Wortspiel: "Jack Black spielt Black Jack."

Wir wollen die Euphorie nur ungern bremsen, aber das “Charity-Glücksspiel”, an dem Jack Black da teilgenommen hat, war ein PokerTurnier.

Mit Dank an Carapinha und H.K.

Die Toten Hosen, Henryk Broder, Oliver Welke

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Steuergelder für Die Toten Hosen? – Eine Richtigstellung”
(dietotenhosen.de)
Die Toten Hosen schreiben an “Welt” und “Berliner Morgenpost”: “Man kann sich sicherlich darüber streiten, ob die Toten Hosen deutsches Kulturgut sind, aber Tatsache ist, dass diese Tournee nur stattfinden konnte, weil wir selber ca. 100.000.-€ aus eigener Tasche an Reisekosten, Transport und Crew-Löhnen beisteuerten. Wir sind zudem ohne Gage aufgetreten.” Der Journalist schreibt zurück: “Wie Sie vielleicht wissen, bedienen sich die Nachrichten-Websites von Tageszeitungen in der Regel aus den gedruckten Artikeln, versehen sie mit neuen Fotos, etwas anderen (in der Regel zugespitzteren) Überschriften und vor allem mit einem knappen Vorspann (‘Teaser’).”

2. “Wir basteln uns ein Weltbild (mit Dank an Henryk M. Broder)”
(scienceblogs.de/zoonpolitikon, Ali Arbia)
Ali Arbia kritisiert einen “Welt”-Text von Henryk M. Broder. “Der ganze Artikel ist eine Ansammlung von Verzerrungen, selektiven Informationen, gezielten Auslassungen, Tatsachenverdrehungen und Phantastereien.”

3. “Das Töten ist des Volkes Lust”
(mediensalat.info, Ralf Marder)
“Des Volkes Lust am Töten der Mörder mag ja bei dem einen oder anderen Bürger Zuspruch finden. Aber es sind unsinnige Diskussionen, die nach jedem abscheulichen Mord in den Medien und Internetforen geführt werden.”

4. “Tränen lügen doch”
(haz.de, Imre Grimm)
Die “Bild”-Empörung über “Bauer sucht Frau”. Imre Grimm macht darauf aufmerksam, dass eine ganze Reihe von Produktionsfirmen davon lebt, “sich absurde Liebesquerelen auszudenken, arglose Kandidaten zu finden und sie mit sanftem Druck und 150 Euro Tagesgage durch schlecht gelüftete Dreizimmerwohnungen zu schubsen, angeleitet von sogenannten ‘Realisatoren’ hinter der Kamera”.

5. “Merkel ist der ultimative Test für Interviewer”
(journalist.de, Hans Hoff)
Ein Interview mit Oliver Welke von der “Heute-show”: “Ich habe mich ja darüber amüsiert, dass Jauch alle Gäste inklusive Thomas Gottschalk auslädt, weil Angela Merkel anruft und sagt, sie hätte Lust vorbeizukommen. Wir müssten ihr natürlich auch die komplette halbe Stunde geben.”

6. “Best statistics question ever”
(flowingdata.com, englisch)

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