Archiv für November, 2011

Und Katzen würden Whiskas kaufen (2)

Bei aller Kritik, die in den letzten Tagen auf ihn einprasselt, darf sich Karl-Theodor zu Guttenberg wenigstens über eine positive Schlagzeile freuen.

Bild.de berichtet heute:

Neue Umfrage 15 Prozent würden "Guttenberg-Partei" wählen
Der neuesten Forsa-Umfrage zufolge würden 15 Prozent der Deutschen eine “Guttenberg-Partei” wählen.

15 Prozent. Das klingt so, als ob eine Partei mit Karl-Theodor zu Guttenberg an der Spitze in etwa so stark wäre wie die Grünen in aktuellen Umfragen. Für eine neue Partei ist das durchaus ein stolzes Ergebnis.

Was Bild.de seinen Lesern allerdings verschweigt, ist wie diese 15 Prozent zustande gekommen sind. Die Frage, die Forsa stellte, lautete nämlich in etwa so: “Könnten Sie sich vorstellen, eine Partei zu wählen, deren Vorsitzender Karl-Theodor zu Guttenberg heißt?”

Das Problem bei dieser Art von Umfrage ist, dass das Ergebnis so gut wie nichts mit tatsächlich zu erwartenden Stimmen bei einer Wahl zu tun hat. Jeder Befragte verfügt praktisch über beliebig viele Stimmen. Denn es geht nur darum, ob man sich vorstellen (!) kann, (irgendwann einmal) eine solche Partei zu wählen. Die meisten der 15 Prozent können sich wahrscheinlich auch vorstellen, noch ganz andere Parteien zu wählen.

Die gleiche Nummer hatte “Bild am Sonntag” schon vor über einem Jahr mit einer “Thilo-Sarrazin-Partei” abgezogen und das Ergebnis von 18 Prozent als “Umfrage-Schock für Merkel und Gabriel” bezeichnet (BILDblog berichtete).

15 Prozent sind allerdings auch vergleichsweise niedrig, wenn man bedenkt, dass selbst eine Spaßpartei 18 Prozent bei einer solchen Umfrage ergattern konnte — ein Umstand, den jetzt etwa auch die Nachrichtenagentur AFP als Einordnungshilfe angibt:

Eine neue Partei hätte aber auch mit [zu Guttenberg] als Zugpferd der Umfrage zufolge begrenztes Potenzial: Nur 15 Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich vorstellen könnten, eine “Guttenberg-Partei” zu wählen. So viel Zustimmung hätte demnach vor zwei Jahre aber auch Komiker Hape Kerkeling für eine Partei seiner Kunstfigur Horst Schlämmer bekommen.

Als kleines Schmankerl haben wir exklusiv noch einmal die “Wahlergebnisse” aller fiktiven Parteien der letzten Jahre zusammengefasst. Dass das Gesamtergebnis über 100 Prozent liegt, ist kein Zufall:

Mit Dank an Maik H.

Ab morgen: Der BILDblog-Adventskalender

Es blaut die Nacht, die Sternlein blinken und ER ist endlich wieder da: Der BILDblog-Adventskalender!

In diesem Jahr haben wir uns dafür etwas ganz besonderes einfallen lassen: Die BILDblog-Classics. Dabei blicken wir zurück auf die legendärsten, besten und lustigsten (alles streng subjektiv) Einträge aus siebeneinhalb Jahren BILDblog.

Morgen, passend zum 1. Dezember, geht’s los!

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Franz Josef Wagner wird verrückt

Der Mann, der im Juli in Norwegen bei einem Bombenanschlag im Osloer Regierungsviertel und bei einem Massaker auf der Insel Utøya 77 Menschen getötet hat, ist laut einem psychiatrischen Gutachten unzurechnungsfähig. Das bedeutet, dass er womöglich nicht ins Gefängnis kommt, sondern in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen wird.

“Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner stellt sich das wie folgt vor:

Ab ins Kuckucksnest, Einweisung in ein Psycho-Krankenhaus. Morgens eine Pille, abends eine Pille. Wie wunderbar. Sie sind kein Massenmörder mehr. Sie sind ein Patient. Seelenärzte kümmern sich um Sie.

Geht es Ihnen gut?

Wie fühlen Sie sich heute?

Was haben Sie geträumt?

Wagner findet diese Vorstellung unerträglich:

Massenmörder als Patienten, ich werde verrückt. Dschingis Khan, Stalin, Hitler, Mao, Pol Pot als Patienten.

Er schließt:

Für mich gehören diese Typen nicht in die Psychiatrie, für mich gehören Sie ins Gefängnis. Sie müssen büßen.

Es ist nicht der erste Brief, den Wagner an den “Teufels-Killer” (“Bild”) schreibt. Am Montag nach den Attentaten hatte er dies erstmals getan.

Damals schrieb Wagner:

Ich glaube, dass Sie ein Psycho sind. Sie sind ein Psycho wie die Attentäter von 9/11.

Einen Unterschied konnte Wagner allerdings ausmachen:

Die Attentäter von 9/11 hatten braune Augen, sie rasierten sich ihre Haare ab, bevor sie sich mit ihren Flugzeugen in die Türme stürzten.

Sie sind ein nordischer Psycho. Blond, blaue Augen, keine Drogen, keine Tattoos, Bodybuilder, Jogger, 1,82 Meter, 80 Kilo.

Aber vielleicht hatte Wagner die Bezeichnung “Psycho” damals gar nicht als Diagnose gemeint, sondern als Schimpfwort.

Menschen, die wirklich in die Psychiatrie müssen (und dort “an Füßen und Armen festgeschnallt” werden), nennt Franz Josef Wagner ja ganz anders: die nennt er “Monster”.

Mit Dank an Oliver K.

Jena, Das Neue Testament, Patrick Bahners

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wie Jena im ZDF zur Stadt der Angst wurde”
(otz.de, Steven Uhly)
Ein Beitrag der ZDF-Sendung “aspekte” über Jena sorgte bei Einwohnern der Stadt für Empörung – Redaktionsleiter Christhard Läpple antwortete darauf. Steven Uhly erzählt nun Details zu den Aufnahmen und liefert eine nachträgliche Einschätzung: “Der Fernsehbeitrag hat Angst zu einem Bild von Jena gemacht, und Jena mit dem ganzen Osten gleichgesetzt. Ich selbst, mit meinem Migrationshintergrund, stehe da wie ein potenzielles Opfer.”

2. “Mohamed Bouazizi und der Werther-Effekt”
(beim-wort-genommen.de, Jonas Schaible)
Anlässlich der Diskussion über den Werther-Effekt denkt Jonas Schaible über die Folgen der Selbstverbrennung von Mohamed Bouazizi nach.

3. “Wir recherchieren so gut wie der Spiegel”
(meedia.de, Alexander Becker)
Die wöchentlich erscheinende Frauenzeitschrift “Das Neue” erzählt in einem Sonderheft das Neue Testament nach. “Das Sonderheft, so sonderbar es daherkommt, ist Teil der Strategie des ehemaligen Bild-Mannes Mandt sein Yellow breiter aufzustellen, die Qualität zu steigern und die Auflagenverluste zu stoppen.”

4. “Much Ado About Stuffing”
(thedailyshow.com, Video, 5:13 Minuten, englisch)
Was Fox News kümmert: Wie oft US-Präsidenten Gott erwähnen in ihrer Thanksgiving-Ansprache.

5. “5 Jahre neunetzcom”
(neunetz.com, Marcel Weiß)
Marcel Weiß zieht nach fünf Jahren Bloggen auf Neunetz.com ein ausführliches Zwischenfazit: “Weil immer von Medienwandel die Rede ist, und viele lapidar davon schreiben, dass ‘sich jetzt alles ändert’, stumpft man diesbezüglich ein wenig ab, aber: Es ändert sich wirklich alles. Die Radikalität des Bruches und die Potentiale sind auch weiterhin den Meisten nicht bewusst.”

6. “Wenn Popkritiker ins Schwärmen geraten: Patrick Bahners schreibt über die Band ‘Low’ (Lesung)”
(blogs.nmz.de/badblog, Moritz Eggert, Audio, 6:18 Minuten)
Moritz Eggert spricht eine im Feuilleton der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” erschienene Konzertkritik von Patrick Bahners als Hörspiel ein.

Interviews, Reportagen, Castor-Proteste

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Hosianna, Guttenberg!”
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Ein Gaukler, ein gefährlicher Politiker, ein Blender sei Karl-Theodor zu Guttenberg, ist derzeit in den Medien zu lesen. “Das ist insofern erstaunlich, als dass sich das vor ziemlich genau einem Jahr noch ganz anders las: Da sahen exemplarisch die Kollegen des ‘Spiegel’ die famosen Guttenbergs beim ‘Paarlauf ins Kanzleramt’ und auch SZ und FAZ und viele andere äußerten sich überaus freundlich über den Baron.”

2. “Auf der Suche nach Interview-Archiven”
(planet-interview.de, Jakob)
Eine Zusammenstellung von Links zu Interviews im Netz.

3. “Beim Wald-und-Wiesen-Fernsehen”
(taz.de, Felix Dachsel)
Felix Dachsel begleitet einen Berichterstatter der Castor-Proteste, Sebastian: “Protest ist überflüssig, ohne die Öffentlichkeit, die ihn wahrnimmt.”

4. “Zweiter Tag Haushalt – BILD schießt Abgeordneten ab”
(blog.kerstenartus.info)
Kersten Artus schreibt über die Arbeit eines “Bild”-Fotografen in der Hamburgischen Bürgerschaft: “Erst vor zwei Wochen lief stundenlang ein BILD-Fotograf durch den Plenarsaal und fotografierte uns in allen möglichen Situationen. Er lichtete auch leere Bankreihen ab. Er knipste vom Balkon herunter mit dem dicksten Objektiv, das er zur Verfügung hatte – und zielte genau in den Schoß diverser Abgeordneter und auf ihr Pult.”

5. “Fluch und Segen einer Bohne”
(berliner-zeitung.de, Jan Söfjer)
Jan Söfjer stellt das neue Magazin “Reportagen” vor: “Nicht alle Reportagen in der Startnummer zünden, manchen fehlt es an dramaturgischer Dichte, nichtsdestotz finden sich exzellente Stücke. 5 000 Abonnenten möchte Daniel Puntas in den nächsten zwei Jahren für sein Liebhaber-Projekt finden.”

6. “Heilig Abend allein zu Haus”
(pop64.de, Sven Dietrich)

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Angst vor der eigenen Rechthaberei

Die Europa-Union Deutschland, die sich selbst als überparteiliche, überkonfessionelle und unabhängige politische Nichtregierungsorganisation für ein föderalistisches Europa versteht, hat bei der diesjährigen Verleihung des Europapreises “Bild” mit der sogenannten “Distel” für den europapolitischen Fehltritt des Jahres bedacht. In einer Pressemitteilung heißt es:

Nikolaus Blome, Leiter des Hauptstadtbüros der BILD-Zeitung, erhielt stellvertretend für sein Blatt die Europa-Distel für den größten europapolitischen Fehltritt des Jahres wegen der Forderung, Griechenland solle seine Inseln verkaufen. (…)

In seiner Laudatio auf die BILD stellte der Vorsitzende von Europa-Professionell, Joachim Wuermeling, fest, dass es ein Fehler war, eine solche Emotionalität in die Debatte zu bringen und zwischen guten und schlechten Euro-Ländern zu unterscheiden. Er machte klar: “Wir wollen keine europäische Misstrauensgesellschaft!”

Von Einsicht ist bei “Bild” allerdings nichts zu bemerken:
Trotz Schmäh-Preis für unsere Griechenland-Berichterstattung Darum bleibt BILD bei seiner Meinung!

Es ist ein stacheliger Preis, der als Kritik an BILD gemeint ist: Die Europa-Union verlieh BILD die “Europäische Distel” – weil BILD mit seiner Berichterstattung angeblich die europäischen Bürger gegeneinander aufbringt.

BILD stellte sich der Kritik. Und erklärte den erstaunten Europa-Politikern, warum die Redaktion in der Euro-Krise bei ihrer Meinung bleibt!

“Bild” zitiert dann weite Teile der Rede, die Nikolaus Blome, Leiter des Hauptstadtbüros und stellvertretender Chefredakteur, bei der Preisverleihung gehalten hat. Dabei wird schnell klar: “Bild” hat sich der Kritik nicht “gestellt”, sondern hat sie einfach weggebügelt.

So fragt Blome etwa:

Soll uns der Preis ex post nahelegen zu schweigen, uns also irgendwie “mundtot” machen?

Dabei kritisierte die Europa-Union nicht, dass “Bild” über die griechische Schuldenkrise berichtet hat, sondern wie (BILDblog berichtete hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier).

Blome fragt scheinheilig:

(…) hätten wir die Geschichte “BILD gibt den Griechen die Drachmen zurück!” (27.4. 2010) nicht machen sollen? Den selbstverständlich nicht repräsentativen Versuch, mit dem medienüblichen Mittel der Straßenumfrage zu erhellen, ob die Griechen ihre alte Währung zurückwollen? Inzwischen vergehen in Griechenland keine sieben Tage, ohne dass eine solche Umfrage gemacht wird.

Zunächst einmal stand über dem berüchtigten Artikel nicht, wie Blome behauptet, “BILD gibt den Griechen die Drachmen zurück!”, sondern “BILD gibt den Pleite-Griechen die Drachmen zurück!”. So nennt die Zeitung die Einwohner Griechenlands seit mehr als anderthalb Jahren.

Und natürlich war Paul Ronzheimers Aktion nicht “medienüblich”, sondern eine klare Grenzüberschreitung, bei der es einzig und allein darum ging, die Griechen vorzuführen (“Und das Irre: Viele jubeln und reißen sich darum…”). Man stelle sich vor, ein ausländisches Blatt würde in Deutschland eine derartige Aktion durchführen. “Bild” wäre sicherlich die Zeitung, die als erstes die Frage stellen würde “Warum werden wir Deutschen so verhöhnt?”.

Blome weiter:

Und noch eine Zugabe: “Verkauft eure Inseln, ihr Pleite-Griechen.” Auch hier verspreche ich Ihnen: Exakt so wird es kommen. (…)

(Haben Sie’s gemerkt? Blome offensichtlich nicht.)

70.000 staatseigene Grundstücke stehen in Griechenland zum Verkauf, darunter eine komplette Halbinsel und ein kleiner Berg. Vollzogen wird der Verkauf am Ende vielleicht von einer Treuhandanstalt wie weiland in der untergegangenen DDR. (…)

Dabei weiß Blome vermutlich selbst am besten, wie diese Forderung in einem Land, das im zweiten Weltkrieg jahrelang unter der deutschen Besatzung gelitten hat, aufgefasst wird.

Der Unterschied zwischen den krawalligen “Pleite-Griechen”-Überschriften in “Bild” und der Sprache der anderen deutschen Zeitungen wird ausgerechnet in dem Moment am deutlichsten, in dem Blome behauptet, “die anderen” würden ja genauso schreiben:

Und weil das so ist, schreiben die anderen jetzt auch so. Nur ein Beispiel aus dem Juni 2011, Süddeutsche Zeitung. Der Autor delektiert sich unter der Überschrift “griechischer Schein”, wie das “Land seine Schulden verschleierte”, etwas, was sonst nur in einer “korrupten afrikanischen Diktatur” vorkomme. Selbst bei der Qualifikation für die Währungsunion hatten die Griechen gelogen”, bis das “Lügengebäude zum Einsturz” kam.

Der Höhe Tiefpunkt seiner Rede macht deutlich, dass Blome nicht ansatzweise verstanden hat, wofür “Bild” ausgezeichnet wurde:

Kurzum: Ich gebe zu. Rechthaben macht Spaß. In diesem Maße recht zu haben, und zu behalten, macht fast ein bisschen Angst.

Die sonst geläufige Redewendung, nach der der Ton die Musik mache, war den Großmüttern von Nikolaus Blome offenbar unbekannt — oder ihr Enkel hat auch damals schon nicht richtig zugehört.

Gegen Ende seiner Rede greift Blome dann wieder seine eingangs erwähnte Sorge, die Verleihung der Distel solle seine Zeitung “mundtot machen”, auf:

Haben Sie das Gefühl, Griechenland ginge es besser, wenn wir die Klappe gehalten hätten? Und glauben Sie im Ernst, BILD hätte die Griechenland-kritische Stimmung gemacht?

Vermutlich ginge es Griechenland nicht besser, wenn Blome und seine Leute “die Klappe gehalten hätten”, aber darum ging es bei dieser Preisverleihung gar nicht. Das Klima zwischen Deutschen und Griechen könnte allerdings deutlich weniger angespannt sein, wenn “Bild” die Klappe gehalten weniger hetzerisch berichtet hätte.

Denn dass “Bild” die “Griechenland-kritische Stimmung” nicht wenigstens ordentlich mit angeheizt hätte, glaubt Blome hoffentlich nicht im Ernst.

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“Das hat etwas von einer Vergewaltigung”

Wolfgang Niedecken: Ja, es war ein SchlaganfallEs ist ein merkwürdiges Triumphgeheul, das “Bild” heute in der Kölner Ausgabe anstimmt:

Und es war doch ein Schlaganfall!

Warum “doch”? Hatte jemand was anderes behauptet?

Niedecken hatte BILD verbieten lassen, wahrheitsgemäß zu berichten, dass er einen Schlaganfall hatte. Überraschend offen sprechen Niedecken und seine Frau Tina (46) nun im aktuellen “Spiegel”. Sie sagen ganz klar:

JA, ES WAR EIN SCHLAGANFALL!

Niedecken hatte in der Tat mehrere Einstweilige Verfügungen gegen “Bild” erwirkt — mit Verweis auf seine Privatsphäre und die seiner Familie (BILDblog berichtete mehrfach). Dass Niedecken nun, da er wieder auf den Beinen ist, im “Spiegel” von sich aus einen Blick in diese Privatsphäre gewährt, rechtfertigt nachträglich nicht, dass “Bild” diese Privatsphäre verletzt hatte.

Anders als “Bild” jetzt suggeriert bezogen sich die Einstweiligen Verfügungen nicht nur auf die Art der Erkrankung. “Bild” wurde unter anderem auch verboten, Fotos von Niedeckens Frau und Kindern auf dem Krankenhausparkplatz (BILDblog berichtete) abzudrucken, “Details zur Fürsorge der Familie Niedecken für Wolfgang Niedecken” zu veröffentlichen und Details über die Krankenhausbehandlung Niedeckens zu verbreiten.

So berichtete BILD schon am 3. und 4. November über den Schlaganfall

Vor allem aber wurde “Bild”, die ja nach eigener Ansicht “wahrheitsgemäß” berichtet hatte, untersagt, Details des angeblichen Erkrankungshergangs zu veröffentlichen, die laut Niedecken “falsch” bzw. “frei erfunden” waren. Erst vergangene Woche hatte “Bild” eine diesbezügliche Einstweilige Verfügung anerkannt und auf sämtliche Rechtsmittel verzichtet.

Statt auf eigene Spekulationen bzw. “Informationen” setzt “Bild” heute deshalb lieber auf das, was Niedecken selbst preisgegeben hat:

BILD druckt Auszüge des Interviews…

… und könnte sich damit den nächsten juristischen Ärger einhandeln — diesmal allerdings mit dem “Spiegel”, denn die “Auszüge” umfassen weite Teile dessen, was Niedecken zum Krankheitsverlauf gesagt hat.

Nicht zitiert hat “Bild”, wie das Gespräch später weiter ging:

SPIEGEL: Wie fühlt es sich an, öffentlich krank zu sein? Kann man als Prominenter sagen: Meine Krankheit ist reine Privatsache, da lasse ich keinen dran teilhaben?

Niedecken: Ich selbst war schockiert, als die “Bild”-Zeitung gleich erfundene Details über meinen Schlaganfall verbreitete. Dass sie meine Töchter vor dem Krankenhaus fotografiert haben und ein Reporter ihnen aufgelauert hat und sie ausquetschen wollte. Als Tina und ich vor ein paar Tagen am Rhein spazieren gingen, sah ich plötzlich “Bild”-Paparazzi hinter dem Baum. Auf einem der Fotos sieht man mir den Schreck über den Fotografen richtig an. Ich schaue tatsächlich wie jemand, der einen Schlaganfall hatte.

Tina Niedecken: Schatzi, du hattest einen Schlaganfall!

Niedecken: Ja, weiß ich ja. Ich meine nur, es sah so aus, wie man sich Schlaganfall-Patienten im Boulevard vorstellt. Ich gucke so ein bisschen irre. Das Gefühl, die Kontrolle über seine Privatsphäre zu verlieren, ist schlimm. Das hat etwas von einer Vergewaltigung.

Mit Dank auch an Matthias M.

Nachtrag, 17.35 Uhr: Niedeckens Anwälte bezeichnen die heutige Berichterstattung von “Bild” als “scheinheilig”, weil die Zeitung ganz genau wisse, dass das Verbot nicht deshalb ergangen sei, weil die Meldung falsch war, sondern weil eine Veröffentlichung von Krankheiten ohne Zustimmung Niedeckens in das Persönlichkeitsrecht Niedeckens eingreife.

Der “Spiegel” erklärt uns unterdessen auf Anfrage, dass er nicht gegen “Bild” vorgehen wolle, auch wenn das Ausmaß, in dem die Zeitung aus dem Magazin zitiert, durchaus “episch” sei.

Guttenberg, Schuhbeck, Kämmerer

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Zehn Jahre indirekter freistoss – auch mein Jubiläum”
(indirekter-freistoss.de, Oliver Fritsch)
Die “Presseschau für den kritischen Fußballfreund” feiert das zehnjährige Jubiläum: “Gegründet habe ich den indirekten freistoss, um den seriösen Stimmen mehr Gewicht zu geben. Meinung gemacht wird ja nach wie vor woanders: bei Bild und im Fernsehen. Vielleicht ist deren Macht im Fußball im letzten Jahrzehnt ein wenig geringer geworden, ich kann mich aber auch täuschen.”

2. “Ein gefährlicher Mann”
(faz.net, Volker Zastrow)
Karl-Theodor zu Guttenberg ist nicht als reuiger Sünder zurückgekehrt, “sondern gepanzert mit Rechtfertigungen, bewaffnet mit Drohungen”. “Die unerzählte Geschichte geht so: Guttenberg hat es geschafft, fast in alle wichtigen Redaktionen dieses Landes belastbare Beziehungen aufzubauen, mit ungeheurem Charme. Das hat in einigen Häusern dazu geführt, dass Berichterstatter nicht so geschrieben haben, wie sie dachten. Die Redaktionen wurden auf Linie gebracht, soweit sie sich nicht ganz von selbst drauf brachten, längst vor der Affäre.”

3. “Mediale Steigbügelhalter”
(dradio.de, Bettina Schmieding)
Hat Guttenberg eine PR-Agentur beauftragt? “Wenn ja, dann hätte er das Geld echt besser ausgeben können. Schließlich gibt es genug Steigbügelhalter für den Baron in der deutschen Presse und die machen das total unentgeltlich.”

4. “Der scheinheilige Herr Schuhbeck”
(buggisch.wordpress.com)
Christian Buggisch schreibt über Fernsehkoch Alfons Schuhbeck, der “Gesundheit predigt und das Gegenteil verkauft”.

5. “So arbeiten Journalisten fair”
(ratgeber.presserat.ch)
Der neue Ratgeber “Was Medienschaffende wissen müssen” des Schweizer Presserats.

6. “Kurz vor Schluss”
(zeit.de, Roland Kirbach)
Die finanzielle Situation deutscher Kommunen: “Nachdem Cross Border Leasing unattraktiv geworden war, weil die Steuervorteile in den USA entfallen waren, wurden deutsche Kämmerer aus Verzweiflung zu Zockern. Gelockt von cleveren Bankern, schlossen sie mit Finanzinstituten Wetten auf die künftige Zinsentwicklung ab. Reihenweise haben die Städte verloren.”

Jein

Kopf oder Zahl, Schwarz oder Weiß, Ja oder Nein — manchmal ist die Welt ganz einfach, die Chancen stehen fifty-fifty.

Zum Beispiel beim Versuch zu erraten, welche der zwei Optionen (“Ja” oder “Nein”) bei der Volksabstimmung in Baden-Württemberg heute zum Ende des umstrittenen Bahnhofsprojekts Stuttgart 21 führen könnte.

“Spiegel Online” wagt sich mal vor:

Winfried Kretschmann bei der Stimmabgabe: Der grüne Ministerpräsident warb für ein "Nein"

Haarscharf daneben. Tatsächlich (und das ist zugegebenermaßen ziemlich verwirrend) geht es um die Frage, ob das Land bei der Finanzierung von Stuttgart 21 aussteigt. Wer (wie Kretschmann) gegen Stuttgart 21 ist, müsste also mit “Ja” stimmen — und genau dafür hatte Kretschmann auch geworben.

Noch während wir diesen Eintrag vorbereitet haben, hat “Spiegel Online” den Fehler bemerkt und sich für die unverfängliche Variante entschieden:

Winfried Kretschmann bei der Stimmabgabe: Der grüne Ministerpräsident warb für eine Abstimmung gegen das Projekt Stuttgart 21.

Mit Dank an Low87, Johannes K. und Jakob B.

Bild  

Widerlich

Im 15-minütigen Hass-Video (in Comic-Form mit "Paulchen Panther") feiern die Killer ihr neuntes Hinrichtungsopfer und nennen ihre Mordserie "Aktion Dönerspieß". Widerlich: In dem Video werden Bilder der Opfer gezeigt, die kurz nach der Tat aufgenommen wurden
(Unkenntlichmachung von uns.)

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