Archiv für August, 2011

AFP, AP, Bild.de  etc.

Ja, mir san mit’m Panzer da

Politiker würden fast alles tun, um in die Medien zu kommen. Und die Medien lieben außergewöhnliche Politikerfotos: Helmut Kohl mit wechselnden Tieren am Wolfgangsee, George W. Bush auf dem Flugzeugträger, Karl-Theodor zu Guttenberg am Times Square.

Den Namen Arturas Zuokas werden sich wohl auch in Zukunft die Wenigsten merken können, aber das Bild, wie der Bürgermeister der litauischen Hauptstadt Vilnius im Panzerwagen über einen falsch geparkten Mercedes fährt, das geht jetzt um die Welt und wird in Erinnerung bleiben.

Bild.de schreibt dazu:

Um zu beweisen, dass er es ernst meint, griff der Politiker zur Brachialmethode.

Vor geladenen Medienvertretern walzte das Stadtoberhaupt höchstpersönlich mit einem russischen Panzer eine auf einem Radweg abgestellte Luxuslimousine platt.

Im dazugehörigen Video beschreibt der Off-Sprecher die Szenerie so:

Zurück bleibt ein schrottreifer Benz und ein Besitzer, der dieses Schicksal offensichtlich nicht fassen kann. Zur Belehrung seines Bürgermeisters kann der Mann mit Goldkette nur entschuldigend nicken.

Die gute Nachricht für Bild.de zuerst: Arturas Zuokas ist tatsächlich mit einem Panzer über einen Mercedes gefahren. Das würde aber wohl auch in Litauen den Straftatbestand der Sachbeschädigung erfüllen.

Die Hintergründe der Aktion stellen sich – und damit zur schlechten Nachricht für Bild.de – dann auch ein bisschen anders dar, wie AFP schreibt:

Ein Schauspieler, der die Rolle des Autobesitzers spielte, bekam von Zuokas anschließend eine Lektion verpasst und schaute angemessen bedröppelt drein.

Das Auto wurde extra für den Stunt gebraucht gekauft, teilte das Rathaus mit.

Die außergewöhnliche Aktion wurde gemeinsam mit den Machern der schwedischen Fernsehsendung “99 Dinge, die man tun muss, bevor man stirbt” entwickelt, die im Oktober ausgestrahlt werden soll.

(Übersetzung von uns.)

Die meisten anderen Medien haben irgendwie verstanden, dass die Szene gestellt war, aber sie zeigen ein Foto, das offensichtlich nachbearbeitet wurde:

Fotomontage, von AFP verbreitet.

Zoukas saß nämlich nicht alleine im Panzer, wie das Video beweist:

Die Pressestelle der Stadt Vilnius hat den Herrn im blauen Hemd einfach aus dem Bild retuschiert — und das ziemlich schlecht:

Schlechte Fotomontage der Pressestelle der Stadt Vilnius.

Die weltweite Verbreitung des Bildes übernahmen dann Nachrichtenagenturen wie AFP und AP.

Mit Dank an Diekmann, John Doe und Fal H.

Solidarität, Fischerdorf, Akte 20.11

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Zeitungsstreik: Solidarität? Wieso, weshalb, warum?”
(pushthebutton.de, Hardy Prothmann)
Hardy Prothmann listet die Verdienste während seiner Karriere als freier Journalist auf und fragt sich, warum er sich solidarisch zeigen soll mit den festangestellten, derzeit streikenden Kollegen: “Ich werfe den meisten von ihnen Kumpanei, Mittäterschaft, Honorar-Dumping, Untertanentum, Eitelkeit, Überheblichkeit, Weltentrücktheit und Respektlosigkeit vor.”

2. “Am längeren Hebel der Empörungsmaschine”
(coffeeandtv.de, Lukas Heinser)
Gestern verlinkten wir an dieser Stelle einen Text von Christoph Schwennicke, der sich über die rituelle Empörung von Politikern nach besonderen Ereignissen beklagte. “Elf Stunden später stellte sich heraus: Auch bei ‘Spiegel Online’ haben sie so eine Empörungsmaschine — und Christoph Schwennicke hat offensichtlich Zugang zu ihr.” Siehe dazu auch “Nachgefragt: So denken die Bürger über Geißlers Goebbels-Zitat” (der-postillon.com, Satire).

3. “Die Welt ist ein Fischerdorf”
(muel.ch, Samuel Burri)
Samuel Burri vergleicht zwei Korrespondenentexte über ein afrikanisches Dorf. In beiden wird die gleiche Szenerie beschrieben. Auf Anfrage schreibt einer der Autoren: “Der Einstieg war eigentlich länger aber wurde, wie das ganze Stück, stärker gekürzt. Und ja, der Text des Kollegen war mir bekannt und Teil meiner Notizen.”

4. “Deutsche Sender? Nein, danke”
(tagesspiegel.de, Andreas Maisch)
“Die in Deutschland lebenden Türken sehen und hören überwiegend türkischsprachige Medien.”

5. “… die sprechen alle Deutsch”
(ad-sinistram.blogspot.com, Roberto J. De Lapuente)
Roberto J. De Lapuente macht sich Gedanken über Deutsche, die in Spanien deutschsprachige Ärzte konsultieren, “Bild” nicht. “Diesem doppelmoralischen Dilemma entkäme man jetzt nur, wenn man öffentlich dazu aufrufen würde, dass verrentnerte Deutsche, die ihr Domizil ins Ausland verlegt haben, gefälligst die Heimatsprache zu büffeln haben – das alles im Sinne der Integration und des Respekts gegenüber den Gastgebern.”

6. “iPad-Rückgabe wegen blockierter BILD-Webseite”
(ifun.de)
In der Sat.1-Sendung “Akte 20.11” (ab 3:50 Minuten) wird ein iPad der Verkaufsstelle zurückgegeben, weil es die Website Bild.de nicht kostenfrei aufrufen kann.

Wer hat die dümmsten Redakteure?

Das Sommerloch macht es schwer, journalistische Angebote zu füllen. Die Parlamente machen Ferien, im Fernsehen kommen nur Wiederholungen und falls man doch Mal recherchieren will, hört man am anderen Ende der Leitung all zu oft: “Ihr Ansprechpartner ist leider im Urlaub”.

Also muss man den Bodensatz der Pressemitteilungen durchwühlen. Am Besten sind Geschichten, die sich gut anhören, bei denen es aber egal ist, ob sie nun wahr sind oder nicht. Beispielsweise: “Schwangere mögen Sellerie lieber als Saure Gurken”. Oder: “Im Fernsehen kommen nur Wiederholungen“. Oder zur Abwechslung etwas Neues: Der Web-Browser ist mit der Intelligenz verknüpft. Klingt abwegig, banal, irgendwie doof? Egal, es füllt Platz:

Bei “Welt kompakt”:

Browser-Test: Opera-User sind am schlauesten

Bei Krone.at:

Nutzer des Internet Explorer sind am dümmsten

Bei “20 Minuten”:

Bei Bild.de:

Dass niemand zuvor von der ominösen Marktforschungsfirma gehört hatte — egal. Dass die Abweichungen von über 40 IQ-Punkten enorm hoch sind und Nutzer des Internet Explorer 6 mit knapp über 80 IQ-Punkten im Schnitt nur wenig besser abschneiden als Forrest Gump — kein Problem. Schließlich sind in der Studie bunte Grafiken und gewichtig klingende Fachbegriffe wie “WISC-iV”, “Verbal IQ” und “Full Scale IQ”.

Dumm nur: nichts davon stimmt. Die BBC, die die Story zunächst auch verbreitet hatte, hat doch noch einmal nachgefragt und die Geschichte als “Bogus” entlarvt: Unter der angegebenen Telefonnummer meldet sich niemand, die Webseite der angeblich seit fünf Jahre existierenden Firma ist brandneu und aus anderen Webseiten zusammen gestückelt und ein Statistikforscher an der Universität Cambridge findet die publizierten Zahlen unplausibel.

Kurz gesagt: Studie samt Firma sind offenbar Produkt von Witzbolden, die sich über Nutzer des Internet Explorer lustig machen wollten. Das stellt die hiesigen Medien vor ein Problem: Die Spielverderber von der BBC können schließlich nicht ganz ignoriert werden.

Bild.de gibt sich humorvoll:

Und ergänzt:

Wie Kollegen von Computerbild.de jetzt herausfanden, existierte die Kanadische Beraterfirma AptiQuant nicht einmal.

Doch die Kollegen behaupten nicht einmal selbst, es herausgefunden zu haben: Sie beziehen sich bei ihrer Korrektur ausdrücklich auf die BBC.

Die Zombie-Autos der Stars

Express.de veröffentlichte heute einen Artikel über die “Autos der Stars”. Denn:

Bevor die Saison beginnt, lohnt sich ein Blick in die Garagen der Kicker.

In diesen Garagen stehen nämlich viele, oft teure Autos — Mario Gomez und Franck Ribéry fahren z.B. einen Audi Q7, Lukas Podolski einen Audi RS6 und dann gibt es auch noch ihn hier:

Ein richtiger Autonarr ist Thorsten Frings von Werder Bremen: VW Touareg, Wiesmann GT und ein Hummer gehören zu seiner Auto-Sammlung.

Der Satz war verräterisch, denn Torsten (ohne “H”) Frings spielt gar nicht mehr für Werder Bremen. Express.de hat ihn inzwischen zum “Ex-Bremer” umetikettiert (und seinen Namen korrigiert), aber das ändert nichts daran, dass der Text schon älter ist. Wie ein Untoter geistert er seit längerem mit kleinen Abweichungen durch die Online-Auftritte des DuMont-Schauberg-Verlags:

  • Gestern zum Beispiel ebenfalls bei express.de (dort ist der Frings-Satz auch noch unkorrigiert).
  • Im Mai im Internet-Auftritt der “Frankfurter Rundschau” (der Artikel muss vor Kurzem überarbeitet worden sein, denn der Frings-Satz fehlt plötzlich, es sind aktuelle Fotos enthalten und der Vorspann spricht von der bald startenden Bundesligasaison).
  • Am 12. November 2010 wiederum bei express.de.
  • Am 20. August 2010 bei mopo.de.
  • Am 27. Mai 2010 beim “Berliner Kurier” (irritierenderweise auch mit aktuellen Fotos und dem Hinweis auf den Saisonstart, aber auch immer noch mit “Thorsten Frings”).
  • Und am 27. Mai 2010 beim “Kölner Stadtanzeiger”, was womöglich den Ausgangspunkt der Rundreise darstellt.

Doch Fußballer sind nicht die einzigen Stars, deren Autos regelmäßig hervorgeholt und in Klickstrecken herumgereicht werden: Auch die “Flitzer der Promis” waren im Laufe der Jahre schon beim “Berliner Kurier”, dem “Kölner Stadtanzeiger”, dem “Express” und der “Kölnischen Rundschau” im Einsatz.

Sollte der eine oder andere Promi sein Auto mal wechseln, erfahren Sie es sicher nicht bei den Online-Medien von DuMont-Schauberg.

Mit Dank an Martin T.

Fragdenstaat.de, Empörungsmaschine, DAB+

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Erde doch keine Scheibe?”
(stern.de/blogs, Hans-Martin Tillack)
Hans-Martin Tillack weist auf die neue Website fragdenstaat.de hin, die eine Anwendung des Informationsfreiheitsgesetzes in Deutschland erleichtern soll. “Große vermeintlich liberale Zeitungen wie die ‘Zeit’ schwangen sich noch vor ein paar Monaten sogar zu enthusiastischen Verteidigungsreden pro Staatsgeheimnis auf – damals, als Wikileaks einige tausend bis dahin geheime US-Depeschen publik machte. Da klang es bei einigen Kommentatoren so, als seien Staatsgeheimnisse in Deutschland eine bedrohte Spezies, die des besonderen Schutzes bedürfe.”

2. “Manchmal möchte ich Norweger sein”
(spiegel.de, Christoph Schwennicke)
Muss wirklich nach jedem Ereignis gleich die Empörungsmaschine gestartet werden? “Gegen den deutschen Politiker ist der pawlowsche Hund ein vernunftbegabtes Wesen, das den Mut aufbringt, sich seines Verstandes zu bedienen.”

3. “BBC-Sendung ist ‘inszeniert, falsch, fabriziert und verdreht'”
(survivalinternational.de)
Die NGO Survival International beklagt Inszenierungen und falsche Übersetzungen in der TV-Serie “Mark & Olly: Living with the Machigenga”.

4. “Das Jüngste Gericht interessiert mich nicht”
(journalist.de, Jan Freitag)
Hans Leyendecker im ausführlichen Interview. Über “Bild” sagt er: “Ich gehöre fast zur Generation von Klaus Staeck und Peter Rühmkorf, die dieses Blatt nie gekauft haben. Ich lese Bild nur im Internet oder wenn jemand das Blatt im Zug liegen lässt.”

5. “‘McDonaldisierung’ der Pressefotografie”
(derstandard.at, Oliver Mark)
Oliver Mark schreibt über den Zustand der Pressefotografie: “Mikrostock-Bildagenturen wie iStock, Fotolia oder Pixelio verkaufen Bilder zu einem Spottpreis, zum Teil gibt es sie sogar gratis. Zur Freude von Medien, zulasten von Fotografen.”

6. “Musik endlich digital erhältlich”
(ftd.de, Falk Heunemann)
“Mit überwältigendem Erfolg ist der neue Digitalradiostandard DAB+ in Deutschland gestartet. Bundesweit sind 15 digitale Radiosender empfangbar – also für jeden Zuhörer einer.”

No no no

Die “Abendzeitung” berichtet heute von “neuem Wirbel um den Tod von Amy Winehouse”: Ein “Drogenkumpel” will mit Amy Winehouse am Abend vor ihrem Tod noch gemeinsam Drogen gekauft haben. Wie glaubhaft die Aussagen eines Drogenabhängigen im “Daily Mirror” sind, überprüft gerade die Londoner Polizei. Auch, dass die “Abendzeitung” den Namen des Mannes falsch schreibt, soll uns hier nicht interessieren.

Denn …

Illustriert ist der Artikel mit diesem Bild:

Das Bild geistert seit längerem durchs Internet und erfreut sich vor allem nach Winehouses (immer noch ungeklärtem) Tod großer Beliebtheit.

Nur: Es ist eine Fotomontage. Sie basiert auf dem Foto einer blonden jungen Frau mit Bong und auch wenn sich jemand die Mühe gemacht hat, Amy Winehouses zahlreiche Tätowierungen in das Bild einzuarbeiten, sieht man bei großer Auflösung doch, dass das Bild ein Fake ist:

Mit Dank an Julian H.

Bild  

Ohne Gesicht kein Bericht

Bei “Bild” können sie es selbst nicht fassen, was sie da schreiben (müssen):

“Die Identität eines Straftäters ist grundsätzlich zu schützen”

Ja, liebe Leser, Sie haben richtig gelesen: “Die Identität eines Straftäters ist grundsätzlich zu schützen”, sagt der Deutsche Presserat, der oberste Sittenwächter der Presse – und kritisiert aus diesem Grund immer wieder die BILD-Zeitung. Weil wir ganz anderer Meinung sind. Weil wir glauben, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat zu erfahren, wie ein Vergewaltiger, ein Kinderschänder und ein Mörder aussehen. Und wir deshalb Vergewaltiger, Kinderschänder und Mörder auch zeigen.

Mit diesen zwei Absätzen ist eigentlich alles gesagt, denn natürlich handelt es sich beim Schutz der Identität nicht um irgendeine hippiemäßige Meinung des Presserats, sondern um ein Recht, das sich aus den Grund- und Menschenrechten ableitet und für alle Menschen gilt. Dieses Recht muss im Einzelfall immer gegen das Interesse der Öffentlichkeit abgewogen werden.

Deswegen lautet die Aussage des Presserates vollständig auch:

Die Identität eines Straftäters ist grundsätzlich zu schützen. Nur in Ausnahmefällen darf die Identität eines mutmaßlichen Täters in der Berichterstattung preisgegeben werden. Dabei ist zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen.

(“Grundsätzlich” ist hier also nicht im Sinne von “immer”, sondern im Sinne von “in aller Regel” gemeint.)

“Bild” glaubt offensichtlich nicht nur, “dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat zu erfahren, wie ein Vergewaltiger, ein Kinderschänder und ein Mörder aussehen”, sondern auch, wie ein Kindesentführer aussieht: Im Februar hatte die Zeitung über eine Kindesentführung in der Nähe von Berlin berichtet. Für ihre Form der Berichterstattung erhielt “Bild” vom Presserat eine “nicht-öffentliche Rüge”, über die die Zeitung schreibt:

Grund: Das Persönlichkeitsrecht des Täters, also sein Recht auf Anonymität, verbiete die Namensnennung und Abbildung. “Aus der Schwere der Tat”, so der Presserat, “könne nicht geschlossen werden, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiege.”

“Bild” hatte in der Berichterstattung allerdings nicht nur ein Foto des mutmaßlichen Täters gezeigt und dessen (abgekürzten) Namen genannt, sondern auch dessen Lebensumfeld sehr genau beschrieben.

Der Presserat beschreibt die “Erwägungen des Beschwerdeausschusses” unter anderem so:

Aus der Schwere der Tat könne hier jedoch nicht geschlossen werden, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber den Persönlichkeitsrechten des Betroffenen überwiege. Es müssten weitere Umstände hinzukommen, die für eine Abbildung sprächen. Entgegen der Argumentation des Beschwerdegegners rechtfertige auch das Geständnis die identifizierende Berichterstattung nicht. Gleiches gelte für Aspekte wie das genaue Planen der Tat, die familiäre Situation des mutmaßlichen Täters und seine berufliche Stellung. Diese seien möglicherweise strafrechtlich, jedoch nicht pressethisch von Bedeutung.

“Bild” verkürzt diese Abwägungen zu einer allgemeingültigen Frage:

Ist also der Schutz des Täters wichtiger als die Berichterstattung über eine schwere Straftat?

Wir finden Nein und finden uns mit der Rüge des Presserates auch nicht ab. Deshalb zeigen wir auch heute ein Bild von Carolinas Entführer – und zwar aus dem Gerichtssaal.

Den letzten Satz hat “Bild” natürlich nicht einfach so dahin geschrieben:

Diesen Entführer soll BILD nicht mehr zeigen dürfen

Auch die eigenen Leser will “Bild” mal wieder mobilisieren:

Ist der Schutz eines Täters wichtiger als die Berichterstattung über eine schwere Straftat? Sagen Sie dem Presserat Ihre Meinung: Deutscher Presserat, Fritschestraße 27/28, 10585 Berlin, Tel: 030 / 36 70 07-0, Fax 030 / 36 70 07-20, Email: info@presserat.de

Bis zum Mittag seien “einige Hundert Anrufe, einige Hundert E-Mails und ein paar Faxe” eingegangen, wie uns der Presserat auf Anfrage erklärt. Drei Viertel der Menschen seien für “Bild” gewesen, ein Viertel habe sich differenziert geäußert — auch mehrere Beschwerden über den heutigen Artikel seien auch schon dabei gewesen. Am Nachmittag sei das Verhältnis schon bei zwei Dritteln zu einem Drittel gewesen.

Dabei könnte “Bild” auf derlei populistische Aktionen verzichten: Der Presserat wird von Verlegerverbänden und Journalistengewerkschaften getragen, das heißt die Axel Springer AG, bei der “Bild” erscheint, könnte sich für eine Änderung des Pressekodex in diesem Punkt einsetzen. Das hat sie laut Presserat bisher noch nie versucht.

Mit Dank an die vielen, vielen Hinweisgeber! (Ihr könnt jetzt aufhören!)

Spiegel Online, Konrad Duden, 6 vor 9

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Der Copy-and-Paste-‘Journalismus’ bei ‘Spiegel Online'”
(blog.handelsblatt.com/handelsblog, Olaf Storbeck)
Olaf Storbeck schildert, wie “Spiegel Online” einen Artikel aus der “Handelsblatt”- Printausgabe “nur ein bisschen redigiert” ins eigene Angebot übernimmt (Gegenüberstellung). Inzwischen hat sich der Chefredakteur von “Spiegel Online” entschuldigt, dem Autor wurde “ein angemessenes Zweitverwertungshonorar angewiesen”. Zur Diskussion ein Vorschlag von Detlef Gürtler: “Im langfristigen Überlebensinteresse der Branche wäre es deshalb ratsamer, einen Prozess der Selbstkontrolle einzuleiten: ein vom Verlegerverband initiiertes und finanziertes MediaPlag zum Beispiel.”

2. “Patricia Riekel und das System Bunte”
(meedia.de, ga)
Georg Altrogge analysiert die Methoden der Zeitschrift “Bunte” und ihrer Chefredakteurin Patricia Riekel. “Es ist ein barockes Medien-Königreich, das da mit den Jahren in München entstanden ist, mit einer absolutistischen Herrscherin an der Spitze, einem eigenen Promi-Hofstaat und ganz vielen Mundschenken und Spesen-Rittern darunter.”

3. “TV Station Takes Four-Year-Old Child’s Quote Out of Context”
(mije.org, Bob Butler, englisch)
Wie ein US-TV-Sender eine Aussage eines vierjährigen Jungen nicht vollständig wiedergibt. Mehr dazu in diesem Video (youtube.com, 1:43 Minuten).

4. “‘Partner’ von Sommermagazin bevorzugt bedient”
(qualitaet-und-vielfalt-sichern.de, 18. Juli)
Die Zusammenarbeit zwischen Inserenten und Inhalt auf den “Seiten für Urlauber und Einheimische” in der “Ostsee-Zeitung” und den “Lübecker Nachrichten”: “Wie das Modell im Detail funktioniert, erklärt das ‘Tourismuszentrum Mecklenburgische Ostseeküste’ selbst auf seiner Homepage. Vermieter, die jeden Tag mindestens zehn Zeitungen abnehmen, könnten diese Exemplare zum halben Preis beziehen. Und öffentliche Veranstaltungen wie Feste, Konzerte oder Märkte würden ‘…dann im Veranstaltungskalender der Sommerredaktion kostenfrei veröffentlicht'”.

5. “Recht auf Unbelehrbarkeit”
(dradio.de, Marcus Pindur)
Peter Schneider bittet anlässlich des 100. Todestags von Konrad Duden darum, sich doch anzusehen, “wie unsere großen Geister – Goethe, Schiller und die klassischen deutschen Autoren, die nun wirklich Weltliteratur geschaffen haben”, geschrieben haben: “In den frühen Briefen von Schiller zum Beispiel an seine Frau, habe ich entdeckt, dass der manchmal im selben Satz das selbe Wort in zwei verschiedenen Rechtschreibungen benutzt. (…) Die wussten ganz genau: Was sie da schreiben, das wird verstanden.”

6. “Bildblog-Links: fünf Jahre 6vor9”
(meedia.de, Marc Reichwein)
In eigener Sache: Diese Rubrik feiert heute den 5. Geburtstag! Mein Dank hier, weitere Texte zu “6 vor 9” und die Links der allerersten Ausgabe von 2006 sind auf journalist.de zu lesen.

Bild  

Windows Vista

In ihrer Düsseldorfer Regionalausgabe berichtet “Bild” heute über eine Frau, die in Langenfeld aus einem Fenster im zweiten Stock gestürzt ist, und präsentiert dabei folgende Theorie für den Unfallhergang:

Um 7.15 Uhr stellte sich das Paar ans Schlafzimmerfenster, wollte gemeinsam eine Zigarette genießen.

Als sich Jasmin an das Fenster lehnte, ging es plötzlich auf. Es war anscheinend nicht richtig verschlossen. Sie verlor das Gleichgewicht und stürzte – so nackt wie sie war – in die Tiefe.

Die “Bild”-Theorie hat genau einen Haken: Das Fenster geht (wie die meisten anderen Fenster in Privatwohnungen auch) nach innen auf, wie die Zeitung selbst zeigt.

Gefährliche „Zigarette danach“? Frau (34) stürzt fast nackt aus dem Fenster — Intensivstation!

Die Polizei beschreibt die Situation ein wenig zurückhaltender:

Die Frau hatte sich nach vermutlich reichlichem Alkoholgenuss mit ihrem Lebensgefährten kaum bekleidet zum Rauchen an das Fenster gelehnt. Aus bislang nicht geklärter Ursache verlor sie das Gleichgewicht und stürzte aus dem Fenster in der zweiten Etage auf den nassen Rasen vor dem Haus.

Mit Dank an Christoph, Bastian K. und und Bertolt.

Camerons Dias

Der britische Premierminister David Cameron war in den letzten Wochen so häufig im Zusammenhang mit dem Medienunternehmer Rupert Murdoch in den Schlagzeilen, dass man fast annehmen könne, Cameron selbst mache das sprichwörtliche “Was mit Medien”.

Zumindest schreibt “Spiegel Online” über den neuesten “Harry Potter”-Film:

Bis an die Spitze der ewigen Kinokassen-Charts ist es aber noch ein weiter Weg: Dort steht David Camerons “Avatar” – das Fantasy-Epos brachte 2,78 Milliarden Dollar ein.

Diese Verwechslung könnte James Cameron ärgern — wenn ein milliardenschwerer Oscar-Preisträger nicht mutmaßlich besseres zu tun hätte, als sich über die Verwechslung einer deutschen Nachrichtenseite zu ärgern.

Doch diese Verwechslung ist “leider kein Einzelfall”, wie es Bob Dylan Eduard Zimmermann ausdrücken würde:

“Spiegel Online”, 23. Dezember 2009:

Zum 3D-Kino – gerade mit David Camerons “Avatar” prominent im Kino vertreten – lässt der Berlinale-Chef aber eine eher skeptische Haltung erkennen:

“Welt Online”, 4. Januar 2010:

Die “New York Times” bat David Cameron, der gerade die erste Dollar-Millarde an den Kinokassen weltweit für “Avatar” feiert, um Stellungnahme.

“Bild am Sonntag”, 17. Januar 2010:

Regisseurin Kathryn Bigelow brachte das Kunststück fertig, mit ihrem Kriegsdrama “The Hurt Locker” den Favoriten “Avatar” zu schlagen. Und damit ihren Exmann David Cameron. Er räumte “nur” sieben Nebenpreise ab. “Bester Regisseur” – der Preis gehört jetzt Kathryn Bigelow.

“Berliner Kurier”, 7. März 2010:

Wird David Cameron, der schon mit “Titanic” rekordmäßig abräumte, mit seinem neuen Film “Avatar” den Regie-Oscar einheimsen?

“Handelsblatt”, 9. März 2010:

Ursprünglich war erwartet worden, dass der bisher erfolgreichste Film “Avatar” bei der diesjährigen Oscar-Verleihung groß abräumt. Davon hätten auch die Filmtheater profitieren können. Denn das 3-D-Spektakel des Erfolgsregisseurs David Cameron läuft noch immer in den Kinos.

bbc.co.uk, 23. April 2010:

Director David Cameron, Avatar actress Michelle Rodriguez and Heroes star Hayden Panettiere spoke to reporters about the cause and why they thought Avatar was such a success.

ap, 19. August 2010:

David Camerons 3D-Film “Avatar” spielte etwa 158 Millionen Euro ein.

“Hamburger Abendblatt”, 27. Januar 2011:

Kein Wunder, befindet sich die Filmindustrie zurzeit in einer “Storykrise”, was sogar absolute Topshots wie David Cameron (“Avatar”) selbstkritisch anmerken.

bbc.co.uk, 1. Juli 2011:

No 3D movie since has matched the buzz generated by David Cameron’s Avatar

Mit Dank an Torben.

Nachtrag, 13.55 Uhr: Dass es auch anders herum geht, beweist die “Financial Times Deutschland”:

Mit dem Finanzminister gerät ein weiteres Mitglied der Regierung von Premier James Cameron ins Zwielicht, dessen Kabinett bereits seit Monaten in der Öffentlichkeit scharf kritisiert wird.

Mit Dank an Dan.

2. Nachtrag/Korrektur: In einer früheren Version des Artikels hatten wir den aktuellen Fehler der Nachrichtenagentur dapd zugeschrieben. Offensichtlich hat “Spiegel Online” den Fehler aber selbst in eine Meldung eingebaut, die ansonsten auf einer dapd-Meldung beruhte.

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