Archiv für Dezember 2nd, 2010

Untertauchen für Anfänger

Wo ist Julian Assange? Und: Ist er auf der Flucht? Der Wirbel rund um die Whistle-Blower-Plattform Wikileaks sorgt für immer neue Höhepunkte im weltweiten Medienzirkus. Kein Wunder, dass Bild.de da mitspielen will:

Jagd auf Wikileaks-Chef Julian Assange: Entkommt er wegen einer Behörden-Schlamperei?

Doch nicht nur Behörden schlampen, wenn es um Julian Assange geht. Zur Frage nach dem gegenwärtigen Aufenthaltsort des Wikileaks-Gründers schreibt Bild.de zunächst dies:

Scotland Yard sei sein Aufenthaltsort bekannt, berichtet die britische Tageszeitung “The Independent”. Der Australier wird von Schweden wegen Vergewaltigungsverdachts gesucht, steht inzwischen auf der internationalen Fahndungsliste von Interpol. (…)

Nach dem Bericht des “Independent” habe der Australier der Polizei bereits im Oktober nach seiner Ankunft im Land seine Kontaktdaten zur Verfügung gestellt.

Ein paar Absätze weiter sieht es ganz anders aus:

Doch bereits seit Monaten treibt Assange ein Versteckspiel mit den Behörden, gibt seinen Aufenthaltsort nicht preis und operiert aus dem Untergrund.

Und auch zum Aufenthaltsort des Wikileaks-Gründers hat Bild.de noch ein paar ganz exklusive Informationen:

Assange weist die Vorwürfe zurück; er sieht sich als Opfer eines Komplotts und ist deshalb im August 2010 abgetaucht. Angeblich versteckt er sich jetzt in Australien, doch sein genauer Aufenthaltsort ist weiterhin unbekannt.

Diesen Satz verwendete Bild.de bereits in mehreren Artikeln, richtiger wird er dadurch aber nicht. Assange ist keinesfalls seit August abgetaucht: Damals hielt er sich nämlich noch in Schweden auf. Erst im September durfte er das Land verlassen und gab schon im Oktober wieder eine große Pressekonferenz in London.

Doch England oder Australien, behördlich gemeldet oder auf der Flucht — Hauptsache, es gibt irgendwas zu spekulieren.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

AFP  

Bringt ihm den Kopf von Julian Assange!

Hat Mike Huckabee, einer der republikanischen Favoriten für die nächste US-Präsidentschaftswahl, die Ermordung Hinrichtung von Wikileaks-Gründer Julian Assange gefordert?

Es scheint so. Die Nachrichtenagentur AFP meldet nämlich:

Der Gründer der umstrittenen Internetplattform Wikileaks, Julian Assange, muss nach Ansicht eines Sprechers um sein Leben fürchten. Die Sicherheit des 39-Jährigen sei nach der Veröffentlichung von brisanten Dokumenten des US-Außenministeriums in Gefahr, sagte Wikileaks-Sprecher Kristinn Hrafnsson in London. (…) “Es gab sogar Rufe nach einer Ermordung von Julian Assange.” Deshalb fürchte Assange zurecht um seine Sicherheit, sagte Hrafnsson. Er reagierte offensichtlich auf Aussagen aus Nordamerika. In den USA hatte der frühere republikanische Gouverneur von Arkansas, Mike Huckabee, Medienberichten zufolge gefordert, dass der Verantwortliche für die Wikileaks-Enthüllungen wegen Verrats angeklagt und hingerichtet werden solle.

Der erste Teil davon stimmt. Und der zweite Teil auch. Nur der Zusammenhang zwischen beiden — der stimmt nicht. Gesagt hatte Huckabee nämlich (Video):

“Whoever in our government leaked that information is guilty of treason, and I think anything less than execution is too kind a penalty. (…) And anyone who had access to that level of information was not only a person who understood what their rules were, but they also signed, under oath, a commitment that they would not violate.”

(Wer auch immer aus unserer Regierung diese Informationen weitergegeben hat, hat sich des Hochverrats schuldig gemacht, und ich glaube, alles andere als die Hinrichtung wäre eine zu milde Strafe. … Und jemand, der Zugang zu diesem Grad von Informationen hatte, kannte nicht nur ihre Regeln, sondern hat — unter Eid — eine Verpflichtung unterschrieben, sie nicht zu verletzen.)

Es ist unmissverständlich: Huckabee spricht nicht von Assange, sondern von der Quelle im amerikanischen Staatsdienst.

Lingener Tagespost, Wikileaks, Gentrifizierung

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Man muss nur die richtige Frage stellen”
(faz.net, Melanie Mühl)
Melanie Mühl spricht in der “FAZ” von einer Kampagne gegen den von Stephanie zu Guttenberg präsidierten Verein “Innocence in Danger”: “Der Verein ‘Innocence in Danger’ hat sich nicht geweigert, seine Zahlen zu veröffentlichen. Er hat das Interesse, dass über ihn hereingebrochen ist, einfach unterschätzt und das Ultimatum eines Journalisten nicht eingehalten. (…) Am Ende bleibt von allen Vorwürfen nichts.”

2. “Journalismus”
(robertkoop.wordpress.com)
Robert Koop sieht eine CDU-Pressemitteilung nahezu unverändert in der “Lingener Tagespost” abgedruckt.

3. “Wikileaks”
(weltwoche.ch, Roger Köppel)
Anders als Privatpersonen haben Staaten keine schützenswerte Intimzone, findet Roger Köppel: “Es ist bizarr, wenn sich Journalisten für Geheimhaltung und Verschleierung im Namen der Staatsräson einsetzen. Menschen, Bürger, im Privatsektor tätige Unternehmer und Angestellte sind vor der Macht des Staates und der Medien im Zweifelsfall zu schützen, aber sicher nicht das Machtmonopol selber, das in Schach zu halten und zu durchleuchten die nobelste Aufgabe der Journalisten ist.”

4. “Überfordert von Transparenz?”
(notes.computernotizen.de, Torsten Kleinz)
Torsten Kleinz fragt angesichts der Medienberichterstattung zu Wikileaks: “Ist das zu viel Transparenz für uns?”: “Wo sind die Mechanismen, die echte Skandale von Banalitäten, die Hörensagen von Fakten und Recherche unterscheiden? Wo sind die Leser, die mehr lesen wollen als ihre eigene Meinung?” Anhand einer falschen Meldung über den Schauspieler Mark Ruffalo zeigt er auf, wie mühsam erarbeitete Transparenz ignoriert wird.

5. “Instyle Men vs. Gala Men”
(klatschkritik.blog.de, Antje Tiefenthal)
“Instyle Men” lässt James Dimon, CEO von JPMorgan Chase & Co., 13 Milliarden Euro im Jahr verdienen. “Wenn Spiegel Online die Quelle ist, kann’s nicht falsch sein, hat sich der Redakteur wohl gedacht. Ein paar Klicks mehr hätten gezeigt: Spiegel Online lässt Jamie Dimon nicht Milliarden verdienen, sondern ‘nur’ 13 Millionen Euro.”

6. “Vom Argwohn gegenüber der eigenen Saturiertheit”
(blog.dummy-magazin.de, Oliver Gehrs)
Gentrifizierung in Berlin: Oliver Gehrs fragt sich, “warum denn all diese Reporter, die dem authentischen Osten so nachweinen nicht nach drüben gehen, wie es früher bei Springer hieß. Zum Beispiel nach Schwedt an der Oder. Da gibt’s den Osten nämlich noch.”