Archiv für Oktober, 2010

Gerichtszeichner, Tom Kummer, Klickstrecken

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Kachelmann im Profil”
(tagesspiegel.de, Sonja Pohlmann)
Gerichtszeichner müssen “realitätsnah und möglichst objektiv” zeichnen, aber zu exakt dürfen die Zeichnungen auch nicht sein. “Als Bachmann die markanten Züge des mutmaßlichen Opfers von Kachelmann wiedererkennbar zeichnete, musste das Bild anschließend mit einem Streifen über den Augen gepixelt werden.”

2. Interview mit Miklos Gimes
(nzz.ch, Bettina Spoerri)
Miklos Gimes hat einen Film über Tom Kummer gedreht, der “bereits 1991/92 Artikel teilweise oder ganz zu erfinden begonnen hatte”. Trailer von “Bad Boy Kummer” (youtube.com, Video, 1:39 Minuten).

3. “Die Verteidiger der Currywurst”
(taz.de, C. Akyol und S. Grimberg)
Die Integrationsdebatte bei “Bild”: “Bild mag oberflächlich tiefgründig tun und sich Integration und Völkerball auf die Fahnen schreiben. Drinnen bleibt das Blatt der verlässliche Anheizer, dem kein populistischer Aufschlag zu billig ist, um das angeblich gesunde Volksempfinden noch ein bisschen weiter hochzukochen.”

4. “Der Deutsche Fernsehpreis ist tot”
(meedia.de, Jens Schröder)
Jens Schröder kommentiert die “unvergleichlich erfolglose Reform” des Deutschen Fernsehpreises.

5. “Abschied von meiner Bibliothek”
(revierflaneur.de)
Der Revierflaneur löst seine sich in 153 Kartons befindliche Bibliothek auf. “Was dereinst so hochfahrend aufgebaut wurde, muss nun peu à peu wieder abgetragen werden. Aber kommentarlos? Doch weißgottnicht! An den Kommentaren soll es nicht hapern.”

6. “Die Wunder der Klickstrecke”
(137b.org, zeitweise)
“Text ist der natürliche Feind einer effektiven Klickstrecke. Denn er wird nicht gelesen. So wie dieser hier.”

Flaschenverbot im Moschner Pit

Wo gehobelt wird, da fallen Späne, und wo gekocht wird, da fallen Produktnamen — zumindest, wenn es sich um Koch-Videos bei Bild.de handelt.

Andreas Studer schafft es immer wieder, die Produkte eines ostwestfälischen Haushaltswarenherstellers vertragsgemäß ins Bild zu rücken (BILDblog berichtete), Steffen Henssler darf im Auftrag des World Wildlife Fund “Fischtipps” geben und TV-Moderatorin Ruth Moschner soll “den Getränkekarton weiterhin positiv im öffentlichen Bewusstsein zu verankern”, wie die Firma Tetra Pak im Mai erklärte.

Seit letzter Woche darf Frau Moschner bei Bild.de auch backen:

Irre, was? Die Herstellerlogos auf der Flasche und dem … äh: Tetra Pak sind übermalt. Klar, denn entscheidend ist hier nicht der Inhalt, sondern die Verpackung.

Was man auch sehr schön an dem Getränk sieht, das Gast-Köchin Manon Straché hier verarbeitet:

Frau Moschner schüttet derweil etwas Milch “aus dem Tetra Pak” und entdeckt dabei “dieses FSC-Siegel”, das jetzt “immer öfter” “auftaucht”. Dankenswerter Weise erklären sowohl sie selbst, als auch eine Einblendung, was es damit so auf sich hat:

Das FSC-Siegel steht für eine verantwortungsvolle Waldbewirtschaftung.

Während sich Moschner und Straché gegenseitig in Inge-Meysel-Imitationen zu überbieten versuchen (ja, wirklich!), rutscht etwas unvermittelt dieses Standbild ins Bild:

Um den Spannungsbogen aufrecht zu erhalten, schlägt Frau Straché, die in dieser Inszenierung zunehmend indigniert wirkt, Sahne, und Frau Moschner gewährt Einblicke in ihr privates Umfeld: “Sehr praktisch: Wenn spontan Gäste kommen, nimmt man ‘ne Tetra-Pak-Sahne. Hab ich immer zuhause.”

Geschmack und Vitamine bleiben im Tetra Pak-Getränkekarton optimal geschützt.

Beim Auftritt von “Deutschlands bestem Kaffeesommelier” (womöglich auch Deutschlands einzigem) Michael Gliss droht das Ganze kurz ins Psychedelische umzuschlagen:

Gliss empfiehlt “die Bio- und die faire Milch aus dem Tetra Pak” (“gut zu verschließen, gut aufzubewahren, für uns immer sehr, sehr praktisch”), wobei nicht ganz klar wird, aus welchem der rund ein Dutzend Tetra Paks genau:

Doch für all die Zuschauer, an denen die subtilen Botschaften der vergangenen sechs Minuten vorbeigezogen sind, winkt Bild.de zum Abschluss noch mal kurz mit dem Zaun:

Zutaten für 8 Waffeln: (...) ca. 200 ml Milch aus dem Tetra Pak (...)500 g Sahne aus dem Tetra Pak

Zutaten für 4 Personen: (...) 100 ml Rotwein aus dem Tetra Pak (...) 100 ml Apfelsaft aus dem Tetra Pak

Das Wort “Anzeige” oder ein Hinweis auf die Tetra-Pak-Kampagne fehlen übrigens traditionsgemäß.

Dafür hat Bild.de diese Pointe im Angebot:

Ausstattung: Villeroy & Boch

Wenn Frau Moschner gerade nicht für Tetra Pak kocht, dann tut sie es übrigens für andere.

Mit Dank an Olli.

DAPD, Tagesschau, Philipp Rösler

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Steckt der dapd in der Wachstumsfalle?”
(meedia.de, Daniel Bouhs)
Die Nachrichtenagentur DAPD meldet am Freitagmorgen, die Würth-Gruppe verlege ihren Konzernsitz in die Schweiz. Doch das stimmt so nicht, “eine freie Mitarbeiterin habe den E-Mail-Verkehr mit dem Konzern ‘falsch interpretiert’. Weil das Material in sich plausibel gewesen sei, habe auch das Vier-Augen-Prinzip beim Herausgeben der Texte nichts verhindert.”

2. “Auf Tagesschicht bei der Tagesschau”
(dradio.de, Jörn Klare)
Eine Reportage über den Produktionsprozess von Nachrichten bei der “Tagesschau”. Auch als Audio, 26:19 Minuten.

3. “Medialer Missbrauch”
(blogs.sueddeutsche.de, Johannes Boie)
Johannes Boie kommentiert die RTL2-Sendung “Tatort Internet”: “Während RTL2 und die Medienpartner Bild und Stern in der Berichterstattung über die Sendung suggerieren, dass damit ein Tabu gestützt werden soll, nämlich jenes, Kinder als Sexualobjekte zu sehen, werden tatsächlich während der Sendung Tabus gebrochen. Zuallererst jenes, auf Kosten sexuell misbrauchter Kinder Quote zu machen.”

4. “Politiker brauchen mehr Mut zu klaren Worten”
(welt.de, Philipp Rösler)
Gesundheitsminister Philipp Rösler meint, man sollte sich nicht wundern, “wenn Politiker alle gleich geschliffen, glatt und langweilig klingen”. “Zunehmend vermeiden Politiker aller Parteien Aussagen, die auch nur den Hauch einer möglichen Zuspitzung in sich bergen. Tun sie das nicht, führt die folgende Diskussion aufgrund vielerlei Überreaktionen zu einer völligen Verzerrung der eigentlichen Aussage.”

5. “BBC alters link guidelines for online articles”
(guardian.co.uk, Josh Halliday, englisch)
Die BBC ändert die Richtlinien für Links online: “Reporters must now link to primary sources such as articles published in scientific journals, rather than simply linking to the homepage of the journal.”

6. “indiana jones der kulinarik trifft gemüsefetischist in istanbul”
(henusodeblog.blogspot.com, bugsierer)
“Das Magazin” kündigt einen neuen Journalisten als “Indiana Jones der Kulinarik” an. Sein erster Text handelt vom “besten Restaurant der Welt”.

Was nicht passt, wird passend gemacht

Online-Redakteure haben es schwer: Sie müssen sich nicht nur um die Texte kümmern, sondern auch um Bilder. Trotz Fotoagenturen und riesigen Datenbanken ist es nicht ganz einfach, die richtigen Bilder zu finden. Denn sie müssen nicht nur die Geschichte erzählen, sondern auch in das rigide Baukasten-Schema der Redaktionssysteme passen.

So hat zum Beispiel der Online-Auftritt des Hochglanzmagazins “Stern” seit dem Relaunch ganz oben ganz viel Platz freigeräumt für ein starkes Aufmacherbild: nicht zu hoch, dafür aber sehr breit. Doch wie findet man jeden Tag passende Bilder für diesen prominenten Platz?

Am Samstag sah es besonders düster aus. Zwar bot die Geschichte über die baldige Rettung der verschütteten Bergleute in Chile eine ganze Reihe emotionaler Bilder, doch in das Breitwandformat wollte keines so recht passen.

Doch dem Redaktör ist nichts zu schwör und so begrüßte Stern.de seine Leser mit diesem farbintensiven Aufmacher-Foto: ein Clown, ein Reporter und der weite Himmel über Chile.

Screenshot: Stern.de

Irgendwas ist merkwürdig, nicht? Noch merkwürdiger wirkt das Bild, wenn man es ohne die Aufmacherschlagzeilen betrachtet:

Screenshot: Stern.de

Oder einfach nur die rechte Hälfte des Bildes:

Screenshot: Stern.de

Ein Blick auf das Original-Foto zeigt sehr schön, wie das Aufmacherbild zu Stande kam: Ein Redakteur hat den rechten Rand des Bildes abgeschnitten und einen schmalen Streifen Himmel 16 Mal dorthin kopiert.

Mit Dank an Florian H.

Das Haus, Tatort Internet, RTL aktuell

6 vor 9

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1. “Bauen – Werben – Sicher surfen”
(brainweich.de, Sabrina Gehder)
Sabrina Gehder liest in der Burda-Zeitschrift “Das Haus” vom “Internet in all seinen bedrohlichen Facetten”.

2. “T@tort Internet oder: Niveau und Journalistenethos verzweifelt gesucht”
(heise.de/tp/blogs, Bettina Winsemann)
Für Bettina Winsemann ist die neue RTL2-Sendung “Tatort Internet” “eine der infamsten Sendungen”, die sie jemals gesehen habe – sie verdiene das Prädikat “besonders widerlich”. Die Erstausstrahlung hat sich auch Stefan Niggemeier angesehen.

3. Interview mit Dana Priest
(taz.de, Steffen Grimberg und Bernd Pickert)
Dana Priest von der “Washington Post” glaubt nicht, dass man als Journalist eine Journalistenschule besuchen muss: “Man braucht eine Art zu denken und eine journalistische Ethik, und die lernt man, wenn man unter erfahrenen Journalisten arbeitet.”

4. “Mein Leben ohne Fernseher”
(jetzt.sueddeutsche.de, Simon Hurtz)
Simon Hurtz über seine Kindheit ohne Fernsehen: “Während die meisten Menschen bei jeder Nachricht sofort Gesichter und Bilder aus der Tagesschau vor Augen haben, verbinde ich damit nur die Stimme eines Nachrichtensprechers oder die Überschriften der Zeitungen.”

5. “The Curse of Wikipedia strikes Norman Wisdom”
(theregister.co.uk, Andrew Orlowski, englisch)
Die Zeitungen “Mirror” und “Guardian” übernehmen in Nachrufen auf Norman Wisdom falsche Informationen von Wikipedia.

6. “Kursverfall im Weinkeller”
(juliane-wiedemeier.de)
Juliane Wiedemeier versucht eine Grafik bei “RTL aktuell” zu deuten.

Auf die schiefe S-Bahn geraten

Gute Nachrichten für alle, die von Berlin nach Hamburg mit der S-Bahn pendeln! Sie dürfen sich auch weiterhin ein Bierchen gönnen, sobald sie nach der langen Überlandfahrt in den Bereich des Hamburger Verkehrverbundes (HVV) vorstoßen – zumindest laut der Online-Ausgabe des “Hamburger Abendblatts”:

HVV verzichtet auf Alkoholverbot

Wer jetzt meint, es gäbe gar keine Nahverkehrsverbindung zwischen den beiden größten Städten Deutschlands, der muss sich irren. Denn das, was hier so verschwommen, aber erkennbar gelb-rot vorbeifährt, ist ganz offensichtlich kein Hamburger Modell, sondern ein Wagen der Berliner S-Bahn.

Mit Dank an Bono.

Süddeutsche Zeitung, David Remnick, Mad Men

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1. “Die verdeckte PR im Boulevard”
(ndr.de, Video, 7:42 Minuten)
“Zapp” zeigt, wie Videomaterial der Firma lucky7even auf Bild.de oder in die ProSieben-Sendung “Taff” übernommen wird. Stern.de bezahlte für das Material gar einen Drittanbieter.

2. “Fehler über Fehler”
(journalistik-journal.lookingintomedia.com, Colin Porlezza, Stephan Ruß-Mohl und Marta Zanichelli)
Ein Forschungsprojekt wertet Fehler in Regionalzeitungen der deutschen Schweiz und Italien aus. Eine Übersicht zeigt: “Vier faktische Fehler wurden von den Befragten besonders häufig moniert: Reißerische Überschriften, die den Tenor des tatsächlichen Geschehens nicht widerspiegeln, entstellte Zitate, falsch wiedergegebene Zahlen und Orthografiemängel.” Weitere Artikel zum Thema finden sich in der Ausgabe “Medienselbstkontrolle im Wandel”.

3. “Die Wachhunde der Wachhunde”
(brodnig.org, Ingrid Brodnig)
Ingrid Brodnig präsentiert das seit einem halben Jahr existierende Blog “Kobuk” als “weiteres Beispiel dafür, wie das Web zum Wachhund der Wachhunde wird”.

4. “Happy Birthday, Süddeutsche Zeitung!”
(medien-monitor.com, Helene Pawlitzki)
Zum 65. Geburtstag huldigt Helene Pawlitzki in sechs Artikeln der “Süddeutschen Zeitung”. Der abtretende Chefredakteur, Hans Werner Kilz, sagt in einem langen Gespräch: “Immer wenn über die Krise der Zeitungen gesprochen wird, lamentieren die Journalisten am lautesten. Die sollen sich um ihre Arbeit kümmern und das Lamentieren dem Verlag und den Chefredakteuren überlassen. Es ist eine schwierigere Zeit für Zeitungen, aber was sich nie ändern wird, ist, dass Qualitätsjournalismus gefragt ist. Der Journalismus ist doch nicht am Ende, nur weil die Zeitungen ins Trudeln geraten.”

5. Interview mit David Remnick
(blogs.sueddeutsche.de, Andrian Kreye)
Andrian Kreye befragt David Remnick, Chefredakteur des “New Yorker”. Über Arianna Huffington und ihre “Huffington Post” sagt er: “Ich finde ihre abwertenden und beleidigenden Bemerkungen über die New York Times vor allem arrogant. Wenn man sich ihre Webseite anschaut, dann sind das vor allem Blogger, deren Qualität von zweifelhaft bis mittelmäßig reicht. In der rechten Spalte gibt es Titten, Ärsche und Klatschnachrichten, wer gerade wieder am meisten abgenommen hat. Und in der Mitte sind Artikel aus der New York Times, dem Wall Street Journal und der Washington Post, denen sie liberalere Überschriften geben.”

6. “(Literally) Mad Men”
(ichwerdeeinberliner.com, Wash Echte, englisch)
Zum Start von “Mad Men” auf “ZDF Neo” versucht Wash Echte Aussagen zu deuten, die er schon über die Serie gehört hat.

Produktlobhudelei, El Masrar, Hufelandstraße

6 vor 9

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1. “Nachrichtenjournalismus wie er nicht sein soll”
(medienbuerohamburg.wordpress.com, Nele Römer)
Nachdem auf den Websites von “Hamburger Abendblatt” und “Hamburger Morgenpost” vermeldet wird, der Hamburger Hauptbahnhof sei gesperrt, bzw. komplett gesperrt, fragt Nele Römer nach: “In einem Lagerraum für Blumen gab es ein Feuer. Der Hauptbahnhof war auch nicht komplett gesperrt, nur die U2 ist nicht gefahren.”

2. “WeTab-Enthüllung? Wir WeDeppen schreiben einfach ab”
(medialdigital.de, Ulrike Langer)
WeTab-Geschäftsführer Helmut Hoffer von Ankershoffen verfasst bei Amazon unter falschem Namen überschwängliche Rezensionen über sein eigenes Produkt. Ulrike Langer prüft bei elf Online-Portalen nach, wie sie die von Richard Gutjahr entdeckte Selbstbeweihräucherung verarbeiten.

3. “Waren die Chefredakteure wieder segeln”
(taz.de, Silke Burmester)
Silke Burmester gibt zur Aufregung über den Fall WeTab/Amazon (siehe 2.) zu bedenken: “Nicht, dass nicht wahrscheinlich jeder zweite Buchautor sein Buch bei Amazon bespricht, es sollte den sich jetzt Empörenden – so sie denn Profis sind – nicht unbekannt sein, dass etliche Freiberufler an den Rechnern sitzen und im Auftrag von PR-Firmen Produktnamen oder Produktlobhudelei in Blogs unterbringen.”

4. Interview mit Sineb El Masrar
(philibuster.de, Nadia Shehadeh)
Sineb El Masrar, Gründerin des Frauenmagazins “Gazelle”, fände es sinnvoller, wenn statt über die “Kopftuchfrage” über “die zukünftige wirtschaftliche Unabhängigkeit junger Menschen” geredet würde. “Außerdem nervt es, dass ständig Klischeewelten herbeigeredet werden, die nicht existieren. Dass Muslime eben keine homogene Gruppe sind – das müsste doch schon längst klar sein. Es wird aber ständig noch so dargestellt und befeuert somit zum Teil natürlich auch die Stigmatisierungsmaschinerie weiter. Man stilisiert eine Wahrheit, die gar nicht zutrifft.”

5. “Hunter S. Thompson’s brutally honest Canadian job request”
(ottawacitizen.com, Andrea Woo, englisch)
Hunter S. Thompson bewirbt sich 1958 bei der “Vancouver Sun”: “As far as I’m concerned, it’s a damned shame that a field as potentially dynamic and vital as journalism should be overrun with dullards, bums, and hacks, hag-ridden with myopia, apathy, and complacence, and generally stuck in a bog of stagnant mediocrity. If this is what you’re trying to get The Sun away from, then I think I’d like to work for you.”

6. “Eine deutsche Straße im Wandel”
(geo.de, Andreas Wenderoth, Harf Zimmermann)
Harf Zimmermann fotografiert in der Berliner Hufelandstraße nach 23 Jahren nochmals die gleichen Plätze. In einer Fotogalerie werden je 12 Fotos einander gegenübergestellt.

Und Galileo rotiert im Grab immer nach Süden

Manchmal testet das ProSieben-Vorabendmagazin “Galileo” nicht nur, wie viel Essen in einen Jumbo geht, sondern versucht auch, seinen Zuschauern die Welt zu erklären. Gestern überprüfte die Sendung in einem “Grundschulwissenstest”, was die Menschen noch von den elementaren Dingen behalten haben, die sie als Kind gelernt haben. “Jeder Deutsche sollte unseren Test mit Bravour bestehen”, sagte der “Galileo”-Sprecher, denn es handele sich um “absolutes Basiswissen”.

Und so sollten die Kandidaten zum Beispiel mithilfe einer Schale Wasser, eines Holzstückchens, einer Nadel und eines Magneten einen Kompass bauen, was den meisten misslang. “Jeder Grundschüler sollte diese Aufgabe meistern können”, sagte der Sprecher streng. “Ganz klar: Hier fehlt den Kandidaten Basiswissen.”

Freundlicherweise gab “Galileo” Nachhilfe, und zwar so:

 

 

“Das ist unsere Erde.

Am Nordpol lagern riesige Eisen-Vorkommen.

Magnete zieht das magisch an.

Nadeln auch.

Sofern sie magnetisch sind.”

Ganz klar: Hier fehlt “Galileo” Basiswissen.

Irgendwelche riesigen und offenbar magnetischen Eisen-Vorkommen am Nordpol sind nicht dafür verantwortlich, dass Kompassnadeln sich nach Norden ausrichten — diese Eisenmassen müssten zum Beispiel auch munter unter der Erde durch die Gegend wandern, um die wechselnden Positionen des magnetischen Nordpols und die sogar gelegentliche Umkehrung von Nord- und Südpol zu erklären.

In Wahrheit ist die Erde von einem Magnetfeld umgeben, das durch den sogenannten Geodynamo-Prozess entsteht: das sind Induktionsvorgänge im äußeren, flüssigen, elektrisch leitfähigen Erdkern.

Und morgen bei “Galileo” Jumbos großer Vergleichstest: Nordpol oder Nordpolen, wo gibt’s das beste Eis?

Mit Dank an Ronny R.!

Flattr, Gottschalk, Gerüchte

6 vor 9

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1. “‘Bild’-Zeitung kämpft für ihre Chefs”
(taz.de, Steffen Grimberg)
Steffen Grimberg glaubt, dass die Berichterstattung um ein Bauprojekt in Potsdam gefärbt sei von persönlichen Interessen der Führungsetage des Axel-Springer-Verlags: “Zwar dürfen sich im Artikel einige namentlich genannte Nachbarn Luft machen. Dass allerdings auch Springer-Vorstand Mathias Dö. und Bild-Chef Kai Di. gleich nebenan hausen, wird verschwiegen.”

2. “Flattr belohnt Meinung
vor Qualität und Aufwand”

(netzwertig.com, Martin Weigert)
Martin Weigert stellt fest, dass Nutzer des Mikrobezahldienstes Flattr häufig “Meinung und Kreativität, aber nicht notgedrungen Aufwand, Tiefe und Informationsgehalt” belohnen – “eine ernüchternde Erkenntnis für diejenigen, die in dem Service eine eventuelle Refinanzierungsform für ihren Content sahen, aber nicht in stark emotional besetzten Nischen aktiv sind”.

3. “Wenn Thomas Gottschalk die Welt nicht mehr versteht, warum erklärt er sie uns dann?”
(faz-community.faz.net, Peer Schader)
Peer Schader schreibt auf, was Thomas Gottschalk über “das Facebook” erzählt. “Manchmal wirkt Deutschlands größter Entertainer wie ein Mann, der im Dampfmaschinenzeitalter groß geworden ist und mit großem Staunen aus der Zeitmaschine steigt.”

4. “Medien auf Auto-Pilot”
(juliane-wiedemeier.de)
Juliane Wiedemeier fragt sich, warum verschiedene deutsche Zeitungsportale sich von der Automobilindustrie nicht mit Anzeigen bezahlen lassen. “Einfacher kann man es der finanziell gut aufgestellten PR-Maschinerie hinter der Automobilindustrie wirklich nicht machen. Über einen ‘unabhängigen Partner’ stellt man den Zeitungen für ihre Online-Präsenz ein paar Hochglanzvideos zur Verfügung; in den Redaktionen denkt man sich, dass der Ruf des Auto-Journalismus eh schon ruiniert ist, und so bauen die Verlage mit den Händen nach außen hin eine schöne glitzernde Multimedia-Fassade auf, und reißen zeitgleich mit dem Arsch das um, was einst der Kern des Journalismus war: Wir nennen es Glaubwürdigkeit.”

5. “Der Mann wurde geselbstmordet”
(tagesanzeiger.ch, Monica Fahmy)
Die “Kronen Zeitung” zitiert einen Historiker, der behauptet, in Schweizer Gefängnissen werde gefoltert. “Die abstrusen Aussagen des ‘Dr. Hross’, die an einen drittklassigen Agententhriller erinnern, druckte die ‘Kronen Zeitung’ ungeprüft ab. Dabei gibt es weder einen Historiker namens Sean Hross in Bern noch eine O2T-Foltermethode.”

6. “Gerüchte-Küche, ein unscharfes Dossier”
(derwesten.de, Bodo Hombach)
Bodo Hombach stellt in einem Essay fest, dass die gute Recherche der Tod des Gerüchts ist. “‘Es stand in der Zeitung’ – das könnte ein Gütesiegel sein, wenn das Blatt ordentlich arbeitet.” Könnte, wenn! Siehe dazu “Journalisten machen Kemnader See unsicher” (stefan-niggemeier.de, 29. April 2010).

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