Eine interessante Logikschleife flicht uns heute das “Hamburger Abendblatt” auf seiner Internetseite:
Wenn es ganz dick kommt, muss Armstrong unter Meineid vor Gericht aussagen. Sollte er dann nachweislich lügen, droht eine Haftstrafe wie bei Sprinterin Marion Jones.
Aber wenn der Radrennfahrer Lance Armstrong unter Meineid lügt — hat er dann nicht alles richtig gemacht?
Nachtrag, 10. Juli: abendblatt.de hat den Fehler im Vorspann korrigiert — an der oben zitierten Stelle steht immer noch “Meineid”.
Nachtrag, 11. Juli: Im Laufe des gestrigen Tages ist auch der zweite “Meineid” aus dem Artikel verschwunden.
Neulich hat mich ein Freund gefragt, wo eigentlich immer diese internationalen Pressespiegel herkommen, die man in Zeitungen lesen oder im Radio hören kann. Ob die von den Redaktionen selbst zusammengestellt und übersetzt werden — und wer dann all diese Fremdsprachen spricht.
Diese Pressespiegel kommen von Nachrichtenagenturen, zum Beispiel von dpa, zum Beispiel zum WM-Halbfinale Deutschland gegen Spanien.
Und da steht dann zum Beispiel so was drin, zum Beispiel auf Bild.de:
Spanien. Wer denkt da nicht gleich an das riesige Lazarett, das Trainer Vicente del Bosque dazu zwang, mit einem letzten Aufgebot nicht-verletzter Spieler zu spielen?
Das ist natürlich völliger Quatsch. Was die “New York Times” schrieb, war vielmehr:
Das könnte man in anderen Fällen mit “Der Patient Spanien serviert einen K.o.” übersetzen, aber sehr viel mehr Sinn ergibt es, wenn man “Geduldiges Spanien teilt einen K.o. aus” schreibt.
Diese schwer merkwürdige Überschrift ist aber nicht nur bei der dpa niemandem aufgefallen, sondern auch bei vielen Online-Medien: ftd.de, mopo.de, “Welt Online” (als Teil 83 einer 86-teiligen Klickstrecke), hna.de (Teil 89 von 91).
Bei tagesschau.de, wo anfangs auch die falsche Übersetzung stand, haben sie den Fehler inzwischen bemerkt und unauffällig korrigiert.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Spiel ohne Ball” (merkur.de, Reinhard Lüke)
Reinhard Lüke resümiert die TV-Berichterstattung zur Fußball-WM und wähnt sich beim ZDF-Morgenmagazin beim Kinderkanal: “Nicht allein, dass das Berliner Studio in schwarz-rot-goldenem Fanartikel-Plunder versinkt und auf der Wetterkarte statt Sonne und Wolken Sonnenbrillen und Regenschirme in den Nationalfarben erscheinen, nein, zum Finale jeder Ausgabe streifen sich Moderatoren wie Patricia Schäfer und Wulf Schmiese, immerhin ausgebildete Journalisten, auch noch Trikots über und stellten sich in eine Vorrichtung mit Stangen, die einem Tischfußballspiel nachempfunden ist, um darin gegen Studiogäste vor den Ball zu treten.”
2. “Erstmals im Halbfinale” (ad-sinistram.blogspot.com, Roberto J. De Lapuente)
Mehrere Quellen schreiben, dass Spanien noch nie ein Halbfinale einer Fußball-WM erreicht habe. “In einem klassischen Halbfinale, nach K.-o.-Schema, standen die Iberer tatsächlich noch nie – aber an einer Runde der letzten vier Mannschaften, und nichts anderes ist ja ein Halbfinale, durfte man schon mal teilnehmen.” (1950)
3. “Korrekte Bezahlung für die Texte? Ist nicht vorgesehen!” (offensichtlich.wordpress.com, Daniela Warndorf)
Eine ungenannte Zeitung arbeitet nicht mehr mit einer ungenannten freien Zeitungsjournalistin zusammen, nachdem diese darauf beharrt hatte, dass ein für 180 Euro bestellter und nachträglich gekürzter Auftrag im Umfang von “10.000 Zeichen mit mehreren Fotos” bezahlt wird.
4. “Italiens Medien streiken” (derstandard.at)
Keine Zeitungen sollen heute in Italien erscheinen. Der Journalistenverband FNSI protestiert damit gegen geplante Strafen für Medien und Journalisten, die “‘unrechtmäßig’ Ermittlungsakten oder mitgeschnittene Gespräche veröffentlichen”.
5. Interview mit Thomas Leif (meedia.de, Christine Lübbers) Thomas Leif sieht eine wachsende Zahl “seelenloser Verleger”, “die weiter rigide auf Kosten der Qualität sparen, obwohl sie respektable Renditen ausweisen”.
6. “Die Ausputzerin” (sz-magazin.sueddeutsche.de, Kerstin Greiner)
Petra Weingart, selbständige Unternehmerin in der Ein-Personen-Firma “Käthes Putzteufel”, arbeitet “zwischen 12 und 20 Stunden am Tag, etwa 85 Stunden die Woche” und verdient damit rund 3000 Euro brutto.
Das musste ja so kommen: Kaum verliert die deutsche Fußballnationalmannschaft das WM-Halbfinale gegen Spanien, ist jemand Schuld, der gar nicht auf dem Platz stand — Oktopus Paul, der den spanischen Sieg … äh: “vorhergesagt” hatte.
So berichtet dpa:
“Die bescheuerte Krake lag richtig. Calamares für alle”, rief ein Gast in einem griechischen Restaurant in Frankfurt.
Und offenbar lag das Verfluchen und Verwünschen von Kraken in griechischen Restaurants in Hessen schwer im Trend, denn der dpa-Landesdienst Hessen vermeldete wenige Minuten später:
“Die Scheißkrake hatte Recht: Calamares für alle!”, sagte eine enttäuschter Fan in einem griechischen Restaurant in Wiesbaden.
dpa erklärt uns auf Anfrage, dass sich der Vorfall in Wiesbaden ereignet habe — inklusive der Verunglimpfung Pauls als “Scheißkrake”. Wie es zu der Frankfurter Variante kommen konnte, werde noch intern untersucht.
Manche Sachen muss man gar nicht groß anmoderieren.
Stefan Frommann, Sportchef der “Berliner Morgenpost”, schreibt heute Morgen in seinem Kommentar auf Seite 2 (auch bei morgenpost.de und “Welt Online”):
So wie die Liebe zwischen Teresa und Robert Enke kein Happy End bekam, verhält es sich jetzt leider auch für das Partyvolk und diese hoffnungsvolle Mannschaft.
Zur Erinnerung: Nationaltorwart Robert Enke hatte sich im vergangenen November das Leben genommen.
Mit Dank an Horst M.
Nachtrag, 17. Juli: Nach mehr als 30 entrüsteten Leser-Kommentaren hat “Welt Online” reagiert:
Viele Leser haben in diesem Kommentar den Vergleich zwischen “Teresa und Robert Enke” und dem “Partyvolk und der Nationalmannschaft” als pietätlos empfunden und kritisiert. Wir haben den Satz entfernt.
Bei morgenpost.de, wo man nicht kommentieren kann, ist der Text unverändert online.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Lakaien” (medienspiegel.ch, Fred David)
Fred David listet ehemalige Chefredakteure Schweizer Zeitungen auf, die ihr Geld inzwischen als Berater oder Mediaconsultant verdienen. “Das ist alles legitim. Aber man muss sich bei Gelegenheit doch immer wieder dieser fleissigen Networker und ihrer Netzwerke erinnern, wenn plötzlich, fast wie aus dem Nichts, Kampagnen durch die Medien rauschen.”
2. “Die kaputte Welt von ‘Österreich'” (kobuk.at, Hans Kirchmeyr)
Hans Kirchmeyr listet auf, was die Zeitung “Österreich” über das Opfer eines Gewaltverbrechens schreibt.
3. “Ekel für 50 Cent” (taz.de, Daniela Zinser)
Keinen Gefallen findet Daniela Zinser an der neuen Klatschzeitschrift “Chatter” aus dem Verlag Hubert Burda Media: “Das neue Starstyleklatschmagazin, das der Burda-Verlag nun jeden Mittwoch auf billigem Zeitungspapier im Tabloid für 50 Cent feilbietet, ist so ziemlich das Unterirdischste, was man am Kiosk bekommt: wenig Text, große Fotos – und inhaltlich nichts als Trash.”
4. “Burdas brutaler 50-Cent-Trick” (spiegel.de, Stefan Kuzmany)
Stefan Kuzmany stellt fest, dass “Chatter” zwar viel zu wissen vorgibt, aber selten eine konkrete Quelle angibt. “Die besten Infos stammen von namenlosen ‘Insidern’, die zum Beispiel genau beschreiben, was die Mutter von Brad Pitt von der Erziehungsleistung ihrer Schwiegertochter Angelina Jolie hält.”
5. “Akkreditierungen: Neues aus Absurdistan” (konzertfoto-faq.de, Peter Wafzig)
Der freie Bildjournalist Peter Wafzig berichtet von Einschränkungen in der Konzertfotografie: “Einmal mehr wird klar, dass die Tourneeveranstalter die Presse eigentlich nur instrumentalisieren wollen. An einer freien Berichterstattung ist niemand wirklich interessiert. Da der Gesetzgeber nach wie vor das Hausrecht der Veranstalter höher bewertet als die Pressefreiheit und Konzerte nicht als öffentliche Veranstaltungen betrachtet, wird sich daran auch in Zukunft nichts ändern.”
Nein, das ist nicht etwa das Streckenprofil einer Bergetappe bei der Tour de France. Das ist die Entwicklung der deutschen Staatsverschuldung, wie sie die Grafiker von heute.de sehen.
Die gestrichelte Linie zeigt die zu erwartende Entwicklung für die nächsten Jahre — und ist es nicht beruhigend, dass die Kurve flacher wird, die Gesamtschulden also langsamer steigen sollen?
Nun: Es ist nicht beruhigend, es ist schlichtweg falsch. Denn genau ab 2010 ändern sich die Abstände auf der x-Achse:
Würde man die Kurve korrekt zeichnen, sähe das ungefähr so aus:
Mit Dank an Aljoscha K.
Nachtrag, 17.20 Uhr: Das ZDF hat uns eine Stellungnahme zukommen lassen.
Darin heißt es unter anderem:
Ab dem Jahr 2010 sind wir zum Einjahreszeitraum übergegangen, da eine verlässliche Prognose darüber, wie sich die Verschuldung entwickelt, nicht getroffen werden kann.
… und weil man es nicht mehr so genau vorhersagen kann, verändert heute.de den Maßstab, um es noch genauer zeigen zu können. Aha.
Außerdem macht uns das ZDF Vorwürfe:
Ihre Aussage “Würde man die Kurve korrekt zeichnen, sähe das ungefähr so aus:” ist journalistisch nicht haltbar. Die Vorhersage der Schuldenentwicklung aufgrund der Verlängerung einer Linie in einem Diagramm ist unsauber.
Dabei müssen die Journalisten übersehen haben, dass wir die Linie nicht verlängert, sondern die von den heute.de-Grafikern gezogene Linie gestaucht haben, um sie den Einheiten der restlichen Grafik anzupassen.
2. Nachtrag, 13. Juli: Obwohl das ZDF seine Grafik uns gegenüber letzte Woche noch als “in sich schlüssig und nicht falsch” verteidigt hatte, haben die Grafiker in der Zwischenzeit eine neue Kurve gebaut, die maßstabsgerecht verläuft.
Ein Stalker ist am Samstagabend in Wuppertal beim Versuch, verbotenerweise in die Wohnung seiner Ehefrau zu klettern, vom Balkon gestürzt. Der Mann, der seine Ehefrau wiederholt geschlagen und gewürgt haben soll und sich ihr nicht mehr als 20 Meter nähern durfte, liegt mit schweren Schädelverletzungen im Koma. Sein Zustand sei kritisch, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft am Dienstag. Der Mann habe “seine Tour fast mit dem Leben bezahlt”, schreibt der Kölner “Express”.
Und bewirbt die Geschichte an seinen Zeitungskästen so:
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Sympathisch, aber selbstzensierend” (zeit.de, Steffen Dobbert)
“Ein Wortlautinterview ist auf jeden Fall journalistisch korrekt, wenn es das Gesagte richtig wiedergibt” steht in der Richtlinie 2.4 des Pressekodex. “Zeit Online” veröffentlicht dennoch nur die Fragen eines Interviews mit Oliver Bierhoff, weil der DFB und Bierhoff selbst “im Nachhinein” eine Veröffentlichung untersagten. “Das Gespräch mit ihm dauerte nur ein knappe halbe Stunde. Bierhoff hatte sich in Rage geredet. Aber er hatte nichts gesagt, was die Fußballwelt erschüttern würde. Vielleicht wirkte er so authentisch, weil er ehrlich war. Vielleicht dürfen seine Worte deshalb nicht veröffentlicht werden.”
2. “Rechte Regionalzeitungen” (taz.de, Andreas Speit)
Durch den Abbau von Lokalredaktionen auf dem Land breiten sich von der NPD finanzierte und organisierte Zeitungen aus.
4. “Wir brauchen ein neues Medienbewusstsein” (oeffingerfreidenker.blogspot.com, Stefan Sasse)
Stefan Sasse glaubt, dass die Meinung von “Bild” vor vierzig Jahren “noch keinem Politiker mehr als ein abwertendes Grunzen wert gewesen” sei. Doch heute gelte sie “als eines der, wenn nicht das politische Leitmedium in der Hauptstadt, an dessen erregtem Pulsschlag sich der ohnehin derzeit nicht durch besonders überlegte Ruhe auszeichnende Politikbetrieb orientiert”.
5. “Herr Löw greift sich ans Kinn” (wintermaerchen2010.com, Kai Schächtele)
Ein Besuch im Hauptquartier der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Erasmia, einem Vorort von Pretoria. “Es würde für den Tross, der nach Südafrika allein wegen des Fußballs gekommen ist, keinen Unterschied machen, ob diese WM in Afrika, auf einer Eisscholle in Alaska oder hinter dem Mond ausgetragen wird.”
6. “Back to the Future fans fooled by Twitter hoax” (telegraph.co.uk, Murray Wardrop, englisch)
“Thousands of Back to the Future fans mistakenly celebrated July 5, 2010 as a crucial date in the hit film trilogy after a hoax circulated on Twitter.”
Wer bisher dachte, es sei besorgniserregend, dass die Stimmung eines ganzen Volkes davon abhänge, wie die dazugehörige Fußballnationalmannschaft spielt, dürfte jetzt endgültig vom Untergang des Abendlandes überzeugt sein: Millionen Menschen – so stellt Bild.de es zumindest dar – sind geknickt, weil ein Tintenfisch sein Mittagessen falsch ausgesucht hat.
Ja: Ein Tintenfisch.
Wie schon bei der vorherigen WM-Partien wurde Paul auch für das WM-Halbfinale gegen Spanien als WM-Orakel bemüht: Er musste sich zwischen Muschelfleisch in einem deutschen und in einem spanischen Kasten entscheiden. Und diesmal blieb er bei den Spaniern hängen…
Das konnte bei der anhaltenden “Schland”-Euphorie natürlich nicht gut gehen:
“Tintenfisch für alle! Schlachtet ihn!”, “Octopus-Salat für die Nation!” schreiben empörten Deutschland-Fans.
Fan-Wut gegen Kraken-Orakel Paul!
Und damit sich die Leser nicht durch das ganze Internet wühlen müssen, um ein ordentliches Stimmungsbild zu bekommen, war Bild.de eifrig:
BILD.de hat witzigsten Sprüche, Rezepte und Kommentare zu Pauls Tipp zusammengestellt. Klicken Sie hier durch die Galerie…
Wir lernen: “Kraken-Orakel” aufessen wollen ist witzig — aber nur, wenn der Vorschlag von deutschen Fans kommt.
Als Paul vergangene Woche den Sieg der deutschen Mannschaft gegen Argentinien richtig vorhersagte und damit die argentinischen Anhänger verärgerte, empörte sich die gedruckte “Bild”:
Geschmacklos! Die Argentinier drohen unserem Kraken-Orakel Paul mit dem Kochtopf, wollen ihn in die Paella schnippeln.