Dass das “Herz für Kinder”, mit dem “Bild” sich schmückt, oft nur eine Behauptung ist, haben wir erst kürzlich aufgeschrieben.
Schon ein paar Wochen länger zurück liegt ein Artikel, der beim Informationsportal CharityWatch.de erschienen ist. Seiner Aktualität dürfte das allerdings keinen Abbruch tun, denn es ist unwahrscheinlich, dass der Verein “Bild hilft” seine Informationspolitik seit Ende Oktober geändert hat:
Die Übermittlung von aussagekräftigen Finanzzahlen wurde verweigert. Fragen zur Mittelverwendung blieben mit unglaubwürdigen Begründungen unbeantwortet. So meinte Tobias Fröhlich, Kommunikationschef der Bild-Gruppe: “Für uns sind das Menschen und Schicksale, deren Intimsphäre wir schützen.” Eigenartig, berichtet die Bild doch oft mit Foto und Namensnennung über Betroffene, denen geholfen werden soll oder geholfen wurde.
Auf “Spiegel Online” steht seit Dienstag ein siebenteiliger Artikel über ein Großprojekt, mit dem im Mittelmeerraum Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen werden soll. Es ist ein erstaunlich positiver Artikel, bei dem der Teil “Kritik” einigermaßen pflichtschuldig drangeklatscht aussieht. Aber darum soll es gar nicht gehen:
Unter der Teilüberschrift “Wie der Strom transportiert wird” findet sich eine Passage über Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ), ein Verfahren, mit dem der in Nordafrika produzierte Strom nach Europa geschafft werden soll.
Eine erprobte Technik, wie “Spiegel Online” weiß:
Die Firma ABB verlegt seit Jahren sowohl unterseeisch als auch an Land HGÜ-Kabel. “Bei dem Norned-Projekt haben wir in 410 Metern Tiefe ein 580 Kilometer langes Kabel zwischen Norwegen und den Niederlanden gelegt”, sagt Günther Stark, Leiter des Fachvertriebs für den Bereich elektrische Netze bei ABB Deutschland. Die Aktion dauerte zwei Wochen und kostete 600 Millionen Euro. Das elf Zentimeter dicke Kabel verbindet seither die Stromnetze beider Länder.
(Link im Original)
Über diesem Text, in dem der Schweizer Elektrotechnikkonzern Asea Brown Boveri (ABB) erwähnt wird, und über allen anderen Texten dieser Artikelserie findet sich ein kleiner Hinweis:
“Powered by …”?
Chefredakteur Rüdiger Ditz erklärt uns, es handele sich um eine Werbeform, die Werbekunden die Möglichkeit biete, “seine Banner in einem Themenfeld exklusiv zu platzieren”. Seit dem Relaunch im August gebe es bei “Spiegel Online” “Tausende Themenseiten”, deren Inhalte alle rein redaktionell seien. Von diesen Tausenden Seiten sind einpaar “powered by”.
Dass ein Text, in dem es unter anderem um ABB gehe, auch in dem Themengebiet “Erneuerbare Energien” erscheine, das “powered by ABB” ist, ist laut Ditz “purer Zufall, weil der Redakteur oder Ressortleiter der Ansicht war, sein Text passe am besten in das Thema ‘Erneuerbare Energien’.” Der selbe Text sei im Übrigen ja auch noch zu anderen Themengebieten (wie “Solarenergie”, “Kopenhagen-Konferenz”, “Klimawandel”) zugeordnet.
Auf die Frage, ob der Ruf von “Spiegel Online” aufgrund solcher “Zufälle” nicht Schaden nehmen (oder “absaufen”) könne, schreibt Ditz:
Auf allen powered-by-Seiten stehen redaktionell unabhängige Texte. In den vergangenen Jahren war der Ruf von SPIEGEL ONLINE durch diese Praxis nicht berührt, deshalb sehe ich nicht, warum er künftig dadurch gefährdet sein sollte.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Spiegel”-Titel (meedia.de, Georg Altrogge)
Georg Altrogge sieht den neuen “Spiegel”-Titel “Das verlorene Jahrzehnt” aus dem Magazin “Time” abgekupfert, das mit “The Decade from Hell” aufmacht. “Zwar ist die optische Aufmachung grundverschieden, aber es erscheint wenig plausibel, dass man beim deutschen Nachrichtenmagazin Nr. 1 ganz ohne Blick auf die ernüchternde Analyse der US-Kollegen auf das Titelthema kam.” Ebenfalls in der Kritik stand der “Spiegel” im Sommer 2008, als der Titel “Macht Das Internet Doof?” stark an den Titel “Is Google making us stoopid?” (“The Atlantic”) erinnerte.
2. Interview mit Konstantin Neven DuMont (welt.de, Sören Kittel)
Verleger Konstantin Neven DuMont will etwas tun gegen die “Demokratiemüdigkeit”: “Ich kenne einen 18-jährigen Jungen, der fest in der ‘World of Warcraft’ festhängt. Ich möchte versuchen, auch solche jungen Leute zurück in die Debatte um die Zukunft des Landes zu ziehen. Ich will gesellschaftspolitische Meinungsbildung fördern. Das sind wir unserem demokratischen System schuldig. Dazu brauchen wir Qualitätsjournalismus.”
3. “Bitte melde Dich!” (blog.tagesschau.de, Christian Thiels)
Das Blog der “Tagesschau” thematisiert das Schweigen von SPD-Politiker Frank-Walter Steinmeier zu Afghanistan: “Er ist nicht im Urlaub oder heiser, er schweigt nur. Nicht immer, aber immer, wenn es um eine wesentliche außenpolitische Frage geht, nämlich: Was wird aus Afghanistan, soll Deutschland mehr Truppen schicken und was wusste der frühere Außenminister eigentlich von den Ereignissen in Kundus?”
4. Interview mit Andreas Gross (weltwoche.ch, Pierre Heumann)
SP-Politiker Andreas Gross kritisiert die “Deutschschweizer Zeitungen”, die im Vorfeld der Minarett-Initiative “leider nur oberflächlich und viel zu weit weg von den Menschen” berichteten. “Heute glauben viele Medien nicht mehr, sie müssten die Wirklichkeit reflektieren, kritisieren und spiegeln. Sie möchten die Wirklichkeit selber setzen.”
5. “Roboter als Redakteure” (zeit.de, Tina Klopp)
“Das Netz wählt die Themen, der Rechner liefert Texte, bezahlt wird nach Klicks und Anzeigenumsatz. Manche Medienbetreiber stellen sich so den künftigen Journalismus vor.”
6. “Bildzeitungsartikel und Gegendarstellung” (freiebildungsaar.blogspot.com)
Eine nachgetragene Gegendarstellung zu einem “Bild”-Artikel mit dem Titel “Studenten verlaufen sich vors Rathaus!” vom 26. November 2009.