Kann sein, dass alles nur ein großes Missverständnis ist. Dass die Hymne, die der Schriftsteller und Journalist Philipp Tingler am 30. August in der “Welt am Sonntag” auf die Erste Klasse der Singapore Airlines geschrieben hat, die famose, fantastische, süchtig machende Erste Klasse von Singapore Airlines, in Wahrheit eine ironische Abrechnung mit der ekelhaften Oberflächlichkeit und Käuflichkeit des Reisejournalismus ist.
Oder eben einer der plumpesten Werbetexte, die sich in jüngerer Zeit in deutschen Medien als Artikel getarnt haben.
Ich spreche heute zu Ihnen aus einem Land, wo jede Bewegung zart ist, jeder Wunsch erfüllbar und das Porzellan von Givenchy. Es dies [sic!] ein Land, wo es keine bösen Worte gibt, höchstens manchmal milde Turbulenzen, kein garstiges Licht, keinen störenden Laut. Ein Land, durch das Zauberwesen huschen, die unendlich viele Kaffeevarianten kennen; Feen, die Ihnen ein Bett im Himmel machen und für jedes Problem eine Lösung finden. Ich spreche zu Ihnen aus der First Class von Singapore Airlines.
Ich hatte perfekte Voraussetzungen, die First Class von Singapore Airlines zu testen (…). “Gelegentlich müssen wir die Passagiere der Businessclass davon abhalten, hierher abzudriften”, erklärt mir die reizende Dame von Singapore Airlines, die mich durch die Hallen für die First Class führt. (…) Es gibt hier einen Chef, der Pancakes zubereitet, die heutige Tagesspezialität, nebst anderen Köstlichkeiten, und Natasha, eine weitere reizende junge Dame vom Singapore Airlines Public Affairs Department, die hierhergekommen ist, um mir Gesellschaft zu leisten, sagt: “Verderben Sie sich nicht den Appetit. Im Flugzeug gibt es gleich eine Delikatesse nach der anderen.” (…)
Die Boeing-777-300-Flotte von Singapore Airlines, die neben Zürich unter anderem Frankfurt, Mailand und Barcelona bedient, ist ziemlich neu und verfügt in der sogenannten Premiumkabine ganz vorne im Flugzeug über acht riesige First-Class-Sessel in zwei Reihen. Diese lederbezogenen und knapp 90 Zentimeter breiten Sessel sind der geräumigste Sitz, der jemals von einer Fluggesellschaft für den kommerziellen Flugbetrieb eingeführt wurde, sagt Singapore Airlines. (…)
Auch bei Singapore Airlines ist, wenn es um die sogenannte “New First Class” in der B 777 geht, in der ich unterwegs bin, die Rede von “feingenarbtem Leder” und “exquisiten Polstern” und “üppigen Duvets” — doch das hier, diese real existierende First Class Cabin, ist tatsächlich ein Refugium, wo Luxus und Erlebnis noch Bedeutung haben, wo Reisen noch glamourös und stilvoll ist, wie früher, als ein Flugticket noch keine Massenware war. (…) Während ich nun ein ansehnliches Steak verschlinge, schaue ich auf meinem 58-Zentimeter-Flachbildschirm (“dem größten im Himmel”, wie Singapore Airlines sagt) “Frost/Nixon” und ein paar Folgen von “Beautiful People”.
Das Unterhaltungsprogramm von Singapore Airlines heißt KrisWorld und umfasst an Bord der Boeing 777 ungefähr 1000 Optionen, neben Spielfilmen und Fernsehformaten auch Spiele und Audioprogramme sowie ein interaktives Sprachlernprogramm. (…)
Stattdessen fühle ich mich ein wenig schläfrig, und so bringt mir die feengleiche Dame von Singapore Airlines meinen Givenchy-Pyjama und mein Frischmacher-Kit von Ferragamo (…).
Es ist eine süße Grausamkeit, seinen ersten First-Class-Flug in der First Class von Singapore Airlines zu absolvieren, denn diese Klasse ist wie Heroin, sie macht schnell abhängig, und der Entzug ist grausam. Nein, nicht wie Heroin, das klingt zu fies, eher wie der Garten Eden oder das Schlaraffenland, wo Milch und Honig fließen und einem reife Früchte in den Mund fallen. Moment mal, was ist eigentlich mit den Leuten im Paradies passiert? Gab es da nicht ein unschönes Ende? Bei Singapore Airlines weiß man zum Glück darum — und bietet an Bord keine Äpfel an.
Mit dieser, nun ja, Pointe endet der eigentliche Artikel (es folgen dann natürlich noch detaillierte Angaben über Buchungsmöglichkeiten und Preise). Der Text rief aber dann doch nicht die Humorpolizei, sondern nur den Deutschen Presserat auf den Plan. Der stellte fest, dass der Autor den Namen der Fluglinie “nicht weniger als 14 Mal” nannte, die Bilder “PR-Fotos der Fluggesellschaft” waren und der Autor seine “ausschließlich positiven Erfahrungen so schwärmerisch” darstellte, “dass die Grenze zur Schleichwerbung nach Richtlinie 7.2 des Kodex deutlich überschritten wurde”.
Der Presserat sprach eine Rüge aus.