Archiv für Oktober 1st, 2009

Bild  

Kalle, gib mal Urteil!

Wie schockierend und verletzend müssen Bilder sein, dass selbst die “Bild” die Menschwürde gefährdet sieht? Die Antwort sieht so aus:

Die “taz”  hatte 2005 den Kino-Werbespot geschaltet, in dem ein Mann, der optisch ziemlich eindeutig eher als “Bild”- denn als “taz”-Leser zuzuordnen ist, an einem Kiosk seine “Bild” haben will und stattdessen eine “taz” bekommt (die ihm erwartungsgemäß nicht so sehr zusagt). Der Claim des Spots lautet: “taz ist nicht für jeden”.

So weit, so unspektakulär. “Bild” allerdings klagte gegen die Verwendung des Spots: Er sei nicht nur eine “unlautere vergleichende Werbung”, sondern greife überdies die Menschenwürde der Bild-Leser an. In erster wie auch zweiter Instanz erhielt das Blatt mit dieser Argumentation sogar Recht. Die Hamburger Richter sprachen dem Spot zwar einen nicht unerheblichen Wahrheitsgehalt zu, bewerteten ihn letztendlich aber doch als “unangemessen” und untersagten die weitere Verwendung. Die “taz” ging aber bis in die letzte Instanz. Der Bundesgerichtshof sprach ein eindeutiges Urteil und wertete den Spot der “taz” als eine zulässige Form des Humors. In der Pressemitteilung heißt es:

Der durchschnittliche Zuschauer erkenne, dass es sich bei der Darstellung um eine humorvolle Überspitzung handele, mit der die Aufmerksamkeit der Werbeadressaten geweckt und nicht die BILD-Zeitung oder deren Leserschaft pauschal abgewertet werden solle.

Seit der einstweiligen Verfügung des Springer-Verlags 2005 durfte der Spot nicht mehr gezeigt werden, jetzt ist er wieder zu sehen. Zudem muss der Verlag die Verfahrenskosten tragen.

Nachtrag, 2.10.2009: Auch Bild.de berichtet über die BGH-Entscheidung.

Opfer des Layouts

Wer sich die heutigen Tageszeitungen anschaut, stellt fest, dass das schwere Erdbeben bei den Samoainseln viele Titelseiten dominiert.

Auch die “Stuttgarter Zeitung” hat sich für einen “Katastrophen auf Samoa”-Aufmacher entschieden und sogar ein gutes Foto dafür gefunden. Im hauseigenen Online-Auftritt ist es bereits seit gestern in einer Bildergalerie zu sehen:

Stuttgarter Zeitung 430

Doch vorn auf der gedruckten “Stuttgarter” (hier im Großformat) sieht dasselbe Foto heute so aus:

Stuttgarter Zeitung Titelblatt 430

Wie sowas geht? Der hauseigene Grafiker hatte die rechte Hälfte des Bildes gespiegelt und (nicht ohne Aufwand) alles, was den Schwindel schon auf den ersten Blick auffliegen lassen könnte, retuschiert: Der Mann, der in den Trümmern steht, wurde digital ausradiert; dort, wo eigentlich das Auto steht, ließ man ein wenig Gras drüber wachsen und pflanzte einen Text.

Der Grund für diese merkwürdige Irreführung des Lesers ist ebenso peinlich wie banal: Im Juni dieses Jahres wurde die “Stuttgarter Zeitung” dank eines Redesigns zur “besten StZ aller Zeiten”. Und das neue Layout verlangt nun mal jeden Tag ein vierspaltiges Foto im Verhältnis 1:2,8 (Annäherungswert). Doch um es mit Michael Maurer, dem stellvertretenden StZ-Chef, zu sagen:

Das Foto auf der Seite 1 ist kein Selbstzweck. Es soll zwar die Optik der Titelseite attraktiver und moderner machen, aber es soll vor allem die journalistische Qualität und journalistische Eigenleistungen der StZ hervorheben. (…) Dem Leser wird damit klar signalisiert, welche Glanzstücke aus redaktioneller Sicht ihn im Innenteil erwarten.

Das wollen wir nicht hoffen.

Mit Dank an Stefan und rod66.

Nachtrag, 20.00 Uhr:
Uns erreichte folgender Kommentar von Michael Maurer, stv. Chefredakteur der “Stuttgarter Zeitung”:

Das Aufmacher-Bild auf der ersten Seite der Stuttgarter Zeitung vom Donnerstag, 1. Oktober, ist technisch in einer Art und Weise bearbeitet worden, die nicht unseren journalistischen Standards entspricht. Mit der Doppelung eines Ausschnittes ist die Aussage des Bildes verfälscht worden. Die Redaktion übernimmt die Verantwortung für diesen Fehler und wir entschuldigen uns bei unseren Leserinnen und Lesern.

“Killer-Tsunami” schwemmt “erste Bilder” an

Bild.de veröffentlichte heute — unmittelbar unter der Überschrift eines Artikels über den “Killer-Tsunami” auf den Samoa-Inseln — “dramatische Amateuraufnahmen” eines Tsunami-Augenzeugen.

Aus dem Off kommentiert Bild.de das 35-sekündige Amateur-Video mit diesen Worten:

Noch wirken diese Wellen harmlos. Doch sie bringen den Tod. Das Südseeparadies Samoa wenige Sekunden vor der Verwüstung. Amateuraufnahmen zeigen die ersten Bilder des tödlichen Südpazifik-Tsunamis. (…)

Die Aufnahmen zeigen Samoa? Wie bloß kommt es dann, dass ein Video mit den genau gleichen Aufnahmen den Titel “2004 Tsunami Video” trägt, seit dem 4. Oktober 2006 auf YouTube zu sehen ist und bereits über 1.7 Millionen mal angesehen wurde?

Mit Dank an Felix F.

Nachtrag, 16.20 Uhr: Bild.de hat die “dramatischen Amateuraufnahmen” von 2004 aus dem Artikel entfernt und offenbar gelöscht.

2. Nachtrag, 18.15 Uhr: Auf Bild.de erfolgt eine “Korrektur”, in der die Leser um Entschuldigung gebeten werden. Offenbar wurde das Video ungeprüft vom “Video-Portal LiveLeak” übernommen (wo Nutzerkommentare allerdings bereits seit gestern unermüdlich darauf hinweisen, dass die Bilder alt sind und nicht Samoa zeigen).

3. Nachtrag, 20.40 Uhr: Bei “Spiegel Online” beginnt der Videobericht “Immer mehr Todesopfer: Tsunamis und Erdbeben in Asien” ebenfalls mit besagtem Video.

Ansbach, Neuer, Parasiten

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die Medienopfer von Ansbach”
(ndr.de, Video, 6:08 Minuten)
Nach dem Amoklauf von Ansbach streifen Journalisten durch die Innenstadt, sprechen potenzielle Schüler an, bieten Geld für das Vorzeigen von Brandwunden, bieten bis zu 800 Euro für eine Handynummer. Sie wollen auch dafür zahlen, wenn jemand einen vorgefertigten Text in eine Kamera spricht. In Ansbach ist man heilfroh, dass die Medienschar wieder weitergezogen ist.

2. “Ein Rezensent”
(woz.ch, Andreas Simmen)
Andreas Simmen, Programmleiter beim Rotpunktverlag in Zürich, macht auf Unstimmigkeiten bei Literaturrezensionen aufmerksam. Auf einen Rezensenten, der “seine Kritiken im linken ‘Neuen Deutschland’ (ND) als Benjamin Jakob und dann dasselbe als Uwe Stolzmann in der ‘Neuen Zürcher Zeitung’ (NZZ)”, publiziere, geht er besonders ein: “Dieser Rezensent unterhält eine Art Rezensionenmanufaktur; er hat einen gewaltigen Ausstoss, weshalb man von ihm nicht erwarten kann, dass er die Bücher auch noch liest.”

3. Die Medien und der Derby-“Skandal”
(weltfussball.de, Maike Falkenberg)
Nach einem Fußballspiel zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04 wird der Torhüter Manuel Neuer beschuldigt, einem gegnerischen Spieler “den Ellenbogen ins Gesicht gerammt” zu haben. Doch: “‘Dem Kontrollausschuss liegen keine Hinweise auf ein grob sportwidriges Verhalten vor.’ Kein Ellenbogenschlag, kein Kopfstoß, keine weiteren Ermittlungen, keine Strafe – keine Story mehr? Weit gefehlt.”

4. “Die Unabhängigkeit der Medien in Frankreich”
(deuxzero.de/blog)
Einige Thesen zur Unabhängigkeit von französischen Medien. These 1a: “Der Politiker bestimmt die Agenda des Journalisten. Beide durchlaufen dieselben (Hoch-)Schulen und entstammen demselben Pariser Intellektuellen-Milieu. Der Journalist wird zum Sprecher des Politikers und erhält als Gegenleistung Informationen aus erster Hand. Die persönlichen Beziehungen zwischen Politiker und Journalist bestimmen die mediale Agenda. Investigativer Polit-Journalismus verkommt zu persönlichkeitsgesteuerter Polit-PR.”

5. “parasiten”
(wirres.net, Felix Schwenzel)
Zum Vorwurf, “Web-Medien” seien parasitär: “ist es nicht genauso parasitär, wenn ein papier-medium über eine veranstaltung berichtet? da setzt sich ein journalist in eine veranstaltung, hört sich an was gesagt wird und verbreitet danach diese fremde gedanken, quasi anderer leute ‘geistiges eigentum’, in irgendeinem medium.”

6. “BBC: Raus aus dem Elfenbeinturm”
(gutjahr.biz/blog, Richard Gutjahr)
Ein Besuch im BBC Television Centre, alternativ auch als Video (youtube.com, 3 Minuten)