Archiv für Februar 3rd, 2009

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“Bild” macht Mann zum “Kinderschänder”

Bei der “Bild”-Zeitung ist die Meinung weit verbreitet, dass Angeklagte eigentlich irgendwie auch immer schuldig sind. Entsprechend hat “Bild” kein Problem damit, Angeklagte vor einer Verurteilung vorzuverurteilen. Wie schlecht diese Idee ist, zeigt der Fall “Frank M.”:

Anfang Dezember 2008 stand in der “Bild”-Zeitung eine Geschichte, die wie gemacht war für den Boulevard. Es ging darum, “wie die Thea (14) aus Leipzig einen Sexstrolch fing”. “Bild” berichtete groß und ziemlich eindeutig:

"Wie die Thea (14) aus Leipzig einen Sexstrolch fing - Mädchen überführte Fummler mit Handy"

Thea ist erst 14 aber unterschätzen sollte man sie nicht. (…) Mit einem Trick und einer großen Portion Mut überführte sie einen Kinder-Schänder! (…) Der Vorwurf laut Staatsanwalt Michael Höhle: zwischen 2001 und 2007 soll er vier Mädchen (11-12) an ihren intimsten Stellen befummelt haben, darunter seine eigene Tochter.

“Bild” ließ kaum Zweifel daran, dass der vermeintliche “Kinder-Schänder” Frank M. schuldig sei. Zwar ließ sie ihn und dessen Anwalt die Vorwürfe kurz abstreiten (“Alle Vorwürfe sind falsch”, “Was meinem Mandanten vorgeworfen wird, stimmt nicht”), schrieb aber direkt im Anschluss:

Doch die Beweislage lastet schwer. Denn es gibt eine Tonaufzeichnung von einer der Taten des Kinderschänders. Die mutige Thea hat Frank M. damit zur Strecke gebracht!

Detailliert schildert “Bild”, wie “Thea” und ihr Bruder mit einem “Handy-Trick” Frank M. “zur Strecke” brachten:

“Am 13. Januar 2007 lockte er mich zu sich (…)”, erzählt das Mädchen. (…) [Ihr Bruder] sollte sie anrufen, nachdem sie bei Frank M. eingetroffen war. Damit er alles mithören und aufzeichnen konnte. In der Wohnung zog sich Frank M. aus, befummelte die Schülerin. (…) Am anderen Ende der Leitung hörte Theas Bruder alles mit, zeichnete das Gespräch auf. (…) “Dann sind wir mit den Handyaufzeichungen zur Polizei, haben ihn angezeigt”, sagt das tapfere Mädchen.

Anfang Januar sprach das Amtsgericht Leipzig Frank M. von “allen Vorwürfen” des sexuellen Missbrauchs frei.

Das überrascht angesichts der geradezu erdrückenden “Beweislage”, die “Bild” nach dem ersten Verhandlungstag schilderte. Allerdings hatte die mit dem Verlauf der Verhandlung ohnehin nur sehr wenig zu tun.

Was womöglich kein Wunder ist. “Bild”-Autorin Angela Wittig war offenbar einen erheblichen Teil der Verhandlung gar nicht im Saal. So schildert es uns jedenfalls der von “Bild” als “Fummler”, “Sexstrolch” und “Kinder-Schänder” verunglimpfte Frank M.: Der erste Verhandlungstermin habe ein paar Stunden gedauert, die “Bild”-Mitarbeiter seien jedoch nach etwa einer Dreiviertelstunde aus dem Saal gegangen und hätten “Thea” draußen “bearbeitet” und offenbar auch fotografiert (siehe Ausriss oben). Am zweiten Verhandlungstermin im Januar, an dem auch der Freispruch verkündet wurde, sei indes niemand mehr von “Bild” da gewesen.

Und anders als das Gericht, das bereits nach dem ersten Verhandlungstermin den seit 2007 bestehenden Haftbefehl gegen Frank M. aufhob, glaubte “Bild” der “mutigen Thea” offenbar jedes Wort und schrieb das am nächsten Tag ohne jede Distanz auf.

Wäre die “Bild”-Zeitung etwas länger geblieben und hätte der Verhandlung mehr Aufmerksamkeit geschenkt, hätte sie eigentlich mitbekommen müssen, was uns der Anwalt von Frank M., Stephan Bonell, erzählt:

  • dass auf dem vermeintlichen Handy-Mitschnitt des sexuellen Missbrauchs außer Rauschen nichts zu hören gewesen sei;
  • dass die Polizei das bereits am Tag, als “Thea” Frank M. angezeigt hatte, festgestellt hatte;
  • dass die Widersprüche in den Aussagen der Mädchen, die Frank M. sexuell missbraucht haben sollte, so groß gewesen seien, dass das Gericht sie als “unglaubwürdig” eingeschätzt habe.

Laut Frank M. handelt es sich bei den Anschuldigungen um eine pubertäre Racheaktion an ihm und seiner Tochter.

Unabhängig davon zeigt die Urteilsbegründung vom Januar, was das Gericht von den Aussagen der “Opfer” hielt. Zu den Anklagepunkten 4., 5. und 6. (insgesamt waren es sechs), die auf der Aussage von “Thea” beruhten und in denen es jeweils darum ging, wie Frank M. sie und andere Mädchen sexuell missbraucht haben sollte, heißt es unter anderem:

Diese Zeugin ist als völlig unglaubwürdig einzuschätzen, nachdem sie (…) dargelegt hat, dass sie das Tatgeschehen zu 4. frei erfunden habe und sich an das Tatgeschehen zu 5. überhaupt nicht mehr erinnern konnte. Ihre Aussagen (…) besonders auf Punkt 6. bezogen, sind darüberhinaus derart widersprüchlich, dass ihnen nicht gefolgt werden kann. Insbesondere durch die Aussagen ihres Bruders (…), der ohne Umschweife in der Hauptverhandlung kundtat, den Angeklagten in den Knast bringen zu wollen, wurde deutlich, dass dem Angeklagten auch das Tatgeschehen vom 13.01.2007 nicht angelastet werden kann.

Pressekodex:

Richtlinie 13.2 – Folgeberichterstattung
Hat die Presse über eine noch nicht rechtskräftige Verurteilung eines Betroffenen berichtet, soll sie auch über einen rechtskräftig abschließenden Freispruch (…) berichten, sofern berechtigte Interessen des Betroffenen dem nicht entgegenstehen.

Zu den zwei weiteren Zeuginnen (die Tochter von Frank M. hatte die Aussage verweigert), merkt das Gericht an, ihre Aussagen seien “bemerkenswert widersprüchlich” zu vorherigen gewesen.

All das hätte die “Bild”-Zeitung spätestens am 6. Januar bei der Verkündung des Freispruchs zumindest in groben Zügen erfahren können – hätte sie sich die Mühe gemacht, über den Ausgang des Verfahrens zu berichten, wie es ihre Pflicht gewesen wäre (siehe Kasten). Hat sie aber nicht.

Für die “Bild”-Zeitung und ihre Leser ist Frank M. immer noch der “Fummler”, der “Sexstrolch” und der “Kinder-Schänder”.

Mit Dank auch an Mario S. und Uwe H.

Eine Ente in der “Bild”-Zeitung

Was soll man noch sagen über einen Mann, der, nachdem ein christlicher Kleinverlag ein 48-seitiges Büchlein (mit Doppel-CD) über “Die Perlenkette des Glaubens” herausgegeben hatte, in der “Bild”-Zeitung schrieb: “Eine 800 Jahre alte Gebetsform erlebt ein verblüffendes Comeback bei jungen Leuten: der Rosenkranz!”

Sagen wir also einfach: Sein Name ist Attila Albert.

Heute allerdings schreibt Attila Albert in “Bild” großflächig und inhaltsarm über den Ehapa-Comic “Onkel Dagobert – Sein Leben, seine Milliarden”, den Attila Albert “die offizielle Biografie der reichsten Ente der Welt” nennt. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass ihm die Idee dazu kam, als er gestern bei “Spiegel Online” ein launiges Stück über… “Die Biografie von Dagobert Duck” entdeckte, weshalb es heute in “Bild” heißt:

"Zum ersten Mal erscheint die offizielle Biografie der reichsten Ente der Welt (...) Die offizielle Biografie von Dagobert Duck (...) gibt

Verglichen mit dem, was dazu beispielsweise seit geraumer Zeit bei Wikipedia steht, erscheint Attila Alberts jetzt-endlich-Begeisterung ein wenig unangebracht.

Die deutsche Erstveröffentlichung der zwölf Hauptkapitel erfolgte 1993 bis 1995 in Fortsetzungen in der Micky Maus, gefolgt von einem Nachdruck in sechs Alben. Die Reihe wurde nach dem Erscheinen der Hauptkapitel als Onkel Dagobert, von Don Rosa fortgesetzt, in der auch die weiteren Zusatzkapitel erschienen sind.

2003 folgte eine Neuausgabe mit 456 Seiten in einem Band (…).
(Links von uns.)

Oder wie etwa die Berliner “Bild”-Schwester “B.Z.” damals, im Dezember 2003, schrieb:

Nun endlich wird das Geheimnis seines Erfolgs in einer Biografie verraten. “Onkel Dagobert. Sein Leben, seine Milliarden” (…) erzählt (…) in 12 Kapiteln von Dagoberts aufregendem Werdegang.

Oder n-tv.de, ebenfalls 2003:

“Dagobert Duck – Sein Leben, seine Milliarden” erscheint nun in einer erweiterten Neuauflage (…).

Aber will man es Attila Albert wirklich vorhalten, dass er ein 5 Jahre altes Buch mit noch älteren Geschichten offenbar für neu hält, nur weil es der Ehapa-Verlag (im Dezember 2008) neu aufgelegt hat?* Das Wort erstmals steht schließlich auch bei “Spiegel Online”:

"(...) erstmals in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre auf Deutsch erschienen und jüngst in einer aufwendigen und kommentierten Ausgabe neu aufgelegt, (...)"

*) Der Verlag bestätigt uns, dass die Neuausgabe auf Wunsch des Disney-Zeichners Don Rosa nur teilweise neu koloriert, mit anderen Kapiteltiteln versehen und um Bonusmaterial erweitert worden sei, freut sich aber über die unverhoffte “Bild”-PR.

Mit Dank an Sebastian S., Florian G., Hans F., Thomas F., Roger, Hansi und Samuel D.

“Bild” sind nicht mehr Papst

"Unfehlbar?"Es kommt einigermaßen selten vor, dass der Vorstandsvorsitzende des Axel Springer Verlags Mathias Döpfner sich in der “Bild”-Zeitung zu Wort meldet. Es bedarf schon einer besonderen Gelegenheit: Die Wahl Barack Obamas zum Präsidenten der USA beispielsweise oder der 95. Geburtstag von Ernst Cramer, Springer-Aufsichtsratsmitglied und “engster Weggefährte” des Verlagsgründers Axel Springer. Und auch die “weltweite Kritik am Papst” ist offenbar so eine besondere Gelegenheit.

Papst Benedikt hatte bekanntlich den exkommunizierten Bischof und Holocaust-Leugner Richard Williamson am 24. Januar wieder in die Kirche "Papst-Audienz für kleinen Löwen"aufgenommen und dafür harsche Kritik geerntet. “Bild” hatte die Kontroverse darum, an der kaum ein deutsches Medium vorbeikam, jedoch über mehrere Tage weitgehend ignoriert und lediglich in einer Mini-Meldung mal erwähnt (wir berichteten). Franz Josef Wagner war der erste, der vergangenen Freitag, eine knappe Woche nach der umstrittenen Entscheidung des Papstes, eine Meinung dazu äußern durfte, und er übte scharfe Kritik an Papst Benedikt. Am Samstag endlich berichtete “Bild” schließlich ausführlicher über den “Nazi-Skandal”, Peter Hahne kommentierte in der “Bild am Sonntag” unter einem größeren Artikel über den “Papst in der Krise” den “Fehler eines Unfehlbaren”.

Und heute nun, da es “immer mehr kritische Stimmen” unter hochrangigen deutschen Katholiken gibt, platziert auch “Bild” das Thema wie schon gestern auf der Seite 1 und berichtet endlich groß darüber auf der Seite 2 – und Mathias Döpfner höchstpersönlich äußert sich in einem Kommentar über die vermeintliche Unfehlbarkeit des Papstes:

Bleibt die Frage, warum es so lange gedauert hat, bis “Bild” die Bedeutung des Themas erkannte. Schließlich hätte “Bild” auch vor der Intervention dem Kommentar des Vorstandsvorsitzenden schon wissen können, welche Position der Axel Springer Verlag hierzu vertritt. Von Solidarität mit dem Papst steht schließlich nichts in den Unternehmensgrundsätzen.

P.S.: Bild.de dokumentiert übrigens erst heute per Video das “Interview der Schande” und damit die “unfassbaren Äußerungen des Holocaust-Leugners” Richard Williamson. Es ist das Interview mit dem schwedischen Fernsehen aus dem vergangenen Jahr (wir hatten es hier vergangene Woche verlinkt), über dessen Inhalt seit über einer Woche in anderen Medien als “Bild” diskutiert wird.

Jauch, Jarvis, Valora, Blick

1. “Verleger müssen wie Google denken”
(faz-community.faz.net/blogs/netzkonom, Holger Schmidt)
Jeff Jarvis sagt den Verlegern, wie es geht mit dem Internet: “Verleger müssen wie Google denken. Sie denken aber meist noch wie Yahoo, der letzte Vertreter der alten Medienunternehmen im Netz. Yahoo will die Inhalte besitzen und die Menschen dazu bewegen, auf die Yahoo-Seite zu kommen. Diesen Menschen soll dann so viel Werbung wie möglich gezeigt werden. Das ist das alte Modell. Google dagegen verteilt seine Produkte über das Internet, seine Landkarten, seine Videos und seine Werbung. Das ist das neue Modell.”

2. Interview mit Thomas Vollmöller
(handelszeitung.ch, Gret Heer, 27.1.2009)
Der CEO des Kioskunternehmens Valora will das deutsche Modell “Presse und Buch” auch in der Schweiz einführen. Im März 2009 soll der erste Laden eröffnet werden.

3. “Neues Duo: Jauch und Pocher pilotieren gemeinsame Show”
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
“5 gegen Jauch” heisst der Arbeitstitel eines “pilotierten” Projekts von Oliver Pocher und Günter Jauch. Dem Titel nach zu erwarten ist wohl eine Quizshow, in der Deutschlands Vorzeige-Bildungsbürger fünf anderen zu zeigen versucht, wer schlauer ist.

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