In der Nacht zum 19. Februar veröffentlichte “Bild” im Internet ein Video, das die 19-jährige Tessa Bergmeier (momentan Kandidatin der Pro7-Show “Germany’s next Topmodel”) zeigte. Es war ein wackeliges Privatvideo, aufgenommen von Bekannten – und zeigte Tessa im Spätsommer 2008, wie sie nachts am Rande eines Kornfelds im Scheinwerferlicht eines Autos posierte und anzügliche Bewegungen machte. Sie war kaum bekleidet und offensichtlich stark angetrunken. Besonders freizügige Sequenzen wiederholte “Bild” in Zeitlupe und textete:
Wer tanzt da betrunken durch Nacht und Wind? Es ist Tessa, das betrunkene Kind. Sie torkelt rum, sie fällt fast um, das “Topmodel” von Heido Klum. (…) Ja, ‘ne echt geile Show. Das wird bestimmt Heidi Klum genauso sehen…
Inzwischen ist das Video auf Bild.de verschwunden.
Nach unseren Informationen war Tessa nicht einverstanden, dass “Bild” die “echt geile Show” privaten Szenen ohne ihr Wissen mit der Öffentlichkeit teilte (in der sich das Video unter Berufung auf “Bild” weiter- und weiterverbreitete) – und hat mit Unterstützung eines Anwalts dafür gesorgt, dass “Bild” das Video aus dem Online-Angebot entfernt. Dort heißt es jetzt nur noch, dass das Video “BILD vorliegt”.
Es ist ungewöhnlich freundlich von der “Bild”-Zeitung, dass sie heute (direkt neben die nebenstehende Frage) ein großes Foto aus der Küche eines Berliner Restaurants abdruckt, in der alles pikobello aussieht. Und das, obwohl dort doch Berliner Lebensmittelkontrolleure “u.a. Rattenbefall, verdreckte Küchengeräte und faulige Lebensmittel” festgestellt haben wollen – weshalb das Restaurant von einer “Berliner Behörde” am Montag zusammen mit weiteren gastronomischen Betrieben “an den Internet-Pranger” gestellt werde:
Nach BILD-Informationen soll das [Restaurant] auf der Ekel-Liste stehen.
Woher “Bild” ihre “Informationen” hat, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass die “Berliner Zeitung” bereits einen Tag vor “Bild” über die geplante (und umstrittene) Negativ-Liste der Pankower Veterinär- und Lebensmittelaufsicht und über den Rattenbefall in obigem Restaurant berichtete, den die Behörde dort offenbar erst vor gut einer Woche festgestellt hatte. In der “Berliner Zeitung” hieß es dazu:
Das Restaurant musste kurzzeitig schließen. Jetzt hat es wieder geöffnet.
Diese (letztlich vielleicht erfreuliche, aber nicht unerhebliche) Info sucht man in “Bild” vergeblich.
Selbst, wenn “Bild” die Antwort auf die Frage “Schwimmt hier ein Monster durch den Urwald?” (Nein, natürlich nicht!) schuldig bleibt:
Auch der Rest des “Bild”-Artikels vom vergangenen Freitag zeugt von einer gewissen Rechercheunlust bei “Bild”.
Denn laut Urheber des Fotos (über das in den vergangenen Tagen beileibenichtnurbei “Bild” spekuliert wurde) zeigt es nicht den malayischen Fluss Rajang, sondern den Kongo. Veröffentlicht wurde es zudem bereits 2002* – und zwar auf einer Website, über die “Bild” und Bild.de in den vergangenen Jahren schon häufiger berichtet hatten. Dann allerdings nannte man bei “Bild” die Betreiber der Website meist:
Die Grafikexperten von worth1000.com…
Die Photoshop-Künstler von worth1000.com…
Die Bildmonteure von worth1000.com…
Andernorts(bzw. hier, aber auch hier und hier) findet sich das “Monster”-Foto daher auch unter der Überschrift:
*) Veröffentlicht wurde die mittelmäßige Fotomontage (die “Bild” in schlechter Qualität und ohne Quellenangabe zeigte) auf worth1000.com am 25.2.2002 im Rahmen eines “advanced photoshop contest” zu “Tieren, die angeblich existieren”.
Wir unterbrechen das BILDblog für einen kleinen Exkurs in den Grenzbereich zwischen nützlichem und unnützem Wissen:
Wussten Sie, dass das Wort “hypoallergen” eigentlich gar kein medizinischer Begriff ist?
“Hypoallergen” ist eine Zusammensetzung aus dem griechischstämmigen Präfix hypo- (“unter”, “darunter”) und dem griechischstämmigen Wort Allergen (ein Stoff, der allergische Reaktionen hervorruft). Geprägt wurde “hypoallergen” offenbarin einer Werbekampagne für Kosmetikartikel in den 50er Jahren.
Inzwischen werden Produkte aus so ziemlich allen Bereichen mit dem Merkmal “hypoallergen” gekennzeichnet – von Babynahrung über Hygieneartikel bis zur Kleidung. Sogar bestimmte Katzen- oder Hunderassen gelten als “hypoallergen”, was man spätestens weiß, seitdem bekannt ist, dass der US-Präsident Barack Obama seinen Töchtern einen Hund versprochen hat, und dass der“hypoallergen”seinsolle, weil eine seiner Töchter Allergikerin sei. Dabei scheint übrigens wissenschaftlich noch nicht mal geklärt zu sein, ob es überhaupt so etwas wie “hypoallergene” Hunderassen gibt.
Aus medizinischer oder wissenschaftlicher Sicht hat das Wort “hypoallergen” jedenfalls keine Bedeutung. Es gibt nicht mal einen anerkannten Standard dafür, was “hypoallergen” ist. So kann ein mit “hypoallergen” gekennzeichnetes Produkt durchaus allergische Reaktionen hervorrufen, denn jeder reagiert nunmal auf etwas anderes allergisch.
Und damit zurück zum BILDblog:
Die “Bild”-Zeitung berichtet heute, dass die US-amerikanische Präsidentenfamilie sich für einen Portugiesischen Wasserhund als “First Dog” entschieden habe, weil das Fell dieser Rasse “sehr verträglich für Allergiker” sei. “Bild” schreibt:
Das wird zwar gerne mal verwechselt, ist aber Quatsch. Einen hyperallergenen Hund wollen die Obamas bestimmt nicht haben.
Mit Dank an Stefan K. für den sachdienlichen Hinweis.
1. Alle Medien sind Internetmedien (vorwaerts.de, Thierry Chervel)
Thierry Chervel macht darauf aufmerksam, dass sämtliche Medieninhalte digital vorhanden und damit auch Online-Inhalte sind. Medienbeobachter preisen dennoch gerne die Langsamkeit der ausgedruckten Zeitungen als Vorteil: “Ausgerechnet der Journalismus, der Inbegriff zynischer Rasanz, rühmt sich seiner Langsamkeit. Dahinter steckt weniger die Suche nach Erkenntnis als der Phantomschmerz der verlorenen Torwächterfunktion: Seit es das Netz gibt, braucht die Öffentlichkeit nicht mehr die Filter der Medien, um sich zu artikulieren – für die Demokratie eine Bereicherung, für die Journalisten ein Verlust der Priesterfunktion.”
2. “Den Bannwald der Demokratie schützen” (nzz.ch, Norbert Neininger)
“Der Ruf nach Artenschutz” (Zitat aus dem erstverlinkten Text) erschallt sogleich. Norbert Neininger fragt sich, ob “wir (auch staatliche) Massnahmen veranlassen” müssen, die den “Bannwald der Demokratie” am Leben erhalten. Dazu stellt er einen Katalog zusammen, der die Printpresse entlasten könnte, so zum Beispiel eine “Verbilligung der Zeitungszustellung”, die “Abschaffung der Mehrwertsteuer für Medienerzeugnisse” und einen “Rabattverzicht bei staatlichen oder öffentlichrechtlichen Kampagnen”.
3. 8 Thesen von Tim Renner (carta.info, Robin Meyer-Lucht) Tim Renner stellt acht Thesen zur Zukunft der Journalismusindustrie zusammen. These 2: “Kein Zweig der Medienindustrie sollte den Fehler machen, die Vorteile der analogen Medienträger zu überschätzen. Dies hat die Musikindustrie getan. Und dem gleichen Irrtum erliegen derzeit noch Zeitungs- und Buchindustrie.”
2. “Darf es Journalisten mit Parteibuch geben?” (axel-springer-akademie.de/blog, Jan-Eric Peters)
“Ich halte es für eine zwingende Voraussetzung unseres Berufes, größtmögliche Unabhängigkeit zu wahren. Journalisten brauchen Haltung und Grundüberzeugungen, aber keine Mitgliedschaft in Initiativen und Verbänden oder die Nähe zu institutionalisierten Interessen. Im Gegenteil: Journalismus und Parteien – das kann nur nach dem Ausschlussprinzip funktionieren.”
3. “Nachrichten-Revolution” (oko-bloko.blogspot.com)
“In meinen 32 Jahren des Nachrichtenkonsums (na gut, realistisch sind es ein paar Jahre weniger) gab es bisher zwei Phasen: Prä-CNN und CNN. Ich glaube, die nächste Phase, Post-CNN, hat begonnen.”
1. “Unser Gott, die Quote” (zeit.de, Stephan Lebert und Stefan Willeke)
Die Zeit-Titelgeschichte über ARD und ZDF ist nun online. Mit dabei, trotz Kritik unkorrigiert: Rüdiger Schawinski.
2. “Reporter heimlich gefilmt” (hr-online.de)
“Der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport hat Journalisten bei ihrer Arbeit gefilmt”: “Die Kamera am Helm eines Fraport-Mitarbeiters war kaum zu erkennen, auf den ersten Blick sah sie aus wie eine kleine Lampe. Gerichtet war sie zumindest zeitweise auf Journalisten, die in der vergangenen Woche im Kelsterbacher Wald die Räumung des Protestcamps beobachteten.”
3. “So eine Arschkriecherei begeistert mich” (spiegel.de)
“Kleiner Satz mit großer Wirkung: In China hat ein genervter Korrektor eine sarkastische Notiz hinterlassen – in einem Artikel über kommunistische Funktionäre. Keiner merkte es, der Text wurde gedruckt.”
Möglich, dass man bei “Bild” nicht versteht, worum es in dem österreichischen Theaterstück “Pension F.” geht, das gestern Abend in Wien Premiere hatte.
Jedenfalls wird das Stück, das sich mit dem Fall des Josef F. beschäftigt, der seine Tochter über Jahre im Keller gefangen hielt und mehrere Kinder mit ihr zeugte, in einem Bild.de-Artikel über die gestrige Premiere konsequent “Inzest-Theater” genannt. Eine “Satire” solle es sein, schreibt Bild.de und fügt in etwas holprigem Deutsch an, es sei “ein Stück voller Blut, Wahnsinn, sexueller Missbrauch und Gewalt!” Etwas später heißt es:
Um was geht es in dem Stück?
Nicht direkt um Fritzl – sondern allgemein um Täter sowie Opfer von Gewalt und den Umgang mit ihnen, betonte Regisseur Hubsi Kramar nach Ende des dreistündigen Spektakels im Wiener 3raum-Anatomietheater.
“Das Stück hat ganz klassisch drei Akte”, so die Macher zur österreichischen Nachrichtenagentur APA. “Der erste war das weltweite Echo auf unsere Ankündigung, der zweite passierte heute Abend, und der dritte werden die weiter wirkenden Reaktionen darauf sein.”
Ja, nun. Das ist alles nicht ganz falsch. Erstaunlicherweise schafft Bild.de es allerdings, nicht ein einziges Mal zu erwähnen, dass “Pension F.” eine Mediensatire sein soll. (Dabei steht das sogar in der von Bild.de zitierten APA-Meldung.) Stattdessen fragt Bild.de scheinheilig…
Darf ein Theaterstück mit einem solchen widerlichen Verbrechen Werbung machen, daraus Kapital schlagen?
… und stellt direkt im Anschluss fest, dass “dutzende Journalisten unter anderem von BBC, RTL und Al-Jazeera” bei der Premiere im Publikum gewesen seien.
“Wir halten es für wichtig, dass im Zuge des Prozesses gegen Josef F., diese Problematik von einer ganz anderen Seite als der reißerischen, vorverurteilenden, platten der Boulvard-Journalisten ‘beleuchtet’ werden muss. Deren Schamlosigkeit darin besteht die Opfer ihren ‘Lesern’ als Wix-Vorlage auszuliefern. Unter dem Deckmantel der geheuchelten Moral einzig mit dem Zweck Profit zu machen, die Auflagezahlen zu steigern. Das Mittel diese Heuchelei aufzudecken ist für uns die Satire. (…) Wesentlich ist eben: Dass mittels dieser Boulvard-Techniken von den eigentlichen Problemen gesellschaftlicher Missstände abgelenkt wird, durch die Kanalisierung des erzeugten Volkszornes. Verhetzung mittels grober Vereinfachung, Entstellung und lügenhafte Tendenz-Berichterstattung. (…)
Eines ist mir [nach ersten Anfeindungen in der Presse] sofort klar (…): Dass nun die Medien das selbst machen, was wir geplant hatten – eine Stück über die Medien selbst, ein medienkritisches Stück – eine Mediensatire, eine Soap-Groteske. (…) Wir sind uns einig, dass die Medien nun selbst das Stück machen, das Stück in dem wir selbst nur Akteure, Zeugen, Betrachter sind.”
Um aber mal aus einer Pressemitteilung zu zitieren, die das Theater lange vor der Premiere herausgab, u.a. um vorverurteilenden “Hetzberichten” über das Stück entgegenzutreten:
[Im Stück] sollte die Rolle bestimmter Medien aufgezeigt werden, die durch ihre menschenverachtende Darstellung aus Profitgier Opfer bloßstellen und damit verhöhnen. Das Prinzip ist einfach: Hinter dem schamlos geheucheltem Mitgefühlstheater stehen knallharte Profitinteressen, die ohne menschliches Mitleid ausschließlich an Auflagensteigerung interessiert sind. Der aktuellen Berichterstattung ist es gelungen, dieses Theaterstück bereits aufzuführen.
So gesehen, haben sich die [Medien] mit ihrer Ignoranz und Projektion auf unsere Arbeit selbst die Maske vom Gesicht genommen. Haben sie vielleicht aus Verdrängung über sich selbst gesprochen?
Das sind offenbar in etwa die Grundideen des Stücks, die sich so ähnlich auch in vielenRezensionenandererMediennachlesenlassen – denen auch nicht entgangen ist, dass die vielen anwesenden Journalisten quasi Teil der Inszenierung wurden.
Bei Bild.de indes findet sich dazu (wir kennen das) nichts. Und, wie gesagt, vielleicht hat man’s bei Bild.de nicht verstanden. Vielleicht kam das alles den Bild.de-Mitarbeitern aber auch einfach zu bekannt vor.
Mit Dank an Michael M., Marcus K. und Gerhard V.
Nachtrag, 25.2.2008: “Bild” berichtet heute ähnlich wie gestern Bild.de (siehe Ausriss). Dabei schafft “Bild” es zwar, das Wort “Mediensatire” unterzubringen, gibt sich aber ansonsten alle Mühe, zu verschleiern, dass “Pension F.” genau die Art der Berichterstattung über den Fall Josef F. kritisieren will, die sich auch in der “Bild”-Zeitung fand und findet.
Und so schrieb Helfricht gestern unter der (insbesondere in den ostdeutschen “Bild”-Ausgaben, in denen die folgende Geschichte ausschließlich zu lesen war) berückenden Überschrift…
… dass “der Osten” ab 1. April “die Lizenz für seinen größten TV-Liebling” verliere:
Generationen von Kindern brachte Sandmännchen (…) seit 1959 ins Bett. Und bis heute schalten ihn täglich 1,5 Mio. Fans ein. Genauso erfolgreich ist der TV-Knirps als Märchenfigur auf den Bühnen zwischen Rügen und Fichtelberg.
Doch damit ist jetzt Schluss. Ausgerechnet zum 50. Sandmann-Geburtstag hat der RBB die Sandmann-Lizenz in den Westen verkauft. Und zwar an das Kölner Theater Cocomico.
(…) Der Vertrag läuft vorerst zwei Jahre. Danach können wir wieder auf unseren Sandmann hoffen!
Schnüff. Beziehungsweise so irreführend, dass der öffentlich-rechtliche RBB gestern bei Helfricht anrief, um ihn darauf hinzuweisen.
“Sächsische Zeitung” vom 21.2.2009:
“Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) hat die Lizenz an den Aufführungsrechten neu vergeben. (…) Die Ausstrahlung im Fernsehen bleibt von den Aufführungsrechten unbeeinflusst.”
Denn “verkauft” (im Sinne von neu vergeben) hat der Sender, wie uns heute ein RBB-Sprecher auf Anfrage sagt, “ausschließlich die Musical-Rechte” fürs Sandmännchen, mehr nicht. Für Figur, Sendung usw. bleibt alles wie gehabt – was, wie offenbar auch “Bild”-Mann Helfricht wusste, zwei Tage vor “Bild” auch schon in der “Sächsischen Zeitung” stand (siehe Kasten). Statt bislang jährlich 10 Sandmännchen-Aufführungen im Osten Deutschlands soll es ab August 60 Aufführungen in zwei Jahren geben – in Bonn und Bergisch Gladbach, aber auch in Potsdam, Berlin, Neubrandenburg, Frankfurt/Oder, Gera, Rostock, Schwerin, Dresden …
Genutzt hat der RBB-Anruf bei Helfricht wenig.
Denn heute berichtet er in “Bild” wieder über das Sandmännchen:
Der schnelle Verkauf unseres Sandmännchens in den Westen – Tausende Kinder zwischen Rügen und Fichtelberg sind traurig. (…) “Die Entscheidung, die Lizenz nach Köln zu geben, ist uns nicht leicht gefallen”, räumt RBB-Sprecher Ralph Kotsch (48) ein.
Letzteres sei übrigens, wie uns der RBB-Sprecher glaubhaft versichert, ein Satz, den “Bild”-Mann Helfricht “komplett frei erfunden” habe. Er selbst habe das “nie gesagt” – nicht zuletzt deshalb nicht, weil das Sandmännchen im Westen ohnehin längst so beliebt ist wie, ähm, “zwischen Rügen und Fichtelberg” und 20 Jahre nach dem Mauerfall eigentlich nicht zum Ost-West-Konflikt tauge.