Archiv für April 23rd, 2008

“Bild” leidet unter Mautismus

Vergangene Woche wurde auf dem Autobahn-Rastplatz Röhrse bei Peine der Fahrer eines LKW getötet. Offenbar wurde er von einem anderen LKW überrollt. Der Täter konnte noch nicht ermittelt werden. “Bild” berichtete vor drei Tagen schon darüber und fragte vorgestern:

"LKW-Fahrer überrollt: Entlarvt Maut-Kamera seinen Killer?"

“Bild” zitiert einen “Polizeisprecher” mit den Worten:

“Kurz vor dem Parkplatz ist eine Mautbrücke, die jedes Kennzeichen erfasst. Der Mörder muss daran vorbei gekommen sein. Wir versuchen jetzt, die Daten auszuwerten…”

Doch die Polizei wird damit wohl keinen Erfolg haben. Daten, die für die LKW-Maut erhoben werden, dürfen nur “für Abrechnungszwecke genutzt werden”, wie uns ein hilfsbereiter Mitarbeiter des Niedersächsischen Datenschutzbeauftragten sagt:

“Die Nutzung dieser Daten für die Strafverfolgung ist definitiv nicht möglich, sie können nach der gegenwärtigen Gesetzeslage nicht für andere Zwecke beschlagnahmt werden.”

Die Antwort auf die “Bild”-Frage lautet also: Nein. Außer bei “Bild”.

Übrigens: Anders als “Bild” schreibt, jagt nicht die “Mord-Kommission” Salzgitter den “Todes-Fahrer vom Rastplatz”. Denn es wird gar nicht wegen Mordes, sondern wegen fahrlässiger Tötung und Fahrerflucht ermittelt, wie uns Wolfgang Klages, Sprecher der Polizei Braunschweig, sagt. Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand gebe es “keine Hinweise auf ein vorsätzliches Tötungsdelikt”. Das mit der “Mord-Kommission” sei eine “falsche Info aus Polizeikreisen” gewesen. Wir sind gespannt, ob “Bild” das in nächster Zeit irgendwie richtig stellt – rechnen aber eigentlich nicht damit.

Mit Dank an Christopher für den sachdienlichen Hinweis.

… und nichts als die halbe Wahrheit (2)

Aber zurück zur “Bild”-Zeitung — bzw. zu “Bild”-Reporter Damian Imöhl, der heute noch einmal über den gestrigen Prozess vor dem Dortmunder Amtsgericht berichtet (wir berichteten). Ein Autofahrer (ohne deutschen Führerschein) war wegen fahrlässiger Tötung zu einer Bewährungsstrafe von neun Monaten verurteilt worden. Er hatte einen entgegenkommenden Motorradfahrer beim Linksabbiegen tödlich verletzt. Imöhls inzwischen dritter “Bild”-Bericht ist unfair, verletzt offensichtlich die Persönlichkeitsrechte des Verurteilten und könnte, wie schon gestern, ausländerfeindliche Ressentiments bedienen.

Anders gesagt:

  • “Bild” nennt den Verurteilten “einen Iraker, der weder einen Führerschein noch einen genehmigten Asylantrag hat. Dafür aber einen dicken BMW, eine Duldung durch die deutschen Behörden und seine Freiheit.” Denn: “Aus dem Gericht spazierte er als freier Mann”. Und “Bild”-Mann Imöhl lässt sich von einem “Strafrechtsexperten”, der in den vergangenen Jahren wiederholt mit markigen Worten in Imöhl-Artikeln zitiert wurde, erklären, ob der Verurteilte denn “jetzt abgeschoben werden” könne (was der Strafrechtsexperte Rechtsanwalt Volker Schröder verneint: “So hat der Strafrichter mit dafür gesorgt, dass er hier bleiben darf.”).
  • Darüber hinaus hat sich “Bild” entschieden, den bislang (wenn auch nur sehr dürftig) unkenntlich gemachten Täter groß und ohne Unkenntlichmachung zu zeigen, und, wie schon gestern, in der Überschrift groß seinen Namen zu nennen.
  • Vor allem aber unterschlägt “Bild” auch heute wieder, dass das Unfallopfer offenbar mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr*, und behauptet stattdessen, der Motorradfahrer sei “totgerast” worden. Dabei bestätigt uns ein Sprecher des Amtsgerichts Dortmund (der wie auch wir Verständnis für die Emotionen der Eltern des Toten hat): “Ein zu schnelles Fahren des Angeklagten ist nicht festzustellen gewesen.” Die vom Richter verhängte Strafe, die der “Strafrechtsexperte” in “Bild” als “viel zu milde” beurteilt, sei “völlig im Rahmen dessen, was in vergleichbaren Fällen üblich ist”. Das Strafmaß entspreche im Übrigen dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Das verschweigt “Bild” — wie übrigens auch die Tatsache, dass der Autofahrer den Motorradfahrer offenbar mit 6 km/h “totgerast” hat.

Mit Dank auch an Oliver K.

*) Der Gerichtsreporter der “Ruhr-Nachrichten” widerspricht in seinem Prozessbericht (und auf unsere Nachfrage) dem gestrigen BILDblog-Zitat eines Gerichtssprechers, dass es bei zulässiger Geschwindigkeit möglicherweise keinen Zusammenstoß gegeben hätte, insofern, als es laut Gutachter “auch bei Tempo 50 zu dem Zusammenprall gekommen wäre”.

6 vor 9

Weniger wissen mit Wikipedia
(faz.net, Jörg Thomann)
Der Brockhaus geht ins Netz, Wikipedia hingegen wird zum Buch: Bertelsmann bringt im September eine gedruckte Kompakt-Version der Online-Enzyklopädie heraus – für 19,95 Euro. Schleierhaft, wer das ausgeben soll.

“Ja, ich würde es wieder machen”
(tagesspiegel.de, Thomas Eckert und Joachim Huber)
Gespräch mit Kurt Westergaard und Flemming Rose zu den Konsequenzen der Mohammed-Karikatur.

Die Macht der Vielen
(zeit.de, Philip Faigle)
Täglich bewerten Millionen Menschen die Produkte von Unternehmen im Netz. Noch reagieren viele Firmen darauf mit Angst – langfristig könnten die Internetforen das Marketing revolutionieren.

Live-Webradio per Handy
(spiegel.de, Felix Knoke)
Ein Telefon und eine gute Idee, mehr braucht man nicht, um einen eigenen Web-Radio-Sender zu gründen. In den USA sind die Amateur-Talkshows längst der Renner. Ein deutscher Anbieter versucht nun, den kruden Charme des Selbstmachradios auch hier zu vermarkten.

Ungefragt zum Werbeträger
(focus.de, Torsten Kleinz)
Die Nutzer sind das wichtigste Kapital für soziale Netzwerke. Dass der US-Anbieter Facebook ungefragt mit den Namen seiner Mitglieder Werbung schaltete, ging den Usern dann doch zu weit. Jetzt rudert das Unternehmen eilig zurück.

NZZaS vs. BZ oder ein Nebensatz mit Folgen
(klartext.ch/blog, Nick Lüthi)
Die NZZ am Sonntag behauptet in einem Artikel über den Berner Fussballclub Young Boys, der Geschäftsführer des YB-Stadions Stade de Suisse kontrolliere «gewieft» die Berner Zeitung. Ein Vorwurf, den die BZ-Journalisten nicht nachvollziehen können. In Zürich verteidigt man die vorgebrachte Sichtweise, ohne allerdings konkrete Beweise zu liefern.